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Sitzungsübersicht
Sitzung
AGS 160: Umgang mit der Plattformabhängigkeit: Pragmatismus, Fatalismus und Überforderung in der Zusammenarbeit
Zeit:
Donnerstag, 28.09.2023:
9:00 - 10:30

Ort: Raum 1

Raum 1.010

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Präsentationen

Umgang mit der Plattformabhängigkeit: Pragmatismus, Fatalismus und Überforderung in der Zusammenarbeit

Chair(s): Franziska Heller (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg)

Unsere Alltagswelt ist geprägt von der Abhängigkeit von medialen Plattformen, deren Infrastrukturen vielseitige Angebote und Erleichterungen unterbreiten, jedoch auch Überforderung, Fatalismus und Ohnmacht bei denen auslösen können, die sie nutzen oder sich in ihrem Umfeld orientieren müssen. Plattformen, so Srnicek (2017), sind nicht nur „digital infrastructures that enable two or more groups to interact“. Sie positionieren sich auch als zentrale Intermediäre, „that bring together different users: customers, advertisers, service providers, producers, suppliers, and even physical objects.“ (ebd.). Mit der Ausbildung einer Medienkultur entlang der Logiken von Plattformisierung (Nieborg/Poell 2018) haben sich infrastrukturelle Transformationen ergeben, die zu gesellschaftlichen und individuellen Angleichungsprozessen beitragen. Dabei sind Plattformunternehmen wie Alphabet/Google, Meta/ Facebook, Apple, Amazon und Microsoft (gen. The Big Five) zu „guardians of a societal infrastructure“ (van Dijck et al. 2019) aufgestiegen, die die Bedingungen für weite Teile westlicher Onlinemedien diktieren. Auf Basis eigener, intransparenter Kontrollmechanismen haben sie gesellschaftliche Vermittlungs- und Regulierungsfunktionen in der digital-vernetzten Medienkultur an sich gezogen. Van Dijck et al. (2019) sprechen von einem Wandel hin zu Plattformgesellschaften, die sich nur in einem von den Big Five kontrollierten konnektiven Ökosystem entfalten können. Die dabei virulenten Abhängigkeiten von digitalen Plattformen werden im Panel auf Ebene der involvierten Institutionen (Stollfuß) sowie aus zwei unterschiedlichen (End)Nutzer*innenperspektiven (Einwächter; Waldecker/Hoffmann) behandelt und so ein multiperspektivischer Blick auf die vielfältigen Verstrickungen geworfen, welche aus der nicht immer freiwilligen Zusammenarbeit mit Plattformen resultieren.

 

Beiträge des Symposiums

 

funk und Social Media: Zur Plattformabhängig öffentlich-rechtlicher Medien

Sven Stollfuß
Universität Leipzig

Prozesse der Plattformisierung durchdringen öffentlich-rechtliche Medien (ÖRM) nachhaltig (Stollfuß 2021). In Plattformgesellschaften nehmen sie eine sekundierende Funktion im Ökosystem der Big Five ein. So wird eine einseitige Abhängigkeit forciert, die zu einem Anpassungszwang an Plattformbedingungen führt (vgl. auch Nieborg/Poell 2018). Für ÖRM bedeutet das einen Bedeutungsverlust, der zu gesteigerter Konkurrenz mit Plattformen führt, jedoch innerhalb der Kommunikationsräume von Drittplattformen (van Es/Poell 2020). Dabei richten sich ÖRM nach einem durch Unternehmen modellierten Plattformprinzip. Van Es und Poell (2020: 2) haben dies als platform imaginaries bezeichnen: ÖRM „organize their activities in relation to platform algorithms, interfaces, data infrastructures, moderation procedures, business models, user practices, and audiences“ (ebd.: 3). Der Vortrag diskutiert dies anhand des ARD/ZDF-Contentnetzwerks funk und der Plattformabhängigkeit der Netzwerk-Formate – und damit dem institutionellen sowie medienpolitischen Eingeständnis von Plattformen „as a structural prerequisite that enables PSM [Public Service Media] to serve its public demand“ (Stollfuß 2022).

Nieborg, D. B., T. Poell (2018): The Platformization of Cultural Production. New Media & Society 20(11): 4275–4292.

Srnicek, N. (2017): Platform Capitalism. Cambridge: Polity Press.

Stollfuß, S. (2022): Platformization as a Structural Dimension for Public Service Media in Germany. Television & New Media (OnlineFirst): 1–19.

Stollfuß, S. (2021): The Platformisation of Public Service Broadcasting in Germany. Critical Studies in Television 16(2): 126‒144.

Van Dijck, J., D. N., T. Poell (2019): Reframing Platform Power. Internet Policy Review 8(2): 1–18.

Van Es, K., T. Poell (2020): Platform Imaginaries and Dutch Public Service Media. Social Media & Society 6(2): 1‒10.

Sven Stollfuß, Prof. Dr. Professor für Medienwandel am Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft der Universität Leipzig. Dort leitete er von 10/2019 bis 03/2023 das DFG-Forschungsprojekt „Social TV in der digital-vernetzten Medienkultur“. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen in den Bereichen Plattformisierung der Buch- und Medienkultur; Medienwandel digitaler und partizipativer Produktions- und Publikationskulturen; sowie Fernsehen, Soziale Medien und Social TV.

