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SESSION 44: Stufenübergreifende Fragestellungen im Kontext der digitalen Transformation
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Autonomieunterstützung: Wie berufliche Schulen ihre Schüler/-innen auf eine komplexe digitale Arbeitswelt vorbereiten. BIBB, Deutschland Einleitung und theoretischer Hintergrund Die digitale Transformation schreitet mit der Entwicklung von immer leistungsfähigeren digitalen Technologien voran. Virtual und Augmented Reality, Cloud-Technologien, Künstliche Intelligenz und insbesondere Large Language Models (LLMs) sowie deren vielfältige Anwendungen sind mittlerweile in praktisch alle gesellschaftlichen Bereiche eingezogen (vgl. Initiative D21, 2024; Büchel & Engler, 2024). Mit dieser Entwicklung ist eine steigende Komplexität in verschiedenen Hinsichten verbunden. Nachdem vor etwas mehr als zwei Jahren die KI-Anwendung ChatGPT veröffentlicht wurde (OpenAI, 2022), kann davon ausgegangen werden, dass sich die technologische Komplexität im Bildungssystem und in der Wirtschaft nochmals deutlich erhöht hat. Den Auszubildenden stellen sich in einer technologisch komplexer gewordenen Welt Herausforderungen, die unter Verwendung des VUCA-Modells (Shet, 2024, S. 674 - 703; Barber, 1992) mit den Begriffen der Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität beschrieben und reflektiert werden können. Neben der technologischen Komplexität lässt sich weiterhin auch eine Zunahme der sozialen Komplexität in der Gesellschaft feststellen. Hier ist bspw. die zunehmende Heterogenität der Schülerschaft zu nennen, beispielsweise bedingt durch die Flucht von Menschen, etwa aus der Ukraine (Buck, Heister, & Münk, 2024). Fragestellung Wie kann das Berufsbildungssystem diesen Herausforderungen einer komplexen Welt gerecht werden? Wir gehen davon aus, dass die Schaffung von autonomieunterstützenden Lernräumen, die es den Schülerinnen und Schülern ermöglichen, Kompetenzen im Umgang mit digitalen Technologien zu erwerben, ein wichtiger Ansatzpunkt zur Beantwortung dieser Frage ist. Auf der Selbstbestimmungstheorie (SDT, Self-Determination Theory; Deci & Ryan, 2008) basierende Forschungsarbeiten (vgl. Metaanalyse von Bureau, Howard, Chong, & Guay, 2022; Ryan & Deci, 2018, S. 358 – 361) zeigten vielfältige positive Auswirkungen von Autonomie-unterstützung, u.a. auf die Motivation von Lernenden, bessere Konzentration, tieferes Lernen und mehr Durchhaltevermögen. Unter autonomiefördernden Bedingungen erworbene digitalen Kompetenzen sollten es Schülerinnen und Schülern damit ermöglichen, sich die angebotenen Lehrinhalte tiefergehend anzueignen bzw. besser zu integrieren (vgl. Organismic Integration Theory, OIT; Ryan & Deci, 2018, S. 179 – 215). Damit sollen die Schüler befähigt werden, den Anforderungen einer komplexen Welt selbstbestimmter, agil und proaktiv begegnen zu können. In unserer Untersuchung wollen wir nicht nur Wissen und Fertigkeiten im Zusammenhang mit digitalen Technologien betrachten, sondern zentral auch motivationale Aspekte mit einbeziehen. Unser Anliegen ist es u.a. eine hohe selbständige Anwendbarkeit digitaler Kompetenzen auch in unvorhergesehenen Situationen zu fördern bzw. eine Ausbildung von „trägem Wissen“, d.h. in der Praxis kaum anwendbarem Wissen, zu vermeiden. In unserem Beitrag untersuchen wir vor diesem Hintergrund die Möglichkeiten und Praktiken der Autonomieförderung an beruflichen Schulen. Dabei diskutieren wir (1) allgemeine Prinzipien der Autonomieförderung aus der SDT-basierten Literatur, stellen (2) konkrete Praktiken der Autonomieförderung von Lehrkräften an Hamburger Berufsschulen vor und untersuchen, (3) inwieweit sich berufliche Schülerinnen und Schüler in ihrer Autonomie bei Umgang mit digitalen Technologien unterstützt fühlen.
Design und Methode Zur Erhebung der Befragungsdaten wurde ein Mixed-Methods-Ansatz verwendet, der sowohl Gruppendiskussionen mit Berufsschullehrkräften als auch eine Befragung mittels eines Online-Fragebogens umfasste. Die Gruppendiskussionen mit Hamburger Berufsschullehrkräften wurden im Jahr 2023 als Präsenzveranstaltungen durchgeführt und in Anlehnung an die qualitative Inhaltsanalyse nach Kuckartz und Rädiker (2022) ausgewertet. Die Online-Befragung von 2.329 Schülerinnen und Schülern an Hamburger Berufsschulen wurde in den Jahren 2023 und 2024 durchgeführt. Die quantitative Analyse wird mittels Strukturgleichungs-modellierung durchgeführt.
