Veranstaltungsprogramm

Sitzung
SYMP 31: Lehrer:in-Werden in der Diversität schulischer Anerkennungsordnungen
Zeit:
Freitag, 04.07.2025:
10:00 - 11:45

Chair der Sitzung: Tobias Leonhard
Ort: Seminarraum 2.A13


Präsentationen

Lehrer:in-Werden in der Diversität schulischer Anerkennungsordnungen

Chair(s): Tobias Leonhard (Pädagogische Hochschule Zürich, Schweiz)

Diversität wird im Call zur SGBF-Tagung 2025, aber auch im Fachdiskurs in erster Linie als Vielfalt personenbezogener Kategorisierungen wie Race, Class oder Gender einer bestimmten Gruppe gefasst. In Bezug auf Professionalisierungsprozesse von Lehrer:innen stehen Lehrpersonen so z.B. in Kategorisierungen wie ‘mit Migrationshintergrund’ (Akbaba 2017) oder ‘ohne Lehrdiplom’ (Marusic et al. 2024) im Zentrum.

Ziel des Symposiums ist es, diese personenbezogene Betrachtung durch eine relationale Perspektivierung zu erweitern. Denn erst in Relation zu anderen Menschen, aber auch den entsprechenden sozialen Rahmungen erhalten Dimensionen von Diversität erst Relevanz.

Im SNF-Projekt «Trajektorien im Lehrberuf. Subjektivierung in schulischen Anerkennungsordnungen (TriLSA)» (2025-2028) wird der Prozess des Lehrer:in-Werdens nach Abschluss des Studiums in den ersten Berufsjahren mit einem ethnografischen und qualitativ-rekonstruktiven Zugang untersucht. Unter Bezugnahme auf Arbeiten zur Schulkultur (Helsper 2008; 2015) verfolgen wir darin die leitende Fragestellung, wie und in welchen sozialen Konfigurationen die (bildungs)biografischen Ausgangslagen von Lehrer:innen in den ersten Berufsjahren im Zusammenspiel mit der jeweiligen Schulkultur und den darin etablierten Anerkennungsordnungen zu subjektivem und objektivem Berufserfolg führen können.

Anhand von Daten aus dem Vorprojekt stellen wir im Symposium jeweils kontrastierende Daten zu drei einschlägigen Konfigurationen der Arbeit von Lehrer:innen vor, die zeigen, wie divers biografische Ausgangslagen, aber auch die fachunterrichtlichen Ordnungen, die Zusammenarbeit mit Eltern und die Unterstützungsaktivitäten im Berufseinstieg sind.

Im Symposium zielen wir darauf ab zu zeigen, dass die pauschale normative Rahmung von Diversität als «Chance» den Blick auf das gesamte Spektrum von Ausdrucksgestalten und Effekten von Diversität im Lehrberuf verstellt. Mit der auf Deskription zielenden methodisch geleiteten Rekonstruktion werden in einem ersten Schritt die Komplexität, aber auch die Zufälligkeit sozialer Konfigurationen und damit zusammenhängend auch unterschiedliche Intensitäten und Qualitäten sozialer und sachbezogener Auseinandersetzung deutlich. Unter der normativen Perspektive gelingenden Lernens im Unterricht, gelingender Kooperation mit Eltern oder gelingender Unterstützung im Berufseinstieg zeigen die Rekonstruktionen aber auch, wie die entstandenen Konfigurationen für alle Beteiligten zur Chance, aber auch zur Belastung werden können.

 

Beiträge des Symposiums

 

«Die Macht des Zeigens» – Zur Bedeutung fachlichen Könnens

Katharina Lüthi
Pädagogische Hochschule Zürich

Fachliches Können macht Unterschiede. Dieser Aussage wird im Beitrag aus einer praxeologisch-subjektivierungstheoretischen Perspektive (vgl. Leonhard, 2024; Lüthi, 2024) in pädagogischen Kontexten nachgegangen. Den Ausgangspunkt bilden Daten aus einer Längsschnittstudie, in der Trajektorien von Kindergarten- und Primarlehrpersonen im Verlauf des dreijährigen Bachelorstudiums und von vier Jahren im Berufseinstieg untersucht werden. Anhand von zwei Fallporträts wird herausgearbeitet, wie unterschiedlich sich pädagogische Handlungsfähigkeit als fachliche Agency entwickelt und welchen Impact diese auf das Lernen der Schülerinnen und Schüler hat.

