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Sitzungsübersicht
Sitzung
SYMP 42: Pädagogik bei Krankheit und Spitalschulpädagogik: Herausforderungen und Perspektiven in Wissenschaft und Praxis für eine inklusive Zukunft
Zeit:
Donnerstag, 03.07.2025:
10:00 - 12:00

Chair der Sitzung: Robert Langnickel
Ort: Seminarraum 2.B29


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Präsentationen

Pädagogik bei Krankheit und Spitalschulpädagogik: Herausforderungen und Perspektiven in Wissenschaft und Praxis für eine inklusive Zukunft

Chair(s): Robert Langnickel (Pädagogische Hochschule Luzern), Annett Thiele (Universität Oldenburg), Sophia Falkenstörfer (Universität Würzburg)

Die steigende Bedeutung inklusiver Bildung im deutschsprachigen Raum und darüber hinaus stellt vor allem die Pädagogik bei Krankheit (PbK) vor neue theoretische und praktische Herausforderungen. Während sich Bildungswissenschaften zunehmend damit befassen, Lernumgebungen für heterogene Schülerinnengruppen umfassend zu gestalten, wird die spezifische Förderung von Lernenden mit chronischen oder akuten Erkrankungen bisher nur marginal in der universitären Lehrpersonenbildung berücksichtigt (Castello & Pülschen, 2018). Dies ist umso bedeutsamer, als Schule nicht nur ein Ort des Lernens, sondern auch der sozialen Teilhabe ist (Walter-Klose & Seiler-Kesselheim, 2024). Gerade für Kinder und Jugendliche mit Erkrankungen kann schulische Bildung durch flexible, empathisch gestaltete Settings entscheidend zur Stabilisierung ihrer Bildungsbiografien beitragen (Blanc, 2014).

Die vorgestellten vier Beiträge des Symposiums «Pädagogik bei Krankheit und Spitalschulpädagogik» resultieren aus einem internationalen Forschungsprojekt (D-A-CH und GB), das von Oktober 2023 bis Oktober 2025 unter Förderung der Schweizer Stiftung Movetia durchgeführt wird. Dieses Projekt reagiert auf mehrfach diagnostizierte Forschungslücken und Praxisherausforderungen: Zum einen fehlt eine systematische theoretische Fundierung der PbK, die über pragmatische Einzellösungen an Klinik- und Spitalschulen hinausgeht (Elbracht, Langnickel, Lieberherr, Hoanzl & Gingelmaier, 2023). Zum anderen mangelt es an evidenzbasierten Aus- und Weiterbildungskonzepten, die Lehrpersonen in allen Schulformen professionell darauf vorbereiten, erkrankte Schülerinnen und Schüler angemessen zu unterstützen.

Die im Symposium präsentierten Studienergebnisse veranschaulichen die Notwendigkeit, die PbK als eigenständiges Handlungsfeld zu profilieren. Dies beinhaltet ein Spannungsfeld zwischen therapeutischen Ansprüchen und pädagogischer Autonomie, das als Antinomie der Disziplin verstanden werden kann. Das Hauptziel ist es, eine theoretisch untermauerte und empirisch validierte Grundlage für Curriculumsentwicklungen in der Lehrpersonenbildung zu schaffen. Diese soll langfristig einen neuen, berufsbegleitenden Masterstudiengang (MAS) im deutschsprachigen Raum (D-A-CH) ermöglichen, der gezielt Kompetenzen für den Umgang mit Schülerinnen mit Erkrankungen vermittelt (Langnickel et al., 2023, 2024).

Beitrag 1 stellt das Gesamtprojekt und seine Zielsetzungen vor: die Vernetzung von Praxis und Theorie, die Schliessung von Forschungslücken sowie die Konzeption eines forschungsbasierten Curriculums. Beitrag 2 ergänzt diesen Rahmen durch länderübergreifende Befunde zur bestehenden Angebotsstruktur und zum Qualifizierungsbedarf von Lehrpersonen, welche auf fehlende systematische Fortbildungswege, unklare Zuständigkeiten und Defizite in der curricularen Verankerung erweisen. Beitrag 3 beschäftigt sich mit den potenziellen Auswirkungen chronischer Erkrankungen im Schulkontext. Ein Scoping-Review liefert erste evidenzbasierte Erkenntnisse darüber, in welcher Weise Krankheit schulische Lernprozesse, Leistungsfähigkeit und soziale Interaktionen beeinflusst. Diese Ergebnisse unterstreichen die Notwendigkeit, Lehrpersonen für die pädagogische Relevanz von Krankheit zu sensibilisieren und sie mit Instrumentarien auszustatten, die inklusive Lernbedingungen schaffen.

