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Sitzungsübersicht
Sitzung
SESSION 11: Schulentwicklung mit Fokus Lehrpersonal
Zeit:
Mittwoch, 02.07.2025:
15:00 - 16:30

Chair der Sitzung: Robert Baar
Ort: Hörsaal 8


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Präsentationen

Schulentwicklung in Zeiten des Lehrermangels

Katharina Soukup-Altrichter1, Herbert Altrichter2

1Pädagogische Hochschule Oberösterreich, Österreich; 2Johannes Kepler Universität Linz, Österreich

Bildungspolitischer Kontext

Lehrermangel ist ein in Zyklen wiederkehrendes Phänomen, das sowohl für die Bildungspolitik als auch für die Forschung schwierig zu handhaben ist. Bildungsverantwortliche in verschiedenen Ländern beschäftigen sich aktuell mit diesem Problem und reagieren mit ähnlichen Maßnahmen. Im Vordergrund steht dabei die Akquise von zusätzlichem Personal, das rasch in den Schulen eingesetzt wird. Diese neuen Personengruppen (meist mit unterschiedlichen Vorqualifikationen, ohne pädagogische Ausbildung) werden berufsbegleitend mehr oder weniger intensiv nachqualifiziert. Allerdings bestehen in den Ländern sehr unterschiedliche Möglichkeiten und Verpflichtungen, diese Ausbildungen zu einer vollwertigen Lehrpersonenqualifikation zu ergänzen (Klemm 2022; Korneck 2024; Sandmeier & Herzog 2024; Schnider & Braunsteiner 2024; SWK 2023a; 2023b).

In einer Analyse der österreichischen Situation (Helm et al. 2024) zeigte sich beispielsweise, dass beinahe die Hälfte (49,5%) der im Schuljahr 2023/24 neu eintretenden Lehrpersonen keine traditionelle Lehrerqualifikation aufwiesen, sondern drei Gruppen von nicht-traditionell qualifizierten Lehrpersonen angehörten: Lehramtsstudierende ohne Studienabschluss (18,8%), ‚Quereinsteiger‘ (Fachstudienabschluss ohne Lehramtsqualifikation; 8,4%) sowie Lehrpersonen mit Sondervertrag (normalerweise ohne (schulrelevanten) Studienabschluss; 22,3%).

Der Lehrermangel und dessen ‚Lösung‘ durch die Einstellung nicht-traditionell qualifizierter Personen findet zunehmende Aufmerksamkeit in der Bildungsforschung (vgl. Die Deutsche Schule (2020), Beiträge zur Lehrerinnen- und Lehrerbildung (2023) und Journal für LehrerInnenbildung (2024)). Die kurz- und langfristigen Auswirkungen des Eintritts einer größeren Zahl nicht-traditionell qualifizierter Berufstätiger auf den erreichten Kompetenzstandard und das Image des Berufs werden thematisiert (GEBF 2023; Sandmeier& Herzog 2024; Artmann et al. 2024; Bacher et al: 2024). Einige Studien untersuchen, welche Werthaltungen die neu angeworbenen Personen in die Schule einbringen (Porsch 2021; Groß Ophoff et al. 2024), andere beschäftigen sich mit deren Belastungserleben (Helm et al. 2024); oder damit, ob sich die ‚Quereinsteiger*innen‘ in ihren Kompetenzen und Werthaltungen von den traditionellen Studierenden unterscheiden (Schauer et al. 2024; Gamsjäger et al. 2025 in Druck).

Während das Phänomen des Lehrermangels bisher vornehmlich aus der Perspektive von Bildungspolitik, Governance, Professionstheorie und der neu eingestellten Unterrichtenden thematisiert wurde, ist die Frage möglicher Auswirkungen des Lehrermangels, der Unterschiedlichkeit der Qualifikationen auf die Arbeit und Weiterentwicklung der betroffenen Schulen sowie die Bewältigungsstrategien des bestehenden Personals bisher wenig erforscht.

Fragestellungen und theoretischer Hintergrund

Die Studie soll die Auswirkungen von Lehrermangel und der Beschäftigung von unterschiedlich, aber nicht-traditionell qualifizierten Personen auf die Arbeit von Schulen und deren weitere Entwicklung thematisieren. In einer mikropolitisch-strukturationstheoretischen Perspektive auf Schulentwicklung (Altrichter 2018; Bohl, 2020) gehen wir davon aus, dass der Eintritt nicht-traditionell qualifizierter Lehrpersonen die Divergenz (Interessen, Vorerfahrungen, Qualifikationen) im Kollegium erhöht und eine Situation der Ungewissheit darstellt, die nicht nur von den Eintretenden, sondern auch vom bestehenden Personal Bewältigungsstrategien erfordert. Diese Strategien können darauf zielen, die Routinespiele der Organisation aufrechtzuerhalten oder die Ungewissheitssituation für Innovationsspiele unterschiedlichen Typs zu nutzen (Crozier & Friedberg 1993).

