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Sitzungsübersicht
Sitzung
AGS 156: Zwischen den Filmen: Akteur:innen/Interaktionen/Abhängigkeiten
Zeit:
Donnerstag, 28.09.2023:
16:00 - 17:30

Ort: Raum 7

Raum 1.004

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Präsentationen

Zwischen den Filmen: Akteur:innen/Interaktionen/Abhängigkeiten (AG Filmwissenschaft)

Chair(s): Marie Krämer (Philipps-Universität Marburg)

Wie wir Filme wahrnehmen, verstehen und deuten, hängt davon ab, wie wir mit ihnen interagieren und wie sie uns überhaupt zugänglich gemacht werden. Ansätze wie der New Historicism bemühen sich, die damit verbundenen Kontexte und Wirkungen zu rekonstruieren. Filme müssen demnach immer in ein Verhältnis zu verschiedensten Akteur:innen gestellt werden. Das AG-Symposium zielt darauf, diese Zwischenräume des Films näher zu untersuchen.
Um eine Vorstellung von Filmgeschichte zu bekommen, bedarf es Strategien des Sichtbarmachens. Der erste Beitrag (Tatiana Astafeva) widmet sich dem Videoessay als eine kuratierte Praxis, die uns durch Prozesse des Sammelns, Auswählens, Montierens, Überarbeitens und Kommentierens eine kritische Distanz verschafft. Gleichzeitig entstehen hierdurch neue Abhängigkeiten, beispielsweise durch einen notwendigerweise intentionalen filmischen Blick auf das Gezeigte, der zwar zur Interaktion und Diskussion einladen kann – aber immer auch eine bestimmte Perspektive einnimmt.
Strategien der Sichtbarmachung beziehen zugleich die Praktiken von Cinephilen mit ein, die Filme typischerweise in Kritiken würdigen oder sich für den Erhalt bestimmter Produktionen einsetzen. Filme sind aber nicht nur von Cinephilen abhängig, sondern Cinephile wiederum von Filmen, die im Zentrum ihrer Begierde stehen. Dieses wechselseitige Abhängigkeitsverhältnis beleuchtet der zweite Beitrag (Christian Alexius) anhand von Alan Moore und Kevin O’Neills Comicserie Cinema Purgatorio (2016-2019).
Der dritte Beitrag (Rasmus Greiner) legt den Fokus auf die filmwissenschaftliche Praxis. In Form einer Buchpräsentation („Audiovisual History. Film als Quelle und Historiofotie“) werden nicht nur die verschiedenen gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnisse zwischen Filmen und Geschichte diskutiert, sondern auch die wissenschaftlichen Disseminationsprozesse selbst erörtert.

 

Beiträge des Symposiums

 

Abhängigkeiten sichtbar machen. Videoessays als medienspezifische Forschungsform

Tatiana Astafeva
Universität Bremen

In der Medienwissenschaft wird der Videoessay längst nicht mehr nur als Instrument der Filmkritik, sondern auch als eine medienspezifische Forschungsform konzeptualisiert (vgl. Binotto 2020). Darüber hinaus kann er Filmgeschichte sichtbar machen, wie etwa in Alain Bergalas Videoreihe "Le cinéma, une histoire de plans" (1998). Insbesondere wenn ein Videoessay dazu dient, der Öffentlichkeit Einblicke in Archivmaterialien zu gewähren, die nur eingeschränkt zugänglich sind, manifestieren sich darin verschiedene Aspekte medialer, institutioneller und technologischer Abhängigkeiten.

Im Vortrag werden diese Abhängigkeiten am Beispiel des Videoessays "Tanz der Gespenster" (2022) diskutiert, der im Rahmen des Forschungsprojekts „Filmkomödie nach dem ‚Dritten Reich‘“ entstanden ist. Der Fokus liegt auf Filmen, die zwischen 1944 und 1945 produziert, aber – verboten oder unvollendet – erst nach dem Zweiten Weltkrieg uraufgeführt wurden. Die zum Korpus gehörenden Produktionen sind größtenteils nicht digitalisiert, über verschiedene Archive verstreut und nur unter erschwerten Bedingungen zugänglich. Im Vortrag werden Videoessays als kuratierte Praxis konzeptualisiert, die dem Betrachter durch Prozesse des Sammelns, Auswählens, Montierens, Überarbeitens und Kommentierens eine kritische Distanz ermöglichen. Indem der Videoessay die vorgegebene Ordnung von Film und Archiv umdeutet, schafft er eine spezifische Perspektive; er macht Filmgeschichte sichtbar und legt zugleich neue Abhängigkeiten offen, die im Prozess ihrer Vermittlung entstehen.

Bibliografie

Adrian, Martin / Cristina Álvarez López. “Introduction to the Audiovisual Essay: A Child of Two Mothers.” In Necsus 3, No. 2 (2014): 81–87.

Binotto, Johannes. “In Lag of Knowledge. Video Essay as Parapraxis.” In Practical Aesthetics. Hg. Bernd Herzogenrath. London, New York 2020. S. 83–93.

Kurzvita

Tatiana Astafeva ist wiss. Mitarbeiterin an der Universität Bremen im DFG-Projekt „Filmkomödie nach dem ‚Dritten Reich‘“ (2021–2024) und Redakteurin der OA-Zeitschrift "Research in Film and History." Ihre Erfahrung umfasst die Mitarbeit im BMBF-Projekt „Audiovisual Histospheres“ (2019–2020). Sie ist Doktorandin an der Filmuniversität Babelsberg und war Stipendiatin des Brandenburgischen Zentrums für Medienwissenschaften (2016–2019).

