Veranstaltungsprogramm

Sitzung
SYMP 16: Übergänge als Herausforderung für Diversität und Inklusion
Zeit:
Freitag, 04.07.2025:
10:00 - 11:45

Chair der Sitzung: Federica Hofer
Chair der Sitzung: Mirella Walker
Ort: Seminarraum 2.A07/2.A10

Doppelraum (72 Pätze)

Diskutantin: Claudia Schellenberg, HfH

Präsentationen

Übergänge als Herausforderung für Diversität und Inklusion

Chair(s): Federica Hofer (Pädagogische Hochschule Luzern), Mirella Walker (Pädagogische Hochschule Luzern)

Dieses Symposium untersucht die Herausforderungen, die Übergangsphasen in Bildungsverläufen für Diversität und Inklusion mit sich bringen. Übergänge – etwa innerhalb der Regelschule im Kontext von Schulinseln, von einer Sonderschulklasse in eine Regelschulklasse oder von der Sekundarschule in die berufliche Grundbildung – werden in der Regel von Entscheidungsprozessen begleitet. Diese Entscheidungen basieren häufig auf den Vorstellungen der beteiligten Akteur*innen, die stark durch tradierte Normen und Werte der Gesellschaft geprägt sein können. Infolgedessen werden in Übergangsphasen oftmals traditionelle Denkmuster gefestigt, anstatt sie kritisch zu hinterfragen oder zu erweitern.

Im Kontext non-normativer Übergänge (im Brahm, 2020) kann dies beispielsweise dazu führen, dass bestehende soziale Praktiken sowie Zuschreibungen und Haltungen die Reintegration von Schüler*innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf in Regelschulklassen behindern und damit Inklusion erschweren. Bei normativen Übergängen, wie dem Einstieg in die Berufswelt, kann die Wirkung stereotyper Vorstellungen dazu führen, dass die Auswahl potenzieller Berufsfelder von vornherein stark eingeschränkt wird (Gottfredson, 2005), wodurch die horizontale Segregation auf dem Arbeitsmarkt weiter fortbesteht.

Die Beiträge dieses Symposiums analysieren nicht nur, wie tradierte Vorstellungen und soziale Praktiken in Übergangsphasen Bildungs- und Teilhabechancen limitieren und einer diverseren Gesellschaft entgegenstehen. Sie stellen auch Ansätze vor, wie Übergänge genutzt werden können, um zur Dekonstruktion gesellschaftliche Denkmuster anzuregen und sie aufzubrechen, anstatt sie zu zementieren. Im Fokus stehen dabei Strategien, die stärker auf wissenschaftliche Erkenntnisse und empirische Daten setzen, statt auf stereotype oder tradierte Vorstellungen und Meinungen.

Im ersten Beitrag wird der non-normative Übergang der Reintegration von der Sonderschule an die Regelschule fokussiert. Vorgestellt wird ein Forschungsprojekt, in welchem die Reintegrationsprozesse von sechs Kindern und Jugendlichen qualitativ untersucht wurden. In den Gesprächen mit den reintegrierten Kindern und Jugendlichen, den Eltern sowie den beteiligten schulischen Akteur*innen der Sonder- und der Regelschule wurden von den Gesprächspartner*innen unterstützende als auch erschwerende Bedingungen bei Reintegrationsprozessen identifiziert. Die dahinterliegenden Wert- und Normvorstellungen sowie Zuschreibungsprozesse beeinflussen dabei mit, ob eine Reintegration realisiert wird, und sollen im Beitrag kritisch diskutiert werden.

