Veranstaltungsprogramm

Sitzung
SESSION 47: Schulisches Lernen im Kontext von Migration und kultureller Diversität
Zeit:
Donnerstag, 03.07.2025:
16:15 - 17:45

Chair der Sitzung: Andrea Haenni Hoti
Ort: Hörsaal 8


Präsentationen

Immigrant Children in India and Switzerland – a presentation of the ICHIS-study

Andrea Haenni Hoti1, Shabana Bano2, Ramesh Chandra2, Simona Schmid1, Bapi Biswas2

1Pädagogische Hochschule Luzern, Schweiz; 2Banaras Hindu University, Varanasi, India

The terms on which the integration of new generations of immigrants into Indian and Swiss society happens will have a decisive influence in the future of both countries. However, promoting inclusive and diversity-sensitive acculturation conditions which foster immigrant children’s psychological adaptation and school adjustment remains a significant challenge for educational policy. According to Zick (2010), acculturation begins "when people leave places, visit a new cultural environment, encounter it and deal with this new world on the basis of their origins and the challenges of the new environment" (p. 19). Despite a long-standing tradition of acculturation research within cross-cultural psychology (Bano, Mishra & Tripathi, 2018; Berry, Lepshokova, MIRIPS Collaboration & Grigoryev, 2021; Haenni Hoti, Wolfgramm, Müller, Heinzmann & Buholzer, 2019), there is a lack of internationally comparative studies that focus not on individual attitudes towards acculturation, but on the context of acculturation, which allow us to differentiate between transnational and country-specific contextual influencing factors and focus on the perspective of schoolchildren. Our research project is based on these premises. It investigates the influence of the school context on the acculturation of elementary school children, immigrants and native-born, with the aim of identifying factors that have a positive impact on their psychological adaptation (self-esteem, life satisfaction), physical and mental health and their satisfaction with school. Concerning the school context, school-structural factors such as school facilities, psycho-social and therapeutic programs, number of children in the class, leisure activities offered by the school as well as process-related factors such as quality of the teacher-student relationship and quality of the student-student relationship are of interest. To explain the target variables, the student questionnaire also includes various demographic variables such as gender, age, migration background, nationality, religious affiliation, religiosity, number of books and household equipment at home, which cover key aspects of diversity within a school class (Georgi, 2020; Mantel, Aepli, Büzberger, Dober, Hubli, Krummenacher, Müller & Puškaric, 2019). This serves to explore the intersectional interplay of demographic factors, whereby children's religiosity is also included in the analysis alongside gender, migration history and educational resources (Huber, Ackert & Scheiblich, 2020; Moore, Gomez-Garibello, Bosacki & Talwar, 2016). Previous studies in the Swiss context point to the need to conceptualize the dimension of 'religious affiliation/religiosity' as an interdependent category (Gasser, 2023) within intersectionally oriented school and acculturation research in addition to the 'big three', as it is interwoven with various dimensions of diversity and discrimination.

The study is called ICHIS (Immigrant Children in India and Switzerland) and is funded by the Swiss National Science Foundation as part of the research cooperation between the two countries (Indo-Swiss Joint Research Programme). In a first step, the conceptual foundations were jointly developed by the research partners in India and Switzerland. The integrative risk and resilience model to explain acculturation by Suárez-Orozco, Motti-Stefanidi, Marks and Katsiaficas (2018) was adapted and further developed to generate the theoretical framework for the research project. In winter/spring 2024/25, the data is collected using a questionnaire for students and a questionnaire for their class teachers. The sample of the main study comprises children of n=130 primary school classes of the fifth and sixth grade from north/northeastern India and central Switzerland as well as their class teachers. During the presentation, the project will be introduced, and the theoretical foundations and selected research instruments will be presented and discussed with the participants.