Theoretischer Hintergrund: Die Untersuchung pädagogischer Handlungsfähigkeit schliesst an Forschungsperspektiven an, in denen menschliches Werden als Subjektivierung gefasst wird. Die Subjektivierungsforschung hat sich in jüngster Zeit mit einer grossen Vielfalt und Heterogenität entwickelt (vgl. Bosančić, 2022, S. 47). Zwei Ansätze fundieren das methodische Vorgehen. Der erste orientiert sich an vor allem in der Erziehungswissenschaft situierten differenztheoretischen Perspektiven und fokussiert die Analyse von Lernkulturen als Anerkennungsordnungen in diskursiven Praktiken (vgl. Wrana, 2015) sowie Praktiken der Adressierung (vgl. Kuhlmann, 2023; Leonhard, Güvenç, Leonhard & Müller, 2023; Otzen & Rose, 2021; Ricken, Rose, Kuhlmann & Otzen, 2017; Rose & Ricken, 2018; Rose, 2019). Der zweite knüpft an das Interpretative Paradigma der Soziologie an, das Subjektivierung als Wechselspiel von diskursiv konstituierten Subjektvorstellungen (Subjektpositionen) und Bezugnahmen darauf (Selbst-Positionierungen) begreift (vgl. Bosančić, 2019, S. 46). Die Verknüpfung beider Ansätze ist einerseits damit begründbar, dass beide von einer situierten Agency ausgehen und somit davon, dass der «‹Grad› an Handlungsspielräumen oder das ‹Ausmass› an Agency» […] empirisch ausgelotet werden müssen» (Bosančić, 2022, S. 68).

Fragestellungen: Die übergeordnete Fragestellung «Wie entsteht pädagogische Handlungsfähigkeit?» wird mit drei Teilfragestellungen untersucht. Erstens interessieren Entscheidungen im Lebensablauf der Lehrpersonen, zweitens jene bei der Unterrichtsgestaltung und drittens Zusammenhänge zwischen biographischen und pädagogischen Entscheidungsmodi.

Design und Methode: Die Fallporträts basieren auf autobiographisch-narrativen Interviews zum Studienbeginn sowie auf Audiodaten zu Unterrichts- und Gesprächssituationen im Verlauf des Lehrer:in-Werdens, die im Zuge ethnographischer Feldforschung dokumentiert wurden. Praktiken des Entscheidens werden als diskursive Praktiken reformuliert und mit der biographisch situierten Adressierungsanalyse (bsA) analysiert (vgl. Lüthi, 2024; 2025). Das methodische Verfahren orientiert sich an den von Schütze beschriebenen Auswertungsschritten des autobiographisch-narrativen Interviews (vgl. 1983; 2016) und integriert für die Wissensanalyse sowie für die Analyse von Unterrichtssituationen heuristische Kategorien der Subjektivierungsanalyse (vgl. Wrana, 2015, Rose & Ricken, 2018; Brodersen, 2022). Differenzielle Figuren im Zusammenspiel zwischen dem Eigenen und dem Anderen (vgl. Wrana, 2015) bilden den Kern der Rekonstruktion des fachlichen Könnens, von dem nicht nur eine Macht des Zeigens, sondern auch des Nichtzeigens für das Lernen der Schülerinnen und Schüler (vgl. Prange, 2012a; b) ausgeht.

Ergebnisse und ihre Bewertung: Mit dem Einblick in zwei Trajektorien kann gezeigt werden, dass sich biographische Gesamtformungen durch spezifische Entscheidungsmodi konstituieren, die sich bei der Unterrichtsgestaltung fortsetzen. In der Kontrastierung der zwei Fälle zeigen sich planvolle und inkrementalistische Strategien im Umgang mit der Komplexität von (fachlichen) Anforderungen (vgl. Schimank, 2022), die in Anbetracht des Zusammenspiels von situativen Anforderungen und biographischem Kapital angemessen sind. Zur Diskussion steht, was diverse Zeigepraktiken für die fachliche Weiterbildung von Lehrpersonen bzw. für die Unterstützung des fachlichen Könnens von Schülerinnen und Schülern bedeuten, sollten sich die vorläufigen Befunde erhärten, dass diese nicht nur in engem Zusammenhang mit der sozialen Herkunft stehen, sondern sich im Berufsverlauf auch verstetigen.

