Veranstaltungsprogramm

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Sitzungsübersicht
Sitzung
P 128: Wald - Wüste - Wasser. Beziehungsweisen des gemeinsamen (Um-)Welt-Werdens
Zeit:
Mittwoch, 27.09.2023:
17:00 - 18:30

Ort: Raum 6

Raum 0.002

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Präsentationen

Wald - Wüste - Wasser. Beziehungsweisen des gemeinsamen (Um-)Welt-Werdens

Chair(s): Marie Beckmann (Carl von Ossietzky Universität Oldenburg)

Die Kunst der Gegenwart spinnt Muster vergangener, gegenwärtiger und zukünftiger materiell-semiotischer Welten. Das ist der Modus, den Donna Haraway unter dem Akronym “SF” fasst – science fiction and science fact. Mit unterschiedlichsten Medien, Darstellungs- und Erzählweisen kalibrieren zeitgenössische Künstler*innen Beziehungen zwischen Menschlichen und Nicht-Menschlichem, Vergangenem, Gegenwärtigem und Zukünftigen neu. Damit stärken sie unser Bewusstsein für die Notwenigkeit, speziesübergreifende Bündnisse jetzt, hier und in Zukunft einzugehen, was angesichts existenzieller Umweltzerstörung zunehmende Dringlichkeit erfährt. Wie können und wollen wir in Zukunft zusammenleben? Wie können artenübergreifende Formen der egalitären Kovivalität zukünftig aussehen und gestaltet werden? Welche Gefahren und welche Möglichkeiten stellt das Leben unter den Bedingungen einer Symbiose der digitalen und analogen Welt bereit?
In unserem Panel wollen wir verschiedene künstlerische Positionen in den Blick nehmen, die sich diesen komplexen Fragestellungen widmen und die Implikationen für ein Verständnis komplexer Ko-Dependenzen innerhalb ökologischer Gefüge untersuchen. Unter Einbezug des spekulativen SF-Modus fragen wir nach künstlerischen Formen des kritischen Darstellens und Erzählens von Problemstellungen angesichts ökologischer, wirtschaftlicher und sozialer Krisen. Wir fragen nach den Geschichten, die uns sensibilisieren und der Art und Weise, wie wir uns ein gemeinsames (Um-)Welt-Werden vorstellen, erzählen und erklären. Während sich Alisa Kronberger in ihrem Vortrag Fragen nach Ver-Antwortungen und Responsabilitäten mit Blick auf Mensch-Baum-Verhältnisse zuwendet, widmet sich Friederike Nastold reparativen Praktiken in künstlerischen Strategien, die das mehr-als-menschliche und ihre Abhängigkeiten adressieren. Julia Schade wiederum nimmt ozeanische Perspektiven in den Blick und fragt nach den Implikationen von submarinen, den anthropozentrischen Blick verunsichernden Interdependenzen.

 

Beiträge des Symposiums

 

Respons-Able Trees – “Unser Überleben ist das Überleben der Bäume” (Emanuele Coccia)

Alisa Kronberger
Ruhr-Universität Bochum

Im Zentrum des umfangreichen Rechercheprojekt Cambio (2020) des italienischen Designer-Duos Formafantasma steht der Baum, der Wald in seiner existenzsichernden Funktion für Menschen, Tiere und andere Pflanzen. Das Projekt widmet sich mittels unterschiedlicher Formen des kritischen Darstellens und Erzählens den Zusammenhängen von Ausbeutung, Konsumkultur und Kolonialismus angesichts der industriellen Holzindustrie. Gefragt wird: Welche Verantwortung tragen wir in Bezug auf den Umgang mit Bäumen und welche Fähigkeiten des Antwortens (response-ability) haben Bäume selbst? Ausgehend von einigen Designobjekten, essayistischen Kurzfilmen und anderen Objekten der Ausstellung Cambio, möchte mein Vortrag sich diesen Fragen nach den Ver-Antwortungen, Responsabilitäten mit Blick auf Mensch-Baum-Verhältnisse stellen. Im Sinne Donna Haraways wird dabei auch das Was und Wie des künstlerischen Darstellens und Erzählens selbst zu einer Frage der response-ability – also der Möglichkeit, verantwortlich im Antworten zu werden. Hierin entfaltet sich, mit Haraway gedacht die (ethisch notwendige) Perspektive, nicht zwischen einer wirklichen Welt und einer Welt der Geschichten und Erzählungen unterscheiden zu müssen, sondern materiell-semiotische Welten (verantwortungsvoll) situiert denken zu können und entstehen zu lassen.

