Veranstaltungsprogramm

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Sitzungsübersicht
Sitzung
Ad-Hoc-Gruppen: Mobilität(en) der Krise?!
Zeit:
Dienstag, 04.07.2023:
13:30 - 15:00

Chair der Sitzung: Angela Pohlmann, Universität Hamburg
Ort: TC. 5.16 Seminarraum

https://campus.wu.ac.at/de/

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Präsentationen

Ambivalenzen pandemischer Mobilitätsbeschränkungen

Clara Terjung

Universität Mainz, Deutschland

Während der Corona-Pandemie haben staatliche Infektionsschutzmaßnahmen sowohl die Makro- wie die Mikromobilität von Menschen drastisch beschnitten, um die Eigenmobilität des Virus (seine Übertragungswege) nicht durch die Bewirtungs- und Transportfähigkeit menschlicher Körper zu unterstützen. Körper wurden auf Abstand gehalten, Begegnungen unterbunden, Arbeit ins Home verlegt, Zugänge und Einreisen kontrolliert, Menschen in Quarantäne gehalten usw. Dadurch haben sich mobilitätsbezogene Ungleichheiten verstärkt oder neu herausgebildet und verschoben.

Mein Vortrag fokussiert vor dem Hintergrund eines DFG-Projektes die Ambivalenzen solcher Mobilitätsbeschränkungen. So brachte die Pflicht zum Homeoffice nicht nur Privilegien der geringeren Ansteckungswahrscheinlichkeit hervor, sie konnte auch zur Überlastung durch Rollenentdifferenzierung im Home führen. Die Notwendigkeit zu pendeln und körperlich am Arbeitsplatz zu erscheinen, konnte als gefährliche Zwangsmobilität oder als befreiende Flucht aus den eigenen vier Wänden erlebt werden. Privilegiert war, wer sich aussuchen konnte, ob zuhause oder woanders gearbeitet wird. Ebenso konnte die Abschirmung von Kranken oder Alten in Pflegeeinrichtungen von diesen als Zwangsisolation empfunden oder als notwendige Schutzmaßnahme begrüßt werden. Für Kinder konnten geschlossene Bildungseinrichtungen mehr Gestaltungsfreiheit über ihren Tagesablauf, aber auch eine radikale Einschränkung ihres Soziallebens und auch gesteigerte Gewaltrisiken im beengten Familienleben bedeuten. So wurden Personen in Pflegeeinrichtungen von Geschützten zu dort Isolierten, das dortige Personal von Schützenden zu Gefährdenden für die ‚Insassen‘, aber auch für ihre privaten Hausgemeinschaften, weil sie zwangsweise ‚Außenkontakte‘ hatten.

Ich werde solche Ambivalenzen am Fall der staatlichen Begründung von Mobilitätsbeschränkungen in bayerischen Landesverordnungen empirisch illustrieren und aufzeigen, wie darin Fragen von Schutzbedürftigkeit und Gefährdung verhandelt wurden.



Krisennarrative und die Routinisierung von Grenzgewalt

Nina Perkowski

Universität Hamburg, Deutschland

In den letzten zwei Jahrzehnten haben Krisennarrative und -deklarationen gesellschaftliche Debatten über europäische Migrationspolitiken maßgeblich geprägt. Auch derzeit haben Krisenerzählungen Konjunktur: So warnte der EVP-Vorsitzende und stellvertretende CSU-Parteivorsitzende Manfred Weber kürzlich, dass Europa in eine neue Migrationskrise schlafwandele, während die italienische Regierung einen sechsmonatigen Ausnahmezustand für das gesamte Staatsgebiet mit Verweis auf einen Anstieg von Bootsankünften erklärte. Dieser Beitrag nimmt Krisenerklärungen in Bezug auf Migrationsbewegungen in Europa und ihre Auswirkungen in den Blick. Beispielhaft wird untersucht, wie Frontex, die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache, die Verbreitung von Krisennarrativen seit seiner Entstehung vorangetrieben hat. Konkret werden vier Momente zwischen 2006 und 2015 analysiert, in denen Krisen in Bezug auf europäische Grenzen ausgerufen wurden. In diesen inszenierte sich Frontex wiederholt als potenzielle Lösung für vermeintliche Migrationskrisen und etablierte sich mit der Zeit als zentraler, europäischer Lösungsansatz für ebensolche, was wiederholt ein institutionelles Wachstum der Agentur zur Folge hatte.

Auf Grundlage der empirischen Analyse wird argumentiert, dass Dichotomien zwischen Krise und Routine oder Krise und Normalität in Debatten um europäische Migrationspolitiken so weit aufgelöst wurden, dass es unsinnig erscheint, von Routinezuständen zu sprechen, die durch Krisenmomente unterbrochen werden. Jedoch lässt sich konzeptionell zwischen „akuten Krisen“ und „anhaltenden Krisen“ unterscheiden. Beide Arten der Krisenerzählung koexistieren und sind eng miteinander verbunden. Beide stellen Migrant:innen als invasiv und undeserving dar. Diese Sichtweise lässt die soziopolitischen, historischen, geografischen und wirtschaftlichen Bedingungen außer Acht, die zu einer erhöhten Mobilität führen. Zudem assoziiert sie Migrant:innen mit Terrorist:innen, Kriminellen oder anderen gefährlichen „Anderen“. In der Praxis sind es jedoch Krisennarrative selbst, die Gewalt ermöglichen: Ihre Routinisierung in der Grenzpolitik ging mit einer Routinisierung von Gewalt einher, um vermeintlichen Ausnahmesituationen beizukommen. So stärken Krisennarrative die Annahme, dass Grenzgewalt unabdingbar ist, um die Bedrohung einer invasiven Gewalt von außerhalb Europas abzuwenden.



