Vom Arbeitskraftunternehmer zum Wissensarbeiter – Wandel durch Digitalisierung
Franziska Hein-Pensel
Technische Universität Ilmenau, Deutschland
Auf dem gemeinsamen Kongress der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS) und der Österreichischen Gesellschaft für Soziologie (ÖGS): „Post-Corona-Gesellschaft? Pandemie, Krise und ihre Folgen“, soll es um die Frage gehen, wie Corona auch als eine Art Chance für große Transformationen verstanden werden kann. Die globale Ausbreitung von Corona stellt die Gesellschaft vor neue Herausforderungen auf vielen Ebenen des gesellschaftlichen Lebens und kann als Belastungstest bestehender Annahmen und Konzepte gesehen werden. Auch die arbeitssoziologische Perspektive wird von der Krise gefordert. Schon vor der Corona-Pandemie gab es rege Debatten über die Anpassungsveränderungen des Arbeitsalltages für Beschäftigte durch Digitalisierungsprozesse. Diese sind seit Ausbruchs der Pandemie, durch die Ausweitung von Home-Office Regelungen, und der damit einhergehenden Digitalisierungen des Büroalltages (bspw. virtuelle Kaffeepausen und digitale Weiterbildungsangeboten) von hoher Relevanz. Um die aktuellen Wandlungsprozesse der Arbeit besser zu charakterisieren, ist es wichtig bereits geführte Arbeitsdebatten zu verstehen.
Dieser Vortrag dient daher als Einführung, wie Arbeitskrafttheorien die wandelnden Anforderungen an Arbeitskräfte widerspiegeln. Dafür werden drei Arbeitskrafttypen, welche exemplarisch für die einzelnen Dekaden der letzten 30 Jahren stehen, herangezogen. Aus den 1990er Jahren wird das Konzept der Subjektivierung von Arbeit (Baethge 1991) vorgestellt. Für die 2000er soll der Typus des Arbeitskraftunternehmers (vgl. bspw. Pongratz und Voß 2004) und für die 2010er die Wissensarbeit (vgl. bspw. Antoni et al. 2013, Ibert und Kujath 2011) beleuchtet werden. Durch eine Gegenüberstellung dieser Arbeitskrafttypen entlang von drei Dimensionen (Entgrenzungserfahrung, Arbeitsbelastung und Kontrollmechanismus) wird veranschaulicht wie soziotechnische Rahmenbedingen Arbeitsstrukturen verändern können.
Sozialrechtsberatung aus Distanz? Formen und Folgen des Einsatzes von Kommunikationstechnologien in der sozialrechtlichen Beratungspraxis
Birgit Apitzsch1, Britta Rehder2, Philip Schillen2, Berthold Vogel1
1Soziologisches Forschungsinstitut (SOFI) Göttingen, Deutschland; 2Ruhr-Universität Bochum
Die Pandemie und die Kontaktbeschränkungen zu ihrer Eindämmung betreffen in besonderer Weise den Bereich der (hochqualifizierten) sozialen Dienstleistungen: Die Koproduktion und Interaktion in der Dienstleistungserstellung werden durch Social Distancing und Digitalisierung vor neue Herausforderungen gestellt. Dies gilt umso mehr in den Bereichen, in denen Beratung auf die Verwirklichung sozialrechtlicher Ansprüche von sozial Benachteiligten und Personen in existenziellen Notlagen zielt.
Sozialrechtsberatung wird angeboten von klassischen Professionen und Wissensarbeiter:innen wie Jurist:innen und Sozialarbeiter:innen, aber auch von Betroffenen. So heterogen wie die biographischen und qualifikatorischen Hintergründe der Berater:innen sind die organisationalen Kontexte, die von klassischen Anwaltskanzleien bis zu großen Sozial- und Wohlfahrtsverbänden und lokalen Arbeitsloseninitiativen oder mehr oder weniger an Sozialverwaltungen angegliederten Ombudspersonen reichen.
