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SYMP 40: Mit einer sozialen Netzwerkperspektive professionelle Entwicklung in schulischen Kontexten analysieren: Chancen und Herausforderungen
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Mit einer sozialen Netzwerkperspektive professionelle Entwicklung in schulischen Kontexten analysieren: Chancen und Herausforderungen In der Bildungsforschung besteht Konsens darüber, dass Strukturen sozialer Beziehungen und die Tätigkeiten von Akteur:innen sich wechselseitig bedingen (u. a. Gruber et al., 2018). Zum Beispiel ist es in Schulentwicklungsprozessen zentral, wie die Entwicklungsakteur:innen miteinander in Beziehung stehen und der Ressourcenfluss sichergestellt wird (Wullschleger et al., 2019). Auch bei Professionalisierungsprozessen ist es etwa für den Studienerfolg von Lehrstudierenden bedeutsam, wie diese mit ihren Mitstudierenden vernetzt sind (u. a. Solé et al., 2018). Ausgehend von einer relationistischen Perspektive (White, 2008) lassen sich soziale Strukturen als hochkomplexe Beziehungssysteme beschreiben, weil nicht nur die an Schulentwicklungs- oder Professionalisierungsprozessen direkt beteiligten Akteur:innen relevant sind, sondern auch die indirekt beteiligten Akteur:innen. Diese Komplexität empirisch zu erfassen, stellt eine grosse Herausforderung in der sozialen Netzwerkforschung dar. Ein Netzwerk ist eine Metapher für einzelne Akteur:innen oder Akteursgruppen, die durch direkte oder indirekte Beziehungen miteinander verbunden sind. Es lassen sich egozentrierte Netzwerke und Gesamtnetzwerke unterscheiden. Erstere sind Netzwerke, bei denen die Beziehungen einer Person (Ego) zu anderen Akteur:innen (Alteri) dargestellt werden. In Gesamtnetzwerken interessieren die Beziehungen zwischen allen Akteur:innen (u. a. Gruber et al., 2018). Eine erste breite Nutzung von Netzwerkansätzen in der schweizerischen Bildungslandschaft lässt sich um die 2000er Jahre beobachten. Hier kamen Soziogramme zum Einsatz, mit denen das Beziehungsgefüge vor allem zwischen Schüler:innen einer Klasse untersucht wurde. Seither hat sich die Netzwerkforschung in den quantitativen und qualitativen Methoden sowie in den Visualisierungsmöglichkeiten von Netzwerken rasant weiterentwickelt (u. a. Schuster et al., 2021). Daher lohnt sich ein Blick in aktuelle Forschungsprojekte. Im Symposium stehen die Potentiale und Herausforderung der in den Beiträgen gewählten Methoden sozialer Netzwerkforschung im Fokus: Wie gelingt es, mit diesen Methoden relevante Aspekte sozialer Strukturen zu analysieren? Der erste Beitrag lässt sich in der Schulentwicklungsforschung verorten. Es werden mittels eines quantitativen Forschungsdesigns Kooperationsbeziehungen im Kontext digitalisierungsbezogener Transformation untersucht. Ziel ist es, auf Basis von Gesamtnetzwerken der beteiligten Schulen Schlüsselakteur:innen, sogenannte Promotor:innen, zu identifizieren und herauszuarbeiten, wie diese den Ressourcenfluss zwischen Teilnetzwerken sicherstellen. Der Beitrag kann aufzeigen, dass sich quantitative Methoden der sozialen Netzwerkforschung dafür eigenen, solche für Entwicklungsprozesse bedeutsamen Schlüsselakteur:innen zu identifizieren. Im zweiten Beitrag werden mit qualitativen Netzwerkinterviews Lerngelegenheiten für studienunabhängig unterrichtende Studierende untersucht. Die Forschenden zeigen auf, dass in der Interviewführung die Netzwerkkarten unterstützend waren für die übersichtliche Anordnung und systematischen Beschreibungen