Bibliografie

Bosančić, S. (2019). Die Forschungsperspektive der Interpretativen Subjektivierungsanalyse. In A. Geimer, S. Amling & S. Bosančić (Hrsg.), Subjekt und Subjektivierung: Empirische und theoretische Perspektiven auf Subjektivierungsprozesse (43–64). Springer VS.

Bosančić, S. (2022). Von ‹starken› und ‹schwachen› Subjekten: Subjektivierungsforschung zwischen interpretativen und differenztheoretischen Perspektiven. In S. Bosančić, F. Brodersen, L. Pfahl, L. Schürmann, T. Spies & B. Traue (Hrsg.), Following the Subject: Grundlagen und Zugänge empirischer Subjektivierungsforschung – Foundations and Approaches of Empirical Subjectivation Research (S. 45–72). Springer.

Kuhlmann, N. (2023). Adressierungsanalyse als Zugang zur Subjektivierungsforschung: Methodologisch-methodische Weiterentwicklungen und Werkstattbericht. In N. Ricken, N. Rose, A. S. Otzen & N. Kuhlmann (Hrsg.), Die Sprachlichkeit der Anerkennung: Subjektivierungstheoretische Perspektiven auf eine Form des Pädagogischen. Unter Mitarbeit von Henning Röhr und Anne Lill (S. 68–111). Beltz Juventa.

Leonhard, T. (2024). Professionalisierung in der Studieneingangsphase? Eine praxistheoretisch fundierte Untersuchung zur Reichweite dieser konzeptionellen Idee. In M. Kowalksi, A. Leuthold-Wergin, M. Fabel-Lamla, P. Frei & B. Uhlig (Hrsg.), Professionalisierung in der Studieneingangsphase der Lehrer:innenbildung: Theoretische Perspektiven und empirische Befunde (57–73). Klinkhardt.

Leonhard, T., Güvenç, E., Leonhard, M. & Müller, A. (2023). Adressierungsanalyse als Methode der Forschung zur Lehrpersonenbildung. Systematische Schärfungen und methodische Varianten [83 Absätze]. Forum Qualitative Sozialforschung/ Forum: Qualitative Social Research, 24(3), Art. 6. https://doi.org/10.17169/fqs-24.3.3992

Lüthi, K. (2024). «Ich bin extrem gut angekommen.» Biographisch fundierte Subjektpositionierungen zum Studienbeginn. In M. Kowalksi, A. Leuthold-Wergin, M. Fabel-Lamla, P. Frei & B. Uhlig (Hrsg.), Professionalisierung in der Studieneingangsphase der Lehrer:innenbildung: Theoretische Perspektiven und empirische Befunde (S. 91–109). Klinkhardt.

Lüthi, K. (2025). „Wir können ja mal schauen, ob das geht…“: Zweifel am Planungsimperativ Pädagogischer Hochschulen. In T. Leonhard (Hrsg.), Lehrer:in-Werden – Trajektorien in den Lehrberuf. (S. 287–369) Klinkhardt.

Otzen, A. & Rose, N. (2021). Was bringt die Adressierungsanalyse zum Sprechen? Ein subjektivierungstheoretischer Zugang zu schulischen Praktiken. In D. Fischer, K. Jergus, K. Puhr & D. Wrana (Hrsg.), Wittenberger Gespräche/Theorie und Empirie: Erkenntnisproduktion zwischen Theoriebildung und empirischen Praxen (1. Auflage, S. 102–121). Martin-Luther-Universität.

Prange, K. (2012a). Die Zeigestruktur der Erziehung: Grundriss der Operativen Pädagogik (2., korrigierte und erweiterte Auflage). Ferdinand Schöningh.

Prange, K. (2012b). Erziehung als Handwerk: Studien zur Zeigestruktur der Erziehung. Ferdinand Schöningh.