Schüler:innen-Lehrpersonen-Beziehungen: Eine Vergleichsstudie aus den USA und der Schweiz

Anita Caduff

University of California San Diego, USA

Theoretischer Hintergrund und Fragestellung

Hochwertige Beziehungen zwischen Lehrpersonen und Schüler:innen sind mit besseren schulischen Leistungen, Ansehen bei Gleichaltrigen, Zugehörigkeitsgefühl, sowie weniger störendem Verhalten verbunden (Autorin, 2023;Chiu et al., 2012; Poling et al., 2022). Insbesondere Schüler:innen mit Migrationshintergrund sowie fremdsprachige Schüler:innen profitieren von positiven Beziehungen zu Lehrpersonen (Archambault et al., 2024). Daher konzentriert sich diese länderübergreifende Fallstudie auf die Perspektiven von Jugendlichen mit Migrationshintergrund in den USA und der Schweiz, um zu verstehen, wie diese Schüler:innen ihre Beziehungen zu Lehrpersonen wahrnehmen und welche Faktoren diese beeinflussen. Dadurch bietet diese Studie wertvolle Einblicke für das diesjährige Konferenzthema «Bildung in einer diversen und komplexen Welt.» Die zentrale Forschungsfrage lautet: Wie beschreiben Schüler:innen mit Migrationshintergrund ihre Beziehungen zu Lehrpersonen?

Design und Methode

Für diese Studie interviewte ich 22 Jugendliche mit Migrationshintergrund drei- bis viermal (insgesamt 41 Stunden). Die Schüler:innen waren zwischen elf und 15 Jahre alt, 14 besuchten zwei “middle schools” in den USA, und acht besuchten eine Oberstufe in der Schweiz. In den Interviews wurden unter anderem ihre sozialen Netzwerke thematisiert, die Qualität der Beziehungen zu Lehrkpersonen und die Gründe, warum sie Unterstützung durch Lehrpersonen suchten. Zur Triangulation habe ich 15 Lehrpersonen und Schulleitungen interviewt (insgesamt 12 Stunden).

Die Interviews wurden qualitativ kodiert, unterschiedliche Perspektiven trianguliert (z.B. von Schüler:innen, Lehrpersonen und Schulleitungen), und “member checks” mit allen Teilnehmenden durchgeführt (Merriam & Tisdell, 2016). Für die fall- und länderübergreifenden Analysen erstellte ich zuerst detaillierte Fallbeschreibungen für alle drei Schulen, bevor ich die Ergebnisse der beiden US-Schulen verglich, kombinierte und schliesslich länder-vergleichende Analysen der US- und Schweizer Daten durchführte (Phillips & Schweisfurth, 2014).

Resultate

Die Teilnehmer beschrieben, warum sie Unterstützung von ihren Lehrpersonen suchten. Diese Gründe konnten als (a) unterstützende und (b) hemmende Faktoren für positive Schüler:innen-Lehrpersonen-Beziehungen kategorisiert werden.

Unterstützende Faktoren: In beiden Kontexten nannten die Schüler:innen ähnliche Merkmale, die sie an Lehrpersonen schätzten, mit denen sie qualitativ hochwertige Beziehungen pflegten: (a) guter Unterricht, (b) zuverlässige Unterstützung und Fürsorge, (c) institutionelles Vertrauen (z. B. Klarheit der Rollen, explizite Vertraulichkeit) und (d) Akzeptanz und Respekt für die Jugendlichen.

Dennoch zeigten sich Unterschiede, die auf die verschiedenen institutionellen und gesellschaftlichen Kontexte zurückzuführen waren. So wurde zwar in beiden Kontexten die Bedeutung von Fürsorge hervorgehoben, die Art und Weise, wie diese jedoch zum Ausdruck kam, unterschied sich zwischen der Schweiz und den USA. Strukturen auf nationaler bis institutioneller Ebene (z. B. Schulklima, Bildungssystem) beeinflussten die Rollen der Lehrpersonen und die Bedürfnisse der Schüler:innen. Diese Strukturen prägten, wie Lehrpersonen Unterstützung und Fürsorge bieten konnten. Interviews mit Lehrpersonen und Schulleitungen bestätigten diese Unterschiede. Zum Beispiel konnten Schüler:innen in den USA ihre Lehrpersonen ausserhalb der Arbeitszeiten nicht kontaktieren, während Schüler:innen in der Schweiz diese Möglichkeit hatten, und Schulen in den USA dienten teilweise der Ernährungssicherung, was in der Schweiz nicht notwendig war.