relevanter Akteur:innen. Zudem zeigen sich die Potentiale eines qualitativen Zugangs, bei dem ein vertiefter Einblick in persönliche Kooperations- und Lernerfahrungen möglich ist. Im dritten Beitrag wird ein Mixed-Methods-Design verfolgt. Die Forschenden untersuchen, wie sich kooperative Lerngelegenheiten in unterschiedlichen Typen von Schlüsselereignissen des Lernens von Lehrstudierenden im Praktikum unterscheiden. Mittels einer standardisierten PowerPoint-Datei haben die Studierenden Egonetzwerkkarten gezeichnet und besprochen, in denen die relevanten Akteur:innen sowie ihre Unterstützungsleistungen abgebildet sind. Durch dieses methodische Vorgehen kann u. a. aufgezeigt werden, dass nicht nur Akteursgruppen mit formalen Ausbildungsauftrag, sondern auch jene ohne formalen Ausbildungsauftrag bedeutsam sind. Diskutiert werden die Beiträge von Prof. Dr. Nina Bremm. Mit den besprochenen Methoden der sozialen Netzwerkforschung können komplexe soziale Strukturen erfasst und beschrieben werden. Jedoch geben diese Netzwerkstudien einen situativen Einblick in die sozialen Strukturen. Soziale Strukturen sind dynamisch und können sich, etwa durch die Erhebungssituation selbst, bereits einige Tage nach der Datenerhebung verändern. Beiträge des Symposiums Die Rolle von Promotor*innen im digitalisierungsbezogenen Schulnetzwerk Die digitalisierungsbezogene Transformation stellt Schulen vor erhebliche Herausforderungen und erfordert die Kooperation aller beteiligten Akteur*innen (Gerick, J., Eickelmann et al. 2023; Scheiter und Gogolin 2023; Eickelmann et al. 2024; Lorenz et al. 2022; Hasselkuß et al. 2022). Schule muss als „lernende Organisation“ (Senge 1990) die Fähigkeit besitzen, flexibel auf Transformationen zu reagieren, um der Vielzahl und Vielfalt der Entwicklungen gerecht zu werden (Emmerich und Maag Merki 2014; Autenrieth 2024; Lietzke-Schwerm 2020). Dabei spielen Schlüsselakteur*innen digitalisierungsbezogener Schulentwicklung, die Promotor*innen, eine wichtige Rolle (Prasse 2012; Wagner und Gerholz 2022; Gerick et al. 2024). Das Promotor*innenmodell stellt die These auf, dass Innovationsprozesse nicht eigenständig voranschreiten, sondern durch Promotor*innen, die Macht-, Fach-, Prozess- und Beziehungsaktivitäten wahrnehmen, aktiv gefördert werden (Schültz et al. 2014; Witte 1973). Die Machtpromotion verfügt über entscheidungsrelevante Ressourcen, die Fachpromotion bringt technische Expertise mit, die Prozesspromotion steuert den organisatorischen Ablauf und die Beziehungspromotion baut auch außerhalb der Organisation Netzwerke auf (Wagner und Gerholz 2022; Gerick et al. 2024; Schültz et al. 2014). Eickelmann et al. (Eickelmann et al. 2024) fordern, den Fokus auf die Vernetzung von Akteur*innen zu legen, da der kulturelle und didaktische digitalisierungsbezogene Transformationsprozess bislang zu wenig erforscht wurde. Fragestellung: Welche Promotor*innen können im digitalisierungsbezogenen Schulnetzwerk an Einzelschulen identifiziert werden? Design und Methode: Ziel der vorliegenden Studie ist es, Promotor*innen und deren Schlüsselfunktion im Rahmen digitalisierungsbezogener Schulentwicklung mithilfe sozialer Netzwerkanalyse (SNA) zu identifizieren. Bisher haben die Kollegien (n=379) von sechs Gymnasien und einer Gesamtschule in Nordrhein-Westfalen einen Online-Fragebogen zu wahrgenommenen Promotionsaktivitäten und Interaktionshäufigkeiten mit Promotor*innen erhalten (Lin und Lee 2018; Schültz et al. 2014). Es wird untersucht, inwiefern Schlüsselpositionen