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Sitzungsübersicht
Sitzung
SESSION 20: Faktoren für die berufsbiografische Entwicklung von Lehrpersonen
Zeit:
Mittwoch, 02.07.2025:
16:45 - 18:15

Chair der Sitzung: Nils Bernhardsson-Laros
Ort: Seminarraum 2.A15


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Präsentationen

multiprofessionelle Zusammenarbeit und berufliche Belastung

Judith Sägesser Wyss, Joséphine Schwery Klingele, Thierry Schluchter, Michael Eckhart

PHBern Institut für Heilpädagogik / Psychomotorik Schweiz, Schweiz

Die präsentierte Studie wurde im Rahmen des an der PHBern durchgeführten Nationalfondsprojekt «Settings der Förderung der Grafomotorik» (Projektnummer 100019_189187) durchgeführt. Untersucht wurden verschiedene Settings der Förderung (separativ/therapeutisch, integrativ, inklusiv) und der multiprofessionellen Zusammenarbeit zwischen Lehrpersonen (LP) und Psychomotoriktherapeut:innen (PMT) im Handschriftunterricht erster Klassen. Die Interventionsphase dauerte 16 Wochen.

Die Heterogenität in Bezug auf die Vorläuferfertigkeiten der grafomotorischen Entwicklung ist sehr gross, was für LP überfordernd sein kann (Sägesser Wyss et al., 2021): Zwischen 10% und 30% der Kinder zeigen Schwierigkeiten mit dem Handschrifterwerb (z.B. Santangelo & Graham, 2016).
Die multiprofessionelle Zusammenarbeit wird als zentraler Gelingensfaktor für integrative bzw. inklusive Schulprozesse betrachtet (z.B. Jurkowski et al., 2023; Lütje-Klose & Urban, 2014). Studien konnten zeigen, dass die Kooperation verschiedener schulischer Akteur:innen nachweisbar positive Auswirkungen auf die Leistungen aller Kinder (Fend, 1998; Scheerens, 2000), eine differenzierte Lernkultur (z.B. Pfeifer & Holtappels, 2008), sowie auf die individuelle Förderung (Scruggs et al., 2007) hat.
Die Anforderungen an eine Fachdidaktik, welche möglichst viele Kinder anzusprechen vermag, sind hoch. Neben dem fachdidaktischen Wissen der LP bringt das fachspezifische Wissen aus der Psychomotorik einen grossen Mehrwert für die Entwicklung eines Unterrichts für alle (Sägesser Wyss et al., 2021). Die diagnostischen und fachspezifischen Kompetenzen der Spezialist:innen ermöglichen in Zusammenarbeit mit der LP eine Anpassung des gemeinsamen Unterrichts an die Bedürfnisse aller Kinder.

In dieser längsschnittlich angelegten Studie mit zwei Messzeitpunkten (t1 vor der Intervention und t2 nach der Intervention) wurden erstens die Einschätzungen zur Zusammenarbeit von LP und PMT anhand der von Fussangel (2008) entwickelten Skalen Austausch, Arbeitsteilung und Ko-konstruktion erfragt. Zweitens wurde die berufliche Belastung anhand der entsprechenden Skala aus dem Erfurter Belastungs-Inventar (Böhm-Kasper et al., 2000) in Anlehnung an Ditzinger (2015) gemessen.Um die Entwicklung der Einschätzungen der PMT und LP hinsichtlich der multiprofessionellen Zusammenarbeit und der beruflichen Belastung vor und nach der Intervention zu vergleichen, wurden Wilcoxon-Tests durchgeführt. Die Effektstärken wurden in Anlehnung an Cohen (1992) interpretiert.
Bis im Sommer 2025 werden zudem Ergebnisse zu den ebenfalls zu beiden Messzeitpunkten abgefragen Selbswirksamkeitserwartungen der LP und PMT in Abhängigkeit von den Settings verfügbar sein.