 

Fanatikerin und Archivarin. Cinephile Abhängigkeitsverhältnisse in Alan Moore und Kevin O’Neills "Cinema Purgatorio"

Christian Alexius
Philipps-Universität Marburg

In der Comicheftserie Cinema Purgatorio (2016-2019) wird das gleichnamige, heruntergekommene Lichtspielhaus zum Zufluchtsort der namenlos bleibenden Protagonistin. Diese vollzieht im Laufe der Handlung einen Rollenwechsel von der Zuschauerin zur Filmvorführerin, die für die analogen Bestände des Kinos verantwortlich wird. Anhand von ihr sollen exemplarisch wechselseitige Abhängigkeitsverhältnisse zwischen Cinephilen und Film beziehungsweise Kino diskutiert werden: Auf der einen Seite sind Cinephile auf einen stetigen Nachschub an Filmen und Zugang zum Kino angewiesen, was in diesem Falle mit einer Flucht vor der Welt außerhalb des Kinosaals einhergeht. Auf der anderen Seite sorgt besagte Gruppe durch das Schreiben von Filmkritiken beispielsweise für die Sichtbarkeit von Filmen und setzt sich für den Erhalt von vom Verschwinden bedrohter Produktionen ein. Das Geschlecht der Hauptfigur wirft zugleich Fragen nach der Genderdimension ‚cinephiler Care-Arbeit‘ auf, die über die Figur des klassischerweise männlichen Cinephilen hinaus zu derjenigen des weiblichen Fans als Archivarin marginalisierter Kultur weist. Cinema Purgatorio ermöglicht somit auch eine Infragestellung etablierter Grenzziehungen zwischen Cinephilen und Fans, die sich beide aktiv mit den von ihnen geliebten Produktionen auseinandersetzen.

Bibliografie

Einwächter, Sophie G.: Preserving the Marginal. Or: The Fan as Archivist, in: Beltrame, Alberto, Giuseppe Fidotta & Andrea Mariani (Hg.): At the Borders of (Film) History. Temporality, Archaeology, Theories. Udine 2015, S. 359-369.

Keidl, Philipp Dominik: Cinephilic Fandom, in: Eugène, Pierre, Kate Ince & Marc Siegel (Hg.): Serge Daney and Queer Cinephilia. Lüneburg, im Erscheinen.

Keller, Sarah: Anxious Cinephilia. Pleasure and Peril at the Movies. New York 2020.

Shambu, Girish: The New Cinephilia. Second Expanded Edition. Montreal 2020 [2014].

Kurzvita

Christian Alexius ist wiss. Mitarbeiter am Institut für Medienwissenschaft der Philipps-Universität Marburg und promoviert im Graduiertenkolleg „Konfigurationen des Films“ der Goethe-Universität Frankfurt zu cinephilen Fancomics. An der Johannes Gutenberg-Universität Mainz studierte er Filmwissenschaft und Soziologie. Forschungsschwerpunkte: Cinephilie und Fankultur, Film und Comics, kulturwissenschaftliche Gedächtnisforschung: Archiv.

 

Film als Quelle und Historiofotie. Buchpräsentation „Audiovisual History“

Rasmus Greiner
Universität Bremen

Wie jede akademische Disziplin ist auch die Filmwissenschaft abhängig von der Dissemination ihrer Forschungsarbeit. Die Buchpublikation hat sich hierbei als verlässlicher Motor filmwissenschaftlicher Diskurse erwiesen, obgleich durch den editorischen Aufwand und die damit verbundenen Kosten weitere Bedingungen ins Spiel kommen. Diese vor allem finanziellen Hürden betreffen nicht nur die Autor:innenseite, sondern – durch mitunter kostspielige Anschaffungen – auch die potenziellen Leser:innen. Abhilfe schaffen könnten Open Access Puklikationen, die jedoch meist ebenfalls mit Gebühren verbunden sind.

Der Sammelband „Audiovisual History“ stellt keine Ausnahme dar und kann nur aufgrund der finanziellen Ausstattung bzw. Drittmittel-Overheads der Herausgeber erscheinen. Die Publikation wird jedoch nicht nur als klassisches Buch, sondern – mit ein wenig Verzögerung – auch kostenfrei Open Access erscheinen, um so die finanziellen bzw. organisatorischen Hürden für die Leser:innen zu senken. Der Vortrag wird einerseits die Ebene der Publikationsprozesse beleuchten und andererseits auch auf die inhaltlichen Dimensionen des vorliegenden Buches, die Abhängigkeiten zwischen Film, Geschichtsvorstellungen und Erinnerungskultur eingehen.

Zwei Ansatzpunkte stehen dabei im Fokus: zum einen die fotografische Qualität von Filmen, die diese als potenzielle historische Quellen markiert; zum anderen ihre erzählerische Qualität, die sie – als „Historiofotie“ – zu Akteuren der Geschichtsschreibung werden lässt. Die Beiträge des Bandes zielen darauf ab, den letztgenannten Ansatz von Hayden White weiterzuentwickeln und die Diskussion um filmische Quellenkritik und Historiofotie im deutschen Sprachraum neu zu befeuern.

Bibliografie

Greiner, Rasmus / Chris Wahl: Audiovisual History. Film als Quelle und Historiofotie. Berlin 2023.

White, Hayden: „Das Problem der Erzählung in der modernen Geschichtstheorie“. In Pietro Rossi (Hg.): Theorie der modernen Geschichtsschreibung. Frankfurt/Main 1987, S. 57–106.

Kurzvita

PD Dr. Rasmus Greiner ist Researcher für Filmwissenschaft an der Universität Bremen. Aktuell leitet er das DFG-Projekt „Filmkomödie nach den Dritten Reich“. Er ist General Editor der OA-Zeitschrift "Research in Film and History" sowie Sprecher der AG Filmwissenschaft (GfM).