der Promotor*innen im Netzwerk Zugang zu geeigneten Ressourcen (z.B. Vermittlung von digitalisierungsbezogenen Wissen) ermöglichen (Coburn 2003; Penuel et al. 2009; Moolenaar und Daly 2012; Moolenaar et al. 2014). In den Analysen werden die Zentralitätsmaße “Indegree” (Wie häufig wird eine Lehrkraft als Informationsquelle angegeben?) und “Betweenness” (Welche Lehrkräfte haben einen Broker-Status inne?) betrachtet (Fuhse 2018; Holzer und Stegbauer 2019; Stegbauer und Häussling 2010). Die Methode der SNA bietet vielversprechende Chancen, indem sie soziale Interaktionen visualisiert und gezielte Maßnahmen zur Förderung von Kollaboration ermöglicht (Wullschleger et al. 2023). Sie identifiziert Schlüsselakteur*innen, die als „Brücken“ den Austausch von Ressourcen fördern (Penuel et al. 2009). Zudem dient die SNA als strukturierte Basis für nachfolgende Interviews, die mit den Schlüsselpersonen geführt werden (Penuel et al. 2009). Die Erhebung von Beziehungsdaten gestaltet sich jedoch als herausfordernd (z.B. aus Datenschutzgründen (Tubaro et al. 2021). Resultate und ihre Bedeutung: Erste Analysen zeigen, dass Promotionsaktivitäten im Kontext digitalisierungsbezogener Schulentwicklung identifiziert werden können. Nahezu alle identifizierten Promotor*innen vereinen sämtliche Promotionsaktivitäten in einer Person, was darauf hindeutet, dass zentrale Akteur*innen sowohl technologisches Know-how als auch die Fähigkeit zur Koordination organisatorischer Prozesse besitzen und Entscheidungsprozesse steuern. Die Netzwerkanalysen der Schulen zeigen eine ähnliche Struktur, in der zentrale Promotionsrollen insbesondere von Digitalisierungsbeauftragten und Administrator*innen besetzt werden. Fast alle Promotor*innen sind Mitglieder einer Steuer-/Arbeitsgruppe zum Thema Digitalisierung, was deren Rolle als „Agenten schulischer Reform“ (Berkemeyer und Holtappels 2007) betont. Die Digitalisierungsbeauftragten sind die zentralsten Promotor*innen und fördern die digitale Transformation innerhalb der Schulen aktiv durch hohe Verbindungen (Indegree) sowie eine strategische Vermittlerrolle (Betweenness). Für weitere Schulentwicklungsprozesse stellt sich die Frage, wie die in NRW neu etablierte pädagogisch-didaktische Rolle der Digitalisierungsbeauftragten gezielt präzisiert und unterstützt werden kann, um den kulturellen Wandel sowie die didaktische Transformation an Schulen nachhaltig zu fördern. Zudem muss diskutiert werden, ob die spezifischen Promotionsrollen in der Wahrnehmung des Kollegiums klarer differenziert werden sollten, um die digitale Transformation gezielt durch eine koordinierte Arbeitsteilung und eine fokussierte Ressourcennutzung zu fördern. Bibliografie
Autenrieth, Nina (2024): Digital Leadership und Schulentwicklung. 36 Seiten Seiten / Medienimpulse, Bd. 62 Nr. 1 (2024): Aufgeklärte Medienpädagogik. DOI: 10.21243/mi-01-24-19. Berkemeyer, N.; Holtappels, Heinz G. (Hg.) (2007): Schulische Steuergruppen und Change Management. Weinheim und München: Juventa. Coburn, Cynthia E. (2003): Rethinking Scale: Moving Beyond Numbers to Deep and Lasting Change. In: Educational Researcher 32 (6), S. 3–12. DOI: 10.3102/0013189X032006003. Eickelmann, B.; Gerick, J.; Hauck-Thum, U.; Maaz, K. (2024): Navigator Bildung Digitalisierung. Konzeptionierung und Orientierung zum Stand der digitalen Transformation im schulischen Bildungsbereich in Deutschland. Hg. v. Forum Bildung Digitalisierung e. V. Berlin. Online verfügbar unter https://www.forumbd.de/projekte/navigator-bd/. Emmerich, Marcus; Maag Merki, Katharina (2014): Die Entwicklung von Schule. Theorie - Forschung - Praxis: Julius Beltz GmbH & Co. KG. Fuhse, Jan Arendt (2018): Soziale Netzwerke. Konzepte und Forschungsmethoden. 