Unsere Studie beschäftigt sich (zunächst aus der Perspektive der Schulleitungen) mit folgender Leitfrage: Welche Auswirkungen haben Lehrermangel und die Anstellung von nicht-traditionell oder nicht-vollständig qualifizierten Lehrpersonen auf die Arbeit und Weiterentwicklung von Schulen und welche Strategien setzen Schulleitungen an österreichischen Schulen, um mit dieser Situation umzugehen?

  • Dabei sollen folgende Aspekte thematisiert werden: Welche Strategien verfolgen Schulleitungen, um neue Kolleg*innen anzuwerben? Welche Qualifikationen bevorzugen sie aus welchen Gründen?
  • Durch welche Strategien werden nicht-traditionell qualifizierte Kolleg*innen in den ersten und späteren Phasen ihrer schulischen Tätigkeit begleitet?
  • Welche Auswirkungen hat der Eintritt nicht-traditionell qualifizierter Personen auf die Arbeit der Schule und ihre weitere Entwicklung?

Methode:

Qualitative leitfadengestützte Interviews von etwa 15 Schulleitungen an österreichischen Primar- und Sekundarschulen unterschiedlichen Typs Sampling nach unterschiedlichem Ausmaß der Betroffenheit von Lehrer*innenmangel. Die Interviews werden inhaltsanalytisch nach Mayring (2010) im Hinblick auf Typen von Schulleitungsstrategien ausgewertet.

Resultate:

Zum Zeitpunkt der Einreichung liegen noch keine Resultate vor. Bis zum Kongress werden insgesamt etwa 15 Interviews durchgeführt und analysiert, sodass deren Ergebnisse präsentiert werden können.



Schulische Integration: Entlastung der Organisation, Belastung der Lehrpersonen?

Elias Schmid

PH NMS Bern, Schweiz

1. Ausgangspunkt: These der Problemverlagerung

Der Vortrag nimmt seinen Ausgangspunkt in der These der Problemverlagerung von Luhmann und Schorr (1988, S. 261–263), die unter anderem von Trautmann und Wischer (2011, S. 102/134) in ihrer kritischen Einführung zur Heterogenität in der Schule aufgegriffen wurde.

Die These besagt, dass die Erziehungswissenschaft und die Schulpolitik dazu neigen, das Handlungsproblem Heterogenität von der Organisations- auf die Interaktionsebene zu verlagern. Der Umgang mit Heterogenität – mit dem Phänomen, dass sich Schülerinnen und Schüler hinsichtlich zahlreicher Merkmale unterscheiden – werde in erster Linie als Aufgabe der Schulentwicklung und Professionalisierung der Lehrpersonen aufgefasst.

Die Problemverlagerung gehe mit einer Verantwortungsdelegation einher, die seitens der Lehrpersonen zu Zusatzbelastungen führen könne (Schilmöller, 2011, S. 24; Trautmann & Wischer, 2011, S. 106).

2. Empirische Überprüfung am Beispiel der Stadt Bern (1990-2020)

Die Dissertationsstudie mit dem Titel «Schule der Vielfalt: Eine Analyse des Umgangs mit Vielfalt durch die Akteurinnen und Akteure der Schulpolitik und Schulverwaltung Berns im Zeitraum 1990 bis 2020» zeigt exemplarisch, dass und warum es in der Stadt Bern zwischen 1990 und 2020 zu dieser Problemverlagerung gekommen ist.

3. Delegitimierung der schulischen Klassifikationspraktiken

Die Ursache für diese Problemverlagerung liegt in der Delegitimierung traditioneller schulischer Klassifikationspraktiken. Sowohl in der Erziehungswissenschaft als auch in der Schulpolitik Berns wurde die Einteilung der Schülerschaft nach Geschlecht, Staatsangehörigkeit, Alter oder Leistung zunehmend kritisch betrachtet.

