Veranstaltungsprogramm

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Sitzungsübersicht
Sitzung
AGS 124: Sirenen, Feedback und Vektorräume (AG Signale)
Zeit:
Samstag, 30.09.2023:
12:00 - 13:30

Ort: Raum 7

Raum 1.004

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Präsentationen

Sirenen, Feedback und Vektorräume (AG Signale)

Chair(s): Laura Niebling (Universität Regensburg)

Signale und Abhängigkeiten hängen zusammen. Signale sind verzeitlichte Abhängigkeiten. Das Wort Signal von signalis (auf deutsch "bestimmt dafür, ein Zeichen zu geben") deutet darauf hin, dass Signale Zeichen mit Adressat sind, die Abhängigkeiten als Situationen, Dispositive, Strukturen, Verhältnisse und räumliche Konstellationen durchlaufen, herstellen, zeitigen und wahrnehmbar machen. Ein Signal ist eine Botschaft, die sich von der Quelle loslöst, ab-hängt sozusagen, um zum Ziel zu gelangen. Die Vorsilbe "ab-" von Abhängigkeit weist auf eine Trennung, Verschiebung oder Veränderung hin, während "hängen" die Kombination von Verbindung (etwa durch ein Seil) und Objekt meint. Signale sind zeitlich und flüchtig. Sie durchlaufen Strukturen und Verhältnisse. Signale werden in Medien und Materialitäten gespeichert, übertragen und prozessiert. Sie werden in Daten umgewandelt, an Interfaces gekoppelt und im Idealfall kanalgerecht übersandt. In der Art und Weise, wie ein Medium (sei es im Sinne der Kybernetik eine Maschine oder ein Lebewesen) ein Signal verarbeitet, sind bestimmte soziale, umweltliche und strukturelle Situationen, Verhältnisse und wiederum insbesondere Abhängigkeiten eingeschrieben.

Das AG Symposium der AG Signale ist als Panel-Workshop mit drei Teilnehmer:innen geplant. Das übergeordnete Ziel des Panels ist eine offene Diskussion der Frage, ob Signale verzeitlichte Abhängigkeiten sind und inwiefern das Signal als Konzept ein interessantes medienwissenschaftliches Konzept bilden könnte. Geplant ist eine Diskussion entlang der Themenfelder "Sirenen", "Feedback" und "Vektorräume", die jeweils durch Lotte Warnsholdt, Shintaro Miyazaki und Clemens Apprich vertreten wird. Laura Niebling wird das Panel moderieren. Nach der Einführung in die Thematik werden diese Themenfelder, die gleichzeitig auch Positionen sind, durch kurze Inputvorträge (ca. 5 min) vorgestellt. Die übrige Zeit (ca. 60 min) dient der ausführlichen Diskussion.

 

Beiträge des Symposiums

 

Sirenen

Lotte Warnsholdt
Deutsches Schifffahrtmuseum, Leibniz-Institut für Maritime Geschichte

Sirenen senden Notsignale. Sie warnen vor Gefahr und sollen für das menschliche Gehör eindeutig wahrnehmbar sein. Benannt wurden sie 1819 von Charles Cagniard de la Tour nach den Sirenen aus der griechischen Mythologie. Die Figur ist vor allem bekannt aus Homers Epos der Odyssee, wo die Sirenen dem Helden Odysseus davon berichten, „was immer geschieht auf der vielernährenden Erde“. Doch in einer modernen Wiedererzählung der Homerischen Sirenenpassage wird dieses Epos auf den Kopf gestellt und mit ihr gleichwohl auch der Subjekt- und Signalstatus der Sirenen, ihres Gesangs, wie wohl auch jener von Odysseus. Franz Kafka nämlich meint, dass sich Odysseus, ebenso wie seinen Gefährten, die Ohren mit Wachs verstopft habe und ergo den Gesang der Sirenen gar nicht hätte hören können. Tatsächlich singen und senden die Sirenen bei Kafka dann auch nicht, was wiederum Odysseus nicht merkt und in seiner Selbstgewissheit davon ausgeht, dass sie singen. Das Schweigen der Sirenen unterläuft Odysseus’ Wahrnehmung, während die Sirenen den Status des Nicht-Intelligiblen erhalten (Hark, 2014, 108). Odysseus hingegen gilt weiterhin als Inbegriff „autark gedachte[r] Souveränität“ (Ebd., 105). Doch Unabhängigkeit ist eine vorkybernetische Fiktion. Insbesondere in einer Gegenwart der multiplen Krisen stellen sich Fragen der Wahrnehmbarkeit von Signalen und ihren Quellen mit neuer Dringlichkeit, die entlang einer medientheoretischen Relektüre der Sirenenpassage adressiert werden.

Hark, Sabine. „Schweigen die Sirenen?“. In Lassen und Tun. Hg. Hobuß, Steffi; Tams, Nicola. 2014, 99-118.