Resultate und ihre Bedeutung Sowohl unsere quantitativen als auch unsere qualitativen Auswertungen sprechen dafür, dass die SDT einen geeigneten Rahmen für die Untersuchung von Autonomieförderung an beruflichen Schulen in Deutschland bietet. Die Auswertungen zeigten u.a., dass es für Lehrkräfte aufgrund knapper Zeit oftmals herausfordernd ist, digitale Inhalte in ihren Unterricht zu integrieren. Trotz knapper Ressourcen gelingt es den Lehrkräften jedoch oftmals in beeindruckender Weise, autonomiefördernde Unterrichtspraktiken umzusetzen und ihre Schülerinnen und Schüler damit auf ein Berufsleben in einer komplexen digitalen Welt vorzubereiten. Vergessene Fragen. Zum kritischen Potential des Fragens als bildungstheoretische Perspektive auf digitale Transformationsprozesse Universität Bern, Schweiz Der Beitrag knüpft in bildungstheoretischer Absicht an das Leitthema «Bildung in einer diversen und komplexen Welt» an. Als systematischer Anknüpfungspunkt dient dabei die Frage nach dem «Menschen in digitaler Transformation». Unter dem Gesichtspunkt digitaler Transformationsprozesse werden gesellschaftliche Spannungslagen auch bildungstheoretisch relevant und fordern die Erziehungswissenschaft auch mit Blick auf konkrete Fragen pädagogischer Praxis heraus. Für den vorliegenden Beitrag ist dabei insbesondere der Einfluss von KI/AI in Bezug auf die Vermittlung, die Bewertung und die Prüfung von Wissensbeständen in pädagogischen Zusammenhängen von Interesse (vgl. Huber 2024). Die den Beitrag leitende Fragestellung lautet: Ist es möglich am Begriff der Frage einen kritischen Einsatzpunkt hinsichtlich aktueller Herausforderungen durch KI/AI im pädagogischen Kontext zu entwickeln? Der «Mensch als ein fragendes Wesen» (vgl. Straus 1960) bildet den Hintergrund der inhaltlichen Ausrichtung des Beitrags. Bei allen Vorteilen und Einsatzmöglichkeiten von KI und spezifisch LLM’s, scheint im Fragen stellen ein Moment menschlicher Existenz betroffen, welches nicht ohne weiteres artifiziell repliziert werden kann. Dieses Moment des Fragens soll als bildungswissenschaftlicher Einsatzpunkt der kritischen Bezugnahme auf Digitalisierungsprozesse untersucht werden. Das technische Äquivalent zum Fragen bildet im Umgang mit chatbasierten LLM’s das sogenannte prompt engineering bzw. crafting, d.h. das Generieren, Beurteilen und Konstruieren von adäquaten Fragen und Instruktionen (vgl. Cain 2024). Im Rahmen des Beitrags soll deshalb mit Blick auf die aktuellen Herausforderungen insbesondere der Wissensprüfung drei Teilfragen nachgegangen werden: (1) Wie lässt sich der Begriff der Frage / das Moment des Fragen-stellens bildungstheoretische fassen und begründen; (2) Wo liegen dabei mögliche Ansatzpunkte zu einer kritischen Bezugnahme auf Digitalisierungsphänomene in pädagogischen Kontexten; (3) Lässt sich schliesslich am Begriff der Frage ein Modell entwickeln, welches im Sinne einer frageorientierten Didaktik sowohl Fragen des Unterrichts wie auch Fragen der Wissensprüfung konkret wenden kann. Der Beitrag knüpft zur Klärung dieser Fragestellungen methodisch an eine transzendentalkritische Tradition bildungstheoretischen Denkens an (vgl. Thompson 2023). Namentlich die Arbeiten Alfred Petzelts (e.g. 1962) und Wolfgang Fischers (e.g. 1990) bilden hier die theoretische Folie, vor der die Möglichkeit einer Reformulierung bildungstheoretischer Ansätze unter dem Gesichtspunkt der digitalen Transformation beleuchtet werden soll. Die Aktualität eines solchen Vorhabens wird dadurch gewährleistet, dass die genannten Theoriepositionen nicht einfach übernommen, sondern im Lichte eines komplexitätstheoretischen Ansatzes (Rucker/Anhalt 2017) problematisiert und erweitert werden. Anhand dieses Grundverständnisses kann zudem die transdisziplinäre Ausrichtung sichergestellt werden (Rucker 2014). Erfassung des digitalen Stresses bei Schüler:innen der Primarstufe und die Assoziation dieser Dimensionen mit Aspekten der psychischen Gesundheit 1PH NMS Bern, Schweiz; 2Pädagogische Hochschule St.Gallen In den letzten Jahren haben Kinder und Jugendliche tiefgreifende Veränderungen in ihrem Alltag erlebt. Seit Beginn des 21. Jahrhunderts wachsen sie in einer Welt auf, in der die Einbindung neuer Technologien zur Selbstverständlichkeit geworden ist. Dies veranlasste Prensky (2001) dazu, den Begriff „Digital Natives“ zu verwenden. Interaktive Medien sind ein zentraler Bestandteil der Sozialisation von Kindern und fest in ihren Alltag integriert. Digitale soziale Netzwerke, Smartphones und Computerspiele gehören zu den beliebtesten Freizeitaktivitäten und nehmen neben Familie, Schule und Peers eine bedeutende Rolle ein (Feierabend et al., 2023; Suter et al., 2023). Viele Jugendliche beginnen ihren Tag mit einem Blick auf soziale Netzwerke, wobei ihre Aktivitäten stark von der sofortigen Verfügbarkeit digitaler Medien geprägt sind, und der Tag endet oft mit einem letzten Beitrag in der virtuellen Welt (Kross et al., 2021; Külling et al., 2022). Trotz intensiver Forschungsanstrengungen in den vergangenen Jahren gibt es noch erhebliche Wissenslücken, insbesondere in Bezug auf Kinder und vor allem hinsichtlich problematischer und pathologischer Nutzungsweisen (Kliesener et al., 2022) – und auch bezüglich der Auswirkungen auf die psychische Gesundheit junger Menschen (Haidt, 2024; Twenge et al., 2022). Aufgreifend, dass in der Forschung noch Wissenslücken und inkonsistente Befundlage zum Zusammenhangsgeflecht zwischen Mediennutzung und psychischer Gesundheit bestehen, wird im Rahmen dieses Beitrags folgenden Fragestellungen untersucht: (1) Welche psychometrischen Charakteristiken (interne Konsistenz und faktorielle Validität) weisen die Skalen zur Erfassung des digitalen Stresses sowie psychischen Gesundheit auf und welche Ausprägungen zeigen sich bei den Primarschüler:innen? (2) Können Dimensionen des digitalen Stresses die psychische Gesundheit von Schüler:innen der Primarstufe erklären? Um diese Forschungsfragen zu beantworten, wurden im Herbst 2023 in einer Fragebogenstudie 181 Schüler:innen der 3. bis 6. Klasse an drei Schulen im Kanton Bern untersucht (M=10.2 Jahre; SD=1.43). Die Skala des digitalen Stresses wurde mittels 13 Items erhoben. Die im Rahmen dieser Befragung entwickelte Skala zum digitalen Stress erfasst auf einer vierstufigen Ratingskala insgesamt drei Merkmale – erhoben wurden die Dimensionen: (I) Übermässige Bildschirmzeit (3 Items), (II) Ständige Erreichbarkeit und Informationsflut (5 Items), und (III) Stress Social Media (5 Items). Die Reliabilitäten der Skalen kann als akzeptabel bis gut bezeichnet werden (α=.66-.77). Die Modellgüte des theoretisch postulierten Dreifaktorenmodells lässt sich als gut (χ²=78.1; df=51; p=.00; CFI=.95; TLI=.94; RMSEA=.05; SRMR=.05) und im Vergleich zu Alternativmodellen als zu favorisieren beschreiben. Die Faktorladungen liegen in einem zufriedenstellenden Bereich (λ=.55-.76). Die latenten Inter-Faktorkorrelationen bewegen sich auf einem recht hohen, jedoch trennbaren Niveau und liegen von der relativen Höhe im erwarteten Bereich (r=.58-.80). Bezüglich der Gesundheitsvariablen wurde in dieser Studie die deutschsprachige Validierung des DASS-Y (Szabo & Lovibond, 2022) realisiert – die psychische Gesundheit von Kindern wurde mittels der drei Faktoren (I) Depression (7 Items, α=.92), (II) Angst (7 Items, α=.90) und (III) Stress (7 Items, α=.90) erfasst. Eine konfirmatorische Faktorenanalyse bestätigt die drei-faktorielle Struktur des Instruments (χ²=114.7; df=65; p=.38; CFI=.95; TLI=.94; RMSEA=.08; SRMR=.05). Die Faktorladungen liegen in einem zufriedenstellenden Bereich (λ=.60-.87). Auch die Faktor-Interkorrelationen liegen in einem hohen, aber trennbaren Bereich (r=.65-.84). Im Rahmen von multiplen Regressionsmodellen wurden zudem die Analysen hinsichtlich der Prädiktion des DASS-Y vorgenommen. Die Befunde fallen erwartungskonform aus, sodass weitere Argumente für die prädiktive Validität der Messinstrumente generiert werden konnten – so konnte die Skala Depression von der Nutzung sozialer Medien vorhergesagt werden (β=.26, p<.05), wobei lediglich für die Mädchen ein signifikanter Effekt nachgewiesen werden konnte (Mädchen: β=.45, p<.01; Jungen: β=.15, p>.05). Weiterhin konnten sich, für die Skala zum Konstrukt Stress insbesondere die Subskalen des digitalen Stresses (übermässige Bildschirmzeit: β=.23, p<.01; ständige Erreichbarkeit & Informationsflut: β=.38, p<.001) und für die Dimension Angst konnte sich demgegenüber der Faktor Social Media Stress (β=.40, p<.001) als prädiktiv erweisen. Die Varianzaufklärungen zur Erklärung der psychischen Gesundheit variieren zwischen adj. R2=.28-.41. |