ADA MINToring - Förderung von Lernwirksamkeit und Geschlechtergerechtigkeit im MINT-Unterricht durch einen weiblich konnotierten KI-Chatbot
Cilia Rücker, Sebastian Becker-Genschow
Universität zu Köln, Deutschland
Geschlechterdisparitäten stellen nach wie vor eine der zentralen Herausforderungen im MINTBereich dar (vgl. Europäische Kommission, 2024; Schweizerische Koordinationsstelle für Bildungsforschung, 2023; Weltwirtschaftsforum, 2024). Die Integration von KI-Chatbots in die schulische Bildung erweist sich als vielversprechender Ansatz, um ihnen wirksam zu begegnen. Als digitale Lernassistent*innen können KI-Chatbots Lehrkräfte dabei unterstützen, ihren Unterricht gendersensibel und chancengerecht zu gestalten, indem sie individualisierte Lernerfahrungen ermöglichen (u.a. Gökçearslan, Tosun & Erdemir, 2024; Zreik, 2024).
Erste Studien geben Hinweise darauf, dass die unmittelbare, interaktive und personalisierte Lernunterstützung durch KI-Chatbots die Motivation, das situative Interesse, das Lernengagement und damit einhergehend akademische Leistungen sowie ein tieferes Verständnis sowohl weiblicher als auch nicht weiblicher Schüler*innen fördern kann (u.a. Ait Baha et al., 2023; Labadze, Grigolia & Machaidze, 2023; Kuhail et al., 2023; Xu et al., 2024). Darüber hinaus legen erste Untersuchungen nahe, dass neben positiv-aktivierenden Emotionen wie Lernfreude auch die Selbstwirksamkeitserwartungen der Lernenden gestärkt werden können, während negativ-deaktivierende Emotionen wie Lernstress und die kognitive Belastung reduziert werden können (Ait Baha et al., 2023; Chen & Chang, 2024; Labadze, Grigolia & Machaidze, 2023; Yin, Goh & Hu, 2024).
Weitestgehend unerforscht ist bisher, ob KI-Chatbots neben ihrer Rolle als digitale Lernassistent*innen auch als effektive Rollenmodelle fungieren können. Dabei wurde insbesondere für den MINT-Bereich gezeigt, dass positive Interaktionen mit Rollenmodellen geschlechterstereotype Vorstellungen abbauen und sich unter anderem positiv auf die Selbstwirksamkeitserwartungen, die Ambitionen und das fachbezogene Interesse junger Frauen und Mädchen auswirken können (u.a. De Gioannis, Pasin & Squazzoni, 2022; González-Pérez, Mateos de Cabo & Sáinz, 2020; Verniers et al., 2024). Armando et al. (2023) und Plant et al. (2009) liefern erste Hinweise auf die Übertragbarkeit dieser Effekte auf virtuelle Rollenmodelle.
Die vorliegende Studie untersucht die Effekte eines weiblich konnotierten KI-Chatbots namens ADA auf die Lernwirksamkeit und die Einstellungen gegenüber dem Mathe-Gender-Stereotyp im Rahmen des Mathematikunterrichts der neunten Klassen an weiterführenden Schulen. Besondere Aufmerksamkeit gilt dabei ADAs Einfluss auf die vereinfachte, generalisierte Überzeugung, dass weiblich gelesene Personen aufgrund ihres Geschlechts über geringere mathematische Fähigkeiten verfügen würden als männlich gelesene Personen (Nosek et al., 2010).
Die zentralen Forschungsfragen lauten daher: Führt der Einsatz der KI-gestützten Lernassistentin ADA im Vergleich zur traditionellen Differenzierungsmaßnahme Hilfekärtchen
- zu einer Verbesserung der Lernwirksamkeit des Mathematikunterrichts?
- zu einem Abbau des Mathe-Gender-Stereotyps?