Kafka, Franz. „Das Schweigen der Sirenen“. In Sämtliche Erzählungen. Hg. Raabe, Paul. 1991. 304-305.

Lotte Warnsholdt ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Schifffahrtsmuseum, Leibniz-Institut für Maritime Geschichte in Bremerhaven. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen die Kultur- und Mediengeschichte der Moderne, Sorgetheorien und Formen von Kritik im Digitalen. Sie vereinen sich auch in ihrer Dissertation „Im Schatten des Schweigens. Moderne Semantiken des Geheimen“ (Leuphana Universität), in der sie zu den in- und exkludierenden Kulturtechniken des Schweigens arbeitete.

 

Feedback

Shintaro Miyazaki
Humboldt-Universität zu Berlin, Deutschland

Feedbackprozesse sind kybernetische Prozesse, sind Prozesse der Kopplung und der Abhängigkeit. Feedback meint die Rückspeisung eines Signals seitens seines Empfängers zurück an seinen Sender. Wird das Signal dabei verstärkt, wird dies als positives, wenn abgedämpft, als negatives Feedback bezeichnet. Das Konzept umschreibt damit ein Abhängigkeitsverhältnis, das unterschiedliche Intensitäten zeitigt. Feedback ist "skalierbar", wobei durch die Skalierung weitere Ebenen in den Blick rücken, andere gleichzeitig verschwinden. Positives Feedback ist produktiv, ganz im Sinne der Profitgenerierung. Negatives Feedback dient der Kontrolle und Unterbrechung einer produktiven Operationskette. Feedback als Konzept verschärft so den Begriff des Signals, indem es ihm nicht nur eine Richtung und damit eine Struktur (vielleicht eine Ab-hängigkeit?) verleiht, sondern die Spur, die das Signal hinterlässt darüber hinaus auch bewertet wird. Feedback operiert damit transversal zum Signal (im Sinne einer Multiplikation oder Division). Das Signal kann dabei aus kontinuierlichen (indexikalischen Spuren) oder diskreten Elementen (Buchstaben) bestehen. Während Buchstabenketten als Code begreifbar werden, zeigt die Digitalisierung und Algorithmisierung aller weltlichen Aspekte, dass die Verschränkung des Analogen mit dem Digitalen soweit fortgeschritten ist, das die Unterschiede von Code und Signal schwammig werden. Altmodische Konzepte der Nachrichtentechnologie des 20. Jahrhunderts wie Feedback und Signal werden damit wieder virulent.

Shintaro Miyazaki ist seit 2020 Juniorprofessor für digitale Medien und Computation (Tenure Track) am Fachbereich Medienwissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin. Er lehrt und forscht im Bereich (digitale, algorithmische und signalverarbeitende) Medien und Machtkritik. Aktuelle Publikation: Counter-Dancing Digitality: On Commoning and Computation (meson press, 2023), https://doi.org/10.14619/0481. GfM Mitglied seit 2009.

 

Vektorräume

Clemens Apprich
Universität für angewandte Kunst Wien

Die Tatsache, dass Daten heterogen, redundant und oft auch 'dirty' sein können, stellt für aktuelle Machine Lerning-Systeme kein Problem mehr dar; jedes Signal kann unmittelbar in einen Vektor transformiert und somit Teil konnektionistischer Maschinen werden. Um Bilder, Texte, Töne oder Variablen aller Art in Vektoren, umzuwandeln braucht es allerdings bestimmter Übersetzungsprozesse, die oft unsichtbar und somit unreflektiert bleiben. Wie mit dieser neuen Abhängigkeit umzugehen ist, stellt eine wesentliche Herausforderung der Medienwissenschaft dar. Abgehängt von ihrem Referenten 'hängen' Vektoren in n-dimensionalen Räumen, was ein medientheoretisches, als auch -ästhetisches Nachdenken über die 'Nichtrepräsentierbarkeit' von Signalen notwendig macht. Eine Lesbarkeit von Vektorräumen hängt nicht zuletzt von den (technischen, epistemologischen, medialen) Bedingungen ab eben diese Räume herzustellen.

Clemens Apprich ist Leiter der Abteilung Medientheorie an der Universität für Angewandte Kunst Wien, wo er die Professur für Medientheorie und Mediengeschichte seit 2021 inne hat. Apprich ist der Autor von Technotopia: A Media Genealogy of Net Cultures (Rowman & Littlefield International, 2017) und hat, zusammen mit Wendy Chun, Hito Steyerl und Florian Cramer, das Buch Pattern Discrimination (University of Minnesota Press/meson press, 2019) veröffentlicht. Aktuell arbeitet er an einem neuen Buchprojekt zu Animated Intelligence (Amsterdam University Press, i.E.).