Der zweite Beitrag beschäftigt sich mit Schulinseln als Orte des Übergangs in Schulen. Schulinseln sind seit 2008 in der Schweizer Bildungslandschaft dokumentierbar. Sie dienen unterschiedlichen pädagogischen Zielen. Oft geht es darum, SchülerInnen auffangen zu können, die aus verschiedenen Gründen nicht im Unterricht verbleiben können. Betont wird häufig, dass es sich bei Schulinseln nicht um Dauer- sondern flexible Übergangslösungen handelt und die Rückkehr in die Klasse im Fokus steht. Vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Diskussionen rückt derzeit besonders der Wunsch der Entlastung von Lehrpersonen in den Vordergrund. Im Beitrag werden bisher erarbeitete empirische Erkenntnisse zu diesem Phänomen vorgestellt und quantitative sowie qualitative Forschungsausblicke zu Schulinseln als Orte des Übergangs innerhalb von Schulen diskutiert.

Der dritte Beitrag beleuchtet den Übergang von der Sekundarschule in die Berufswelt. Während das Geschlechterverhältnis in der Schule meist ausgeglichen ist, dominieren in der beruflichen Ausbildung oft stark geschlechtsspezifische Muster. Jugendliche orientieren sich häufig an Feldern, in denen ihr eigenes Geschlecht überrepräsentiert ist. Der Fokus des Beitrags liegt auf der Rolle impliziter Assoziationen als Ursache dieser stabilen horizontalen Segregation. Ziel des vorgestellten Projekts ist es, Jugendlichen ihre unbewussten Denkmuster bewusst zu machen, die ihren Berufswahlhorizont einschränken, und Strategien zu vermitteln, um diesen gendersensibel zu erweitern.

Nach einer kurzen Einführung ins Symposium werden die drei Einzelbeiträge präsentiert. Direkt im Anschluss daran können jeweils projektspezifische Fragen geklärt und diskutiert werden. In der Schlussdiskussion besteht sowohl die Möglichkeit, weitere vertiefende Fragen zu den Einzelbeiträgen zu stellen, als auch die übergeordnete Fragestellung des Symposiums zu diskutieren.

 

Beiträge des Symposiums

 

Die Reintegration - im Spannungsfeld von Zuschreibungen und dem Anspruch auf Inklusion

Federica Hofer
Pädagogische Hochschule Luzern

Kinder und Jugendliche haben in ihrer Schullaufbahn mehrere Übergänge zu bewältigen, die vom Schulsystem entsprechend vorgesehen sind. Gleichzeitig können auch Übergänge in der schulischen Laufbahn auftreten, die von den institutionell vorgesehenen Wegen abweichen; sogenannte non-normative Übergänge (im Brahm, 2020). Reintegrationen von der Sonderschule an die Regelschule sind unter diese Kategorie zu fassen. Bisher wurden Reintegrationen im Schweizer Kontext nur selten realisiert - sie gelten sie als Einzelfälle - und sind kaum wissenschaftlich untersucht (BfS, 2021; Snozzi et al., 2023).

Im Projekt «Teil- und Reintegration als Einzelfall?» an der Pädagogischen Hochschule Luzern wurden deswegen die Reintegrationsprozesse von sechs Kindern und Jugendlichen qualitativ untersucht. Im Zentrum standen die Fragestellungen, (1) wie der jeweilige Prozess der Teil- und Reintegration aus Sicht der daran beteiligten Personen beschrieben wird, und (2) welche übergreifenden Gelingensbedingungen und Barrieren von den Beteiligten identifiziert wurden. Dazu wurden Expert*innengespräche in Kleingruppen mit den reintegrierten Kindern und Jugendlichen, den Eltern sowie den beteiligten Personen der Sonder- und der Regelschule geführt. Die Transkripte wurden entlang der beiden Fragestellung mittels qualitativer Inhaltsanalyse ausgewertet: Zum einen mit Fokussierung auf die fallbezogenen Angaben zur Prozessgestaltung, zum anderen wurden fallübergreifende Bedingungen betrachtet, welche die Reintegrationsprozesse unterstützten oder erschwerten.

Da die Entscheidungen über eine Reintegration auch von den Zuschreibungen, sozialen Praxen und Haltungen der beteiligten Personen beeinflusst werden, sollen im Beitrag einzelne der identifizierten Bedingungen vorgestellt und entsprechend einer kritischen Betrachtung unterzogen werden. Dabei interessieren insbesondere jene Aussagen, die auf zementierte Wert- und Normvorstellungen als auch nicht-wissenschaftliche Konzepte hindeuten und sich dadurch auf die Umsetzung von Reintegrationen – im Sinne der Realisierung einer inklusiven und diversen Schule – nachteilig auswirken.