Im Rahmen einer quasi-experimentellen, cluster-randomisierten Kontrollstudie wurden Daten von knapp 200 Schüler*innen der neunten Klassen an weiterführenden Schulen erhoben. Die Studie wurde präregistriert und ethisch validiert, um insbesondere aufgrund der Zielgruppenzusammensetzung und der Ausrichtung auf sensible Forschungsaspekte höchste wissenschaftliche Standards und ethische Validität zu gewährleisten (vgl. Rücker, Becker-Genschow, 2024). Teilnehmende Klassen erarbeiten in drei Unterrichtseinheiten das Heron-Verfahren, ein iteratives Verfahren zur näherungsweisen Berechnung von Quadratwurzeln. Dabei wird in der Kontrollgruppe die Lernunterstützungsstrategie Hilfekärtchen eingesetzt, während die Interventionsgruppe mit dem DSGVO-konformen KI-Chatbot ADA arbeitet.
Die Datenerhebung erfolgt im Mixed-Methods-Design. Es werden quantitative Daten mittels Mathematikleistungstest und Fragebögen sowie qualitative Daten durch leitfadengestützte Interviews mit einer repräsentativen Stichprobe von Schüler*innen erhoben. Im Rahmen der Studie werden die unabhängige Variable „Lernunterstützungsstrategie“ sowie die abhängigen Variablen „Geschlechtsbezogenheit mathematischer Fähigkeiten“, „wahrgenommene Männlichkeit der Mathematik“, „kognitive Belastung“, „situatives Interesse“, „Emotionen“, „Bedienbarkeit und Nützlichkeit des KI-Chatbots“, „Einstellungen gegenüber dem KI-Chatbot im Unterricht“, „fachliche Kompetenz des KI-Chatbots“ untersucht. Zusätzlich werden soziodemographische Daten erhoben.
Erste Analysen geben Hinweise darauf, dass der Einsatz des KI-Chatbots ADA positive Effekte auf verschiedene Aspekte der Lernwirksamkeit sowie auf einen Abbau mathematikbezogener geschlechterstereotyper Vorstellungen hat. Die vorläufigen Ergebnisse deuten damit darauf hin, dass ein weiblich konnotierter KI-Chatbot einen vielversprechenden Ansatz zur Begegnung von Geschlechterdisparitäten im Mathematikunterricht darstellt.
Einfluss des technischen Vorwissens auf die Bearbeitung von Simulationen: Vergleich eines GPTAvatar-Lernspiels mit einem strukturierten Klickspiel bei Expert:innen und Noviz:innen
Jakob Koch1, Priska Hagmann-von Arx2, Judith Zellner1, Liliana Tönnissen2, Pierre-Carl Link2, Markus Gebhardt1
1Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München, Deutschland; 2Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik (HfH) - Zürich
KI-basierte pädagogische Agenten (PA) respektive Avatare stellen fortschrittliche, interaktive Werkzeuge dar, die Lehr- und Lernerfahrungen erheblich verbessern können. Diese Agenten werden in der Regel als 3D-Modelle verkörpert, interagieren in Echtzeit über Sprache und andere Modalitäten und werden durch künstliche Intelligenz gesteuert. Durch ihre Fähigkeit, Audio-, Bild- und Videodaten zu verarbeiten, ermöglichen KI-gestützte Avatare interaktive Lernprozesse, die sich flexibel an die individuellen Bedürfnisse der Lernenden anpassen lassen (Fink et al., 2024). Dadurch bieten sie personalisierte und immersive Lernerfahrungen, die sowohl Motivation als auch Engagement der Lernenden fördern. Ein besonders vorteilhafter Aspekt dieser Avatare ist ihre Fähigkeit, praxisnahe Szenarien ressourcenschonend zu simulieren. In der medizinischen und pädagogischen Ausbildung können sie realistische Rollenspiele durchführen, die gezielt kommunikative und diagnostische Kompetenzen stärken.
Diese Studie untersucht, wie der GPTAvatar (Robinson, 2023), unter Verwendung von Logdaten (Fink, 2024), in der Heil- und Sonderpädagogik eingesetzt werden kann. Der Avatar stellt eine Lehrkraft dar, welche die Teilnehmenden um fachlichen Rat bezüglich einer Schülerin mit Lernschwierigkeiten bittet. Dies findet in einem offenen, schwach strukturierten Gespräch zwischen den Proband:innen und dem GPTAvatar statt. Zusätzlich wird ein klickbasiertes diagnostisches Lernspiel durchgeführt, das die Proband:innen durch einen ähnlichen, jedoch stark strukturierten Fall leitet.
