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Sitzungsübersicht
Sitzung
SESSION 46: Bildungstheoretische Perspektiven
Zeit:
Donnerstag, 03.07.2025:
16:15 - 17:45

Chair der Sitzung: Roxanne Stoffel
Ort: Seminarraum 2.A11


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Präsentationen

Die Fachdidaktiken als Third Space: Über Spannungsfelder, mehrfache Kompetenzprofile und Boundary Broker in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung

Olivia Rütti-Joy, Horst Biedermann

Pädagogische Hochschule St. Gallen, Switzerland

Der vorliegende konzeptuelle Beitrag erörtert, wie die Third Space Theorie (Bhabha, 1994; Tatham, 2023) als theoretischer Zugang genutzt werden kann, um einerseits die Fachdidaktiken aus einer neuen Perspektive zu konzeptualisieren und andererseits die komplexen Rollen und erforderten Kompetenzen von Fachdidaktiker*innen in ihrer Tätigkeit als Lehrpersonenbildende theoretisch und im Sinne eines mehrfachen Kompetenzprofils weiterzudenken. Die Fachdidaktiken verknüpfen Unterrichtsinhalte mit den Lernenden und Lehrenden (swissuniversities, 2015) und stellen vielfältige interdisziplinäre Beziehungen her zum Praxisfeld sowie zu verschiedenen relevanten Gegenstandsbereichen und Bezugsdisziplinen (Leuders, 2015). Daraus entsteht ein dynamischer Wissens- und Diskursraum (Prusse, 2022) «zwischen den Stühlen», über welchen sie sich einerseits konstituieren und andererseits hinweg erstrecken (Bonati et al., 1991). Dieser dynamische Zwischenraum umfasst ein konstantes intersektionales Zusammenspiel zwischen Differenz und Gleichheit und mündet in einer Reihe von Spannungsfeldern (Leuders, 2015), die es im Kontext der Lehrerinnen- und Lehrerbildung zu bearbeiten gilt. Die Aufgabe, erfolgreich durch diese Spannungsfelder zu navigieren schlägt sich in den vielfachen, komplexen und teils ambivalenten Rollen sowie erforderten Kompetenzen von Lehrpersonenbildenden und spezifisch von Fachdidaktiker*innen nieder (Diamond et al., 2021; Lunenberg et al., 2014). Insbesondere letztere sind bisher wenig erforscht (Studer, 2015).

Um sich dieser Lücke konzeptuell anzunähern soll die Third Space Theorie als theoretischer Erklär- und Begründungsrahmen dienen (Bhabha, 1990, 1994). Gemäss Bhabha (1994) beschreibt der Third Space einen transgressiven und liminalen Zwischenraum, in dem die erkenntnistheoretischen Rahmen zweier oder mehrerer Kulturen aufeinandertreffen (Fraefel, 2018) und rigide Kategorien und Dichotomisierungen aufgebrochen sowie in wiederholender Aushandlung von Bedeutung neu konfiguriert werden (Bhabha, 1994; Diamond et al., 2021; Zeichner, 2010). Durch diese transformative Neukonfiguration entsteht eine «dritte» Kultur, in welcher das (Er)Leben von neuen, hybriden Identitäten durch die konstruktive und kontinuierliche Bearbeitung der ihr inhärenten Spannungsfelder möglich wird (Bhabha, 1994).

Der vorliegende konzeptuelle Beitrag überträgt diesen Ansatz auf den Kontext der Lehrerinnen- und Lehrerbildung und theoretisiert die Fachdidaktiken als Third Space. Er stellt eine Annäherung daran dar, die komplexen Aushandlungsprozesse innerhalb der Fachdidaktiken und die Entstehung neuer, hybrider Wissensräume zu verstehen, die Herausforderungen, Spannungen und dynamischen Interaktionen zwischen zahlreichen und teils konkurrierenden Systemlogiken konstruktiv zu nutzen, sowie diese als produktive Ressource für ihre Weiterentwicklung zu begreifen. Davon abgeleitet differenziert der Beitrag die vielfältigen und teils ambivalenten Rollen von Lehrpersonenbildenden am Beispiel der Fachdidaktiker*innen aus, wobei der Fokus auf der thesenartig-argumentativen Nachzeichnung der Rolle des Brokers (Lunenberg et al., 2014; Willegems et al., 2016) und, spezifisch, jener des „Boundary Brokers“ (Jackson & Burch, 2019) liegt. Durch kontinuierliche Schwellenarbeit oder sogenanntes „Brokering“ (Jackson & Burch, 2019) oder „Thirding“ (Soja, 1996) integrieren Boundary Broker die unterschiedlichen, im Fachdidaktiken-Third-Space aufeinandertreffenden Systemlogiken, bearbeiten dabei aktiv die Spannungen zwischen akademischer Forschung, Politik und Praxis und leisten dadurch einen wertvollen Beitrag zur konstruktiven Zusammenarbeit über starre Grenzen hinweg sowie zur Entwicklung innovativer Lösungen. Anhand des Beispiels der Fremdsprachendidaktik, wo die Third Space Theorie beispielsweise eine Neubewertung traditioneller Dichotomien wie jener zwischen Muttersprachler*innen und Nicht-Muttersprachler*innen die Förderung eines inklusiveren Fremdsprachenunterrichts zu ermöglichen vermag (Kramsch, 2009), wird die Rolle des Boundary Brokers veranschaulicht. Möglichkeiten einer Erweiterung des doppelten Kompetenzprofils von Lehrpersonenbildenden und spezifisch von Fachdidaktiker*innen um einen „Thirding“-Kompetenzbereich (Soja, 1996) werden nachfolgend aufgezeigt. Ihr Potenzial zur Weiterentwicklung der Fachdidaktiken (Akkerman & Bakker, 2011) und des Verständnisses professioneller Kompetenz von Fachdidaktiker*innen schliessen diesen Beitrag ab.