Ricken, N., Rose, N., Kuhlmann, N. & Otzen, A. (2017). Die Sprachlichkeit der Anerkennung: Eine theoretische und methodologische Perspektive auf die Erforschung von «Anerkennung». Vierteljahresschrift für wissenschaftliche Pädagogik, 93(3), 193–235.

Rose, N. (2019). Erziehungswissenschaftliche Subjektivierungsforschung als Adressierungsanalyse. In A. Geimer, S. Amling & S. Bosančić (Hrsg.), Subjekt und Subjektivierung: Empirische und theoretische Perspektiven auf Subjektivierungsprozesse (S. 65–85). Springer VS.

Rose, N. & Ricken, N. (2018). Interaktionsanalyse als Adressierungsanalyse – eine Perspektive der Subjektivationsforschung. In M. Heinrich & A. Wernet (Hrsg.), Rekonstruktive Bildungsforschung. Rekonstruktive Bildungsforschung: Zugänge und Methoden (1. Auflage 2018, S. 159–175). Springer VS.

Schimank, U. (2022). Entscheiden: Ein soziologisches Brevier. Springer VS.

Schütze, F. (1983). Biographieforschung und narratives Interview. Neue Praxis, 13(3), 283–293.

Schütze, F. (2016). Biographieforschung und narratives Interview. In F. Schütze (Hrsg.), Studien zur qualitativen Bildungs-, Beratungs- und Sozialforschung. Sozialwissenschaftliche Prozessanalyse: Grundlagen der qualitativen Sozialforschung (S. 55–73). Barbara Budrich.

Spies, T. (2019). Subjekt und Subjektivierung: Perspektiven (in) der Biographieforschung. In A. Geimer, S. Amling & S. Bosančić (Hrsg.), Subjekt und Subjektivierung: Empirische und theoretische Perspektiven auf Subjektivierungsprozesse (87–110). Springer VS.

Wrana, D. (2015). Zur Analyse von Positionierungen in diskursiven Praktiken: Methodologische Reflexion anhand von zwei Studien. In S. Fegter (Hrsg.), Interdisziplinäre Diskursforschung. Erziehungswissenschaftliche Diskursforschung: Empirische Analysen zu Bildungs- und Erziehungsverhältnissen (S. 123–141). Springer VS.

 

Diversität der Adressierungen im Kooperationsgebot zwischen Lehrer:innen und Eltern

Salome Schneider Boye
Pädagogische Hochschule Zürich

Mit dem Berufseinstieg werden Eltern zu einer zentralen Referenzgruppe für Lehrer:innen. Nach ersten Kontaktpunkten wie Begrüssungsbriefen oder am ersten Schultag bilden „speziell die ersten Elternabende, wenn Eltern an einer neuen Schule oder in einer neuen Konstellation (z.B. nach der Neuzusammensetzung von Schulklassen) zum ersten Mal als Kollektiv angesprochen werden und sich als Gruppe neu konstituieren müssen“ (Paseka 2016, S. 100) einen Anlass, in dem das Verhältnis zu Eltern ausgestaltet wird. Unter subjektivierungstheoretischer Perspektive sind Elternabende von besonderer Bedeutung, weil in diesem institutionellen Teilauftrag der Elternzusammenarbeit Positionierungen und Relationen einen öffentlichen Raum erlangen und die weitere Zusammenarbeit prägen können. Während zwischen Erwachsenen und Kindern ein quasinatürliches intergenerationales Verhältnis zum Ausdruck kommt, in dem mit «gesellschaftlich-generationalen Ordnung(svorstellungen) korrespondierende Blicke auf das Kind, d.h. Kindheitsbilder, [re]produziert» werden (Bühler-Niederberger & Sünker, 2006), ist das intergenerationale Verhältnis zwischen Eltern und Lehrer:in weniger eindeutig definiert.

Vier Elternabende von berufseinsteigenen Lehrpersonen, die im Rahmen des Dissertationsvorhabens im Projekt TriLSA erhoben wurden ersten, stehen im Zentrum des Vortrags. Sie wurden im Modus teilnehmender Beobachtung dokumentiert, die Audioaufnahmen transkribiert und adressierungsanalytisch rekonstruiert (Rose & Ricken 2018, Kuhlmann 2023). Dabei wurde die jeweilige situative Anerkennungsordnung unter der Fragestellung herausgearbeitet, wie sich die Situation definiert, wie sich die Lehrer:innen zu den Eltern und Schüler:innen positionieren und relationieren und welches Selbstverhältnis der berufseinsteigenden Lehrpersonen bezogen auf Eltern(zusammenarbeit) zum Ausdruck kommen.