Fragestellung
In einem 2x2-Experiment wird anhand eines Dozierenden-Studierenden-Vergleichs ein strukturiertes Klickspiel mit einem Lernspiel mit GPTAvatar (Robinson, 2023) untersucht. Der Avatar sichert das gesamte Gespräch in Logdaten. Er wurde für das Lernspiel geskriptet und mit Verhaltensregeln ausgestattet. Untersucht wird die Selbsteinschätzung des Cognitive Load nach Krieglstein et al. (2023) sowie der Einfluss des technischen Vorwissens (TPACK; Schmidt et al., 2009). Sowohl im Klickspiel als auch im Austausch mit dem GPTAvatar holen sich die Teilnehmenden Informationen über jeweils einen vergleichbaren Fall mit Leseschwierigkeiten ein, treffen förderbasierte Entscheidungen und begründen diese. Die zentrale Fragestellung lautet, ob das technische Vorwissen den Cognitive Load bei der Bearbeitung der Fälle mit Hilfe des GPTAvatars im Vergleich zu einem strukturierten Klickspiel beeinflusst und wie sich dieser Einfluss zwischen Expert:innen und Noviz:innen unterscheidet.
Design und Methode
Die Studie nutzt ein experimentelles 2x2 faktorielles Design, um den Einfluss des technischen Vorwissens (TPACK) auf den Cognitive Load bei der Bearbeitung eines Lernspiels mit einem GPTAvatar im Vergleich zu einem strukturierten Klickspiel zu untersuchen. Die unabhängigen Variablen sind die Lernspiel-Bedingung (GPTAvatar vs. strukturiertes Klickspiel) und die Expertise der Teilnehmenden (Expert:innen vs. Noviz:innen). Die abhängige Variable ist die Selbsteinschätzung des Cognitive Load.
Insgesamt werden N = 35 Dozierende und N = 35 Studierende aus der Heil- und Sonderpädagogik aus Deutschland und der Schweiz einbezogen. Alle Teilnehmenden bearbeiten zwei diagnostische Fälle – einen im Klickspiel und einen mit dem GPTAvatar. Die Reihenfolge der Bearbeitung erfolgt randomisiert im Rahmen eines 2x2-within-Designs mit Messwiederholung. Vor Beginn des Experiments wird das technische Vorwissen mittels des TPACK-Fragebogens erhoben. Nach der Bearbeitung wird der Cognitive Load erfasst. Zusätzlich werden die Dozierenden nach der Implementation der Lernspiele in ihrer Lehre offen zum didaktischen Wert dieser befragt.
Die Daten werden mit einer zweifaktoriellen ANOVA analysiert, um die Haupteffekte der Lernspiel-Bedingung und Expertise sowie deren Interaktion zu untersuchen. Zusätzlich wird eine Moderationsanalyse durchgeführt, um den Einfluss des technischen Vorwissens auf den Cognitive Load in den unterschiedlichen Untersuchungsbedingungen zu prüfen.
Die Ergebnisse werden im Hinblick auf die Optimierung KI-gestützter Lernumgebungen diskutiert und liefern praxisnahe Impulse für den Einsatz strukturierter Klickspiele und GPTAvatare in der Heil- und Sonderpädagogik.
