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Sitzungsübersicht
Sitzung
P 119: Überlebens-Medien. Werkzeuge, Territorien und Figuren des Konvivialen
Zeit:
Donnerstag, 28.09.2023:
16:00 - 17:30

Ort: Raum 6

Raum 0.002

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Präsentationen

Überlebens-Medien. Werkzeuge, Territorien und Figuren des Konvivialen

Chair(s): Anna Sennefelder (Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Institut für Medienkulturwissenschaft, Deutschland), Martin Siegler (Bauhaus Universität Weimar)

Der Kollaps von Ökosystemen macht sichtbar, von welchen Bedingungen menschliches wie nicht-menschliches Leben abhängt: von Atemluft und Grundwasser, Böden und Nahrungsquellen. Doch wie ist Überleben möglich, wenn diese Grundbedingungen zerstört werden?

Im Zentrum unseres Panels steht die Annahme, dass sich in zeitgenössischen Öko-Narrativen eine Wiederaneignung von Werkzeugen zeigt, die sich mit Ivan Illich als „konvivial“ fassen lassen. Konviviale Werkzeuge müssen „von jedem so oft oder so selten wie gewünscht verwendet werden können, um ein vom Benutzer selbst gewähltes Ziel zu erreichen“ (Illich, 41). Die Inszenierung konvivialer Werkzeuge lässt sich vor dem Hintergrund unserer Abhängigkeit von digitalen Gebrauchswerkzeugen verstehen, wie dem Smartphone, unserem 'digitalen Taschenmesser‘. Oft sind es einfache Geräte und Gebrauchsdinge, wie der Rechen, eine Armbrust oder eine Schreibmaschine, die sich Figuren in Öko-Fiktionen aneignen und die zur Verteidigung, Umgestaltung oder Pflege von Territorien verwendet werden.

Oft korrespondiert das Konviviale dabei mit ökofeministischen Idealen, während der destruktive Umgang mit Werkzeugen und Territorien im Zeichen von exploitativen Grundhaltungen wie der Petro-masculinity (vgl. Daggett) steht. Eine Rückeroberung verlorengegangener Autonomie im Sinne Illichs aber ist immer auf eine starke Selbstbegrenzung (Ernährung, Konsum, Mobilität) angewiesen. In unseren drei Panel-Vorträgen werden das Revival der Konvivialität und die überlebensnotwendige Selbstbegrenzung ausgelotet.

Daggett, Cara: "Petro-masculinity". Millenium: Journal of International Studies 47/1 (2018), 25–44.

Illich, Ivan: Selbstbegrenzung. Eine politische Kritik der Technik. München: Beck 2014.

Moderation

Dr. Anna Karina Sennefelder ist Mitarbeiterin an der Professur für Medienkulturwissenschaft der Uni Freiburg. Ihre Dissertation ist 2018 bei Mohr Siebeck erschienen. Sie forscht zu digitaler Kommunikationskultur, ästhetischem Kapitalismus und Ökofeminismus.

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Beiträge des Symposiums

 

Survival-YouTube und die Gamification des Überlebens

Friederike Ahrens
Universität zu Köln

"Life begins at the end of your comfort zone." So beschreibt der Survival-Youtuber Fritz Meinecke sein Lebensmotto (vgl. Meinecke o.J.). In der von Meinecke konzipierten YouTube-Serie 7 vs. Wild, deren zweite Staffel mit rund 12 Millionen Aufrufen pro Folge zu den erfolgreichsten deutschen YouTube-Formaten gehört (vgl. Steiger 2022), werden 7 Influencer:innen und Streamer:innen an die Grenzen ihrer Komfortzone gebracht. Ausgestattet mit maximal 7 Gegenständen und einer GoPro müssen die Teilnehmer*innen 7 Tage allein an einem abgelegenen Ort in Panama überleben. Ihre Taschenmesser und der vor Ort vorgefundene Plastikmüll werden dabei zu konvivialen Überlebens-Werkzeugen (vgl. Illich, Selbstbegrenzung, 2014, 31), die von den Benutzer:innen auf kreative Weise zweckentfremdet werden. Auch die GoPro-Kamera wird zum konvivialen Gegenüber, zum technologischen Ersatz menschlicher Gesellschaft. Doch kann ein Format, welches die Natur als menschenfeindliche Wildnis konzipiert, in der das westliche, zumeist männliche Individuum sich behaupten muss, überhaupt eine Form der Konvivialität abseits der menschlichen Gemeinschaft entwerfen?

Illich, Ivan: Selbstbegrenzung. Eine politische Kritik der Technik. München: Beck 2014.

Meinecke, Fritz (o.J.): "Über mich". Fritz Meinecke Shop. MyMerch GbR. URL: Über mich | Fritz Meinecke Shop (Stand: 23.03.2023).

7 vs. Wild - Staffel 2 (2022) YouTube. URL: 7 vs. Wild - Staffel 2 - YouTube (Stand: 23.03.2023).

Steiger, Daniel (2022): "7 vs. Wild Staffel 3. Kommt die Fortsetzung der Survival-Show?". In: Südwest Presse Online, 29.12.2022. URL: 7 vs. Wild Staffel 3: Kommt die Fortsetzung der Survival-Show? | Südwest Presse Online (swp.de) (Stand: 23.03.2023).

Friederike Ahrens M.A. ist seit 2017 Doktorandin in Theater- und Medienwissenschaft an der Universität zu Köln. Ihr Promotionsprojekt, das kurz vor dem Abschluss steht, beschäftigt sich mit filmischen Gaia-Ästhetiken im zeitgenössischen Spielfilm.

