Veranstaltungsprogramm

Sitzung
SESSION 43: Sichtweisen auf relevante Akteure im ausserschlischen Umfeld
Zeit:
Donnerstag, 03.07.2025:
16:15 - 17:45

Chair der Sitzung: Lukas Lehmann
Ort: Seminarraum 2.A07/2.A10

Doppelraum (72 Pätze)

Präsentationen

Zum professionellen Selbstverständnis der Schulentwicklungsberater:innen

Hannah Beer

Pädagogische Hochschule Oberösterreich, Österreich

Theoretischer Hintergrund

Schulentwicklungsberatung (SEB) ist in Österreich aktuell weit verbreitet (Hofbauer & Bernhard, 2023) und gewinnt stetig an Bedeutung. So ist die Stärkung der SEB mittlerweile ein ausgewiesenes strategisches Ziel der Pädagogischen Hochschulen (BMBWF, 2019, vgl. auch das Weißbuch 2024) und es werden verstärkt Forschungsprojekten dazu gefördert (Kemethofer et al., 2024).

Über die zentralen Akteur:innen, die Schulentwicklungsberater:innen, ist hingegen nur wenig bekannt. Zwar gibt es vereinzelte Studien, welche sich mit dem Beratungsverständnis der SEB befassen (Dedering et al., 2013; Loparics, 2021; Tajik, 2008), dennoch sind sie ein eher unerforschter Aspekt im Schulentwicklungsprozess. Zudem handelt es sich bei den Schulentwicklungsberater:innen um eine heterogene Population. Die Berater:innen stammen meist aus dem Schulsystem, sind also großteils Lehrpersonen, verfügen aber über einschlägige, sehr diverse Zusatzaus- und Weiterbildungen, unter Anderem in Bereichen der Unterrichtsentwicklung und Supervision (Dedering et al., 2013; Hofbauer & Bernhard, 2023). Pädagogische Hochschulen bieten eigene Lehrgänge zur SEB an, jedoch sind diese für eine Ausübung von SEB nicht verpflichtend und unterscheiden sich sowohl inhaltlich als auch vom Umfang her deutlich voneinander (Altrichter et al., 2021). Demnach kann nicht von einer standardisierten SEB-Ausbildung ausgegangen werden. Konsequenterweise lässt sich SEB auch nicht als eigenständige Profession, mit geteiltem professionellem Selbstverständnis fassen (Helsper, 2004). Nicht zuletzt ist SEB ein Feld, in dem sich unterschiedliche Ansprüche und Erwartungen sammeln. Einerseits formuliert die Bildungspolitik Zielvorgaben für Schulen. Andererseits haben Schulen eigene, damit nicht immer kongruente Entwicklungsvorhaben und Bedarfe, ein Spannungsfeld, innerhalb dem sich Berater:innen zwangsläufig positionieren müssen.

Vor diesem Hintergrund versucht der vorgeschlagene Beitrag versucht sich diesem professionellen Selbstverständnis der Berater:innen anzunehmen und deren handlungsleitende Orientierungen zu rekonstruieren.

Fragestellung

Welche handlungsleitenden Orientierungen sind konstituierend für das professionelle Selbstverständnis der Schulentwicklungsberater:innen?

Methode

Die Forschungsfrage wird mithilfe narrativer Interviews (Misoch, 2015) beantwortet werden Bisher wurden 11 Interviews mit SEB in 4 österreichischen Bundesländern geführt, welche sich auf eine Interviewanfrage über die Pädagogischen Hochschulen gemeldet haben.

Die Auswertung erfolgt mittels dokumentarischen Methode (Bohnsack, 2013; Bohnsack et al., 2001; Krainz, 2016; Nohl, 2005). Diese beruht auf der Rekonstruktion des „atheoretischen“ (Mannheim, 1980) bzw. des „impliziten Wissen“ (Polanyi, 1966/2016), welches auch als Orientierungsrahmen, der sich aus den handlungsleitenden Orientierungen konstituiert, bezeichnet wird (Bohnsack, 2022). In der Analyse findet ein Wechsel vom Was zum Wie statt: Zentral für die rekonstruktive Forschung ist demnach nicht, was die Akteur:innen sagen, sondern wie sie es sagen und in welchem Orientierungsrahmen sie ihre Erlebnisse verhandeln (Krainz, 2016).

Ergebnisse und ihre Bedeutung

Die ersten Ergebnisse zeigen, dass sich die professionellen Selbstverständnisse der Schulentwicklungsberater:innen stark unterscheiden. Während sich eine Gruppe eher wenig emotional involviert in den Prozessen als Moderator:innen sieht, identifizieren sich andere stark mit den schulinternen Akteur:innen und haben demnach eine starke emotionale Beteiligung in den Beratungsfällen. Diese Personen sind sowohl in der Moderation der einzelnen Sitzungen, als auch im Schulleitungscoaching oder in der Mediation tätig. Welche Typen von professionellem Selbstverständnis sich unter den SEB rekonstruieren lassen, wird aktuell ausgearbeitet.