Zwischen t1 und t2 konnten in allen Skalen der Zusammenarbeit nach Fussangel (2008) eine signifikante Erhöhung der Einstellung der LP und PMT aus dem inklusiven Setting mit einem mittleren bis starken Effekt festgestellt werden. Der Wilcoxon-Test ergab bspw. in Bezug auf die Skala Austausch einen signifikanten Anstieg der Werte von t1 (Mdn = 4,33) zu t2 (Mdn = 5,17), Z = -5,29, p < .001, r = .61. Dies weist auf eine mittlere bis grosse Effektstärke hin (Cohen, 1988). In Bezug auf die berufliche Belastung wurden keine Unterschiede zwischen den Settings festgestellt.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass sich die Einstellung zur Zusammenarbeit bei LP und PMT einzig im inklusiven Setting signifikant erhöht, während die berufliche Belastung nicht grösser wird. Die Ergebnisse dieser Studie zeigen, dass eine intensivere multiprofessionelle Zusammenarbeit zwischen LP und PMT nicht, wie häufig angenommen, zu einer höheren beruflichen Belastung führen muss. Es wird zudem spannend sein, bis im Sommer 2025 zusätztlich den Einfluss der unterschiedlichen Settings auf die Selbstwirksamkeitserwartung der LP und PMT diskutieren zu können.



Spät(er)berufene Lehrpersonen - Bildungswege über die berufliche Grundbildung in ein Studium zur Lehrperson auf Sekundarstufe I

Bettina Weller

PH FHNW, Schweiz

An den Pädagogischen Hochschulen der Schweiz nimmt die Heterogenität der Zugangswege der Studierenden zum Studium des Lehrberufs zu. Insbesondere im Kontext des Lehrpersonenmangels gewinnen alternative Bildungszugänge neben dem ursprünglichen ‘Königsweg’ der gymnasialen Maturität an Bedeutung. Heute verfügen nur noch rund 20% aller Studierenden an Pädagogischen Hochschulen in der Deutschschweiz über eine Hochschulreife auf der Grundlage einer gymnasialen Maturität (SKBF, 2023, S. 193). Rund 11% aller Studierenden schlagen den Weg an eine Pädagogische Hochschule über eine Berufsmaturität ein (BFS 2024). Aktuell zielen diverse bildungspolitische Bestrebungen auf eine weitere Erleichterung des Zugangs an die Pädagogischen Hochschulen über eine berufliche Grundbildung EFZ. Über die Motive sowie die Herkunfts-, Bildungs- und Berufserfahrungen der Studierenden dieses Zugangsweges zur Lehrer:innenbildung ist bisher wenig bekannt.

Vor diesem Hintergrund untersucht der Beitrag die Bildungswege und Beweggründe von Studierenden, die über eine berufliche Grundbildung EFZ an eine Pädagogische Hochschule gelangt sind. Im Fokus stehen dabei die biografischen Hintergründe und Entwicklungen dieser Spät(er)berufenen berufsbildend sozialisierten Studierenden. Der Beitrag fragt danach, weshalb und über welche Wege junge Erwachsene, die eine berufliche Grundbildung absolviert haben, ein Studium an einer Pädagogischen Hochschule für den Lehrberuf auf der Sekundarstufe I aufnehmen. Welche Rolle spielen dabei die Kategorien der sozialen Herkunft und des Geschlechts? Neben individuellen Beweggründen und Berufsvorstellungen richtet der Beitrag auch einen Blick auf institutionelle Faktoren der Bildungssteuerung, bzw. der Durchlässigkeit im Bildungssystem, die diese Bildungswege überhaupt erst ermöglichen bzw. bedingen.

In empirischer Hinsicht stützt sich der Beitrag auf biografisch-narrative Interviews mit zwölf männlichen und zwölf weiblichen Studierenden zweier unterschiedlicher Pädagogischer Hochschulen, die sich für das Studium zur Lehrperson der Sekundarstufe I entschieden haben. Um die Relevanz des organisationalen und kantonalen Umfelds mitzuberücksichtigen, sind die Studierenden an zwei PHs angesiedelt, die sich in der Quote von Studierenden, die über eine berufliche Grundbildung EFZ an die PH gelangt sind, stark unterscheiden. Die Studierenden haben ursprünglich sehr unterschiedliche berufliche Grundbildungen gewählt und anschliessend verschiedene Bildungsgänge durchlaufen, u.a. lehrbegleitende Berufsmaturität 1 oder Berufsmaturität 2 (Vollzeit oder berufsbegleitend), die Ergänzungsprüfung mit und ohne Vorkurs, die Passerelle oder die kantonale Maturitätsschule für Erwachsene (Vollzeit oder berufsbegleitend).