Diskurse in Research Practice Partnerships – Ein systematisches Literaturreview

Roxanne Stoffel, Enikö Zala-Mezö, Aparna Thiyagarajah-Jegan

PHZH, Schweiz

Forschungs-Praxis-Partnerschaften (Research-Practice Partnerships, RPPs) sind in den letzten zwanzig Jahren zu einem intensiv beforschten Ansatz im Bildungskontext geworden (Arce-Trigatti et al., 2018; Sjölund et al., 2022). RPPs zeichnen sich durch eine langfristige, beidseitig vorteilhafte Kollaboration zwischen Praktiker:innen und Forschenden aus, die darauf ausgerichtet sind, praxisbezogene Probleme zu untersuchen und gemeinsam Lösungen zur Verbesserung schulischer Entwicklungen zu finden (Coburn et al., 2013, S. 2). Dabei werden sie als vielversprechender Ansatz hervorgehoben, um die Lücke zwischen Bildungsforschung und -praxis zu verringern (Coburn et al., 2013). RPPs betonen die Relevanz einer partnerschaftlichen Kollaboration, bei der Forschungsfragen gemeinsam entwickelt, Daten gesammelt, Interventionen umgesetzt und Forschungsergebnisse analysiert werden (Coburn et al., 2013). Eine gezielte Nutzung der Forschung zur Verbesserung von Bildung ist dabei ein zentraler Aspekt (Farrell et al., 2021). Die Idee von RPPs basiert auf der Vorstellung, dass zur Lösung der Probleme beide Formen von Expertise (Praxis und Forschung) erforderlich sind und miteinander verknüpft werden müssen. Dies kann nur dann gelingen, wenn Machtverhältnisse innerhalb der RPPs bewusst verändert werden, um sicherzustellen, dass alle Teilnehmenden eine gleichberechtigte Stimme haben (Farrell et al., 2021).

Die Umsetzung und Ausgestaltung dieser definitionsbedingten Erwartungen an Wissensgenerierung und Gleichberechtigung zwischen Akteur:innen der Bildungsforschung und -praxis bringt diverse Herausforderungen mit sich (Farrell et al., 2019; Vetter et al., 2022). Während sich viele Studien auf die inhaltliche Arbeit und die allgemeine Beschreibung fokussieren, besteht Bedarf an Studien, die untersuchen, wie die Zusammenarbeit zwischen den Forschenden und Praktiker:innen in RPPs konkret in situ gestaltet ist (Coburn et al., 2013; Coburn & Penuel, 2016).

Im geplanten Beitrag, der Teil eines Promotionsvorhabens darstellt, wird auf diese Forderung eingegangen, indem ein systematisches Review (Gough et al., 2017) über diese empirischen Studien zu RPPs erstellt wurde. Ziel ist es zu untersuchen, wie die Zusammenarbeitsgestaltung auf Mikroebene – in konkreten RPP-Situationen erfolgt. Geleitet von der theoretischen Annahme, dass Interaktionen bzw. der Diskurs eine zentrale Rolle für Arbeits- und Lernprozesse spielen (Vygotsky, 1978), soll aufgezeigt werden, wie die jeweiligen RPPs organisiert und gestaltet wurden – einschliesslich ihrer Ziele, Themenbereiche und des jeweiligen Kontexts, in dem sie initiiert wurden. Zudem soll ermittelt werden, welche spezifischen Schwerpunkte im Zusammenhang mit RPPs erforscht wurden und welche methodischen Ansätze die Forschenden dabei verfolgten. Themenbereiche, die sich abzeichnen, werden, in Verbindung zueinander beschrieben und diskutiert. Es leiten sich folgende Fragestellungen ab:

  1. Wie werden Gesprächssituationen zwischen Forschenden und Praktiker:innen in RPPs in der aktuellen Literatur erfasst und analysiert?

  1. Welche Merkmale zeichnen die RPPs aus, die in den Artikeln vorkommen? (Kontext, Thema, Zeitperspektive, usw.)

Basierend auf einer zuvor festgelegten Begriffskombination, den definierten Textsorten sowie dem festgelegten Erscheinungszeitraum bestand der erste Schritt des Reviews aus der Literatursuche. Anhand definierter Ein- und Ausschlusskriterien konnten 14 Artikel identifiziert werden, welche Gesprächssituationen zwischen Forschenden und Praktiker:innen im Rahmen der RPP-Arbeit erfasst haben. Aus der Literatursuche zeigt sich, dass obwohl RPPs im aktuellen Diskurs ein starkes Forschungsinteresse erleben, sich bloss eine überschaubare Anzahl der Studien auf die Gespräche zwischen den Teilnehmenden fokussieren. Erste Ergebnisse der Analyse zeigen, dass die 14 Beiträge zwei übergeordnete Schwerpunktbereiche aufweisen: Zum einen konzentrieren sich einige Artikel auf die Beschreibung von Diskursen auf Mikroebene, wobei Aspekte wie Wissensgenerierung oder Machtverhältnisse im Mittelpunkt stehen. In diesem Kontext reflektieren die Forschenden ihre eigene Arbeit innerhalb der RPP. Zum anderen verfolgen andere Beiträge einen wirkungsorientierten Ansatz, der klare Ziele zur Unterstützung der Unterrichtsentwicklung oder bildungspolitischer Anliegen beschreibt und deren Umsetzung im Rahmen der RPP beleuchtet. Diese und weitere Ergebnisse werden im geplanten Beitrag präsentiert und diskutiert.