Bibliografie

Bundesamt für Statistik (BfS) (2021). Übergänge und Verläufe in der obligatorischen Schule. Längsschnittanalysen im Bildungsbereich. BfS.

Im Brahm, G. (2020). (Individuelle) Übergänge im Schulsystem begleiten und gestalten – pädagogische Herausforderungen. In Thiersch, S., Silkenbeumer, M. & Labede, J. (Hrsg.), Individualisierte Übergänge. Aufstiege, Abstiege und Umstiege im Bildungssystem (S. 275-296). Springer VS.

Snozzi, R., Zurbriggen, C. & Müller, C. (2023). School transfers in special education: frequency, direction, and timing of transfers between different school settings. European Journal of Special Needs Education, DOI: 10.1080/08856257.2023.2207056

 

Schulinseln als Orte des Übergangs in Schulen

Xenia Müller, Verena Muheim
Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik

Schulinseln können seit 2008 in der Schweizer Bildungslandschaft dokumentiert werden, sind bisher aber nicht flächendeckend in der obligatorischen Schule anzutreffen. Der Begriff «Schulinsel» ist mittlerweile zum Sammelbegriff für verschiedene Konzeptionen alternativer Lernorte in Schulen avanciert, hat sich aber als weit verbreitete Bezeichnung etablieren können.

Schulinseln dienen unterschiedlichen pädagogischen Zielen und sind entsprechend unterschiedlich pädagogisch ausgerichtet sowie finanziell wie personell verschieden ausgestattet. Da bisher noch kein übergeordnetes Bildungskonzept existiert, entwickeln Schulen ihre je eigenen Betriebskonzepte. Oft geht es - wie eine erste quantitative Befragung von Schulleitungen zeigt (Muheim, et al., 2022) - darum, Schüler:innen aufzufangen, die aus verschiedenen Gründen nicht im Unterricht verbleiben können. Genannt werden darunter auch Unterrichtsstörungen durch Schüler:innen oder besondere Förderbedürfnisse, wobei die Palette der Gründe für einen Besuch einer Schulinsel sehr breit ist. Betont wird allerdings häufig, dass es sich bei Schulinseln nicht um Dauer- sondern flexible Übergangslösungen handelt und die Rückkehr in die Klasse priorisiert wird (Muheim et al, 2023). Vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Diskussionen zur Schule und ihren Belastungsgrenzen, rückt derzeit besonders der Wunsch der Entlastung von Lehrpersonen in den Vordergrund. Aktuell existieren noch keine wissenschaftlichen Befunde, die Wirksamkeiten von Schulinseln nachweisen könnten. Unklar ist zudem, ob Schüler:innen Schulinseln respektive verwandte Formate ebenfalls als Entlastung erleben oder ob für sie auf andere Weise Belastung entsteht. Dennoch beschreiben sowohl Schulleitungen wie auch Schulinselleitungen diverse Erträge, die durch das Implementieren von Schulinseln feststellbar seien. Im Beitrag wird auf bisher erarbeitete quantitative wie auch qualitative empirische Erkenntnisse zu diesem Phänomen Bezug genommen und daraus resultierende Forschungsausblicke zu Schulinseln als Orte des Übergangs innerhalb von Schulen vorgestellt und diskutiert.