Der biographieanalytische Ansatz, der dabei zur Anwendung kommt, bezieht sich auf Bettina Dausien, die mit Bourdieu argumentiert, dass „Bildungsverläufe eben nicht das Ergebnis individueller Entscheidungen sind, sondern Effekte von Positionierungen im sozialen Raum, die [...] objektive Möglichkeitsräume abstecken und ‚Karrieren‘ vorstrukturieren“ (Dausien 2014, S. 44). Die Datenerhebung und -auswertung orientiert sich am autobiographisch-narrativen Interview nach Fritz Schütze (1983). Über Schütze hinausgehend bezieht sich der Beitrag auf Engler, die auf Bourdieu verweisend ein weiteres Subjektverständnis zugrunde legt (Engler 2001).

Die theoretische Verankerung stützt sich sowohl auf Bourdieus Verständnis von Bildungsverläufen (trajectoire) als durch gesellschaftliche Strukturen mitbedingt, als auch auf Professionstheorien, die den Zusammenhang von Geschlecht und Beruf untersuchen. Auf institutioneller Ebene lehnt sich der Beitrag an den Vorschlag von Bernhard (2017) an, in dem die Autorin verschiedene Dimensionen von Durchlässigkeit unterscheidet.

Erste Ergebnisse zeigen, dass die im Fokus stehende Studierendengruppe mit der beruflichen Umorientierung einen sozialen Aufstieg anstrebt. Da das Vorhaben finanziell und zeitlich aufwendig ist, muss es sich auf verschiedenen Ebenen ‘lohnen’. Auf institutioneller Ebene zeigt sich, dass die soziale Durchlässigkeit auch von der Durchschaubarkeit des komplexen Bildungssystems abhängt. Ein hoher schulischer Anteil des Ausbildungsberufs begünstigt den untersuchten Zugangsweg.

Insgesamt verweisen die Resultate auf das Potenzial, Absolvierende der beruflichen Grundbildung für den Lehrberuf zu gewinnen und damit dem Lehrpersonenmangel zu begegnen. Dabei liefert der Beitrag auch Antworten auf die Frage, wie diese Gruppe von Studierenden stärker adressiert werden könnte. In Bezug auf die Pluralisierung der Zugangswege zu den Pädagogischen Hochschulen stellt sich weiterhin die Frage, inwiefern dies Auswirkungen auf das Berufsverständnis von Lehrpersonen haben könnte.



Praktiken des pädagogischen Ethos als Gegenstand einer empirisch-rekonstruktiven Ethik

Nils Bernhardsson-Laros

Pädagogische Hochschule Zürich, Schweiz

Das «praktische Wissen und Können», welches auch mit den Begriffen pädagogischer Takt und Ethos bezeichnet wird, gilt als ein wesentlicher Bestandteil pädagogischer Kompetenz (Baumert/Kunter 2006). Da es sowohl erfahrungsbasiert und auf konkrete Problemstellungen bezogen ist als auch auf einer intuitiven Interpretation der Situation aufbaut, entzieht es sich einer konkreten Festlegung im Sinne einer Wissensbasis. Die `traditionelle` pädagogische Ethosforschung (z.B. Blömeke et al. 2007; Oser 2018) kann hier kaum Abhilfe schaffen, da sie zwischen Haltung (Ethos) und Handeln trennt und so von konkreten Erfahrungen und intuitivem Erleben abstrahiert (dazu auch Obex 2023). Im vorliegenden Beitrag werden die Ergebnisse eines Projekts vorgestellt, in dem danach gefragt wird, wie sich das Ethos als Gegenstand einer empirisch-rekonstruktiven Ethik (Bohnsack 2020), die der «Seinsverbundenheit» (Mannheim 1964) des praktischen Wissens und Könnens gerecht wird, fassen lässt.