Beitrag 4 konkretisiert die Entwicklung eines berufsbegleitenden Mastercurriculums. Hier wird deutlich, dass die Integration medizinischer Grundlagen, sonderpädagogischer Diagnostik, inklusionsorientierter Didaktik, psychosozialer Unterstützungsstrategien und interdisziplinärer Kooperationsformen zentrale Elemente einer zukunftsorientierten Lehrpersonenbildung in der PbK darstellen. Ziel ist es, ein professionstheoretisch fundiertes Modell – etwa basierend auf dem COACTIV-Rahmen – weiterzuentwickeln und so langfristig die schulische Teilhabechancengleichheit für Kinder und Jugendliche mit Erkrankungen zu erhöhen.

Das Symposium verknüpft damit theoretische Grundfragen der bildungswissenschaftlichen und sonderpädagogischen Professions- und Inklusionsforschung mit anwendungsorientierten Lösungen für die Praxis. Es liefert sowohl konzeptionelle Anregungen für die Lehrpersonenbildung als auch empirische Befunde zur Weiterentwicklung von PbK im Allgemeinen und Spitalschul- und Klinikschulpädagogik im Speziellen. Auf diese Weise werden Forschung, Bildungspolitik und Praxis in einen produktiven Dialog gebracht, um die Professionalisierung in diesem zukunftsweisenden Handlungsfeld voranzutreiben.

 

Beiträge des Symposiums

 

Projektvorstellung «Pädagogik bei Krankheit und Spitalschulpädagogik (Pb-KuS)»

Robert Langnickel1, Sophia Falkenstörfer2, Annett Thiele3
1Pädagogische Hochschule Luzern, 2Universität Würzburg, 3Universität Oldenburg

Hintergrund und Legitimation:

Die Relevanz der Pädagogik bei Krankheit (PbK) für Forschung und Praxis ergibt sich aus der zunehmenden Bedeutung inklusiver Bildung, die auch Schüler:innen mit Erkrankungen einbezieht. Lehrpersonen aller Schularten benötigen spezifische pädagogisch-didaktische Kompetenzen, um den besonderen Anforderungen dieser Heterogenitätsdimension gerecht zu werden.

Trotz ihrer Praxisnähe, vor allem an Klinik- und Spitalschulen, fehlt es der PbK an einer kohärenten wissenschaftlichen Fundierung. Verschiedene Studien (z. B. Stein, 2010; 2020) haben aufgezeigt, dass Forschungslücken in den Bereichen theoretische Grundlegung, praxisorientierte Konzepte und hochschulische Aus- und Weiterbildung bestehen. Eine wissenssoziologische Diskursanalyse (Elbracht, Langnickel, Lieberherr, Hoanzl & Gingelmaier, 2023) hat zudem verdeutlicht, dass das disziplinäre Selbstverständnis der PbK hauptsächlich praxisorientiert ist, während eine systematische und nachvollziehbare Theorieentwicklung weitgehend fehlt.

Besondere Herausforderungen der PbK umfassen die Reintegration und Transition von Schüler:innen nach einem Klinikaufenthalt sowie die Berücksichtigung krankheitsbedingter Beeinträchtigungen. Hierbei entsteht ein Spannungsfeld zwischen therapeutischem Ansatz und pädagogischem Handeln, das eine zentrale Antinomie der Disziplin darstellt (Bakels, 2020, S. 311).

Seit den 1970er-Jahren wird in Deutschland die Notwendigkeit einer fundierten Aus- und Weiterbildung für Lehrpersonen im Bereich der PbK diskutiert (Gratzer & Krisemendt, 1978; Wienhues, 1979). Aktuellere Studien (Castello & Pülschen, 2018; Meiners, Krull & Leidig, 2023) betonen, dass praxisrelevante Kompetenzen sowie Reflexions- und Austauschmöglichkeiten entscheidend sind, um den Anforderungen in der Arbeit mit chronisch kranken Schüler:innen gerecht zu werden. Dennoch mangelt es bis heute an einem strukturierten hochschulischen Ausbildungsangebot im deutschsprachigen Raum.

Fragestellung und Zielsetzung des Projekts:

Das internationale Projekt «Pädagogik bei Krankheit und Spitalschulpädagogik» (Pb-KuS), gefördert durch die Schweizer Stiftung Movetia (Projektnr.: 2023-1-CH01-IP-0055, Laufzeit: Oktober 2023 bis Oktober 2025), adressiert die oben beschriebenen Forschungslücken und Herausforderungen. Es verfolgt die zentrale Fragestellung:

Wie kann eine systematische und praxisnahe Ausbildung im Bereich der Pädagogik bei Krankheit entwickelt werden, die sowohl wissenschaftlichen Standards als auch den Anforderungen der Praxis gerecht wird?