 

Revival of the Visual Manual. Fotobücher als postdigitale und konviviale Werkzeuge

Annalena Erhardt
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

In Zeiten der ökologischen Krise liest sich nicht nur ein IPCC-Bericht als „survivor’s guide“ (UNSDG 2023), zunehmend erscheinen auch zeitgenössische fotografische ,Überlebens-Bilderbücher’. Das Fotobuch-Format hat sich bereits seit einigen Jahren als autonomes künstlerisches Werkzeug sowie medienwissenschaftliches Untersuchungsobjekt etabliert. Obwohl (oder gerade weil?) das Fotobuch in direkter Abhängigkeit zu Publikations- und Papierkrise steht, ist dessen Revival zugleich Ausdruck und Ausflucht der Entgrenzung digitaler Bilderfluten. Die Selbstbegrenzung des Fotobuchs zeigt, wie die Fotografie medial und materiell vom Buch abhängt, aber auch das transmediale und postdigitale (Über-)Leben der Bilder darin. Einige Exemplare befinden sich in der Bibliothek „Manual for Civilization“ der Stiftung Long Now, die das Überleben des Menschen sichern soll. Im Fokus des Vortrages steht Katja Novitskovas Post Internet Survival Guide 2010 als Beispiel für einen „guide to the ecology of a severe ongoing merging of matter, social and (visual) information in the present world“ (Novitskova 2011, 4), der aufmerksamkeitsökologische Abhängigkeiten zwischen Menschen und Medien sowie Bild und Umwelt sicht- und lesbar macht. Dabei wird der Vortrag die Abhängigkeit des Fotobuchs von anderen Medien und Materialien diskutieren, aber auch ‚Handwerkszeug‘ zur Analyse der visuellen (Überlebens-)Strategien des Fotobuchs als postdigitalem und potenziell konvivialem Werkzeug anbieten.

Abeles, Kim. 2023. Earthkeeper’s Handbook: Heal the Man – Heal the Land. New Mexico: ecoartspace

publications.

Constantinescu, Stefan. 2021. Noah’s Ark – An Improbable Space Survival Kit. Stockholm: Arvinius+Orfeus Publishing.

Novitskova, Katja. 2011. Post-Internet Survival Guide 2010. Berlin: Revolver Publishing.

Soth, Alec. 2010. Broken Manual. München: Steidl.

UNSDG. 2023. „New UN Report offers a ‚survival guide for humanity‘ in the face of climate change“. UN Sustainable Development Group. 20.03.2023. https://unsdg.un.org/latest/stories/new-un-report-offers-survival-guide-humanity-face-climate-change.

Annalena Erhardt M.A. ist Mitarbeiterin am Institut für Medienkulturwissenschaft der Universität Freiburg. In ihrem Dissertationsprojekt „Anthrofoto“ beschäftigt sie sich aktuell mit anthropozänen Menschenbildern in globalen und transmedialen Fotobüchern.

 

Auf-Bäumen. Das Baumhaus als konviviale Technologie im Umweltprotest

Martin Siegler
Bauhaus Universität Weimar

Baumhäuser sind nicht nur romantische Imaginationsräume der Kindheit und Schauplätze des Abenteuers, sie haben sich in den 1990er Jahren auch als effektive Praxis des ökologischen Protests gegen Baumrodungen und Infrastrukturprojekte etabliert. Im Vortrag wird das Baumhaus als konviviale Technologie gefasst , die ein dichtes Gewebe aus Abhängigkeiten und Anhänglichkeiten zwischen Menschen und Nicht-Menschen stiftet. Die Besetzung von Baumhäusern bringt eine temporäre und prekäre, von Räumung und Rodung bedrohte Ko-Existenzform hervor, in der Menschen, Pflanzen und Tiere vorübergehend in geteilter Verwundbarkeit zusammenleben. Tree people, wie die Baumbesetzer:innen seit den 1990er Jahren genannt werden, sind auf geradezu symbiotische Weise mit ihrem Milieu verbunden und verbündet. Einerseits wird ihr Baumhaus vom Baum getragen und erhalten, andererseits trägt das Baumhaus umgekehrt auch jenen Baum, den es vor der Rodung bewahren soll. Baum und Baumhaus stehen also in wechselseitiger Abhängigkeit zueinander. Darüber hinaus ist das Baumhaus über Seilbrücken mit anderen Baumhäusern und ihren Bewohner:innen verbunden. Sie bilden untereinander ein komplexes Relationssystem, um die Räumung zu verhindern oder zumindest zu verkomplizieren. Teil dieses nachbarschaftlichen Zusammenhangs sind neben menschlichen Bewohner:innen immer auch Tiere und Pflanzen, die das Leben im Baumhaus mit ihren eigenen Rhythmen, Klangkulissen und Bewegungsformen prägen. In der mehr-als-menschlichen Wohngemeinschaft des Baumhauses entstehen somit neue Wahrnehmungsformen, Affekte und Allianzen, die im Moment der Räumung auf die Probe gestellt werden.

Kate Evans (1998): Copse. A Cartoon Book of Tree Protesting. Orange Dog Productions.

Road Alert (1997): Road Raging. Top Tips for Wrecking Roadbuildings.

Dr. Martin Siegler ist Mitarbeiter an der Professur für Medienphilosophie der Bauhaus-Universität Weimar. Seine Dissertation “SOS: Medien des Überlebens. Die existenzielle Bedeutung von Lebenszeichen in Notfällen” erscheint im Juli 2023 bei de Gruyter.