Durch ein fundiertes Wissen darüber, wie sich die SEB eigentlich verstehen, können Ausbildungen und Unterstützungssysteme für SEB geschaffen werden, die eine reflexive Haltung ihren unterschiedlichen Rollen gegenüber einnehmen und sie somit unterstützen können, mögliche Rollenkonflikte aufzulösen. Schlussendlich kann somit das Wissen über das professionelle Selbstverständnis zur Professionalisierung des Berufsstandes SEB beitragen.



Fehlersituationen, Reaktionen in Fehlersituationen und Verhalten der Eltern während der elterlichen Hausaufgabenhilfe – Ergebnisse einer Videostudie

Sandra Moroni, Louise Christen

Pädagogisches Hochschulinstitut NMS Bern, Schweiz

Die elterliche Hausaufgabenhilfe stellt die häufigste und gleichzeitig umstrittenste Form des schulbezogenen elterlichen Engagements dar (Wingard & Forsberg, 2009). Studien haben gezeigt, dass es weniger auf die Länge bzw. die Dauer der elterlichen Hilfe – also die Quantität – ankommt, sondern vielmehr auf die Art und Weise – also die Qualität – wie Eltern ihre Kinder bei den Hausaufgaben begleiten (Moroni et al., 2015). Positive Zusammenhänge mit der schulischen Entwicklung des Kindes konnten dann gefunden werden, wenn sich die Hilfe der Eltern durch einen hohen Grad an Strukturierung sowie an autonomiefördernder und emotionaler Unterstützung auszeichnete (z.B. Dumont et al., 2012). Negative Zusammenhänge wurden hingegen gefunden, wenn die elterliche Hilfe von Einmischung, Kontrolle und negativen Emotionen geprägt war (z.B. Silinskas & Kikas, 2019). Wie Eltern mit Fehlern umgehen, wurde bisher jedoch kaum untersucht. Forschungsergebnisse zur Fehlerkultur in der Schule werden in der vorgeschlagenen Studie auf den Kontext der elterlichen Hausaufgabenhilfe übertragen, wobei folgende Fragen untersucht werden: Wie viele und welche Arten von Fehlersituationen lassen sich während der videographierten Sequenz identifizieren? Wie reagieren Eltern in diesen Fehlersituationen? Inwiefern ist das Verhalten der Eltern während der videographierten Sequenz kontrollierend/einmischend und/oder (autonomie-)unterstützend?

Ausgewertet wurden Daten aus einer Pilotstudie, bei der 26 Eltern-Kind-Dyaden im Kanton Bern beim Lösen von Mathematikaufgaben videografiert wurden. Die Schüler:innen besuchten zum Zeitpunkt der Erhebung die 6. Klasse. Die Eltern-Kind-Dyaden wurden in die Schule eingeladen und bekamen Mathematikaufgaben zum Thema Brüche gestellt, die das Kind mit Unterstützung eines Elternteils lösen sollte. Die Eltern-Kind-Interaktionen wurden dabei gefilmt.

Zur Identifikation von Fehlersituationen wurden Basiskodierungen durchgeführt und auf deren Grundlage ein niedrig-inferentes Kategoriensystem für die zweite Fragestellung erarbeitet. Um die dritte Forschungsfrage zu beantworten, wurden zwei hoch-inferente Ratingsysteme entwickelt. Die Videosequenzen wurden von jeweils zwei Personen parallel kodiert und geratet. Die Intercoder- bzw. Interraterreliabilität wurde mittels Cohens Kappa (k) berechnet. Alle Werte lagen über K = .72, was nach Landis und Koch (1977) als "gut bis sehr gut" interpretiert werden kann.

Die Ergebnisse zeigen, dass im Vergleich zum Schulunterricht zahlreiche Fehlersituationen auftraten. Am häufigsten wurden pädagogisch sinnvolle Reaktionen beobachtet, etwas seltener wurden ungünstige Reaktionen festgestellt. Die Eltern zeigten während der videographierten Sequenzen sowohl kontrollierendes/einmischendes als auch unterstützendes Verhalten, wobei ein hohes Mass an Kontrolle/Einmischung bei einem gleichzeitig geringen Mass an Unterstützung am häufigsten auftrat.



Nichtstaatliche Akteure in öffentlichen Schulen

Lukas Lehmann1, Julien Clénin2, Nico van der Heiden1

1Hochschule Luzern, Schweiz; 2Haute École Pédagogique BEJUNE

In den letzten zwei Jahrzehnten haben nicht-staatliche Akteure, darunter Verbände, Stiftungen, Nichtregierungsorganisationen und privatwirtschaftliche Unternehmen, eine wachsende Rolle im öffentlichen Bildungssystem übernommen. Diese Entwicklung spiegelt sich insbesondere in Public-Private Partnerships wider, die zusätzliche Ressourcen und innovative Ansätze versprechen. Gleichzeitig werfen solche Kooperationen grundlegende Fragen zu Governance, Transparenz und den potenziellen Auswirkungen auf die Grundwerte der öffentlichen Schule auf.