Hemmende Faktoren: Einige Schüler:innen fühlten sich von bestimmten Lehrpersonen aufgrund ihres Migrationshintergrunds, ihrer Sprachkenntnisse oder ihrer ethnischen Zugehörigkeit nicht akzeptiert. Diskriminierungserfahrungen oder die Beobachtung von diskriminierendem Verhalten seitens Lehrpersonen führten dazu, dass die Schüler:innen die Beziehungen zu diesen Lehrpersonen als negativ wahrnahmen und deshalb auch deren Unterstützung nicht in Anspruch nahmen oder einforderten. Dieses Thema trat ausschliesslich im schweizerischen Kontext auf.

Bedeutung für die Forschung

Diese Studie betont die Bedeutung von multikultureller Kompetenzen und antirassistischer Einstellungen für die Förderung positiver Schüler:innen-Lehrpersonen-Beziehungen mit Jugendlichen mit Migrationshintergrund (Ialuna et al., 2024). Magno und Kolleginnen (2024) zeigten auf, dass Schweizer Lehrpersonen auf Fragen der Vielfalt und Gerechtigkeit unzureichend vorbereitet sind. Dieser Beitrag baut auf dieser Studie auf und liefert empirische Belege aus der Sicht von Schüler:innen.



Akkulturationsbedingungen in der Schule und ihr Einfluss auf die Schulzufriedenheit von Primarschulkindern mit Migrationshintergrund

Andrea Haenni Hoti1, Shabana Bano2, Ramesh Chandra Mishra2, Simona Schmid1

1Pädagogische Hochschule Luzern, Schweiz; 2Banaras Hindu University Varanasi, India

