Eine Schule für alle führt zu positiven Effekten für alle. Aber wie können Lehrpersonen, Schulleitende, Schulbehörden oder Bildungspolitiken die schulische Inklusion voranbringen? Nach 30 Jahren Erklärung von Salamanca und fast 20 Jahren UN-BRK stellt sich die Frage, welche Massnahmen wirksam sind, zur Unterstützung schulischer Inklusion beitragen und welche nicht.
Um Inklusion im Alltag umzusetzen, sind evidenzbasierte Schritte auf allen Ebenen nötig. Welche Schritte dies sind und wie Evidenz gewonnen werden kann, wurde im Oktober 2023 im Rahmen eines internationalen wissenschaftlichen Austausches in Zürich diskutiert. Darauf aufbauend wurde ein Handbuch zusammengestellt um der Praxis gebündelt aktuelles Wissen bezüglich evidenzbasierter Entwicklung inklusiver Schulen zur Verfügung zu stellen.
Verschiedene Autoren und Autorinnen setzen sich mit dem Begriff der Evidenz auseinander und legen der Diskussion einen erweiterten Evidenzbegriff zu Grunde. Im Bildungssystem und in den Schulen trifft wissenschaftliche Evidenz auf soziale und interne Evidenz. Somit sind Aushandlungsprozesse der Akteure die Folge. Reformen sind oft von widersprüchlichen Wirkungen begleitet, Schulentwicklungsprozesse sind kontingent und vielschichtig. Daher kann nicht von einer technologischen Konzeption der Steuerung pädagogischen Wissens und Handelns ausgegangen werden. Der Forschungsansatz der Educational Governance erlaubt es, Transformationsprozesse in Bildungssystemen zu analysieren. Er geht davon aus, dass Steuerungsgeschehen in Bildungssystemen durch Akteurskonstellationen mit unterschiedlichen Beteiligungs- und Einflusschancen geprägt wird, wobei die einzelnen Akteure (etwa Staat, Bildungsverwaltung, schulische Akteure wie Schulleitungen, Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler oder Eltern) ihre Handlungen untereinander koordinieren (Kussau & Brüsemeister, 2007, 16f.; Preuss, 2018). Zudem adaptieren die Akteurinnen und Akteure im Mehrebenensystem die gesellschaftlichen Anforderungen auf ihre jeweiligen spezifischen Handlungsbedingungen.
Für die wissenschaftliche Diskussion in Zürich und den Aufbau des Handbuchs wurde der theoretische Rahmen zur Schulentwicklung von Rolff (2016) genutzt. Dieser unterscheidet zwischen Organisations-, Personal- und Unterrichtsentwicklung (Rolff, 2016). Das Modell geht von der Organisationsentwicklung als Ausgangspunkt der Schulentwicklung aus. Der Bereich der Personalentwicklung umfasst sowohl die Personalausbildung als auch die Personalführung. Bei der Unterrichtsentwicklung werden Komponenten wie Methodik, Fachdidaktik, soziales Lernen etc. genannt (Rolff 2016). Steuerungsprozesse auf der Makroebene (z. B. die Bildungspolitik) spielen im Modell insofern eine Rolle, als sie die Rahmenbedingungen für die Entwicklung der Einzelschule bestimmen (Rolff 2016).
Basierend auf diesen Grundlagen werden Methoden zur Datenerfassung und deren Ergebnisse vorgestellt und diskutiert: die Methode der partizipativen Mehrebenen-Netzwerkanalyse (PMNA) zur Aufzeichnung von Vernetzung und Kooperation der Akteure auf den verschiedenen Ebenen; die Möglichkeit, durch Over-Sampling auch im Rahmen von Large Scale Assessments Daten für kleinere Gruppen zu erheben, Förderpläne zu analysieren oder Fragebogen einzusetzen, um die Qualität der Bildungssysteme zu bestimmen. Beiträge zu Leadership und Ressourceneinsatz, Lernverlaufsdiagnostik, inklusiver Didaktik, Interaktions- und Unterrichtsentwicklung sowie Möglichkeiten schulweit oder auf individueller Ebene mit sozial-emotionales Lernen zu fördern werden praxisnah ausgeführt.
Das Handbuch bringt Forschungsergebnisse zu Aspekten der Schulentwicklung auf verschiedenen Ebenen zusammen und bietet den Schulbehörden, Schulleitenden und Lehrpersonen Instrumente, um die Praxis evidenzbasiert weiterzuentwickeln. Dabei kann kein Anspruch auf Vollständigkeit reklamiert werden. Herausforderungen und Chancen, wichtige Aspekte und Lücken im Rahmen der Schulentwicklungsprozesse, wie beispielsweise der Einbezug der Erziehungsberechtigten oder die Weiterbildung von Lehrpersonen, Schulleitungen und Schulbehörden, sollen thematisiert und diskutiert werden mit dem Ziel, eine Weiterentwicklung des Handbuchs in die Wege zu leiten.
Moderation: Prof. Dr. Monika T. Wicki und Prof. Dr. Minna Törmänen
Diskutierende (angefragt)
Für die Bildungsforschung: Prof. Dr. Stephan G. Huber
Für die Bildungspraxis: Martin Imhof, Leiter Abteilung Sonderschulung, Dienststelle Volksschulbildung Kanton Luzern
Dagmar Rösler, Präsidentin Dachverband Lehrerinnen und Lehrer Schweiz (LCH)
Thomas Minder, Präsident Verband der Schulleiterinnen und Schulleiter Schweiz
Für die Bildungspolitik: Schneider Andy, Kantonsrat LU, Gemeinderat / Schulleiter