Zwar erleichterte diese Einteilung die Organisation des Massenlernorts Schule, doch sie ging auch mit Verallgemeinerungen und Stigmatisierungen einher (Prengel, 1995). Zwischen 1990 und 2020 wurden daher – nicht nur in der Stadt Bern – durchlässigere Schulstrukturen, flexiblere Schullaufbahnen sowie situative und reversible anstelle dauerhafter Schullaufbahnentscheide gefordert.

4. Massnahmen für eine durchlässigere, integrativere Schule

Es blieb nicht bei den Forderungen. Drei Integrationsmassnahmen trugen massgeblich zu einer integrativeren Schulstruktur bei:

  1. Einführung kooperativer, durchlässiger Schulmodelle auf der Sekundarstufe I (Mitte der 1990er-Jahre)
    In den 1990er-Jahren wurden die zuvor getrennten Institutionen Primarschule und Sekundarschule im Kanton Bern zur Volksschule zusammengeführt. Gleichzeitig wurde die Dreiteilung in Real-, Sekundar- und Untergymnasialklassen abgeschafft. Die neue Sekundarstufe I führte nur noch zwei Anforderungsniveaus, die kooperativer und durchlässiger organisiert waren.
  2. Zunehmende Organisation altersgemischter Schulklassen (ab Mitte der 2000er-Jahre)
    Ab 2008 wurden in der Stadt Bern zunehmend altersgemischte Klassen gebildet. Während Mehrjahrgangsklassen zuvor nur in kleinen oder peripher gelegenen Schulen eine Option darstellten, wurde ihre Organisation ab Mitte der 2000er-Jahre zur gängigen Praxis (Schmid, 2024, S. 256). Ab 2015 lag der Anteil altersgemischter Klassen konstant bei etwa 60 %. Ursprünglich aus organisatorischen Gründen eingeführt, wurde diese Massnahme zunehmend pädagogisch begründet.
  3. Integration von Kindern mit besonderem Förderbedarf in Regelklassen (ab Schuljahr 2010/11)
    Mit der Umsetzung des sogenannten Integrationsartikels reduzierte die Stadt Bern die Zahl der Kleinklassen massiv. Innerhalb eines Jahrzehnts halbierte sich die Separationsquote von über 8 % auf unter 4 % (Schmid, 2024, S. 221). Kinder mit besonderem Förderbedarf erhielten ihre Förderung zunehmend in Regelklassen.

5. Interpretation/Fazit

Eine wesentliche Folge dieser Integrationsmassnahmen war die Heterogenisierung der Schulklassen. Im Jahr 2020 waren die Klassen alters- und leistungsheterogener zusammengesetzt als noch 1990. Damit verlagerte sich die Bearbeitungslast für die Heterogenität der Schülerschaft von der Organisations- auf die Interaktionsebene. Aus einem mitunter organisatorisch bearbeiteten wurde ein vornehmlich methodisch-didaktisch zu bearbeitendes Problem.

Für Lehrpersonen bedeutete diese Problemverlagerung zusätzliche Verantwortung. Aufgrund des Verzichts auf organisatorische Differenzierung unterrichteten sie 2020 heterogenere – und im Schnitt auch leicht grössere – Klassen als 1990 (Schmid, 2024, S. 331). Um dennoch adaptiven Unterricht anzubieten, waren ausgeprägte diagnostische und didaktische Kompetenzen erforderlich.

Die Akteure der Schulpolitik und -verwaltung hingegen wurden von ihrer Mitverantwortung für die Bearbeitung der Heterogenität entlastet.



Diversifizierung des Lehrpersonals als Chance, Herausforderung oder Risiko? Die Sichtweise von Schulleitungen auf den Seiteneinstieg in den Lehrberuf