Bibliografie

Muheim, V., Link, P.-C., Krauss, A., & Röösli, P. (2023). «Es ist keine Ferieninsel […] aber auch kein Alcatraz» – Inhaltsanalytische Rekonstruktionen zu Gemeinsamkeiten und Unterschieden von Schulinseln in der Schweiz. Zeitschrift ESE 5(5),70-89. (Link auf die Publikation)

Muheim, V., Krauss, A., Link, P.-C., Röösli, P., & Hövel, D. C. (2022). «Schulinseln» in der Schweiz – Ergebnisse der ersten Forschungsetappe einer explorativ angelegten empirisch-quantitativen Untersuchung zu Verbreitung, Funktion und Implementation im Bildungswesen.Sonderpädagogische Förderung heute,67(4):414–30.(Link auf den open access-Artikel)

 

Implizite Assoziationen als Herausforderung für Diversität in der Berufsausbildung

Mirella Walker, Rahel Niklaus
Pädagogische Hochschule Luzern

Die Berufswahlentscheidung ist eine wichtige Weichenstellung im Leben von Jugendlichen. Obwohl den Jugendlichen nach Abschluss des 3. Zyklus eine riesige Bandbreite an Berufen zur Verfügung steht, entscheiden sich nach wie vor die meisten Jugendlichen für einen Beruf, in dem ihr Geschlecht stark übervertreten ist. Junge Frauen finden insbesondere Berufe aus dem medizinischen und sozialen Bereich (z.B. Fachfrau:mann Gesundheit, Medizinische:r Praxisassistent:in), junge Männer Berufe aus dem technischen Bereich (z.B. Informatiker:in, Elektroinstallateur:in) attraktiv (gfs.bern, 2023).

Dieser Beitrag nimmt implizite genderstereotype Assoziationen von Jugendlichen als Ursache für die genderstereotype Einschränkung des Berufswahlhorizonts in den Fokus (Gottfredson, 2005). Solche impliziten Assoziationen können im Widerspruch zu expliziten Überzeugungen stehen (z.B. McConnell, Rydell, Strain, & Mackie, 2008), das Denken und Verhalten und somit Entscheidungen von Individuen aber dennoch unbemerkt und massgeblich beeinflussen (z.B. Greenwald & Banaji, 1995). Im Kontext der Berufswahl prägen implizite genderstereotype Assoziationen von Jugendlichen sowohl ihre Vorstellungen von verschiedenen Berufen als auch ihre Vorstellungen von sich selbst, insbesondere ihre Einschätzungen von ihren Fähigkeiten und Interessen. Entsprechend beeinflussen implizite Assoziationen entscheidend, wie die Jugendlichen die Passung zwischen sich und verschiedenen Berufen beurteilen.

Das vorgestellte Projekt zielt darauf ab, diese unbeabsichtigte Verengung des Berufswahlhorizonts aufzubrechen, indem es die Jugendlichen einerseits für ihre impliziten Assoziationen sensibilisiert und ihnen andererseits Strategien vermittelt, die eine bewusstere Einschätzung der Passung zwischen ihren Interessen und Fähigkeiten und den Anforderungen verschiedener Berufe ermöglichen. Dieses Vorgehen bietet nicht nur Chancen auf individueller, sondern auch auf gesellschaftlicher Ebene: Berufswahlentscheidungen prägen langfristig die Zusammensetzung verschiedener Berufsgruppen. Ein Aufbrechen genderstereotyper Muster könnte dazu beitragen, die Vielfalt an Perspektiven und Talenten in verschiedenen Tätigkeitsfeldern zu fördern und dadurch Diversität und Inklusion nachhaltig zu stärken.

Bibliografie

gfs.bern (2023). Nahtstellenbarometer 2023. https://cockpit.gfsbern.ch/de/cockpit/nahtstellenbarometer- 2023/

Gottfredson, L. S. (2005). Applying Gottfredson's theory of circumscription and compromise in career guidance and counseling. In S. D. Brown & R. W. Lent (Eds.), Career development and counseling: Putting theory and research to work (pp. 71–100). Wiley.

Greenwald, A. G., & Banaji, M. R. (1995). Implicit social cognition: Attitudes, self-esteem, and stereotypes. Psychological Review, 102, 4–27.

McConnell, A. R., Rydell, R. J., Strain, L. M., & Mackie, D. M. (2008). Forming implicit and explicit attitudes toward individuals: Social group association cues. Journal of Personality and Social Psychology, 94(5), 792–807.