Sichtbar werden damit nicht nur grundverschiedene Weisen, einen solchen Anlass zu gestalten, sondern auch unterschiedliche Selbst- und Anderenverhältnisse der Lehrer:innen, z.B. bezogen auf das Schüler:innen und Eltern als erziehungsfähig, bzw. erziehungsbedürftig. Entsprechend nehmen die Elternabende nicht nur unterschiedliche Verläufe, sondern es zeichnet sich auch ab, dass die Anerkennungsordnungen nicht nur von der Lehrer:in, sondern auch von einigen Eltern mindestens markiert werden.

Bibliografie

Bühler-Niederberger, D., Sünker, H. (2006). Kinder, Kindheiten, Konstruktionen. Erziehungswissenschaftliche Perspektiven und sozialpädagogische Verortungen. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Kuhlmann, N. (2023). Adressierungsanalyse als Zugang zur Subjektivierungsforschung: Methodologisch-methodische Weiterentwicklungen und Werkstattbericht. In N. Ricken, N. Rose, A. S. Otzen & N. Kuhlmann (Hrsg.), Die Sprachlichkeit der Anerkennung: Subjektivierungstheoretische Perspektiven auf eine Form des Pädagogischen. Unter Mitarbeit von Henning Röhr und Anne Lill (S. 68–111). Beltz Juventa.

Paseka, A. (2016). Elternabende als Ort der Herstellung von Kooperationen? Eine kritische Reflexion mit Hilfe der Dokumentarischen Methode. In Ch. Lähnemann et al. (Hrsg.), Professionelle Kooperation in und mit der Schule. Erkenntnisse aus der Praxisforschung (S. 99-113). Münster: Monsenstein und Vannerdat.

Rose, N. & Ricken, N. (2018). Interaktionsanalyse als Adressierungsanalyse – eine Perspektive der Subjektivationsforschung. In M. Heinrich & A. Wernet (Hrsg.), Rekonstruktive Bildungsforschung. Rekonstruktive Bildungsforschung: Zugänge und Methoden (1. Auflage 2018, S. 159–175). Springer VS.

 

Zur Diversität der Unterstützung im Berufseinstieg – Berufseinführung zwischen Eigenständigkeitserwartung und (der Zuschreibung von) Unterstützungsbedürftigkeit

Tobias Leonhard
Pädagogische Hochschule Zürich

Die Berufseinstiegsphase stellt nicht nur im Lehrberuf eine anspruchsvolle und «sensible Phase» (Keller-Schneider & Hericks 2022, S. 1245) dar. Im Vortrag nehmen wir eine «sozialisationsorientierte Perspektive» (ebd., S. 1237) auf diese Phase ein und konkretisieren die darin stattfindenden Prozesse subjektivierungs- und anerkennungstheoretisch. Entsprechend gehen wir davon aus, dass Berufseinsteiger:innen mit dem Eintritt in einen spezifischen schulischen Kontext – zu Teilnehmenden in schulischen «Anerkennungsordnungen» (Helsper 2008, 2015) werden. In diesen bereits existierenden Ordnungen werden den «Neuen» insbesondere in der Phase des Berufseinstiegs spezifische Positionen zugewiesen, und die «Etablierten» (Pille 2013) positionieren sich ihrerseits. Dieses Positionierungs- und Anerkennungsgeschehen untersuchen wir in wechselseitigen Akten der Adressierung (Reh & Ricken 2012) unter der Frage, welche Selbstverhältnisse den Berufseinstiegenden in dieser Phase nahegelegt und welche «Normen der Anerkennbarkeit» (Reh & Rabenstein 2012) seitens der Etablierten darin aufgerufen werden.

