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Sitzungsübersicht
Sitzung
AGS 172: Sonische In|ter|dependenzen: Standards, Techno-Logien und Systeme auditiver Medienkulturen
Zeit:
Donnerstag, 28.09.2023:
16:00 - 17:30

Ort: Raum 9

Raum 1.002

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Präsentationen

Sonische In|ter|dependenzen: Standards, Techno-Logien und Systeme auditiver Medienkulturen

Chair(s): Maximilian Haberer (Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Deutschland), Sarah-Indriyati Hardjowirogo (Carl von Ossietzky Universität Oldenburg), José Gálvez (Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn)

Immer schon sind auditive Medienkulturen geprägt von (wechselseitigen) Abhängigkeiten. Die technische Hervorbringung, Gestaltung und Speicherung von Klängen ist seit jeher ebenso an spezifische technische Rahmenbedingungen, Strukturen und Standards gebunden wie deren Distribution, Wiedergabe und Rezeption. Das Symposium der AG Auditive Kultur und Sounds Studies widmet sich diesen vielfältigen In|ter|dependenzen und fragt nach Standardisierungen, Techno-Logien und Software-Abhängigkeiten. Wie bedingen und standardisieren technische Systeme bestimmte Klangästhetiken und -vorstellungen? Wie bespielen und unterlaufen Medien die natürlichen Grenzen auditiver Wahrnehmung? Welche (neuen) sonischen Interdependenzen schaffen softwarebasierte Medienkulturen? Und in welchem Maße ist Wissen über und durch Klang abhängig von, aber auch zugänglich durch standardisierte Zurichtungen technischer Medien?

 

Beiträge des Symposiums

 

In|ter|dependenzen des Schallplattenhörens: Sonische Standards als Zugang zu Hörkulturen

José Gálvez
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

Seit 1954 wird das Hören von Schallplatten durch einen definierten Standard organisiert: den RIAA-Standard. Er normiert den Plattenschnitt und die Plattenwiedergabe mit dem Ziel, einen linearen Frequenzgang zu erzeugen. Unterschiedliche Technologien vollziehen gemäß des RIAA-Standards unhörbare Operationen der Verzerrung und Entzerrung, die das Hören von Schallplatten industrieweit modellieren. So steht das Hören von Schallplatten technologisch wie infrastrukturell weitgehend in In|ter|dependenzen zum RIAA-Standard – selbst, wenn dieser missachtet wird. Am Fall dieses „sonischen Standards“ möchte ich zwei Fragen nachgehen:

1) Inwiefern speichern konkrete, gemäß oder entgegen sonischen Standards formatierten Materialien und Technologien ein Hör-Wissen (Tkaczyk), das industriell, wissenschaftlich und politisch verfasst ist?

2) Inwiefern macht eine medienarchäologische Analyse von konkreten Materialien und Technologien auf ihre sonische (De-)Standardisierung hin materielle Spuren von Hörtechniken erschließbar, die durch andere empirische Zugänge nicht fassbar sind?

In beiden Fragen kommen kulturhistorische sowie medienarchäologische Perspektiven auf das „Sonische“ (Ernst, Wicke) zusammen. Der Vortrag profiliert so sonische Standards als einen medien- und kulturtheoretischen Zugang zu Wissen und Techniken moderner Hörkulturen.

Literatur:

- Ernst, W. Im Medium erklingt die Zeit. Technologische Tempor(e)alitäten und das Sonische als ihre privilegierte Erkenntnisform, 2015.

- Tkaczyk, V. Thinking with Sound. A New Program in the Sciences and Humanities around 1900, 2023.

- Wicke, P., Das Sonische in der Musik, PopScriptum 10, 2008.

Biographie:

José Gálvez ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Musikwissenschaft / Sound Studies der Universität Bonn. Dort arbeitet er an einer Dissertation über Operationen klanglicher Subjektivierung mit dem Titel „Sonische Subjekte“.