Das Projekt zielt damit darauf ab:

1. Forschungslücken zu schliessen: Die bestehenden Desiderata der Spitalschulpädagogik und der PbK werden umfassend analysiert und systematisiert, um eine theoretische Fundierung und praxisnahe Lösungsansätze zu entwickeln.

2. Praxis und Theorie zu vernetzen: Ein interdisziplinärer Austausch zwischen Wissenschaftler:innen, Praktiker:innen und Entscheidungsträger:innen wird gefördert.

3. Ein theoretisch fundiertes und empirisch abgesichertes Curriculum zu entwickeln: Auf Basis der Ergebnisse wird ein berufsbegleitender Masterstudiengang (MAS) in Pädagogik bei Krankheit für den deutschsprachigen Raum (D-A-CH) konzipiert und evaluiert.

Methode und Design des Gesamtprojektes: Das Projekt folgt einem mixed-methods Ansatz, der qualitative und quantitative Forschungsmethoden kombiniert. Dazu gehören:

• Literaturanalyse: Systematische Auswertung bestehender nationaler und internationaler Forschungsergebnisse und Praxiserfahrungen, um ein umfassendes Bild der aktuellen Lage zu zeichnen.

• Dokumentenanalyse bestehender Aus- und Weiterbildungsangebote im Feld einer Pädagogik bei Krankheit

• Online-Fragebogenerhebung und Expert:inneninterviews: Erhebung von Perspektiven und Bedarfen von Klinikschullehrer:innen

• Curriculumentwicklung und Pilotierung: Basierend auf den gewonnenen Erkenntnissen wird ein Curriculum entwickelt und in einer Pilotphase evaluiert.

Erwartete Ergebnisse und praktische Relevanz:

Das Projekt soll durch seine Methodik sowohl theoretische als auch praktische Schlüsse ermöglichen:

• Theoretischer Beitrag: die Erweiterung des professionstheoretischen Modells COAKTIV (Kunter et al. 2011)

• Praktischer Nutzen: Bereitstellung eines empirisch fundierten Curriculums, das zur Professionalisierung von Lehrpersonen beiträgt und langfristig die Bildungsqualität für Schüler:innen mit Erkrankungen verbessert.

Aufbau des Beitrags:

Dieser Beitrag umfasst:

1. Eine systematische Analyse der Desiderata in Forschung und Praxis.

2. Die Darstellung der Fragestellung, Methodik und Ziele des Projekts.

3. Eine Diskussion der theoretischen und praktischen Implikationen, um die Bedeutung des Projekts für Forschung und Praxis aufzuzeigen.

Bibliografie

Bakels, E. (2020). Klinikschulen der Kinder- und Jugendpsychiatrien. Eine rekonstruktive Studie zum professionellen Habitus von Kliniklehrkräften. Wiesbaden: Springer VS.

Castello, A.; Pülschen, S. (2018). Unterricht an Klinikschulen in Schleswig-Holstein. Zeitschrift für Heilpädagogik, 69 (7), S. 327–333.

Elbracht, S., Langnickel, R., Lieberherr, B., Hoanzl, M., & Gingelmaier (2023). Pädagogik bei Krankheit (PbK) als Handlungsfeld der ESE-Pädagogik? Eine wissenssoziologische Diskursanalyse der Pädagogik bei Krankheit. Emotionale und soziale Entwicklung in der Pädagogik der Erziehungshilfe und bei Verhaltensstörungen, 5, 50-69.

Gratzer, P.; Krisemendt, A. (1978). Krankenhausschule – ein Gegenstand sonderp.dagogischer Forschung? Zeitschrift für Heilpädagogik, 29 (2), S. 111–112.

Meiners, J. P.; Krull, J.; Leidig, T. (2023). Spezifische Ausbildung im Arbeitsfeld Pädagogik bei Krankheit? Eine qualitative Interviewstudie mit Lehrkräften an Schulen für Kranke. Zeitschrift für Heilpädagogik, 74 (4), S. 156–168.

Stein, R. (2010). Kranke Kinder in der Regelschule. SchuPS. Zeitung des Arbeitskreises Schule und Psychiatrie, (19), S. 4–11.

Stein, R. (2020). Die Rolle der Pädagogen als Gelingensmerkmal der Arbeit an Schulen für Kranke. SchuPs. Zeitung des Arbeitskreises Schule und Psychiatrie, (29), S. 23–25.