Eine relationale Perspektive auf (nicht)-solidarischer Mobilisierungen im Kontext der Migration

Mustafa Aksakal1, Philipp Wolfesberger2

1Universität Bielefeld, Fakultät für Soziologie; 2Universität Bielefeld, Center for InterAmerican Studies

Im Angesicht multipler Krisen im Kontext von Neokolonialismus, interner und internationaler bewaffneter Konflikte oder ökologischer Transformationen gewinnen multidirektionale Migrations- und Fluchtbewegungen zunehmend an Bedeutung. Dabei können potenzielle Migrant*innen die ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen (z. B. ökonomisches und soziales Kapital) einsetzen, um Krisen in ihrem Herkunftsort zu begegnen. Jedoch sind es keineswegs nur die mobilen Menschen, die sich über ihre Kapitalien in Bewegung setzen, sondern auch Menschen und Gruppen, die ihnen in Transit- und Ankunftsregionen begegnen. Diese Mobilisierungen bedienen sich oftmals den diskursiven Gegensätzen und Abgrenzungsmechanismen, die im Migrations-Krisen-Nexus eingeschrieben sind. Gegenwärtig sind Solidaritätsbekundungen gegenüber Migranten*innen ebenso präsent wie ablehnende oder fremdenfeindliche Haltungen. Diese kontroversen Formen der Begegnung von Neuankömmlingen und den damit verbundenen Mobilisierungen werden in der einschlägigen Literatur oftmals getrennt diskutiert, wobei die aufkommenden Dynamiken oftmals im Dunkeln verborgen bleiben. Ebenso lassen sich nur sehr wenige Studien finden, die unterschiedliche Regionen des globalen Nordens und Südens zusammen in den Blick nehmen. Das Ziel dieses Beitrags ist zweigeteilt: Einerseits soll der Begriff der sozialen Mobilisierung sozialwissenschaftlich und interdisziplinär beleuchtet und damit theoretisch ausgebaut werden. Andererseits sollen solidarische und nicht-solidarische Mobilisierungsformen konzeptualisiert werden. Dabei werden sie nicht als ein binäres Verhältnis in Form von Für/Wider-Polen analysiert, sondern vielmehr werden die Interaktionszusammenhänge und Bezugnahmen in der sozialen Praxis zwischen den gegensätzlichen von Mobilisierungstypen genauer betrachtet. Im ersten Schritt wird das Verhältnis zwischen Mobilität und Mobilisierung interdisziplinär definiert und eingerahmt. Im zweiten Schritt wird das relationale Verhältnis von (nicht-) solidarischen Praktiken theoretisch greifbar gemacht. In einem dritten Schritt verdeutlichen Fallbeispiele zu sozialen Mobilisierungspraktiken in Form von öffentlichen Debatten und Aktivismus in Europa und den Amerikas unseren Konzeptualisierungsversuch.



Klimabewusstsein oder neue Routinen? Flugverkehr und Krise

Larissa Schindler

Universität Bayreuth, Deutschland

Trotz der zunehmenden digitalen Kommunikationsmöglichkeiten und trotz des Wissens um die hohe Umweltbelastung stieg das Passagieraufkommen im Flugverkehr bis 2019 stetig an. Viele soziale Prozesse schienen (trotz aller Bedenken) das physische Zusammentreffen von Menschen und damit das Reisen von Körpern zu erfordern. John Urry (2003, 156ff.) entwickelte dafür den Begriff der meetingness; Bettina Heintz (2014) konstatierte (aus systemtheoretischer Perspektive) eine Eigenqualität von Interaktionssystemen, die die Verbindlichkeit gemeinsamer Entscheidungen stärke. Gerade auch bei touristischen Unternehmungen schien physische Anwesenheit kaum ersetzbar.

Erst die Pandemie brachte einen ernsthaften Einbruch der Passagierzahlen, der (noch) nicht vollständig aufgehoben ist. So konstatiert etwa der Jahresbericht des deutschen Flughafenverbandes (ADV) für 2022 ein intensives Wachstum gegenüber 2021, gleichzeitig aber eine Differenz von fast 35% gegenüber dem „Vorkrisenniveau“ (ADV Dez 2022, 2). Auch die Statistik der Internationalen Luftverkehrs-Vereinigung (IATA) kommt zu ähnlichen Befunden. Es bleibt also offen, ob Flugreisen ihre frühere Attraktivität wieder gewinnen oder der Mythos doch gebrochen wurde und neue Routinen des Zusammenseins entstehen.

Vor diesem Hintergrund beschäftig sich mein Vortrag mit dem Zusammenhang von Krisen und Mobilität: Offensichtlich hatte einerseits die Pandemie (vorübergehend) einen starken Effekt auf die Flugfahrt. Zumindest aus der Sicht der Fluglinien und benachbarter Infrastrukturunternehmen ist so eine Krise (insbesondere des Passagieraufkommens) entstanden, die nun langsam nachlässt. Andererseits stellt die Thematik der Umwelt- und Energiekrisen diese Entwicklung in ein anderes Licht: Der Rückgang des Luftverkehrs hatte also gleichzeitig positive Effekte auf die Umwelt, die nun wieder in Frage stehen. Und das, obwohl die Möglichkeiten digitaler Kommunikation massiv ausgebaut worden waren, sodass die Notwendigkeit des physischen Reisens in einigen Bereichen noch stärker als vor der Pandemie in Frage steht. Welchen spezifischen Wert hat also „meetingness“ in einer „post-Corona“-Gesellschaft in einer Energie-Krise und welche Form von Mobilität(en) sind erforderlich? Worin besteht die spezifische Attraktivität des Fliegens und in welchen komplexen Formen gerät die Luftfahrt in Krisen?



 
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