Der Berufseinstieg wird in der Schweiz zwar kantonal durchaus heterogen, aber in der Summe doch als begleitungsbedürftig betrachtet und daher in verschiedenen Formaten in den Anstellungen an den Schulen vor Ort, aber auch durch externe Angebote z.B. der Pädagogischen Hochschulen unterstützt. Im Kanton Zürich findet diese Unterstützung vor Ort durch sog. Fachbegleitungen statt, also Lehrer:innen, die für den Zeitraum von 2 Jahren mandatiert und bezahlt sind, die Berufseinsteigenden im Übergang vom Studium in den Beruf zu begleiten. Mit der Kontinuität der Arbeit der Fachbegleitung mit den Berufseinsteigenden wird plausibel, dass in den regelmässigen Gesprächen anlässlich der Fragen und Antworten die schulische Anerkennungsordnung wirksam wird.

Im TriLSA-Projekt konnten nun mehrere Gespräche berufseinsteigender Forschungsteilnehmer:innen mit ihrer Fachbegleitung dokumentiert werden.

Im Vortrag werden Ausschnitte aus zwei dieser Gespräche vorgestellt, die wir unter der Frage rekonstruiert haben, inwieweit sich der definitorisch eindeutige «Beginn der eigenverantwortlichen Berufstätigkeit» (Keller-Schneider & Hericks 2022, S. 1232) im Berufseinstieg auch als soziale Praxis belegen lässt. Konkret fragen wir, ob und ggf. wie die Berufseinsteigenden in den Gesprächen als Unterstützungsbedürftige positioniert werden und sich selbst als solche positionieren, aber auch, wie und in welchem Modus den Berufseinsteigenden Unterstützungsangebote unterbreitet und Ansprechbarkeit signalisiert werden.

Wir prüfen in beiden Fällen auch, ob und, wenn ja, wie sich das grundsätzlich argumentierbare «Innovationspotenzial von Berufseinsteigenden, die ‚auf der Höhe der Zeit‘ […] ausgebildet sind», empirisch in den untersuchten Gesprächen realisiert, ob die Berufseinsteigenden also «als Protagonisten des Neuen» (ebd.) wirksam werden können.

Die Daten wurden dazu adressierungsanalytisch rekonstruiert (Reh & Ricken 2012, Rose & Ricken 2018, Kuhlmann 2023).

Bibliografie

Literaturverzeichnis

Helsper, W. (2008). Schulkulturen - die Schule als symbolische Sinnordnung. Zeitschrift für Pädagogik 54 (1), 63–80.

Helsper, W. (2015). Schulkultur revisited: Ein Versuch, Antworten zu geben und Rückfragen zu stellen. In J. Böhme, M. Hummrich & R.-T. Kramer (Hrsg.), Schulkultur (S. 447–500). Wiesbaden VS: Springer.

Keller-Schneider, M. & Hericks, U. (2022). Berufseinstieg. In T. Hascher, T.S. Idel & W. Helsper (Hrsg.), Handbuch Schulforschung (S. 1231-1250). Wiesbaden: Springer VS.

Kuhlmann, N. (2023). Adressierungsanalyse als Zugang zur Subjektivierungsforschung. Methodologisch-methodische Weiterentwicklungen und Werkstattbericht. In N. Ricken, N. Rose, A. Otzen & N. Kuhlmann (Hrsg.), Die Sprachlichkeit der Anerkennung. Subjektivierungstheoretische Perspektiven auf eine Form des Pädagogischen (S. 68–111). Weinheim: Beltz Juventa.

Pille, T. (2013). Das Referendariat. Eine ethnographische Studie zu den Praktiken der Lehrerbildung. Bielefeld: transcript.

Reh, S. & Rabenstein, K. (2012). Normen der Anerkennbarkeit in pädagogischen Ordnungen. In N. Ricken & N. Balzer (Hrsg.), Judith Butler: Pädagogische Lektüren (S. 225–246). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Reh, S. & Ricken, N. (2012). Das Konzept der Adressierung. Zur Methodologie einer qualitativ-empirischen Erforschung von Subjektivation. In I. Miethe & H.-R. Müller (Hrsg.), Qualitative Bildungsforschung und Bildungstheorie (S. 35–56). Opladen: Barbara Budrich.

Rose, N. & Ricken, N. (2018). Interaktionsanalyse als Adressierungsanalyse - eine Perspektive der Subjektivationsforschung. In M. Heinrich & A. Wernet (Hrsg.), Rekonstruktive Bildungsforschung (S. 159–175). Wiesbaden: Springer.