Wienhues, J. (1979). Die Schule für Kranke. Ihre Aufgaben in der pädagogischen und psychosozialen Betreuung kranker Kinder. Rheinstetten: Schindele.

 

Pädagogik bei Krankheit und Spitalschulpädagogik: Ergebnisse einer länderübergreifenden Bestands- und Bedarfsanalyse

Dennis Hövel1, Pierre-Carl Link1, Ankica Jurkic1, Melanie Willke1, Nicola-Hans Schwarzer2, Agnes Turner3, Annett Thiele4, Robert Langnickel5
1Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik (HfH), Zürich, 2Pädagogische Hochschule Heidelberg, 3Universität Klagenfurt, 4Universität Oldenburg, 5Pädagogische Hochschule Luzern

Theoretischer Hintergrund:

Seit den 1970er Jahren wird die Pädagogik bei Krankheit als sonderpädagogisches Handlungsfeld in Deutschland diskutiert (Seifert et al., 1977; Gratzer, 1978; Wienhues, 1982; von Below, 1986; Castello & Pülschen, 2018; Meiners, Krull & Leidig, 2023). Dennoch fehlen bis heute im deutschsprachigen Raum etablierte Aus-, Fort- und Weiterbildungsangebote, um Lehrpersonen auf die besonderen Anforderungen in Spitalschulen vorzubereiten. Diese Einrichtungen stehen vor komplexen Herausforderungen, da erkrankte Schülerinnen und Schüler spezifische pädagogische, didaktische und psychosoziale Unterstützungsformen benötigen (Blanc, 2014; Oelsner, 2013). Es mangelt an systematischer Verankerung entsprechender Qualifizierungswege, klaren institutionellen Zuständigkeiten und evidenzbasierten Konzepten, um die Qualität und Wirksamkeit pädagogischer Arbeit im Kontext von Krankheit nachhaltig zu sichern.

Der vorliegende Beitrag fasst die Ergebnisse einer länderübergreifenden Bestands- und Bedarfsanalyse in Deutschland (D), Österreich (A) und der Schweiz (CH) zusammen. Ziel war es, empirisch fundierte Erkenntnisse darüber zu gewinnen, welche Kompetenzen Lehrpersonen benötigen, welche Angebote bereits existieren und wo zentrale Lücken bestehen. Die Ergebnisse dienen als Grundlage für die Entwicklung eines Curriculums, das primär Lehrpersonen an Spitalschulen aber auch an Regelschulen qualifiziert, erkrankte Schülerinnen und Schüler professionell zu unterstützen.

Methodisches Vorgehen:

Die Studie folgt einem triangulativen Forschungsdesign:

1. Dokumentenanalyse: Untersucht wurden 67 Dokumente zur Ausbildung (D: n=18, A: n=16, CH: n=33) und 21 Dokumente zur Fort- und Weiterbildung (CH: n=18, D: n=3, A: n=2). Ziel war es, bestehende curriculare Strukturen, Standards und Desiderata im Feld der Pädagogik bei Krankheit zu identifizieren.

2. Online-Befragung: 230 Lehrpersonen aus D (68,9%), CH (16,7%) und A (14,4%) nahmen teil. Sie unterrichten in psychiatrischen (n=124), somatischen (n=50), herkunftsschulischen (n=7) oder weiterführenden Kontexten (n=7), teilweise in mehr als einem Bereich. Neben soziodemografischen Angaben erfasste der Fragebogen Kompetenzen, Erfahrungen und Bedarfe im Umgang mit erkrankten Lernenden. Die Daten wurden deskriptiv-statistisch sowie inhaltsanalytisch nach Mayring ausgewertet.

3. Expert:innen-Interviews: Neun leitfadengestützte Interviews (D=5, CH=2, A=2) ergänzten und vertieften die Befragungsergebnisse. Die Auswertung erfolgte mittels fokussierter Inhaltsanalyse (Kuckartz & Rädiker, 2024).

Ergebnisse:

Die Dokumentenanalyse zeigt einen deutlichen Mangel an systematisch verankerten Qualifizierungsangeboten für Pädagogik bei Krankheit. Die Online-Befragung verdeutlicht, dass Lehrpersonen zusätzliche sonderpädagogische, didaktische, medizinische Grundkenntnisse sowie psychosoziale Kompetenzen benötigen, um komplexe Unterstützungsbedarfe angemessen zu adressieren. Darüber hinaus werden fehlende Fortbildungsoptionen, mangelnde curriculare Vorgaben, begrenzte finanzielle Ressourcen und unklare Zuständigkeiten als hinderlich für eine professionelle Weiterentwicklung des Feldes genannt. Die Expert:innen-Interviews bestätigen diese Befunde und unterstreichen die Notwendigkeit interdisziplinärer Ansätze, um Lehrpersonen effektiv zu qualifizieren.