1. Aufl. Stuttgart: UTB. Gerick, Julia; Kieseler, Janine; Herrmann, Daniel; Eickelmann, Birgit (2024): Schulleitungen als Promotoren. In: MedienPädagogik: Zeitschrift für Theorie und Praxis der Medienbildung, S. 175–194. DOI: 10.21240/mpaed/00/2024.04.17.X. Gerick, J., Eickelmann; B., Rau, M.; Panten, B.; Rothärmel, A.; Gottschalk, T. (2023): Digitalisierungsbezogene Schulentwicklungsprozesse erfolgreich gestalten. Handreichung für die schulische Arbeit zu den Ergebnissen des Forschungsprojekts ‚GuTe DigiSchulen NRW‘. Braunschweig: Technische Universität Braunschweig. Hasselkuß, Marco; Heinemann, Anna; Endberg, Manuela; van Ackeren, Isabell (2022): Kooperative Schulentwicklung im digitalen Kontext. In: MedienPädagogik: Zeitschrift für Theorie und Praxis der Medienbildung 49, S. 420–449. DOI: 10.21240/mpaed/49/2022.10.20.X. Holzer, Boris; Stegbauer, Christian (Hg.) (2019): Schlüsselwerke der Netzwerkforschung. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden (Netzwerkforschung). Lietzke-Schwerm, Nadine (2020): Einfach mal anfangen - Schulentwicklung agil gestalten. In: Jörg Teichert und Britta Ratajczak (Hg.): Digitalisierung: Neue Aufgaben der Schulleitung. Weinheim: Beltz (Pädagogik), S. 86–99. Lin, Warangkana; Lee, Moosung (2018): Linking Network Learning Capacity (NLC) to professional community and organizational learning in an International Baccalaureate (IB) school in Taiwan. In: Journal of Educational Administration 56 (6), S. 620–642. DOI: 10.1108/JEA-10-2017-0150. Lorenz, Ramona; Yotyodying, Sittipan; Eickelmann, Birgit; Endberg, Manuela (2022): Schule digital - der Länderindikator 2021. Lehren und Lernen mit digitalen Medien in der Sekundarstufe I in Deutschland im Bundesländervergleich und im Trend seit 2017. 1. Auflage. Münster: Waxmann. Moolenaar, Nienke M.; Daly, Alan J. (2012): Social Networks in Education: Exploring the Social Side of the Reform Equation. In: American Journal of Education 119 (1), S. 1–6. DOI: 10.1086/667762. Moolenaar, Nienke M.; Karsten, Sjoerd; Sleegers, Peter J. C.; Daly, Alan J. (2014): Linking Social Networks and Trust at Multiple Levels: Examining Dutch Elementary Schools. In: Dimitri van Maele, Patrick B. Forsyth und Mieke van Houtte (Hg.): Trust and School Life. Dordrecht: Springer Netherlands, S. 207–228. Penuel, William; Riel, Margaret; Krause, Ann; Frank, Kenneth (2009): Analyzing Teachers’ Professional Interactions in a School as Social Capital: A Social Network Approach. In: Teachers College Record 111 (1), S. 124–163. DOI: 10.1177/016146810911100102. Prasse, Doreen (2012): Bedingungen innovativen Handelns in Schulen. Funktion und Interaktion von Innovationsbereitschaft, Innovationsklima und Akteursnetzwerken am Beispiel der IKT-Integration an Schulen. Münster, New York, NY, München, Berlin: Waxmann (Empirische Erziehungswissenschaft, Bd. 38). Scheiter, Katharina; Gogolin, Ingrid (Hg.) (2023): Bildung für eine digitale Zukunft. Wiesbaden: Springer VS, Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH (Edition ZfE, Band 15). Schültz, Benjamin; Strothmann, Philipp; Schmitt, Claudia T.; Laux, Lothar (Hg.) (2014): Innovationsorientierte Personalentwicklung. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden. Senge, Peter M. (1990): The fifth discipline. The art and practice of learning organization. [1. ed.]