Die unterschiedlichen Anbieter:innen von Beratung und rechtlicher Unterstützung sind jedoch mit der Ausgangssituation konfrontiert, dass Sozialrechtsberatung durch eine spezifische Mischung aus Sozial- und Rechtsberatung gekennzeichnet ist und damit durch einen ausgeprägten Einzelfallbezug. Entsprechend umstritten sind die Möglichkeiten der Digitalisierung: Verlangt die Beratung ein persönliches Gespräch in Kopräsenz und mit gemeinsamer Durchsicht von Unterlagen, oder kann sie auch telefonisch, per Videokonferenz oder E-Mail und Chat durchgeführt werden? Verspricht die Berücksichtigung verschränkter sozialrechtlicher und sozialer Problemlagen eine bessere Unterstützung als die schnelle Bearbeitung isolierter Rechtsfragen?
In diesem Beitrag werden Herausforderung in der Sozialrechtsberatung für die Qualifikation der Berater:innen und den Prozess der Dienstleistungserstellung diskutiert, die sich aus den Kontaktbeschränkungen und der forcierten Digitalisierung im Zuge der Pandemie ergeben. Die Grundlage bildet ein empirisches Forschungsprojekt mit qualitativen und quantitativen Erhebungen im Bereich der Sozialrechtsberatung.
Distanzarbeit als Krisenszenario öffentlicher Verwaltungseinrichtungen und betrieblicher Büroarbeitswelten
Ina Krause
TU Dresden, Deutschland
Die COVID-19-Pandemie stellt viele Arbeitgeber*innen vor die Herausforderung, alle, und insbesondere gefährdete Mitarbeiter*innen, zu schützen und ihnen, das Arbeiten von einem sicheren Ort aus zu ermöglichen. Dies bedeutete insbesondere in Büroarbeitswelten, dass Arbeitsplätze umgestaltet werden mussten oder das Mitarbeiter*innen die Möglichkeit eingeräumt wurde ihre Arbeitstätigkeit von zu Hause oder auch von anderen Orten in Distanzarbeit - „mobil“ und „remote“ auszuüben. Gerade Büroarbeitswelten verändern sich im Zuge der Corona-Pandemie in vielen Bereichen nicht nur vorübergehend, sondern offenbar nachhaltig. (Backhaus 2020; Bellmann 2020)
Das Konzept der Distanzarbeit geht aber mit strukturellen Veränderung von Büroarbeitswelten einher, die sich im Arbeitsalltag sehr intensiv auswirken und etablierte Konzepte der Organisation von Arbeit und Beschäftigung maßgeblich in Frage stellen. Im Beitrag soll basierend auf den Befunden der COVID19-LD1-Verwaltungsstudie diskutiert werden, wie sich betriebliche organisierte Beschäftigungssysteme (Köhler & Weingärtner 2018) am Übergang von der digitalen zur virtuellen Moderne und vor dem Hintergrund der Corona-Pandamie disruptiv verändern. Die COVID19-LD1-Verwaltungsstudie umfasst 20 problemzentrierte Interviews mit Angestellten einer Kommunalverwaltung, die der direkten und zeitnahen Reflexion der veränderten Arbeitssituation und –kommunikation in der ersten Corona-Lockdown Phase von März bis Mai 2020 diente.
Aus den empirischen Befunden der COVID19-LD1-Verwaltungsstudie werden konzeptionelle Überlegungen als ein Beitrag zu einer Theorie betrieblicher Beschäftigungssysteme in virtuellen Arbeitswelten (Krause 2019) entwickelt.
Homeoffice-Angebot in Betrieben – Welche Potenziale lassen sich erwarten?
Myriam Baum, Alexandra Mergener, Felix Lukowski
Bundesinstitut für Berufsbildung, Deutschland
Das Arbeiten im Homeoffice hat im Zuge der Corona-Pandemie schlagartig an Bedeutung gewonnen. Spätestens seit Erlass der Corona-Arbeitsschutzverordnung müssen Betriebe überall dort Homeoffice anbieten, wo es möglich ist. Das dürfte insbesondere für Beschäftigte mit einem hohen Ausmaß an kognitiven Tätigkeiten im Beruf gelten (vgl. MERGENER 2020). Auf betrieblicher Seite hat die Pandemie Veränderungen hervorgerufen, da für die breite Belegschaft z. B. die technische Infrastruktur und Arbeitsprozesse angepasst wurden (vgl. BELLMANN U.A. 2020). Zudem konnten zuvor existierende Vorbehalte von Betrieben und Vorgesetzten gegenüber Homeoffice reduziert werden. So zeigen aktuelle Studienergebnisse von FRODERMANN et al. (2021), dass die Anwesenheitskultur in Betrieben für die Nicht-Nutzung von Homeoffice derzeit nur noch eine sehr geringe Bedeutung hat.