Schlussfolgerungen:

Die Triangulation der Ergebnisse belegt einen dringenden Handlungsbedarf, um Lehrpersonen auf die besonderen Herausforderungen der Pädagogik bei Krankheit vorzubereiten. Ein neu zu entwickelndes Curriculum sollte fachliche Grundlagen, sonderpädagogische Diagnostik, inklusionsorientierte Didaktik, psychosoziale Unterstützung sowie interdisziplinäre Kooperationskompetenzen umfassen. Dadurch können Lehrpersonen befähigt werden, individuelle Bildungsbiografien von erkrankten Schülerinnen und Schülern nachhaltig zu fördern und ihre Teilhabechancen zu verbessern. Die gewonnenen Erkenntnisse liefern sowohl für die Forschung als auch für Bildungspolitik und Praxis einen Orientierungsrahmen, um die Professionalisierung im Bereich der Spitalschulpädagogik zukunftsorientiert zu gestalten.

Bibliografie

Blanc, P. (2014). Schulungsangebote für hospitalisierte Kinder und Jugendliche in der Schweiz aus der Sicht der Leistungserbringer. Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, 20(9), S. 6-12. 

Castello, A., & Pülschen, S. (2018). Unterricht an Klinikschulen in Schleswig-Holstein. Zeitschrift für Heilpädagogik, 69(7), 327-333.

Elbracht, S., Langnickel, R., Born, C., Lehrer, M., & Link, P.-C. (2023). Multiprofessionelle Kooperation als Gelingensbedingung schulischer Inklusion: Zusammenarbeit von Klinikschule, Kinder- und Jugendpsychiatrie und Jugendforensik. Eine theoretische Analyse der Praxis. Sonderpädagogische Förderung heute, 68 (4), 392–406. https://doi.org/10.3262/SZ2304392

Elbracht, S., Langnickel, R., Lieberherr, B., Hoanzl, M., & Gingelmaier (2023). Pädagogik bei Krankheit (PbK) als Handlungsfeld der ESE-Pädagogik? Eine wissenssoziologische Diskursanalyse der Pädagogik bei Krankheit. Emotionale und soziale Entwicklung in der Pädagogik der Erziehungshilfe und bei Verhaltensstörungen, 5, 50-69.

Fesch, K., & Müller, T. (2014). Schule für Kranke in Deutschland – zur heterogenen Situation der Bundesländer im Umgang mit psychisch erkrankten Kindern und Jugendlichen. Zeitschrift für Heilpädagogik, 85(2), 50-59.

Gratzer, P. (1978). Aussprache. Krankenhausschule – ein Gegenstand sonderpädagogischer Forschung? Zeitschrift für Heilpädagogik, 111-112.

Kuckartz, U. & Rädiker, S. (2024). Fokussierte Interviewanalyse mit MAXQDA. Schritt für Schritt. 2. Aufl. Springer.

 

Potenzielle Auswirkungen chronischer Erkrankungen im Schulkontext: Ergebnisse eines Scoping-Reviews

Katja Höglinger1, Nicola Sommer2, Stefanie Elbracht3, Stephan Gingelmaier4, Pierre-Carl Link5, Agnes Turner6, Annett Thiele7, Robert Langnickel8
1Universität Würzburg, 2Pädagogische Hochschule Salzburg, 3Universität zu Köln, 4Pädagogische Hochschule Ludwigsburg, 5Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik (HfH), Zürich, 6Universität Klagenfurt, 7Universität Oldenburg, 8Pädagogische Hochschule Luzern

Theoretischer Hintergrund:

Chronische Erkrankungen sind nicht allein medizinische Herausforderungen; sie betreffen auch die schulische Bildung, soziale Teilhabe sowie die Entwicklung individueller Bildungsbiografien. Aus einer pädagogischen Perspektive ist daher von Interesse, welche schulischen Bedingungen, Anforderungen und Interaktionen durch Erfahrungen im Leben mit einer chronischen Krankheit beeinflusst werden. Erste Befunde (z. B. Walter-Klose & Seiler-Kesselheim, 2024) weisen darauf hin, dass betroffene Schülerinnen und Schüler mit vielfältigen bildungsrelevanten Herausforderungen konfrontiert sein können: von Leistungsbeeinträchtigungen über Probleme beim Nachvollziehen des Unterrichts bis hin zu Spannungen im Verhältnis zu Lehrkräften und Peers. Während therapeutische Interventionen auf medizinische Stabilisierung und Symptomlinderung abzielen, stellt sich aus bildungswissenschaftlicher Sicht die Frage, wie Lernumgebungen und pädagogische Angebote so gestaltet werden können, dass Bildungs- und Teilhabechancen gewahrt bleiben. Auf dieser Grundlage kann eine gezielte Curriculumsentwicklung Lehrkräfte dafür sensibilisieren, chronische Erkrankungen als pädagogisch relevante Faktoren zu erkennen und im Unterricht angemessen zu berücksichtigen.

Fragestellung:

Das vorliegende Scoping-Review untersucht, welche potenziellen Auswirkungen chronische Erkrankungen auf schulische Lernprozesse und soziale Teilhabe von Kindern und Jugendlichen im Schulkontext haben.

Ausgehend von diesem theoretischen Hintergrund untersucht das vorliegende Scoping-Review, welche Erfahrungen Kinder und Jugendliche mit chronischen Erkrankungen im Schulkontext machen und welche bildungsrelevanten Auswirkungen sich hieraus potenziell ergeben.

Design und Methode:

Die Studie folgt dem Ansatz eines internationalen Scoping-Reviews nach PRISMA-ScR (Tricco et al., 2018) und stützt sich auf peer-reviewed Publikationen ab dem Jahr 2020. Ziel ist es, den aktuellen Forschungsstand systematisch zu erfassen und zentrale bildungsrelevante Auswirkungen einer chronischen Erkrankung und ihre Wirkungszusammenhänge zu identifizieren. Nach einer mehrstufigen Suche in relevanten Datenbanken (n = 11536 Treffer nach Anwendung der Suchstrategie) sowie einer mehrstufigen Studienauswahl und der Entfernung von Dubletten (n = 6526) erfolgte ein zweifacher Screening-Prozess durch unabhängige Rater*innen. Zunächst wurden Titel und Abstract gesichtet (n = 213 verbliebene Studien), anschließend ein Fulltext-Screening durchgeführt (n = 110). Eingeschlossen wurden Studien, die differenzierte Einblicke in schulische Auswirkungen chronischer Erkrankungen lieferten. Die finale Auswertung erfolgt vertiefend mittels Thematic Analysis nach Braun und Clarke (2006, 2022), um Muster und Kernthemen herauszuarbeiten und schematisch darzustellen.

Erste Ergebnisse:

Vorläufige Befunde des im Juni 2025 abgeschlossenen Reviews zeigen, dass chronische Erkrankungen mit vielfältigen Herausforderungen im Schulkontext einhergehen können. Dazu zählen Leistungsrückstände, ein erhöhtes Risiko für geringere Bildungsabschlüsse (Bortes et al. 2022), Schwierigkeiten beim Folgen des Unterrichts, bei der Prüfungsvorbereitung sowie beim Erledigen von Hausaufgaben. Hinzu kommen oftmals soziale Spannungsfelder, etwa im Kontakt mit Gleichaltrigen oder Lehrkräften (Kajastus et al. 2023). Diese Befunde verdeutlichen, dass die Erkrankungen nicht nur die individuelle Leistungsfähigkeit, sondern auch die Interaktions- und Teilhabemöglichkeiten im Schulsystem beeinflussen.

Bedeutung für Forschung und Praxis:

Im Tagungsbeitrag werden die finalen Ergebnisse des Scoping-Reviews präsentiert, theoretisch kontextualisiert und methodisch begründet. Auf Basis der identifizierten Wirkfaktoren und Problemfelder werden pädagogische Handlungsfelder aufgezeigt, um Schülerinnen und Schüler mit chronischen Erkrankungen gezielter pädagogisch zu unterstützen. Dies beinhaltet u. a. die Sensibilisierung für die Lebenswelten betroffener Lernender, die Anpassung von Lernsettings, den Einsatz differenzierter Förderstrategien sowie die Stärkung der Kooperationskultur zwischen Lehrkräften, Eltern und medizinischem Fachpersonal.

Abschließend sollen Anknüpfungsmöglichkeiten für die pädagogische Arbeit und Implikationen für die Curriculumsentwicklung diskutiert werden, um angehende Lehrkräfte frühzeitig für die pädagogische Bedeutung von Krankheit zu sensibilisieren und ihnen Handlungsroutinen an die Hand zu geben, die eine inklusive, teilhabefördernde Schulumgebung unterstützen.