Aufbau von multimedialen Versuchsanleitungen: Einfluss auf das Lernen und die Selbstwirksamkeit
Valerie Amacker, Markus Wilhelm, Dorothee Brovelli
Pädagogische Hochschule Luzern, Schweiz
Die Gestaltung von Lernmaterialien stellt eine zentrale Herausforderung im Unterricht dar, insbesondere wenn es darum geht, kognitive Belastungen zu reduzieren und die Selbstwirksamkeitserwartung von Lernenden zu fördern. Dies ist auch relevant in Lernsituationen, in denen Inhalte durch eigenständiges Experimentieren erarbeitet werden sollen, beispielsweise beim Aufbau eines Versuchs im naturwissenschaftlichen Unterricht. Dabei spielen das Instruktionsdesign und der Präsentationsmodus eine entscheidende Rolle, damit sich Lernende auf die inhaltliche Auseinandersetzung konzentrieren können, ohne durch den Aufbau des Versuchs überfordert zu werden. Basierend auf der Cognitive Load Theory (Sweller, 1994), der Cognitive Theory of Multimedia Learning (Mayer, 2021), empirischen Befunden zu Instruktionsdesigns sowie der Selbstwirksamkeitserwartung von Lernenden (Schwarzer & Jerusalem, 2002) wurden drei verschiedene Varianten von Versuchsanleitungen mit identischem Text- und Bild-Material, aber unterschiedlichem Präsentationsmodus zum Thema Optik und Infrarotstrahlung untersucht: Bild-Text-, Bild-Instruktions- und Video-Anleitungen. Ziel der Studie war es, den Einfluss dieser multimedialen Anleitungen auf die Lernwirksamkeit, die Selbstwirksamkeitserwartung und die kognitive Belastung zu analysieren. Die zentralen Forschungsfragen bezogen sich auf die Eignung des Präsentationsmodus für die selbstständige und lernwirksame Versuchsdurchführung, Geschlechterunterschiede in der Lernleistung je nach Anleitungsvariante, die Bedeutung der Selbstwirksamkeitserwartung für die Wahl der Anleitung sowie die Reduktion der sachfremden kognitiven Belastung und deren Einfluss auf den Wissenszuwachs. Ein 90-minütiger Workshop mit dem Namen „(Unsichtbares) Licht – mit dem Smartphone entdeckt“ (Amacker, Wilhelm & Brovelli, 2022), strukturiert nach der Basismodelltheorie (Oser & Baeriswyl, 2001), bildete den Rahmen der Untersuchung. Konstrukte wie Selbstwirksamkeitserwartung und kognitive Belastung wurden mit validierten Erhebungsinstrumenten gemessen, während ein selbstentwickelter Konzepttest die Lernwirksamkeit bewertete. Die Hauptstudie umfasste 820 Schüler*innen im Alter von 12 bis 16 Jahren. Konfirmatorische Faktoranalysen wurden eingesetzt, um die latenten Konstrukte zu modellieren. Um die Zusammenhänge zwischen den Variablen umfassend zu überprüfen, wurden verschiedene statistische Verfahren eingesetzt. Dazu gehörten gemischte Varianzanalysen zur Untersuchung von Wechselwirkungen zwischen den Untersuchungsgruppen, Mehrebenenmodelle zur Analyse der Daten mit möglichen hierarchischen Strukturen, lineare Regressionen zur Vorhersage von Variablenbeziehungen sowie Mediationsanalysen zur Identifikation indirekter Effekte. Die Ergebnisse zeigen, dass alle drei Anleitungsvarianten hinsichtlich der Lernwirksamkeit ähnlich effektiv sind. Allerdings führten Bild-Text-Anleitungen zu einer signifikanten Reduktion der Selbstwirksamkeitserwartung beim Experimentieren. Geschlechterunterschiede wurden insbesondere bei Bild-Text- und Bild-Instruktions-Anleitungen festgestellt: Während Mädchen mit Bild-Text-Anleitungen bessere Ergebnisse erzielten, waren Bild-Instruktions-Anleitungen für Jungen effektiver. Zusätzlich beeinflusste die Art der Anleitung die kognitive Belastung. Ein signifikanter Interaktionseffekt zwischen Zeit und sachfremder kognitiver Belastung deutet darauf hin, dass diese über die Zeit hinweg den Wissenszuwachs beeinflusst. Besonders die dreifachen Interaktionseffekte zwischen der sachfremden kognitiven Belastung, der Zeit und den Anleitungsvarianten zeigen, dass ein hoher Anteil an sachfremder kognitiver Belastung den Wissenszuwachs bei Anleitungen mit mündlichen Komponenten im Vergleich zu Bild-Text-Anleitungen verringert. Die Ergebnisse unterstreichen die Bedeutung eines zielgerichteten Instruktionsdesigns und verdeutlichen, dass die Wahl der Anleitung nicht nur von den kognitiven Anforderungen, sondern auch von individuellen Faktoren wie Geschlecht und Selbstwirksamkeitserwartung abhängt. Diese Erkenntnisse können zur Entwicklung effektiverer Lernmaterialien beitragen, die Lernende bei der selbständigen Auseinandersetzung mit Inhalten besser unterstützen.
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