 

In|ter|dependenzen der Klangmanipulation: Zur Wahrnehmungskodierung und Proto-Digitalität des Tempophons

Maximilian Haberer
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

Mitte der 1950er Jahre konstruiert Anton Marian Springer ein Vorbaugerät für Bandmaschinen zur unabhängigen Tonhöhen- und Temporegulierung. Das sogenannte Tempophon (häufig auch Springermaschine genannt) wird zwischen die beiden Spulen eines Tonbandgerätes montiert und basiert auf einem bereits von den Nationalsozialisten zur Spionageabwehr verwendeten Rotationskopf, bei dem vier kleine, rotierende Tonköpfe das vorbeilaufende Tonband nacheinander abtasten. Durch die Regulierung der Bandgeschwindigkeit und/oder der Rotationsgeschwindigkeit und -richtung des „Dehnerkopfes“, werden Teile des Bandes entweder ausgelassen oder mehrfach wiedergegeben und die Geschwindigkeit und Höhe einer Klangaufnahme lassen sich (der Wahrnehmung nach) unabhängig voneinander manipulieren. Wie in dem Vortrag dargelegt werden soll, handelt es sich bei dem Tempophon sowohl medienkulturell als auch musikhistorisch um ein äußerst aufschlussreiches Artefakt, das über die Be- und Ausspielung der Unzulänglichkeit der Hörwahrnehmung Klanghöhe und -geschwindigkeit auf der Phäno-Ebene trennt und zur Reflexion der Vorstellungen und Konzeptionen von Klang und Zeit anregt. Durch die explizite Bewirtschaftung psychoakustischer Höreigenschaften über die Einteilung des Tonbandes in diskrete Abschnitte, vollzieht das Tempophon eine proto-digitale Form von „perceptual coding“ (Sterne 2012) und impliziert ein nicht-vibrationelles Verständnis von Klang als ein Produkt der menschlichen Sinne.

Literatur:

- Sterne, J. Mp3. The Meaning of a Format, 2012.

Biographie:

Maximilian Haberer ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Medien- und Kulturwissenschaft der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Er hat in Freiburg, Wien, Düsseldorf und an der Pennsylvania State University (PA, USA) Medienkulturwissenschaft und Musikwissenschaft studiert. Derzeit verfasst er seine Dissertation zur Kulturgeschichte, Ästhetik und Materialität des Tonbandes an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.

 

In|ter|dependenzen in der digitalen Musikproduktion. Systemabhängigkeiten und technische Anforderungen an Musiksoftware

Sarah-Indriyati Hardjowirogo
Carl von Ossietzky Universität Oldenburg

Seit Max Mathews 1957 MUSIC I als eine der frühesten Anwendungen zur digitalen Klangsynthese schrieb, ist Musiksoftware, wie jede andere Software auch, Systemabhängigkeiten und spezifischen technischen Anforderungen unterworfen. Zeitgenössische Digital Audio Workstations (DAWs) beispielsweise laufen längst nicht unter jedem Betriebssystem rund, Audio-Plugins können längst nicht in jede Host-DAW eingebunden werden, komplexere Projekte sind längst nicht auf jedem Rechner umsetzbar. Nicht selten reicht ein Major Update, und nichts geht mehr, wie es soll. 

Was im Alltagsgebrauch bloß nervtötend ist, hat aus historischer Perspektive schwerwiegende Konsequenzen, denn am Ende sind es vor allem ihre Systemabhängigkeiten und daraus entstehende Inkompatibilitäten, die irgendwann die Obsoleszenz einer Softwareanwendung bedingen (Hardjowirogo 2021). Das sprichwörtliche „running system“ erweist sich so als dauerhaft fragiles Konstrukt, dessen Interdependenzen sein Funktionieren oft ebenso zuverlässig verhindern, wie sie es erst ermöglichen. 

Der Vortrag diskutiert anhand verschiedener Beispiele technische Notwendigkeiten und kulturell-ästhetische Konsequenzen von Systemarchitekturen und deren Weiterentwicklung im Bereich Musiksoftware und geht dabei auch auf die Herausforderungen ein, die sich aus dem Bedarf der Konservierung obsolet gewordener Anwendungen ergeben.

Literatur:

- Hardjowirogo, S., Zukunftsmusik von gestern. Zur Historisierung von Software-Instrumenten, in Musikobjektgeschichten. Populäre Musik und materielle Kultur, hg. von Christina Dörfling, Christofer Jost und Martin Pfleiderer, 2021, 181–196.

Biographie:

Sarah-Indriyati Hardjowirogo leitet den Bereich Medienmusikpraxis am Institut für Musik der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Sie promovierte an der Leuphana Universität Lüneburg mit einer kulturwissenschaftlichen Arbeit über die theoretischen Folgen zeitgenössischer musikalischer Praxis für den Begriff des Musikinstruments. Ihre aktuellen Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Vermittlung, Historisierung und Konservierung von Praktiken und Technologien digitaler Musikproduktion.