Bibliografie

Braun, V. and Clarke, V. (2006). Using thematic analysis in psychology. Qualitative Research in Psychology, 3(2), 77-101. https://doi.org/10.1191/1478088706qp063oa

Braun, Virginia; Clarke, Victoria (2022): Thematic analysis. A practical guide. Los Angeles, London, New Delhi, Singapore, Washington DC, Melbourne: SAGE.

Bortes, C., Nilsson, K., & Strandh, M. (2022). Associations between children's diagnosed mental disorders and educational achievements in Sweden. Scandinavian journal of public health, 50(8), 1140–1147. https://doi.org/10.1177/14034948221089056

Kajastus, K., Haravuori, H., Kiviruusu, O., Marttunen, M., & Ranta, K. (2024). Associations of generalized anxiety and social anxiety with perceived difficulties in school in the adolescent general population. Journal of Adolescence, 96, 291–304. https://doi.org/10.1002/jad.12275

Tricco, A. C., Lillie, E., Zarin, W., O'Brien, K. K., Colquhoun, H., Levac, D., Moher, D., Peters, M. D. J., Horsley, T., Weeks, L., Hempel, S., Akl, E. A., Chang, C., McGowan, J., Stewart, L., Hartling, L., Aldcroft, A., Wilson, M. G., Garritty, C., Lewin, S., … Straus, S. E. (2018). PRISMA Extension for Scoping Reviews (PRISMA-ScR): Checklist and Explanation. Annals of internal medicine, 169(7), 467–473. https://doi.org/10.7326/M18-0850

Walter-Klose, C. and Seiler-Kesselheim, A. (2024). Fachbeitrag: Schüler/innen mit chronisch-somatischen erkrankungen - Ergebnisse einer bundesweiten Befragung zum erleben der Schulsituation. Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete, 93(1), 52-68. https://doi.org/10.2378/vhn2024.art05d

 

Zur Entwicklung eines berufsbegleitenden Mastercurriculums: Spezifische Kompetenzen für eine Pädagogik bei Krankheit

Nicola Sommer1, Mona Meister2, Stefanie Elbracht3, Katja Höglinger4, Robert Langnickel5
1Pädagogische Hochschule Salzburg, 2Hamburger Institut für Pädagogik, 3Universität zu Köln, 4Universität Würzburg, 5Pädagogische Hochschule Luzern

Theoretischer Hintergrund:

Schüler:innen mit chronisch oder akut schweren Erkrankungen stehen vor Entwicklungsaufgaben, die vom üblichen Schulverlauf deutlich abweichen und häufig mit emotionalen, sozialen sowie lernbezogenen Herausforderungen einhergehen (Elbracht et al., 2023; Piegsda et al., 2020). Lehrpersonen an Spitalschulen oder in Regelschulen mit inklusivem Auftrag benötigen daher spezifisches Fachwissen, um Bildungsprozesse dieser Kinder und Jugendlichen professionell zu begleiten und ihnen Teilhabe am schulischen Leben sowie langfristige Bildungschancen zu ermöglichen. Bisher sind einschlägige Inhalte in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung im deutschsprachigen Raum jedoch kaum systematisch verankert. Unter Berücksichtigung der Komplexität des Themenfeldes Pädagogik bei Krankheit ist die Entwicklung eines spezialisierten, länderübergreifenden Curriculums für einen berufsbegleitenden Masterstudiengang (MAS) ein entscheidender Schritt, um den Professionalisierungsbedarf von Lehrpersonen im schulischen Umgang mit erkrankten Lernenden zu decken (Castello & Pülschen, 2018).

Fragestellungen:

Das Projekt zielt darauf ab, zentrale Kompetenzen, Wissensbestände und methodische Fertigkeiten zu identifizieren, die Lehrpersonen im Kontext von Pädagogik bei Krankheit benötigen. Folgende Fragen leiten den Entwicklungsprozess:

1. Welche spezifischen Kompetenzen sollten Lehrpersonen erwerben, um den Anforderungen von Schülerinnen und Schülern mit längerfristigen oder schweren Erkrankungen gerecht zu werden?

2. Welche theoretischen Grundlagen, empirischen Befunde sowie praxisorientierten Konzepte sollten hierfür in das Curriculum einfließen?

Design und Methode:

Die Curriculum-Entwicklung folgt einem mehrstufigen und methodisch triangulierten Vorgehen. Zunächst erfolgte eine systematische Bestands- und Bedarfsanalyse im deutschsprachigen Raum (D, A, CH). Diese umfasst:

• Qualitative Vorstudien: Leitfaden-Interviews mit Lehrpersonen an Klinikschulen in Baden-Württemberg (Deutschland), um erste Kompetenzanforderungen und Unterstützungsbedarfe zu ermitteln.