Die «Praktiken des Ethos» als Forschungsgegenstand werden in einem abduktiven Vorgehen sowohl empirisch als auch theoretisch hergeleitet. Dazu wurden bislang insgesamt fünf Fallstudien (Bernhardsson-Laros 2024a, b) auf der Basis von Interviewdaten aus zwei Forschungsprojekten (1) zu moralischen Problemen von Lehrenden der Erwachsenen- und Weiterbildung (Bernhardsson-Laros 2020) sowie (2) zum Umgang der Bevölkerung mit der Corona-Massenerziehung (Bernhardsson-Laros/Schrewe 2023) durchgeführt. Die Projekte eint, dass die Interviewten über krisenhafte Situationen berichten, welche ihrerseits eine Reflexion des eigenen Selbst-Welt-Verhältnisses erforderlich machte. Die Datenauswertung erfolgt mit der Dokumentarischen Methode (Bohnsack 2014) und wird durch grundlagentheoretische Überlegungen von Nohl et al. (2015), Joas (1999) und Mannheim (1964) angereichert.

Den Ausgangspunkt bildet Bohnsacks (2020) empirisch-rekonstruktive Ethik, welche die «praktische Diskursethik» professionalisierter Milieus zum Gegenstand hat und auf der Annahme einer «impliziten Reflexion» gründet. Sind professionalisierte Milieus bestrebt, eine praktische Diskursethik zu entwickeln, zu reproduzieren oder einfach zu leben, kommt dies in Handlungspraktiken einer «habitualisierten ethischen Reflexivität» (Bernhardsson-Laros 2024a, b) zum Ausdruck, der sich die einzelnen Akteur:innen bedienen. Im Rahmen dieser Praktiken kann es sowohl zu einem «erfahrungsbasierten unmittelbaren Verstehen» als auch zu einem «intuitiven Erleben und Verstehen des Fremden» kommen (ebd.).

Im Beitrag werden diese Verstehens-Praktiken als Praktiken des Ethos gefasst. Das Besondere ist, dass es sich um «transaktionale Praktiken» (Nohl et al. 2015) handelt, die zwischen Mensch und Welt vermitteln. Sie können aufgerufen werden, wenn das routinierte Handeln aufgrund widersprüchlicher Handlungsanforderungen (Normen) ins Stocken gerät und Akteur:innen gefordert sind, Haltung in Bezug auf sich selbst und zur Welt einzunehmen und diese ggf. zu verändern. Präsentiert werden die Ethos-Praktiken Nachbilden, spontanes Handeln und Präformieren. Die drei Praktiken dienen der «Erweiterung des Sensibilitätskreises» (Mannheim 1964) der Akteur:innen. Das Nachbilden basiert auf unmittelbar zugänglicher Erfahrung und es erfolgt, indem neue/irritierende Situationen an bereits bewältigte Situationen angeähnelt werden. Das spontane Handeln mobilisiert unausgelebte Anteile des eigenen Habitus, wodurch nicht unmittelbar zugängliche Erfahrung in «die Aktualität der Lebenspraxis aufsteigen» kann (aszendierende Erfahrung, Nohl 2011). Das Präformieren ist eine vollständig intuitive Handlungspraxis, die der (Vor-)Bildung von Erfahrung dient. Diese Praxis basiert auf einem Glauben an eine «prästabilierte Harmonie» (Mannheim 1964) zwischen Mensch und Welt. Seitens der Akteur:innen kommt es dabei zur Suche nach einer vorfeststehenden Ordnung im Rahmen eines tentativen Ausprobierens von sich selbst in der Welt. Im Beitrag werden diese Praktiken anhand von zwei kontrastiven Fallbeispielen – eine Lehrperson und ein Trainer aus der betrieblichen Weiterbildung – veranschaulicht. Während die Lehrperson Ethos-Praktiken aufruft, um sich mit den eigenen Bestrebungen auseinanderzusetzen, für ihre Schüler:innen, trotz Corona-Lockdown, physische Begegnungsmöglichkeiten zu schaffen, begibt sich der Trainer in Ethos-Praktiken, um sich mit der situativ aufkommenden Kritik auseinanderzusetzen, dass sein erwachsenenpädagogisches Handeln auf einem verdeckten Paternalismus basiert.

Die Ergebnisse werden u. a. sowohl bezüglich forschungsmethodischer Implikationen als auch im Hinblick auf mögliche Vorteile sowie den Nutzen eines nicht-essentialistischen Ethos-Begriffs diskutiert, mit dem sich erkenn- und nachvollziehbar machen lässt, wann pädagogische Akteur:innen mit welchen Ethos-Praktiken befasst sind.