Historisch gesehen wurde die öffentliche Schule als Instrument der Nationenbildung und sozialen Integration etabliert. Die Entwicklung moderner Bildungssysteme ging Hand in Hand mit der Etablierung nationaler Staaten und der Förderung einer einheitlichen Bürgerbildung. Ziel war es, gesellschaftliche Partikularismen zu überwinden und eine kollektive nationale Identität zu schaffen. Diese enge Verbindung zwischen Staat und Schule hat das öffentliche Bildungswesen als zentralen Akteur der Gesellschaft positioniert, dessen Aufgaben klar durch staatliche Regulierungen und Finanzierungen definiert waren.

In den letzten Jahrzehnten führte jedoch eine zunehmende Deregulierung und Ökonomisierung des Bildungssystems zu einem Paradigmenwechsel. Neue Steuerungsmodelle wie das New Public Management und die Verlagerung von staatlicher Kontrolle hin zu marktbasierten Mechanismen schufen Raum für nicht-staatliche Akteure. Diese Akteure bringen sich auf verschiedenen Ebenen in das Bildungssystem ein: Sie bieten ergänzende Dienstleistungen an, gestalten pädagogische Inhalte oder entwickeln innovative Lehr- und Lernmaterialien. Ihre Rolle wird insbesondere durch die Verlagerung von Verantwortung vom Staat auf private und zivilgesellschaftliche Akteure gestärkt, ein Prozess, der als Herausforderung und Chance zugleich wahrgenommen wird.

Der Beitrag untersucht die Einbindung nicht-staatlicher Akteure aus drei zentralen Perspektiven: der institutionellen, der pädagogischen und der curricularen Dimension. Auf institutioneller Ebene unterstützen Akteure wie Stiftungen und Unternehmen Schulentwicklungsprojekte, finanzieren Infrastruktur oder bieten Weiterbildungen für Lehrkräfte an. Pädagogisch wirken sie durch neue Ansätze zur Qualitätssicherung und Evaluation von Unterricht, während sie curricular vor allem durch die Entwicklung und Bereitstellung von Lehrmaterialien und digitalen Lernplattformen aktiv werden. Diese Interventionen versprechen Effizienzsteigerungen und innovative Impulse, bergen jedoch auch Risiken wie Interessenkonflikte und eine mögliche Überbetonung marktorientierter Werte.

Anhand je eines qualitativen Interviews mit einer politischen Entscheidungsträgerin, einem Schulleiter und einer Vertreterin einer Stiftung wird im Beitrag detailliert analysiert, welche Formen und Motive hinter diesen Engagement privater Akteure in der Bildung stehen und welche Herausforderungen sich daraus ergeben. Während die Zusammenarbeit punktuell als sinnvoll erachtet wird, um Lücken in der staatlichen Bildungsinfrastruktur zu schliessen, besteht Konsens darüber, dass klare Rahmenbedingungen unerlässlich sind. Verträge und Evaluationsmechanismen müssen sicherstellen, dass die Verantwortung für den Bildungsauftrag letztlich beim Staat verbleibt und die Autonomie der Schulen nicht gefährdet wird.

Der Beitrag diskutiert auch die langfristigen Auswirkungen solcher Partnerschaften. Während sie einerseits als Katalysatoren für Reformen und Innovationen dienen können, besteht andererseits die Gefahr, dass sie zu Abhängigkeiten führen oder wirtschaftliche Interessen die Bildungsprioritäten beeinflussen. Dies könnte die sozialen und demokratischen Grundwerte der öffentlichen Schule untergraben. Die zunehmende Beteiligung nicht-staatlicher Akteure wird daher als Zeichen eines breiteren, globalen Trends zur Ökonomisierung und Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen interpretiert.

Abschliessend plädiert der Beitrag für eine differenzierte Betrachtung der Rolle nicht-staatlicher Akteure im Bildungssystem. Es bedarf einer sorgfältigen Abwägung zwischen den Chancen, die diese Partnerschaften bieten, und den Risiken, die sie für die Autonomie und Integrität der öffentlichen Schule mit sich bringen. Eine klare Governance-Struktur, Transparenz in der Zusammenarbeit und ein starker staatlicher Rahmen sind wesentliche Voraussetzungen, um sicherzustellen, dass der Einsatz nicht-staatlicher Akteure im Einklang mit den Grundwerten der öffentlichen Bildung steht und langfristig zum Gemeinwohl beiträgt.