. New York: Doubleday/Currency (A currency book). Online verfügbar unter http://www.loc.gov/catdir/description/random041/90002991.html. Stegbauer, Christian; Häussling, Roger (2010): Handbuch Netzwerkforschung. 1. Aufl. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften / Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, Wiesbaden (Netzwerkforschung, Bd. 4). Tubaro, Paola; Ryan, Louise; Casilli, Antonio A.; D’angelo, Alessio (2021): Social network analysis: New ethical approaches through collective reflexivity. Introduction to the special issue of Social Networks. Recent ethical challenges in social network analysis. In: Social Networks (67), S. 1–8. Wagner, Anne; Gerholz, Karl-Heinz (2022): Promotionsaktivitäten bei der Implementation digitaler Medien an beruflichen Schulen. In: MedienPädagogik: Zeitschrift für Theorie und Praxis der Medienbildung 49, S. 22–47. DOI: 10.21240/mpaed/49/2022.06.21.X. Witte, Eberhard (1973): Organisation für Innovationsentscheidungen;. Das Promotoren-Modell. Göttingen: O. Schwartz (Schriften der Kommission für Wirtschaftlichen und Sozialen Wandel, Bd. 2). Wullschleger, Andrea; Vörös, András; Rechsteiner, Beat; Rickenbacher, Ariane; Maag Merki, Katharina (2023): Improving teaching, teamwork, and school organization: Collaboration networks in school teams. In: Teaching and Teacher Education 121, S. 103909. DOI: 10.1016/j.tate.2022.103909. Unterrichtende ohne Lehrdiplom: Bedeutung sozialer Netzwerke Der Beitrag gibt einen Einblick in erste Resultate eines Pilotprojekts. Im Fokus des Beitrags stehen zwei Sekundarschulen mit dort unterrichtenden Personen ohne Lehrdiplom, deren Begleitpersonen und weitere Personen wie z.B. die Schulleitung. Theoretischer Hintergrund Der Lehrpersonenmangel, der vor allem demographisch begründet ist und gemäss statistischer Prognosen in der Schweiz noch bis 2030 anhalten wird, hat zur Folge, dass vermehrt Personen ohne Lehrdiplom in den Schulen unterrichten (Denzler, 2023). Die Ausbildungen und beruflichen Hintergründe der Unterrichtenden ohne Lehrdiplom, die bisher nicht an einer pädagogischen Hochschule immatrikuliert sind, sind dabei sehr unterschiedlich (vgl. Marusic-Würscher et al., 2024). Meist ist kein Studienabschluss vorhanden, wohl aber zeigen sich vielfach Erfahrungen im pädagogischen Bereich wie z.B. als Klassenassistenz oder Trainer*in einer spezifischen Sportarten (ebd.). Aufgrund dieser verschiedenen Voraussetzungen und den komplexen Anforderungen im Lehrberuf müssen die Unterrichtenden ohne Lehrdiplom auf unterschiedliche Ressourcen zurückgreifen, um die je individuellen Herausforderungen beim Einstieg in das Tätigkeitsfeld Unterrichten zu bewältigen. Die Wahrnehmung und Nutzung von Ressourcen im privaten Umfeld, am Arbeitsort Schule und am Aus- und Weiterbildungsort Hochschule unterstützt das aktive und konstruktive Handeln in den beruflichen Anforderungssituationen (Baker-Doyle & Yoon, 2020) und kann als Sozialkapital verstanden werden (Rehrl & Gruber, 2007). Die Beziehungen in Bezug auf Ressourcenkönnen in einer sozialen Netzwerkkarte sichtbar gemacht werden. Die Netzwerkkarte zeigt somit den personell-strukturellen Aspekt des Sozialkapitals in beruflichen Anforderungssituationen auf (Gamper, 2020). Fragestellung Im Fokus stehen die egozentrierten Netzwerke von Unterrichtenden ohne Lehrdiplom, d.h. deren Vernetzung in Umfang und wahrgenommener Bedeutung für die Bewältigung erlebter Anforderungen und Herausforderungen. Es stellen sich folgende Fragen: • Wie