Veranstaltungsprogramm

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Sitzungsübersicht
Sitzung
P 135: Instabile Bildräume: Digitale Inter-Aktion und Gegenöffentlichkeit
Zeit:
Mittwoch, 27.09.2023:
15:00 - 16:30

Ort: Raum 2

Raum 1.009

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Präsentationen

Instabile Bildräume: Digitale Inter-Aktion und Gegenöffentlichkeit

Chair(s): Florian Krautkrämer (HSLU Luzern Design&Kunst, Schweiz)

Das Visuelle ist politisch. Es stiftet Zusammenhänge, erzeugt Emotionen und ist Movens und Gegenstand von Ereignis und Konflikt. Gegenwärtige digitale Möglichkeiten verstärken dabei Aspekte wie Dezentrierung, Multiplizierung und Aktivierung und verändern die Positionen von Repräsentation und Zuschauer:in als auch deren Verhältnisse untereinander. Wir diskutieren diese Verschiebungen unter dem Begriff der digitalen Inter-Aktion, wobei wir uns insbesondere dafür interessieren, wie relationale Geographien und Gegenöffentlichkeiten hergestellt werden.
Wir untersuchen drei Beispiele: Anhand des russischen Angriffs auf die Ukraine zeigen wir, wie abhängig der Nachvollzug kriegerischer Ereignisse von Datenpunkten aus sozialen Medien ist. Sinn, Bedeutung und Wissen werden suggeriert, indem Daten verortet und interaktiv nutzbar werden. Zum Zweiten diskutieren wir die Instabilität visueller Argumentation am Beispiel einer interaktiven Web-Doku. Mittels Montage digitalisierten Archivmaterials der Unruhen in Los Angeles 1992 werden die Ereignisse einer neuen Betrachtung zugänglich. Drittens stehen mit Thermalaufnahmen von Geflüchteten im Lager in Moria operative Bilder im Mittelpunkt, die in der aktivistischen und künstlerischen Anwendung in ein gegenöffentliches Medium umgelenkt werden. Auf diese Weise tätigen sie Aussagen über Differenzverhältnisse an den Außengrenzen Europas.
Gemeinsam ist den drei Fallstudien, dass die in ihnen zum Einsatz kommenden medialen Formationen als Medien der Analyse zugleich Medien der Präsentation, der Argumentation und der Überzeugung sind. Sie stellen Abhängigkeiten her und aus – und zwar, indem sie nicht nur aktiv sind, sondern Inter-Aktionen provozieren.

CHAIR
Florian Krautkrämer unterrichtet Film- und Medienwissenschaft an der HSLU Luzern und forscht zu Transformationen des Dokumentarischen, den Apparaten und Ästhetiken digitaler Bildaufzeichnung sowie Produktionskulturen des Films. Er leitet das SNF-Projekt zum interaktiven Dokumentarfilm.

 

Beiträge des Symposiums

 

Die Karte als Interface der Dokumentation des Krieges

Tobias Conradi
HSLU Luzern Design&Kunst, Schweiz

Im Kontext des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine ist eine besondere Form interaktiver, netzmedialer Dokumentation entstanden, die Kriegsmeldungen aus sozialen Medien auf einer Weltkarte lokalisiert. Bekannte Beispiele sind liveuamap.com und eyesonrussia.org. Während der Gebrauch kartografischer Darstellung in Krisen und Kriegen keine Neuheit ist, wird die Karte hier zu einem „operativen Bild“ umgenutzt: Sie wird Interface und Zugriffspunkt für dokumentierende, kuratierte, archivierte und (teils) verifizierte Frontmeldungen aus sozialen Medien. Die Karte wird ein Instrument im Werkzeugkasten der Gegenforensik (vgl. Rothöhler 2021).

In meinem Vortrag gehe ich verschiedenen hier entstehenden und zugrundeliegenden Abhängigkeiten nach: So sind Aktivist*innen der OSINT-Community angewiesen auf die Funktion sozialer Plattformen und den Zugriff auf Online-Kommunikation; gleichzeitig sind sie abhängig von bestehendem Kartenmaterial. Vom Krieg betroffene Personen on the ground, Militärs, aber auch Journalist*innen entwickeln neue Abhängigkeiten von den online zusammengestellten Informationen. Die Karten visualisieren spezifische Abhängigkeiten, von Materialnachschub bis zu Geländegewinnen. Dabei sind die Karten ortsabhängig, die mobilen Geräte die sie mit Daten versorgen ortsunabhängig (vgl. Thielmann 2014) – und verwaltet werden die Karten an Orten, die vom kartografierten Geschehen möglichst unbelastet sind. Die Dokumentation des Krieges wird abhängig von Datenpunkten aus sozialen Medien, die erst in der Bildlichkeit der Karte in einem sinnvollen Zusammenhang verortet werden und so Bedeutung und Wissen generieren.

Referenzen

Rothöhler, Simon. Medien der Forensik. 1. Aufl. Bd. 92. Edition Medienwissenschaft. Bielefeld, Germany: transcript Verlag, 2021. https://doi.org/10.14361/9783839460009.

Thielmann, Tristan. „Wegbereiter: Mobile Geomedien im Einsatz“. Geographische Rundschau, 2014, 7.

Bio

Tobias Conradi ist Senior Wissenschaftlicher Mitarbeiter im SNF-Projekt „Interaktiver Dokumentarfilm und die Medialität der Entscheidung“ an der Hochschule Luzern Design&Kunst. Er forscht zu Medien, Auswahl und Entscheidung; zur Diskurstheorie und -analyse; zu Repräsentationspolitiken und Katastrophe, Krise und Kritik.