• Quantitative Erhebungen: Eine breit angelegte Befragung von Lehrpersonen, insbesondere an Klinikschulen, in Deutschland, Österreich und der Schweiz, um den ermittelten Qualifizierungsbedarf zu validieren.

• Dokumentenanalyse: Prüfung bestehender regionaler Curricula und Grundlagendokumente, um vorhandene Konzepte, Standards und Lücken zu identifizieren.

• Vertiefende Expert*innen-Interviews: Gespräche mit Fachexpert*innen (z. B. aus Heilpädagogik, Sonderpädagogik, Schulpsychologie, Medizin) zur Konkretisierung der Gelingensbedingungen für effektive Fort- und Weiterbildungen (Langnickel et al., 2023).

• Scoping Review: Eine systematische Übersichtsstudie zu den Auswirkungen von Krankheit im Schulkontext und den daraus resultierenden pädagogischen Herausforderungen (Höglinger & Sommer et al., in Vorbereitung).

Diese multimodale Datenerhebung ermöglicht eine umfassende Sicht auf die erforderlichen Kompetenzen und Inhalte. Durch iterative Auswertungs- und Abstimmungsprozesse werden die Ergebnisse zu einem kohärenten Curriculumsentwurf verdichtet, der passgenau auf die identifizierten Anforderungen zugeschnitten ist.

Resultate und Bedeutung:

Die aus diesem Prozess abgeleiteten Module und Lerninhalte sollen eine praxisnahe und forschungsbasierte Qualifizierung ermöglichen, welche Lehrpersonen im Feld der Pädagogik bei Krankheit zielgerichtet professionalisiert (Langnickel et al., 2024). Durch die curriculare Verankerung von medizinischen Grundlagen, inklusionsorientierten Didaktiken, psychosozialen Unterstützungsstrategien sowie interdisziplinären Kooperationsformen werden Lehrpersonen befähigt, Lernsettings flexibel anzupassen, erkrankte Schülerinnen und Schüler angemessen zu fördern und damit langfristig deren Bildungs- und Teilhabechancen zu verbessern. Die standortübergreifende und länderkooperative Entwicklung des MAS-Curriculums schafft zudem ein gemeinsames Referenzmodell für die Ausbildung von Lehrpersonen im deutschsprachigen Raum, das den aktuellen Anforderungen an eine zukunftsorientierte Pädagogik bei Krankheit gerecht wird.

Bibliografie

Elbracht, S., Langnickel, R., Lieberherr, B., Hoanzl, M., & Gingelmaier (2023). Pädagogik bei Krankheit (PbK) als Handlungsfeld der ESE-Pädagogik? Eine wissenssoziologische Diskursanalyse der Pädagogik bei Krankheit. Emotionale und soziale Entwicklung in der Pädagogik der Erziehungshilfe und bei Verhaltensstörungen, 5, 50-69.

Castello, A., & Pülschen, S. (2018). Unterricht an Klinikschulen in Schleswig-Holstein. Zeitschrift für Heilpädagogik, 69(7), 327-333.

Langnickel, R., Markowetz, R., Hövel, D., Link, P.-C., Falkenstörfer, S., Hoanzl, M., Elbracht, S. & Gingelmaier, S. (2023). Projektvorstellung „Pädagogik bei Krankheit und Spitalschulpädagogik (Pb-KuS)“. Sonderpädagogische Förderung heute, 4, 430-434.

Langnickel, R., Hövel, D., Gingelmaier, S., Hoanzl, M., Wamsler, F., Markowetz, R., Dos Santos Gomes, L.A., Falkenstörfer, S., Höglinger, K., Schellenberg, C., Willke, C., Turner, A., Rockenbauer, G, Sommer, N., Schwarzer, N.-H., Nolte, T., Schumacher, K., Jagsch-Budschedl, D., Kolb, E., Meister, M., Ebinger, A., Niethammer, H., Walther, K., Elbracht, S. & Link, P.-C. (2024). Pädagogik bei Krankheit und Spitalschulpädagogik (Pb-KuS). Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete, 4. 298-300.

Piegsda, F., Link, P.-C., Rossmanith, S., & Kötzel, A. (2020). Eine Schule für besondere Lebenslagen auf Zeit. Schulische Zentren für Pädagogik bei Krankheit im Kontext von Transitions- und Inklusionsprozessen. Zeitschrift für Heilpädagogik, 71(2), 58-71. 



 
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