Robert Baar

Universität Bremen, Deutschland

Theoretischer Hintergrund

In Zeiten des Lehrkräftemangels kommen zunehmend Personen in die Schulen, die weder ein Lehramtsstudium noch ein Referendariat absolviert haben. Die damit verbundene Diversifizierung der Kollegien birgt einerseits die Gefahr einer Deprofessionalisierung des Berufsfeldes, die u.a. darauf zurückzuführen ist, dass sich die Einstellungsvoraussetzungen und (Nach-)Qualifizierungsprogramme in den einzelnen Bundesländern und Kantonen im deutschsprachigen Raum stark unterscheiden und keine einheitlichen Qualitätsstandards existieren (Gehrmann 2023, 39 ff.; Rank et al. 2023, 13; Baar & Mladenovska 2024, 127). In der Diversifizierung des Lehrpersonals liegt aber auch die Chance, dass Menschen mit sehr unterschiedlichen Biografien und Kompetenzen in die Schule gelangen und die Schüler*innen besonders gut auf das Leben in einer komplexen Welt vorbereiten können. Für eine abschließende Bewertung der mit der Diversifizierung verbundenen Chancen, Herausforderungen und Risiken liegen allerdings noch zu wenige empirische Befunde vor (Dedering 2020; Porsch 2021). Es ist jedoch davon auszugehen, dass Schulleitungen, die allgemein als „treibende Kraft für individuelle Professionalisierungs- und [...] Schulentwicklungsprozesse“ (Keller-Schneider & Keller 2023, 197) gelten, eine besondere Verantwortung dafür tragen, dass Seiteneinsteiger*innen gut in das Kollegium integriert werden, ihre im außerschulischen Berufsleben erworbenen Kompetenzen in Schule und Unterricht einbringen können und so zu einem Gewinn für alle am Schulleben Beteiligten werden.

Fragestellung

Vor diesem Hintergrund geht der geplante Beitrag der Frage nach, welche Chancen, Herausforderungen und Risiken Schulleitungen mit dem Seiteneinstieg verbinden und welche Aufgaben sie daraus für sich ableiten. Aus den Antworten ergeben sich Hinweise darauf, wie Schulleitungen dazu beitragen können, die Potenziale der Diversifizierung des Kollegiums für das Lernen in einer diversen und komplexen Welt zu nutzen.

Design/Methode

Grundlage des Beitrags sind insgesamt sieben problemzentrierte Interviews (Witzel 1982) mit Schulleitungen bzw. Schulleitungsteams, die zwischen 40 und 95 Minuten dauerten, vollständig transkribiert und mit der Grounded Theory (Glaser/Strauss 1998) ausgewertet wurden. Durch offenes, axiales und selektives Kodieren wurden induktiv Kategorien abgeleitet und im Rahmen komparativer Analysen tragende Konzepte bzw. Orientierungen identifiziert.

Die meisten der im deutschen Bundesland Bremen interviewten Schulleitungen bzw. Schulleitungsteams sind an Schulen tätig, die in besonderem Maße von Personalmangel betroffen sind und einen hohen Anteil an Seiteneinsteiger*innen aufweisen. Diese durchlaufen am Erhebungsort lediglich einen kurzen Vorbereitungskurs, bevor sie in den Schulen als Lehrkraft eingesetzt werden. Parallel zu ihrer Lehrtätigkeit besuchen sie dann an einem Nachmittag pro Woche berufsbegleitende Fortbildungsveranstaltungen. Damit ist eine gewisse Ähnlichkeit bspw. zum Programm für Lehrpersonen ohne Lehrdiplom im Kanton Zürich gegeben (vgl. Volksschulamt Zürich 2024).

Resultate/Bedeutung

Die Einschätzungen der Schulleitungen zum Seiteneinstieg fallen sehr unterschiedlich aus: Während z.B. eine Schulleitung von einer „Katastrophe für alle Beteiligten“ spricht, berichtet eine andere, dass Seiteneinsteiger*innen „‘nen tollen Job“ machen. Das Spektrum der Aufgaben und Rollen, die sich die Schulleitungen bei der Integration der Seiteneinsteiger*innen ins Kollegium zuschreiben, reicht von „Dienstaufsicht“ und „Delegation“ über „fachliche Beratung“ und „Integration“ bis hin zu „sozial-emotionaler Unterstützung und Fürsorge“. Nahezu alle Schulleitungen verweisen in ihren Ausführungen auf die Chancen einer Diversifizierung des Kollegiums. Die Kompetenzen, die Seiteneinsteiger*innen in die Schule mitbringen, werden dabei vor allem vor dem Hintergrund einer direkten Verwertbarkeit für den traditionellen Unterricht individuell gewürdigt. Dass die Kompetenzen auch systematisch abgerufen und genutzt werden könnten, um mit ihnen gezielt eine „Bildung in einer diversen und komplexen Welt“ zu entwickeln bzw. zu gestalten, lässt sich aus dem Datenmaterial hingegen kaum rekonstruieren.

Aus den Ergebnissen lassen sich Thesen ableiten, was notwendig wäre, damit Schulleitungen zum einen die Integration der Seiteneinsteiger*innen in das Kollegium sicherstellen und zum anderen die Potenziale einer Diversifizierung des Kollegiums auch für die Weiterentwicklung der Schule im Hinblick auf das Lernen in einer vielfältigen und komplexen Welt nutzen.



 
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