ID: 464
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Sektionsveranstaltung - Biografie und Social Media
Visuelle Konversionserzählungen – Zum Erfolg von Vorher-Nachher-Bildern in Sozialen Medien
Julian Müller
TU Kaiserslautern, Deutschland
Seit einigen Jahren lässt sich das Erstarken einer ganz bestimmten Form der Selbsterzählung beobachten: Ob auf dem Sachbuchmarkt, in Foren, in Sozialen Medien oder neuerdings in Podcasts, an ganz unterschiedlichen Stellen kann man derzeit Berichten von existenziellen Ereignissen der Veränderung begegnen. Ob es um den Wechsel des politischen Lagers, das Vegan- oder Vegetarisch-Werden oder um Abbrüche klassischer Berufskarrieren geht, nicht selten nehmen diese Berichte die Form der Konversionserzählung an. Nun sind Berichte einer Konversion alles andere als ein neuartiges Phänomen, im Gegenteil, die Konversionserzählung ist seit jeher der vielleicht paradigmatische Fall einer biographischen Erzählung überhaupt; neu allerdings ist doch ein ganz eigenes Bild-Genre, das seine Entstehung auch dem Erfolg von visuellen Plattformen wie Flickr, Pinterest und Instagram verdankt: das Vorher-Nachher-Bild. War diese Bildtechnik vor allem aus der Werbung sowie dem Mode- und Boulevard-Journalismus bekannt, so steht sie mittlerweile prinzipiell allen zur Verfügung. Interessant sind diese visuellen Erzählungen insofern, als sie keineswegs nur das eigene Älterwerden dokumentieren, sondern nicht selten ganz dezidiert eine innere Umkehr zur Schau stellen sollen, die zumeist mit einem radikalen Lebensstil-Wandel einhergeht (Fasten, Training, Umstellung von Ernährung, Tätowierung etc.). Versuchsweise soll im Vortrag daher von visuellen Konversionserzählungen die Rede sein.
Die Religionspsychologie und -soziologie hat seit jeher darauf hingewiesen, dass Konversionserzählungen durch ihre Dreigliedrigkeit gekennzeichnet sind – die durch eine existenzielle Krise bewirkte Umkehr trennt ein falsches Leben vor der Konversion von einem richtigen Leben nach der Konversion. In vielen der gegenwärtigen Vorher-Nachher-Bilder etwa auf Instagram lässt sich dieses Muster wiederfinden, dient doch in den meisten Fällen das Vorher-Bild dazu, einen glücklicherweise überwundenen Zustand zur Schau zu stellen. Die linke Seite mit den zwanzig Kilogramm Körpergewicht zu viel oder der Zigarette im Mund soll ja gerade als Kontrast dienen. Insofern realisiert sich in diesen Vorher-Nachher-Bildern eine ganz eigene Form der Selbstverhärtung und Selbstfundierung, dienen diese doch dazu, einen Bruch im eigenen Leben zu markieren, aus dem dann wiederum ein neues Selbst hervorgehen konnte.
ID: 476
/ Sek_Bio: 2
Sektionsveranstaltung - Biografie und Social Media
#strokesurvivor - Narrative und bildliche Bewältigung von Krankheitserfahrung auf Instagram
Maria Schreiber
Universität Salzburg, Österreich
Der vorliegende Beitrag widmet sich der Frage, wie eine neurologische Krankheitserfahrung (konkret: Hirnschädigung durch Schlaganfall oder Hirnblutung) durch das Teilen und Zeigen von Bildern und die Kommunikation darüber auf Instagram biografisch bearbeitet und integriert wird.
Basierend auf online-ethnografischer Forschung zum Hashtag “strokesurvivor” auf Instagram beleuchtet der Beitrag die Kommunikation in dieser Community. Die geteilte Erfahrung von Schlaganfällen verbindet eine vielfältige Gruppe von Menschen in Bezug auf Alter, Geschlecht, Herkunft, Beruf etc. Während einige der untersuchten Accounts speziell für die Dokumentation der Genesung erstellt wurden, fügen andere den Schlaganfall zu ihren vorhandenen persönlichen Accounts hinzu. Die #strokesurvivor-community eint der plötzliche Verlust von geistigen und/oder körperlichen Fähigkeiten, der Verlust von Autonomie und Unabhängigkeit, Abhängigkeit von Betreuer:innen und langfristige bis lebenslange Genesung (Charmaz 2018). Im Fokus steht daher die biografische Auseinandersetzung mit und Integration des versehrten oder behinderten Körpers in Biografie und Selbstbild.
Basierend auf einer rekonstruktiven Analyse (Przyborski/Wohlrab-Sahr 2014; Schreiber/Kramer 2016) von Postings und dazugehörigen Bildtexten und Kommentaren sowie Interviews konnten zwei wiederkehrende, konträre Orientierungen bzw. Bewältigungsstrategien rekonstruiert werden: Explizite Trauer und toxische Positivität. Betrauert wird vor allem der Verlust des vertrauten, gesunden Körpers. In der Instagram-Kommunikation geht es dabei etwa um ein Offenlegen der Trauer, gemeinsames Trauern, Empathie und Bestätigung. Andererseits ist eine positive Einstellung und der ungebrochene Glaube an die Regeneration ein starkes Imperativ der Community. ‘Toxic positivity’ meint dabei, dass keine Zweifel und keine Schwäche erlaubt sind. Der Beitrag rekonstruiert diese widersprüchlichen Muster der Bearbeitung der Krise und beleuchtet vor allem die Rolle der spezifischen Halb-Öffentlichkeit von Instagram, vor deren Augen diese narrativen Bewältigungsprozesse (Lucius-Hoene 2008) stattfinden.
