Veranstaltungsprogramm

Sitzung
SESSION 22: Bildungsgerechtigkeit und Diversität in der Lehrpersonenbildung
Zeit:
Mittwoch, 02.07.2025:
16:45 - 18:15

Chair der Sitzung: Sandra Matschnigg-Peer
Ort: Seminarraum 2.A23


Präsentationen

A pedagogy of and through diversity: Critical Service Learning (CSL) für globales Lernen und Lehren in der (internationalen) Lehrer:innenbildung

Victoria Ellen Wasner, Fabio Schmid

PHLU, Switzerland

Die Normativität, die dem globalen Lernen zugrunde liegt, sowie dessen politische Dimension können für Lehrpersonen eine erhebliche Herausforderung darstellen (Weselek & Wohnig, 2021). Vor diesem Hintergrund sollten Lehrpersonen als kritisch-reflektierte Fachpersonen verstanden werden, die im Sinne transformativer public intellectuals nicht nur professionell darauf vorbereitet werden, externe Zielvorgaben umzusetzen, sondern auch eigenständig zur gesellschaftlichen Entwicklung beitragen (Giroux, 1985; 2021). Dabei sollen sie ihre eigenen Ziele festlegen und anpassen können – ausgerichtet auf die eigenen Bildungskontexte und in Übereinstimmung mit den vielfältigen Identitäten der Schüler:innen.

Im Bereich der (internationalen) Lehrer:innenbildung bringen Studierende diverse Hintergründe, Perspektiven und Kontexte mit, die genutzt werden können, um eine Lernumgebung zu schaffen, die auf gegenseitigem Lernen, reziprokem Dialog, Inklusion sowie empathischem Zuhören basiert. Lehr-Lernsettings können auf diese Vielfalt eingehen und sie als Grundlage für kollaborative Lernräume nutzen, in denen gemeinsam Wissen aufgebaut, Stereotypen und Vorurteile hinterfragt und authentische Bedürfnisse in den unterschiedlichen gesellschaftlichen Kontexten der Studierenden aufgegriffen werden. In dieser Rahmung wird das globale Lernen als eine pedagogy of and through diversity verstanden.

Dieser Beitrag plädiert daher für einen Ansatz in der Lehrer:innenbildung im Bereich des globalen Lernens und Lehrens, der auf methodologischen Prinzipien der Partizipation und des forschenden Lernens basiert und so eine demokratisch-kollaborative Lehr-Lernbeziehung zwischen Dozierenden und Studierenden ermöglicht (Wasner et al., 2022).

Service Learning stellt den dafür benötigten pädagogisch-didaktischen Rahmen zur Verfügung. Zentral dabei ist die Förderung von gesellschaftlicher Handlungskompetenz bei angehenden Lehrpersonen und den Schüler:innen. Das critical bezieht sich dabei auf die explizit-kritische Reflexion von Machtverhältnissen und Strukturen, die soziale Ungerechtigkeit reproduzieren. Die Studierenden werden dazu angeleitet, diese gesellschaftspolitischen Strukturen zu hinterfragen und die Entwicklung relevanter Kompetenzen, Haltungen und Einstellungen zu fördern (Mitchell, 2007). Weiter werden sie so in der Integration sozialer Gerechtigkeitsbestrebungen in ihrem zukünftigen Unterricht unterstützt (Duarte et al., 2024; Porfilio & Hickman, 2011).

In Europa, einschliesslich der deutschsprachigen Länder, gewinnt Service Learning zunehmend an Anerkennung als pädagogisch-didaktischer Ansatz. Seine Wirkung in der Lehrer:innenbildung ist jedoch bislang kaum erforscht (Resch & Schrittesser, 2021). Obwohl CSL im Kontext von Bildung für nachhaltige Entwicklung als potenziell wertvoll beschrieben wurde (Fischer et al., 2023), wurde das Konzept in der Literatur kontrovers diskutiert und kritisch hinterfragt (Butin, 2015). Zudem fehlt es weiterhin an einer Verknüpfung mit methodischen Ansätzen in der Lehrer:innenbildung. In diesem Zusammenhang wurde Design Thinking als komplementäre, iterative Methodologie diskutiert. Durch die Nutzung kollaborativer Strategien harmonieren Service Learning und Design Thinking als pädagogisch-didaktische Ansätze aufgrund ihres offenen, explorativen Charakters, der in praxisbasierten, authentischen Kontexten angewendet wird (Pearce 2020; Pferzinger et al., 2022). So kann diese Kombination zur Erfüllung der dritten Mission von Hochschulen und den damit verbundenen gesellschaftlichen Transformationsprozessen beitragen (Altenschmidt & Miller, 2010; Prantl et al., 2023).

Im Rahmen des Beitrags wird die Entwicklung von zwei neuen Modulen für internationale Studierende an der PH Luzern vorgestellt, deren Kern die Verschränkung von CSL und Design Thinking bildet. Die Dozent:innen verfolgen dabei die Entwicklung eines partizipatorischeren und demokratischeren Ansatzes, indem sie die Studierenden entlang ihrer Bildungskontexte in selbständige CSL-Projekte einbinden. Für die Modulentwicklung und die Implementierung wurde der Frage nachgegangen, wie ein Critical Service Learning-Ansatz in der (internationalen) Lehrer:innenbildung als pedagogy of and through diversity dienen und so die kritisch-reflexive Haltung im globalen Lernen und Lehren fördern kann.