Mein Vortrag möchte response-ability als konzeptuelle und analytische Rubrik sowie als leitende ethische Praxis für das neu-materialistisch inspirierte Bemühen vorschlagen, menschliche und nicht-/menschliche Abhängigkeitsverhältnisse in Bezug auf Bäume neu zu denken. Die Ausstellung Cambio werde ich dabei als exemplarischen Fundort von Erzähl- und Darstellungsweisen vorstellen, an dem Potenziale erwachsen, für jene Abhängigkeitsverhältnisse sensibilisiert zu werden.

 

Acts of Resistance and Repair. Reparative Praktiken im fotografischen Werk von Gauri Gill

Friederike Nastold
Carl von Ossietzky Universität Oldenburg

In stillen, aber von großer Intensität geprägten Fotografien dokumentiert die indische Künstlerin Gauri Gill seit zwei Jahrzehnten indische Bevölkerungsgruppen auf dem Land: Karge Landschaften, alltägliche Situationen oder konzentrierte Porträts von Menschen, die Gauri Gill über einen längeren Zeitraum begleitet, präsentieren sich als Schwerpunkte ihrer Arbeit. Themen wie Identität und kulturelle Zugehörigkeit, Über­le­ben, Selbst­ermächtigung und Bildung stellen sich dabei als zentral heraus. Oft arbeitet die Künstlerin kollaborativ, sodass auch Fragen der Autor*innenschaft formuliert werden.

In meinem Vortrag soll die fotografische Serie Acts of Appearance (seit 2015) in Hinblick auf ihre reparativen Strategien in den Blick genommen werden. Mit «reparativen Strategien» meine ich Perspektiven, die innerhalb der fotografischen Arbeit nach den Möglichkeiten und Strategien des Überlebens und nach Abhängigkeiten fragen, die anachronistische visuelle Strategien und Zeitlichkeiten verhandeln oder die etwas in Bewegung versetzen – und zwar über die Sichtbarmachung und Kritik von Machtstrukturen und deren binären Logiken hinaus. Die Abhängigkeiten zwischen Mensch und Land, Mensch und Tier bis hin zu mehr-als-menschlichen Hybridwesen stehen hierbei im Fokus. Welches besondere reparative Potenzial ist den Fotografien Gills inhärent? Welche Gefüge werden durch reparative Praktiken sichtbar gemacht? Und ferner: Welche Rolle spielt hierbei das Reenactment und das Prekäre? Demnach stehen nicht primär die Analyse von Macht- und Gewaltverhältnissen im Zentrum, sondern jene reparativen Perspektiven, die jene (mehr-als-menschlichen) Möglichkeitsräume untersuchen, die nach dem Überleben und nach Abhängigkeiten von marginalisierten Subjekten und Gefügen fragen.

 

Abtauchen: Submarine Interdependenzen

Julia Schade
Ruhr-Universität Bochum

Gegenwärtig rückt der Ozean, das Meer und seine fluide Medialität in medien- und kulturwissenschaftlichen Diskursen verstärkt in den Fokus, weswegen Melody Jue einen regelrechten „Sea change in Media Studies“ proklamiert (Jue 2020). Im Gegensatz zur dominanten Rhetorik einer digitalen Beherrsch- und Skalierbarkeit des Ozeans und seiner Unwegsamkeiten, betonen Ansätze von u.a. Stefan Helmreich, John Durham Peters, Karin A. Ingersoll und Jue, dass ozeanisch zu denken vielmehr die Verunsicherung der eigenen anthropozentrischen Perspektive mit sich bringt. Dabei geht es um die Herausforderung, den terrestrial bias einer vom Land her denkenden Wissenschaft zu überwinden und das Meer als ein „disorientation device“ (Jue 2020) zu verstehen, das die eigene Denkweise und Situierung in der Materialität des Salzwassers versenkt und angesichts dessen kritisch überprüft.

Der Beitrag erörtert diese Positionen und untersucht dann, inwiefern eine submarine Perspektive dabei immer etwas mit der Sichtbarmachung versteckter, übersehener und opaker Abhängigkeiten und Interdependenzen zu tun hat.

Angesichts von Wu Tsang’s VR real-time Videoinstallation Of Whales, in der die Zuschauenden die Perspektive eines in die Tiefen abtauchenden Wals einnehmen, fragt der Beitrag nach den Implikationen einer solchen Sichtbarmachung submariner Interdependenzen. Was lässt sich aus solch einer infrastrukturellen und mehr-als-menschlichen Verwiesenheit wissenschaftlich, künstlerisch und politisch gewinnen?