viele (und welche) Personen werden jeweils als Ressource in den Sektoren «Privates Umfeld», «Arbeitsort Schule» und «Aus- und Weiterbildungsort Hochschule» genannt? • Welche Fragen resp. Themen werden mit den einzelnen Personen des Netzwerks wie verhandelt? Design und Methode Im Pilotprojekt wurden zwei Schulen der Sekundarstufe 1 im städtischen Raum mit 3 resp. 5 Personen ohne Lehrdiplom begleitet. Diese 8 Personen wurden anfangs Schuljahr 2024/2025 einzeln zu ihrem sozialen Netzwerk mittels halbstrukturiertem Leitfadeninterview befragt. Als Grundlage diente eine leere Netzwerkkarte mit den drei oben genannten Sektoren. Die Befragten konnten nach Schilderung einer prototypischen Situation mit Unterstützungsbedarf Personen platzieren und dabei festhalten, wie bedeutsam die einzelnen Personen sind (von sehr bedeutsam bis gar nicht bedeutsam) und zu welchen Themen und in welcher Art der Austausch stattfindet. Die Antworten wurden transkribiert und inhaltsanalytisch mit MAXQDA ausgewertet (Kuckartz & Rädiker, 2022). Resultate und ihre Bedeutung Die Resultate zeigen auf, von wem Unterrichtende ohne Lehrdiplom aus welchen Kontexten (privat, Schule, Hochschule) und in welchem Umfang Unterstützung erhalten. Einige dieser Personen sind aktuell an der Pädagogischen Hochschule immatrikuliert, was ihnen ermöglicht, auf die sozialen Ressourcen an der Hochschule zurückzugreifen. In jedem Fall sind die den Berufsalltag begleitenden Schulmentor*innen, wie auch Kolleg*innen aus den Fachteams an den Schulen die zentralen Ansprechpersonen. Methodisch zeigt sich die Schwierigkeit, die qualitativen Interviewdaten und die quantitativen Angaben aus den Netzwerkkarten (Anzahl und Wichtigkeit der platzierten Personen) angemessen begründet aufeinander zu beziehen. So bleibt zu diskutieren, ob aufgrund der Anzahl genannter Personen und der Inhalte der besprochenen Themen allgemein bzw. pro Sektor Rückschlüsse auf die für die Problemstellung adäquate Nutzung von persönlichen Ressourcen zur Erfüllung des Berufsauftrags gezogen werden können. Zu diskutieren ist weiter, inwiefern sich egozentrierte Netzwerke von Personen, die an einer Schule in einer vergleichbaren berufsbiographischen Situation unterwegs sind (z.B. Personen mit Lehrdiplom im ersten Berufsjahr), unterscheiden und ob sich daraus unterschiedliche Strategien zur Bewältigung der Anforderungen im Berufseinstieg erkennen lassen. Bibliografie
Baker-Doyle, K. & Yoon, S.A. (2020). The social side of teacher education: Implications of social network research for the design of professional development. International Journal of Educational Research. 101, 101563 Denzler. (2023). Herausforderung Lehrkräftemangel. Versuch einer Einordnung und Diskussion von Handlungsfeldern. Beiträge zur Lehrerinnen- und Lehrerbildung, 41(3), 369–387. Gamper, M. (2020). Netzwerkanalyse.Eine methodische Annäherung. In Soziale Netzwerke und gesundheitliche Ungleicheiten. Eine neue Perspektive für die Forschung. (S. 109–133). Springer VS. Kuckartz, U., & Rädiker, S. (2022). Qualitative Inhaltsanalyse: Methoden, Praxis, Computerunterstützung: Grundlagentexte Methoden (5. Auflage). Beltz Juventa. Marusic-Würscher, C., Schneider Boye, S., Kosinar, J., Leonhard, T., & Moser, A. (2024). „Wir sagen ihnen liebevoll ‚Poldis‘“ Außergewöhnliche Einstiege in den Lehrberuf im Kanton Zürich. In S. Pichler, A. Frey, L. Holzäpfel, F. Lipowsky, & K. Rincke (Hrsg.), Wie viel Wissenschaft braucht die Lehrer*innenfortbildung – Wege der Professionalisierung. Tagung an