Schulen sind insbesondere in urbanen Gebieten geprägt von sprachlicher und kultureller Vielfalt. Der Lehrplan 21 trägt diesem Sachverhalt Rechnung und sieht unter den überfachlichen Kompetenzen vor, dass Schüler:innen in der Schule den Umgang mit Diversität erlernen, Vielfalt als Bereicherung erfahren und Gleichberechtigung mittragen sollen. Folglich stellt die Schule eine wichtige Sozialisationsinstanz dar, um Kinder und Jugendliche durch den Aufbau (trans-)kultureller Kompetenzen und diskriminierungskritischer Haltungen auf eine Zukunft in einer diversen Gesellschaft vorzubereiten.
In diesem SNF-Projekt wird untersucht, wie der Schulkontext die Akkulturation von Primarschulkindern mit Migrationshintergrund beeinflusst. Ziel ist es, Faktoren zu identifizieren, die ihre psychische und körperliche Gesundheit, ihr Selbstwertgefühl, ihre Lebenszufriedenheit sowie ihre schulische Inklusion (z. B. Schulzufriedenheit, akademisches Selbstkonzept, Schulzugehörigkeit) positiv fördern. Obwohl dabei die Diversitätsdimension ‘Migrationshintergrund’ im Vordergrund steht, werden weitere Dimensionen wie Geschlecht, Bildungsressourcen und Religiosität in die Analyse mit einbezogen.
Akkulturation beginnt laut Zick (2010), «wenn Menschen Orte verlassen, eine neue kulturelle Umwelt aufsuchen, ihr begegnen und sich mit dieser neuen Welt auf der Grundlage ihrer Herkunft und den Herausforderungen der neuen Umwelt auseinandersetzen» (S. 19). Die Akkulturationsforschung innerhalb der kulturvergleichenden Psychologie (Bano, Mishra & Tripathi, 2018; Berry, Lepshokova, MIRIPS Collaboration & Grigoryev, 2021; Haenni Hoti, Wolfgramm, Müller, Heinzmann & Buholzer, 2019) legt den Fokus traditionellerweise auf individuelle Einstellungen zur Akkulturation, so genannten Akkulturationsorientierungen von Migrant:innen. Dabei wird angenommen, dass vor allem die Integrationsorientierung einen positiven Einfluss auf die Adaptation und das psychische Wohlbefinden im Aufnahmeland hat (Nguyen und Benet-Martínez (2013). In verschiedenen theoretischen Arbeiten (Arends-Tóth & Van de Vijver, 2006; Berry, 1997; Ward & Kennedy, 1994) wird die Bedeutung der Akkulturationsbedingungen für die Entwicklung von Orientierungen und Akkulturationsergebnissen zwar betont. Es gibt jedoch einen Mangel an Studien, welche die institutionellen Rahmenbedingungen der Akkulturation, wie beispielsweise den Schulkontext, näher untersuchen, was Erklärungsmodelle wie das integrative Risiko- und Resilienzmodell von Suárez-Orozco et al. (2018) nahelegen.
Hier setzt unser Forschungsprojekt an, indem sowohl strukturelle als auch prozessuale Einflussfaktoren (Makarova & Birman, 2016) innerhalb der Akkulturationsdomänen «Schule» und «Familie» untersucht werden. Strukturelle Bedingungen beziehen sich auf die festen oder stabilen Elemente innerhalb der Familie oder einer Schuleinheit. Sie erfassen Aspekte wie etwa die Familienstruktur, der sozio-ökonomische Status einer Familie oder die Schulausstattung sowie die medizinischen, therapeutischen und lernbezogenen Angebote der Schule. Prozessuale Bedingungen beziehen sich auf die dynamischen und veränderlichen Elemente innerhalb der Familie oder eines Schulsystems. Dazu gehören beispielsweise Interaktionen, Kommunikationsstile sowie emotionale und soziale Beziehungen.
Ausgangspunkt unserer Präsentation bilden folgende Fragestellungen: Welchen Einfluss zeigen schul-strukturelle und schul-prozessuale Faktoren auf die Schulzufriedenheit von Primarschulkindern mit Migrationshintergrund? Welche anderen demographischen Variablen beeinflussen die Schulzufriedenheit der Kinder? Zur Bearbeitung dieser Fragestellungen werden Schweizer Daten aus der ICHIS-Studie (Immigrant Children in India and Switzerland) der Indisch-Schweizerischen Forschungskooperation des Staatssekretariats für Bildung, Forschung und Innovation (Indo-Swiss Joint Research Programme) verwendet. Die in diesem Forschungsprojekt entwickelten Skalen und Messinstrumente wurden im Herbst/Winter 2023 pilotiert (n=223 Primarschulkinder). Zur Erfassung der Schulzufriedenheit wurde eine adaptierte Version der Skala von Venetz, Zurbriggen & Eckhart (2014) verwendet. Die Schweizer Daten der Hauptstudie sind zum Zeitpunkt der Einreichung dieses Proposals vollständig erhoben. Sie umfassen eine Stichprobe von rund 1000 Schulkindern der fünften/sechsten Primarstufe (n=70 Schulklassen) mit und ohne Migrationshintergrund sowie ihre Klassenlehrpersonen (n=70 Lehrpersonen). Die Stichprobe (convenience-sample) beinhaltet kulturell divers zusammengesetzte Schulklassen aus urbanen Gebieten der Deutschschweiz (Kantone BE, BS, LU, ZG, ZH).
Die Daten werden mittels multipler Regressionen und Mehrebenenanalysen statistisch ausgewertet. Zentrale Ergebnisse zu schul-kontextuellen Faktoren der Akkulturation sowie demographischen Faktoren und ihrem Einfluss auf die Schulzufriedenheit von Primarschulkindern in der Deutschschweiz werden anlässlich der Präsentation vorgestellt und diskutiert. Dabei werden auch mögliche Konsequenzen für die Schulpraxis erörtert.