 

Bilder nacheinander, Bilder nebeneinander - Die Interaktive Montage bei K-TOWN’92

Vanessa Zallot
HSLU Luzern Design&Kunst, Schweiz

Die Web-Doku K-TOWN’92 (Grace Lee, 2017) arrangiert Sequenzen aus einer umfangreichen Datenbank in einem interaktiven Interface. Dabei wird kein Bild für sich alleine stehen gelassen und jeweils bis zu fünf Sequenzen nebeneinander und gleichzeitig abgespielt. Es ergibt sich eine Montage, die an Harun Farockis „Weiche Montage“ erinnert, bei der es „sowohl die Sukzession als auch die Gleichzeitigkeit [gibt], die Beziehung von einem Bild zum folgenden als auch zum nebenstehenden“ (Farocki 2002). Die Abhängigkeiten der Bilder untereinander manifestieren sich hier nicht bloß zeitlich, sondern auch räumlich.

K-TOWN’92 befasst sich mit den Unruhen in Los Angeles von 1992 und verwendet dabei eine umfassende Menge an Archiv-Aufnahmen, welche auch stereotypisierte Bilder und Rassismen reproduzieren. Obwohl diese Bilder „kontaminiert“ sind (Pantenburg 2023), werden sie im Film gezeigt, wobei dieses Zeigen mit einer Kritik einhergeht. Wie wird diese Kritik produziert? Angelehnt an Farockis Auseinandersetzungen mit Montage soll die Frage behandelt werden, inwiefern die Montage bei K-TOWN’92 als entschärfendes „Antidot“ zu krisenbehafteten Bildern (Pantenburg 2023) verstanden werden kann, demnach „die Bilder […] gegen sich selbst aussagen [sollen]“ (Farocki 2007) – und was Interaktivität damit zu tun hat.

Referenzen

Farocki, Harun (2002): Quereinfluss/Weiche Montage. https://newfilmkritik.de/archiv/2002-06/quereinflussweiche-montage/ [zuletzt abgerufen am: 01.03.2023]

Farocki, Harun (2007): Die Bilder sollen gegen sich selbst aussagen. In: Schwarte, Ludger (Hrsg.): Auszug aus dem Lager. Zur Überwindung des modernen Raumparadigmas in der politischen Philosophie. Bielefeld: transcript Verlag, S. 295 - 311.

Pantenburg, Volker (19.01.2023): Kontaminierte Bilder. SCHNITTSTELLE und die Montage als Antidot [Symposiums-Beitrag]. dfi-Symposium KONSTELLATIONEN dokumentarischer Montage und Dramaturgie, Köln.

Bio

Vanessa Zallot ist Doktorandin am Seminar für Medienwissenschaft der Universität Basel und Wissenschaftliche Mitarbeiterin im vom SNF geförderten Projekt „Interaktiver Dokumentarfilm“ an der Hochschule Luzern Design & Kunst. In ihrer Forschung widmet sie sich der Wissensproduktion Interaktiver Dokumentarfilme wobei sie spezifischer die Praxis der Montage in den Blick nimmt.

 

Hot Spots: Relationale Geographien, oder zum Verhältnis von Thermalbildern

Svea Bräunert
Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf

Temperaturen beschreiben Messwerte und Relationen. Zugleich sind sie politisch und ästhetisch. Sie werden als Waffe eingesetzt, betreffen die Sinne und regeln, was in Erscheinung treten und (über-)leben kann. Im Kontext des Vortrags werden sie unter dem zu problematisierenden Begriff des Hot Spots einerseits im Hinblick auf einen Ort diskutiert, nämlich das 2015 von der EU als Hot Spot deklarierte Erstaufnahmelager für Geflüchtete in Moria und andererseits in Bezug auf eine Sensortechnologie, nämlich Thermalbildkameras, die grenzüberschreitendes Leben am Übergang nach Europa erfassen.

Der Fotograf Richard Mosse und die NGO Sea Watch setzen Thermalbilder ein, um auf die Gefährdung von Geflüchteten in Moria aufmerksam zu machen. Während Mosse in seinen Heat Maps und der Videoarbeit Grid (Moria) flüchtende Körper als Gespenster zwischen Stasis und Bewegung figuriert, projiziert Sea Watch im Rahmen des Hologramm-Protestes Voices of Moria ebensolche Körper in den ersten Monaten der Corona-Pandemie auf eine transparente Leinwand vor dem Berliner Reichstag. Beide Arbeiten werfen Fragen nach Formen des Protestes in Situationen auf, in denen Öffentlichkeit nicht (mehr) besteht und durch das Bild ersetzt wird.

Doch kann als Bild nur erscheinen, was sich durch Temperaturdifferenz von seiner Umgebung abhebt, womit eine Differenzbeziehung beschrieben ist. Thermalbilder basieren demnach auf Verhältnissen; und deren Operationen und Erscheinungen lassen sich auf die Abhängigkeiten zwischen Orten, Körpern und Technologien übertragen, die Europas Grenzpolitik bestimmen — eine Bewegung, die im Vortrag anhand der Positionen von Mosse und Sea Watch nachvollzogen wird.

Referenzen

Azoulay, Ariella: The Civil Contract of Photography. New York: Zone Books, 2008.

Beregow, Elena: Thermal Objects. Culture Machine, Volume 17 (2018).

Schuppli, Susan: Icebox Detention Along the US-Mexico Border. Video, 2021-22.

Bio

Svea Bräunert ist Gastprofessorin an der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen visuelle und digitale Kultur, Fotografie und zeitbasierte Medien.