der Pädagogischen Hochschule Vorarlberg 2023 (S. 51–62). Rehrl, M., & Gruber, H. (2007). Netzwerkanalysen in der Pädagogik. Ein Überblick über Methode und Anwendung. Zeitschrift für Pädagogik, 53, 2, 243-264. Unterschiede kooperativer Lerngelegenheiten in Schlüsselereignissen des Lernens von Lehrstudierenden im sozialen Netzwerk Schulpraktikum In der Lehrpersonenbildung gelten Praktika als bedeutsam für die Entwicklung professioneller Kompetenzen (König & Rothland, 2018). Aus soziokonstruktivistischer Perspektive (Resnick et al., 1991) ergeben sich für Lehrstudierende kooperative Lerngelegenheiten in der gemeinsamen Bearbeitung beruflicher Aufgaben. Ihre Kompetenzentwicklung wird beeinflusst durch alltägliche kooperative Tätigkeiten mit signifikanten Anderen (z. B. Praxislehrpersonen) und der Relevanz des Kooperationsgegenstandes für das eigene Lernen der Studierenden (Engeström, 1999; Kreis & Brunner, 2022). Solche Lerngelegenheiten werden bezogen auf Unterrichtsbesprechungen untersucht (u. a. Kreis & Staub, 2011) oder weiter gefasst die kooperative Gestaltung berufspraktischer Lerngelegenheiten zwischen Akteur:innen der Hochschule und des Schulfelds (u. a. Beckmann & Ehmke, 2018). Diesen Studien ist gemeinsam, dass Forschende die Akteur:innen (z. B. Praxislehrpersonen und Studierende) und die Themen (z. B. Unterrichtsbesprechungen zu einem spezifischen Fach) ex ante definierten. Bisher fehlte ein explorativer Zugang, in dem Studierende selbst die Akteur:innen beschreiben, mit denen sie während Schlüsselereignissen kooperierten. Schlüsselereignisse sind von den Studierenden ausgewählte Praktikumssituation, die sie als sehr bedeutsam für ihre Kompetenzentwicklung einschätzen. Es wird angenommen, dass sich Schlüsselereignisse hinsichtlich der beteiligten Akteur:innen und der kooperativ ausgeübten Tätigkeiten typologisieren lassen. Im Beitrag wird untersucht, welche Akteur:innen bei welchem Typ von Schlüsselereignis wie kooperativ tätig sind. Im Rahmen einer Teilstudie des vom SNF geförderten Projekts wurde ein mixed-methodisches Erhebungsinstrument zur Erfassung von Lernen in sozialen Netzwerken entwickelt. Mittels einer standardisierten PowerPoint-Datei dokumentierten die Studierenden ihre erlebten Schlüsselereignisse während eines Praktikums (Schritt 1). Anschliessend wählten sie das für sie bedeutsamste Ereignis aus und erstellten für dieses eine persönliche Netzwerkkarte (Schritt 2). In dieser Karte ist die/der Student:in in der Mitte positioniert, die relevanten Akteur:innen sind um sie herum angeordnet (Schritt 2.1). Die räumliche Distanz zwischen der Studentin oder dem Studenten und den weiteren Akteur:innen stellt deren Bedeutsamkeit für die eigene berufspraktische Kompetenzentwicklung dar (strukturiert mit drei konzentrischen Kreisen; sehr bedeutsam [Wert = 3], ziemlich bedeutsam [2] und bedeutsam [1]) (Schritt 2.2). Zusätzlich beschrieben die Studierenden in Stichworten die Unterstützungstätigkeiten der entsprechenden Akteur:innen (Schritt 2.3). Im letzten Schritt (Schritt 3) stellten sich die Studierenden zu zweit ihre Netzwerkkarten vor und zeichneten dies mit der in PowerPoint integrierten Audiofunktion auf. Daten liegen von 188 Studierenden der Primarstufe vor (Rücklauf: 75%; Bachelor; 4. Semester), welche im Frühjahrssemester ein vierwöchiges Praktikum absolvierten (Kohorte 1: 2022; Kohorte 2: 2023). Ausgewertet werden die Daten mit einer strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse (Kuckartz & Rädiker, 2022) in MAXQDA. In