Mit Blick auf die Zeit nach der akuten Corona-Pandemie stellt sich die Frage, was von dieser veränderten Sicht auf Homeoffice bleiben könnte. Während die Betrachtung von Homeoffice-Potenzialen auf Basis von Beschäftigtenangaben zur beruflichen Eignung bereits versuchen zukünftige Entwicklungen abzuschätzen (u.a. MERGENER/ WINNIGE 2021), bleibt die Betrachtung von Homeoffice-Potenzialen auf betrieblicher Ebene bisher unberücksichtigt. Um diese Lücke zu schließen, ermitteln wir im Rahmen dieses Beitrags typische Merkmale von Betrieben, in denen Homeoffice bereits vor der Pandemie angeboten wurde (u. a. Digitalisierungsgrad auf Basis der Technologienutzung, Qualifikationen der Beschäftigten, Betriebsgröße und Branche). Dabei wird eine Gruppe von Betrieben, die bestimmte Ausprägungen dieser Merkmale aufweisen, herausgearbeitet und als Betriebsgruppe mit Homeoffice-Potenzial definiert. Dieser Gruppe von Betrieben wird die Gruppe der Betriebe, bei denen auch zukünftig kein Angebot zu Homeoffice zu erwarten ist, gegenübergestellt. Die empirische Datengrundlage bildet das BIBB-Betriebspanel zu Qualifizierung und Kompetenzentwicklung der Wellen 2019 und 2020.
Einfluss betrieblicher Digitalisierung auf die Betroffenheit durch Corona bei Ausbildungsbetrieben. Untersuchung mit dem BIBB-Qualifizierungspanel
Christian Gerhards
Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB), Deutschland
Die Corona-Pandemie stellt Betriebe in Ihrem Ausbildungsverhalten vor besondere Herausforderungen. Digitalisierung und Virtualisierung von Ausbildung und Arbeit können ein wichtiges Mittel zu sein, um trotz der Pandemie die betriebseigene Qualifizierung aufrechtzuerhalten, etwa, wenn für Abstimmungs- aber auch Arbeitsprozesse der Arbeitsort unerheblich ist. Der Beitrag geht daher der Frage nach, wie sich betriebliche Digitalisierung auf das Ausbildungsverhalten von Betrieben bei unterschiedlichem Grad der Betroffenheit durch die Corona-Pandemie auswirkt. Dabei wird zugrunde gelegt, dass sich durch Digitalisierung und insbesondere Virtualisierung von Arbeit die Möglichkeiten von Betrieben, Ausbildung auch ohne Anwesenheit im Betrieb aufrechtzuerhalten, maßgeblich bestimmt. Geprüft wird die These, dass Betriebe dann weniger negativ von den Auswirkungen der Corona-Pandemie betroffen sind, wenn sie bereits zuvor intensive Digitalisierung gezeigt haben.
Zur Beantwortung der Fragestellung werden Daten der aktuellen Erhebungswelle (2020) des BIBB-Betriebspanels zu Qualifizierung und Kompetenzentwicklung genutzt. In einem Sondermodul wurden Informationen zur Betroffenheit von Corona und deren Auswirkungen auf die Ausbildungsbeteiligung und -planung erhoben.
Mittels multivariater Regressionsverfahren wird zunächst der Zusammenhang zwischen vorhandener Digitalisierung und der Betroffenheit durch Corona bei Ausbildungsbetrieben untersucht. Danach wird die Auswirkungen der Digitalisierung auf die weitere Ausbildungsplanung von Betrieben analysiert.
Der Beitrag zeigt auf, dass Digitalisierung die bisherigen negativen Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Ausbildungsbeteiligung abschwächen konnte. Außerdem konnten Betriebe offenbar dann optimistischer Ihre Ausbildung planen, wenn sie durch vorhandene Digitalisierung besser auf die Anforderungen der Corona-Pandemie vorbereitet waren.
Die Ergebnisse bieten mit der Berücksichtigung der Digitalisierung einen zusätzlichen Erklärungsbeitrag der betrieblichen Ausbildungsbeteiligung unter Pandemiebedingungen. Für die Politik können die Ergebnisse Anhaltspunkte für die Unterstützung von Betrieben bei der Bewältigung der Pandemie durch den Einsatz digitaler Technologien bieten.
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