Die angewendeten methodischen Ansätze umfassen visuelle Ansätze aus dem Design Thinking und aus der Systems-Thinking-Methodologie. Ergänzend dazu werden qualitative Methoden wie Reflexionsjournale, Fokusgruppendiskussionen und halbstrukturierte Interviews eingesetzt. Indem die Studierenden im Rahmen des CSL-Prozesses ihre eigenen Projekte entwerfen und durchführen, engagieren sie sich auch in eigenständigen Feldforschungen. In diesem Beitrag werden der theoretisch-konzeptuelle Hintergrund sowie die Planung und die Durchführung der Module kritisch beleuchtet und zur Diskussion gestellt.



Urban Diversity Education Campus der Pädagogischen Hochschule Wien: Die phänomenologisch orientierte Vignette als Reflexions- und Proflexionsinstrument in der Primarstufenausbildung

Tamara Peer, Sandra Matschnigg-Peer, Sarah Hanzlik, Katharina Krämer

Pädagogische Hochschule Wien, Österreich

Im Rahmen der Urban Diversity Education (UDE) wird an der Pädagogischen Hochschule Wien das Ziel verfolgt, Lehrpersonen auszubilden, die in einer pluralisierten Gesellschaft professionell agieren und Schule sowie Unterricht nachhaltig gestalten können. Im Fokus des Studiums steht neben der Vermittlung von pädagogischem, fachwissenschaftlichem, fachdidaktischem und organisatorischem (Beratungs-)Wissens, der Aufbau von Wertehaltungen, von motivationalen und selbstregulativen Fähigkeiten. Absolvent*innen der Primarstufenausbildung sollen dazu befähigt werden, spezifische Herausforderungen des Schulsystems, die sich zwischen Vorhersehbarkeit und Zufälligkeit bewegen, kompetent zu bewältigen (Cramer, 2019; König, 2016).

Doch wie kann es gelingen, Studierende auf einen dynamischen Lehrer*innenberuf in einer pluralisierten Gesellschaft – in einer diversen und komplexen Welt – vorzubereiten? Auf welche Weise können diese angeregt werden, Kategorisierungen und Dichotomisierungen zu erkennen und aufzubrechen?

Ziel des Beitrags ist es, den Einsatz von phänomenologisch orientierten Vignetten (Agostini et al., 2023) in Lehrveranstaltungen des Bachelorstudiums Primarstufe als eine mögliche Antwort auf diese Fragen zu beleuchten:

In ausgewählten Lehrveranstaltungen der Primarstufenausbildung an der Pädagogischen Hochschule Wien wird in Anlehnung an die Innsbrucker Vignettenforschung ein „sachtes Innehalten, ein sensibles Hinblicken und gegebenenfalls auch ein lernendes Zurückblicken“ (Agostini et al, 2023, S. 36) auf schulische Erfahrungssituationen mit dem Schwerpunkt Diversität angestrebt. Durch das gemeinsame Lesen von phänomenologisch orientierten Vignetten sollen Studierende auf den dynamischen Beruf als Primarstufenlehrperson vorbereitet werden – auf sich in Wandlung befindende Lebens- und Lernbedingungen. Die Vignette als verdichtete Beschreibung einer Erfahrungssituation dient als Grundlage, um einen reflexiven Austausch anzuregen, um ein Hinsehen und Einfühlen in schulische Erfahrungssituationen zu ermöglichen. Angestrebt wird ein multiperspektivisches, gemeinsames Nachdenken und Reflektieren über Diversität, über Kategorisierungen und Dichotomisierungen, um ein Vorausdenken, um Proflexion anzustoßen (Schwarz, Schratz & Westfall-Greiter, 2013).

Neben der Vorstellung des Seminarkonzepts, das Studierenden eine erste Annäherung an die Arbeit mit phänomenologisch orientierten Vignetten ermöglichen soll, werden ausgewählte Ergebnisse einer qualitativen Evaluierung vorgestellt. 73 schriftliche Reflexionen von Studierenden aus fünf Lehrveranstaltungsgruppen dienen als Grundlage, um durch eine inhaltlich strukturierende qualitative Inhaltsanalyse (Kukartz & Rädiker, 2022) Antworten auf folgende zentrale Forschungsfrage zu erhalten:

Auf welche Weise werden phänomenologisch orientierte Vignetten sowie deren Einsatz in Lehrveranstaltungen von Studierenden des Bachelorstudiums Primarstufe wahrgenommen?

Die Vorstellung von Auszügen einer „kategorienbasierten Analyse entlang der Hauptkategorien“ (Kukartz & Rädiker, 2022, S. 148f.) lässt wahrgenommene Möglichkeiten und Grenzen des Seminarkonzepts sichtbar machen und ermöglicht ein Nachdenken, ob der Einsatz von phänomenologisch orientierten Vignetten in Lehrveranstaltungen des Bachelorstudiums Primarstufe als Möglichkeit gedeutet werden kann, um durch diskursive Aushandlungsprozesse Reflexion und Proflexion anzuregen und Studierende auf einen dynamischen Beruf in einer diversen und komplexen Welt vorzubereiten.