jeder der 188 Netzwerkkarten (Schritte 2 & 3) wurden 1 bis 8 Akteur:innen eingetragen (M = 2.69; SD = 1.14). Die meisten Studierenden (82 %) nennen ihre Praxislehrperson, 53 % Mitstudierende in derselben Klasse und 52 % Schüler:innen. Nur selten werden Schulleitende und Eltern (je 2 % der Studierenden) sowie Bekannte und Verwandte der Studierenden (1 %) erwähnt. Am bedeutsamsten werden von den Studierenden ihre Praxislehrperson (M = 2.54; SD = 0.65) und ihre Schüler:innen (M = 2.54; SD = 0.64) eingeschätzt. Die Schlüsselereignisse lassen sich nach Tätigkeiten in drei Typen gliedern: Unterrichtstätigkeiten (n = 154; z. B. Klassenführung), Tätigkeiten in Hinblick auf Kooperation (n = 17; z. B. Teamteaching) und Tätigkeiten bezüglich der Rekonstruktion der eigenen beruflichen Identität (n = 17; z. B. eigenen Unterrichtstil finden). Bis zum Kongress sind vergleichende Analysen zu den aufgeführten Akteursgruppen, deren Bedeutsamkeitseinschätzungen sowie deren Unterstützungstätigkeiten abgeschlossen. Diese Studie gibt einen detaillierten Einblick in vielfältige kooperative Lerngelegenheiten von Lehrstudierenden während eines Praktikums aus deren eigener Perspektive. Darüber hinaus liefert sie neue Ideen für den methodischen Diskurs der Mixed-Methods Social Networks Analysis (Fröhlich, et al., 2020). Insbesondere die Kombination der Netzwerkkarten mit den Audiodateien (Schritt 3) erzeugt eine dichte, die visuellen Daten vertiefende Informationsquelle. Bibliografie
Beckmann, T. & Ehmke, T. (2018). Kooperation von Lehrkräftebildnern im Langzeitpraktikum – Tandems und Fachnetze aus universitären und schulpraktischen Lehrenden. Lehrerbildung auf dem Prüfstand, 11(1), 168–185. Engeström, Y. (1999). Activity theory and individual and social transformation. In Y. Engeström, R. Miettinen & R.-L. Punamäki (Hrsg.), Perspectives on Activity Theory (S. 19–38). Cambridge; England: Cambridge University Press. Verfügbar unter: https://doi.org/10.1017/CBO9780511812774.003 Fröhlich, D. E., Rehm, M., & Rienties, B. C. (Hrsg.). (2020). Mixed methods social network analysis. Theories and methodologies in learning and education. Routledge. König, J. & Rothland, M. (2018). Das Praxissemester in der Lehrerbildung: Stand der Forschung und zentrale Ergebnisse des Projekts Learning to Practice. In J. König, M. Rothland & N. Schaper (Hrsg.), Learning to Practice, Learning to Reflect? Ergebnisse aus der Längsschnittstudie LtP zur Nutzung und Wirkung des Praxissemesters in der Lehrerbildung. Springer. Kreis, A. & Brunner, E. (2022). Berufspraktische Lehrpersonenbildung als Tätigkeit in sozialen Netzwerken: Theoretischer Rahmen und methodische Konzeption für eine interdisziplinäre Analyse aus allgemein- und mathematikdidaktischer Perspektive. In T. Leonhard, T. Royar, M. Schierz, C. Streit, & E. Wiesner (Hrsg.), Schul- und Berufspraktische Studien und die Fachdidaktiken. Verhältnisbestimmungen—Methoden—Empirie (Bd. 7, S. 179–201). Waxmann. Kreis, A. & Staub, F. C. (2011). Fachspezifisches Unterrichtscoaching im Praktikum. Eine quasiexperimentelle Interventionsstudie. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 14(1), 61–84. Kuckartz, U. & Rädiker, S. (2022). Qualitative Inhaltsanalyse. Methoden, Praxis, Computerunterstützung (5. Auflage). Weinheim: Beltz Juventa. Resnick, L., Levine, J. & Teasley, S. (Hrsg.). (1991). Perspectives on socially shared cognition. American Psychological Association. Diskussion Diskussion Bibliografie
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