 

Series Fatigue: Lossagungen aus der Abhängigkeit von Serien und Streaming-Plattformen

Sophie G. Einwächter
Philipps-Universität Marburg

Ausgehend vom Phänomen der ,Serienmüdigkeit‘, welches im Kontext der teils unüberschaubaren Fülle konsumierbaren Materials auf Streaming-Plattformen bei Rezipient*innen zunehmend zu beobachten ist, stellt der Beitrag die Frage nach dem Ende von Fandom im Zeitalter der Plattform-bedingten Intransparenz. Eine ethnografische Untersuchung mit qualitativen Interviews bringt vielfältige Momente der Überforderung, Hilflosigkeit und Verärgerung zutage, welche Rezipient*innen dazu veranlassen, sich von Lieblingsprodukten abzuwenden oder gar von Vorneherein die Rezeption von seriellen Produkten zu verweigern, da die investierte Mühe und Wertschätzung nicht mehr als reziprok wahrgenommen wird. Vielmehr erzeugen undurchschaubare Plattformdynamiken trotz positiv empfundener Emanzipation vom linearen Fernsehen neue Erfordernisse der Selbstorganisation und Verwaltung des freizeitlichen Medienkonsums – und somit Empfindungen des Serienschauens als Arbeit. Manche Fans empfinden empfehlungsbasierte Streamingplattformen als weniger gemeinschaftsfördernd, diese legten stärker ein individuelles binge watching und „cyclical fandom“ (Hills 2005) verschiedener Genusspunkte nahe, denn ein gemeinschaftlich orientiertes Rezeptionserlebnis. Die traditionell angestrengte ,Fan-Producer-Relationship' wird also über dritte machtvolle Akteur*innen zusätzlich verkompliziert.

Click, M. A. (Hg.)(2019): Anti-fandom: Dislike and hate in the digital age. NYU Press.

Einwächter, S. G., V. Cuntz-Leng (2021): Von Enden und Anfängen: Serienfragmente in Fankultur und Wissenschaft. In V. Fröhlich, S. G. Einwächter, M. Scheurer, V. Cuntz-Leng (Hg.): Serienfragmente. Springer VS 2021, 403-426.

Hills, M. (2005): Patterns of Surprise: The ,Aleatory Object’ in Psychoanalytic Ethnography and Cyclical Fandom. American Behavioral Scientist 48(7): 801–821.

Lickhardt, M. (2023): Binge Watching. Wagenbach.

Sophie G. Einwächter, Dr. phil., leitet aktuell ein DFG-Forschungsprojekt mit dem Schwerpunkt Wissenschaftsforschung („Medienwissenschaftliche Formate und Praktiken im Kontext sozialer und digitaler Vernetzung“) an der Philipps-Universität Marburg. Sie ist Ko-Sprecherin der AG „Partizipations- und Fanforschung“ der Gesellschaft für Medienwissenschaft und Mitherausgeberin von Demokratie gegen Menschenfeindlichkeit (Wochenschau Verlag).

 

Plattformabhängigkeiten, Fatalismus und Kooperation ohne Konsens in der Smart-Speaker-Nutzung

David Waldecker, Dagmar Hoffmann
Universität Siegen

Smart Speaker und Sprachassistenten sind Teil der Infrastrukturen (Plantin et al., 2018) des Smart Home und Teil kommerzieller Plattformen von Amazon, Alphabet und Apple. Durch sie werden Nutzende auch als Smart-Home-Bewohner*innen an Plattformen beteiligt. Dadurch entsteht eine wechselseitige Abhängigkeit: Zum einen hängen die Geräte von der Zuarbeit und der Anpassung der Nutzenden an die Eigenheiten des Natural Language Processing (NLP) ab; zum anderen ist die Abhängigkeit der Nutzenden von der Plattform insofern gegeben, als die Reaktion der Geräte in vielen Punkten serverseitig erzeugt wird. Ob das vernetze Licht im Wohnzimmer angeht oder Musik verlangt wird, setzt nicht nur die Stromversorgung, sondern eine Reihe von plattformbasierten Vermittlungen voraus. Der Vortrag soll auf Basis von qualitativen Interviews und von Interaktionsaufzeichnungen zeigen, wie Nutzende konkret und situativ mit diesen Abhängigkeiten umgehen. Theoretische Bezugspunkte sind dabei das Motiv der „Kooperation ohne Konsens“ (Star 1993) in der wechselseitigen Herstellung von Interaktion durch Daten, aber auch die Idee des alltäglichen Fatalismus (Pettenkofer 2017) bezüglich der Deutungsmuster der Nutzenden für die Abhängigkeiten im Smart-Speaker-Gebrauch.

Pettenkofer, A. (2017): Fatalismus. Über eine vernachlässigte Stütze sozialer Ordnung. Berliner Journal für Soziologie 27 (1): 123–50.

Plantin, J.-C., C. L., P. N. Edwards, und C. Sandvig (2018): Infrastructure studies meet platform studies in the age of Google and Facebook. New Media & Society 20 (1): 293–210.

Star, S. L. (1993): Cooperation Without Consensus in Scientific Problem Solving: Dynamics of Closure in Open Systems. In CSCW: Cooperation or Conflict?, hrsg. v. S. Easterbrook, 93–106. London: Springer.