ID: 366
/ Sek_Bio: 3
Sektionsveranstaltung - Biografie und Social Media
Diskriminierte Subjekte? Biographische Widerstandsartikulationen via Social Media und ihre lebensgeschichtliche Kontextualisierung
Merle Hinrichsen, Betül Karakoç, Saskia Terstegen
Goethe-Universität Frankfurt, Deutschland
Rassismus- und sexismuskritische Diskurse erhalten in Folge jüngster Diskursereignisse zunehmende Aufmerksamkeit. Insbesondere soziale Medien sind dabei als transnationale Räume des Austausches und der Vernetzung zu verstehen, die ausgehend vom virtuellen Raum – z.B. über Hashtags – auch auf öffentliche Diskurse im Rahmen konservativer Medien wie Zeitung oder Fernsehen einwirken. Soziale Medien wie Instagram, Facebook oder Twitter werden in der Folge solcher Verschiebungen von diskursiven Sagbarkeitsgrenzen auch zur Bühne für die mögliche Thematisierung eigener Diskriminierungserfahrungen und damit zum Möglichkeitsraum mittels (episodischer) biographischer Konstruktionen sicht- und hörbar Widerstand zu formulieren.
In unserem Vortrag setzen wir hier an und betrachten schriftliche (bebilderte) biographische Artikulationen in sozialen Medien, in denen eigene Diskriminierungserfahrungen in Schule und Hochschule thematisiert werden. Empirische Grundlage hierfür bietet Material aus einem Forschungsprojekt, in dem wir die Analyse von Posts mit der Analyse biographisch-narrativer Interviews mit den Autor*innen triangulieren. Die interviews ermöglichen es, die schriftlichen Artikulationen biographisch zu kontextualisieren und in ihrer lebensgeschichtlichen Bedeutsamkeit in den Blick zu nehmen. Ausgehend von einer solchen Triangulation von Post und Interview sollen im Beitrag unterschiedliche Formen biographischer Konstruktionen zueinander relationiert werden. Methodisch greifen wir hierfür auf rekonstruktive, sequenzanalytische Verfahren zurück, indem wir Elemente der Biographieanalyse und der Positionierungsanalyse kombinieren.
Ziel ist es, die besondere Gestalt der Konstruktion des Biographischen von Schrift-Bild Konstellationen in sozialen Medien herauszuarbeiten und diese in ihrer biographischen Bedeutsamkeit aufzuschlüsseln. Ein möglicher Aspekt stellt die Frage danach dar, ob und wie entsprechende biographische Artikulationen auch ein Potential für kollektive Identitäten bzw. Subjektpositionen eröffnen – hierfür werden auch Kommentare und Likes in die Analyse einbezogen. In der Zusammenschau der Kommentare werden soziale Medien damit auch als umkämpfte diskursive Räume näher beleuchtet.
ID: 675
/ Sek_Bio: 4
Sektionsveranstaltung - Biografie und Social Media
Social Media als Ort biografischer Konstruktion. Hypermedialisierte Inszenierung eines Lebens in Widersprüchen
Johannes Marent, Elisabeth Mayer
Universität Wien, Österreich
Die Darstellung und Kommunikation von Lebensgeschichten findet auf Social Media verstärkt visuell statt und ist durch eine sehr vielfältige Gestaltungsweise von Bildern und Fotografien charakterisiert. Dieser Beitrag fokussiert auf biografische Konstruktionsprozesse innerhalb verschiedener Social Media Accounts. Dabei werden fallspezifische Differenzen in der visuellen Inszenierung auf Facebook und Instagram aufgezeigt.
Anhand einer Einzelfallanalyse veranschaulichen wir, wie über ein narratives Gestaltungsprinzip in den Facebook-Alben, eine Verbildlichung parallel zu diversen Lebenserfahrungen und -ereignissen erfolgt und wie dabei die Möglichkeiten der Fotografie – vom Zeigen alltagsbezogener Darstellungen bis hin zur hoch ikonischen, hypermedialisierten Bildinszenierung – ausgeschöpft werden. Dieses Montageprinzip zeigt eine visuelle Performanz, bei der unterschiedliche z. T. divergierende Seiten des Selbst in der visuellen Biografie verhandelt, reflektiert und biografisch integrierbar werden. Hypermedialisierung über ikonische Darstellung zeigen sich auch auf Instagram, wo jedoch nicht mehr die Darstellung eines Lebens im Ablauf sichtbar wird, sondern die Bildwerdung der Persona als Kunstobjekt in der Instagram-Selbstgalerie. Über den Vergleich der visuellen Performanz auf Facebook und Instagram zeigt sich auch, wie diese Plattformen durch ihre Funktionsweise die Gestaltung unserer Biografien mit formen.
Die in der Präsentation vorgestellten Daten stammen aus dem vom FWF geförderten Projekt „Biografien in vernetzten Lebenswelten. Visuelle und sprachliche Konstruktionen von Lebensgeschichten“. Methodologisch ist dieser Beitrag in der interpretativ-rekonstruktiven Sozialforschung verortet. Der methodische Ablauf inkludiert visuelle Analysen, biografisch-narrative Interviews, Medieninterviews und Ethnographie. Über dieses triangulative Vorgehen gelingt es zu zeigen, wie Bilder in Social Media für biografische Konstruktionsprozesse relevant werden.
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