Veranstaltungsprogramm

Eine Übersicht aller Sessions/Sitzungen dieser Veranstaltung.
Bitte wählen Sie einen Ort oder ein Datum aus, um nur die betreffenden Sitzungen anzuzeigen. Wählen Sie eine Sitzung aus, um zur Detailanzeige zu gelangen.

 
 
Sitzungsübersicht
Sitzung
AGS 136: Digitale Abhängigkeiten in der Kunst
Zeit:
Freitag, 29.09.2023:
9:00 - 10:30

Ort: Raum 6

Raum 0.002

Zeige Hilfe zu 'Vergrößern oder verkleinern Sie den Text der Zusammenfassung' an
Präsentationen

Digitale Abhängigkeiten in der Kunst, Teil 1

Chair(s): Christiane Heibach (Universität Regensburg, Deutschland), Irene Schütze (Kunsthochschule Mainz an der JGU Mainz)

Die Entstehung von Kunst ist mythenverbrämt und kristallisiert sich nach wie vor in der Vorstellung des von plötzlicher Inspiration durchdrungenen und im Schaffensrausch Werke von Ewigkeitswert hervorbringenden Künstler:innengenies. Dabei gerät in den Hintergrund, dass das künstlerische Arbeiten voller Einschränkungen und Abhängigkeiten ist: Abhängigkeiten von materiellen Ressourcen, Abhängigkeit von Marktbedürfnissen, Abhängigkeit von der Anerkennung des Publikums und der Aufmerksamkeit der Kunstinstitutionen, Abhängigkeit von den Werkzeugen und Speichermöglichkeiten. Das Panel will sich denjenigen Abhängigkeiten widmen, die sich für Künstler:innen durch die digitalen Medien ergeben. Dazu gehören folgende Fragen:

  • Wie verändern sich künstlerische Arbeitsprozesse durch den Einsatz digitaler Medien und welche neuen Abhängigkeitsverhältnisse entstehen dadurch?
  • Wie verändern sich die Praktiken der Speicherung und Bewahrung von Kunstwerken, deren materielle Basis digitaler Natur ist und die von Hard- und Software abhängen, die in immer kürzeren Zyklen obsolet werden?
  • Wie verändern sich die Marktbedingungen z.B. durch sog. NFTs (non fungible tokens) für Kunstwerke und welche Auswirkungen haben solche Veränderungen wiederum auf die Kunstproduktion? Richtet sich die Art der Kunstwerke womöglich zunehmend nach dem, was digital vermarktbar ist?

Und last but not least ist auch zu fragen, inwieweit sich der Austausch zwischen den Künstler:innen und den Kunstvermarktungszentren durch die weltweite kommunikative digitale Vernetzung verändert und welche Auswirkungen das haben könnte: Nähern sich Kunststile verschiedener Kulturen womöglich signifikant aneinander an und kreieren eine globale Kunst? Bekommt Kunst aus entlegeneren Regionen so ein besseres Forum und welche Folgen hat das? Werden bestimmte kulturelle Erwartungshaltungen i.S.v. Klischees (z.B. zwischen dem globalen Norden und dem globalen Süden) durch digitale Austauschprozesse stärker bedient, um Markterfolge zu erzielen?

 

Beiträge des Symposiums

 

Cyborg-Autorinnenschaft in digitalen Fiktionen: Plattformabhängigkeit, Generativität, Demotik

Astrid Ensslin
Universität Regensburg

In diesem Beitrag widme ich mich der plattformkritischen Analyse digitaler Fiktionen (digital-born fictions) und literarischer Computerspiele (Bell et al. 2014; Ensslin 2014). Diese hybriden ludonarrativen Medien befinden sich an diversen Schnittstellen zwischen semiotischen Modalitäten, algorithmischen Bausteinen und neoliberalen sowie experimentell-künstlerischen Technologien und Produktionsansätzen. In ihren Abhängigkeiten von diesen vielfältig geschichteten, intersektionalen und oftmals ethisch kompromittierten Variablen erfordern und ermöglichen sie neue posthumanistische Autorenkonzepte, die generativ den Code zur prozeduralen Ko-Autoreninstanz erheben können, jedoch gleichzeitig die menschliche Autorfigur in ein dynamisches, kommunikatives Spannungsfeld zwischen kommerziellen sozialen Medienplattformen und deren Benutzern (a.k.a. Lesern) stellt. Diese vielfältigen Einflüsse vermengen sich zu einem multidimensionalen, demotischen und material kontingenten Autor-Werk-Verhältnis (Skains 2019, 2023), das in seinen medienspezifischen Abhängigkeiten zu neuen, feministischen Kunstformen führen kann. Gleichzeitig spiegeln sich diese Kontingenzen in der materiellen Kurzlebigkeit und raschen Obsoleszenz digitaler Fiktionen wider, die jedoch wiederum in feministischen Lab-Modellen wie z.B. The Next (Grigar et al. 2021-2023) bewahrt und frei zugänglich gemacht werden. Zur Illustration werde ich ausgewählte digitale Fiktionen der britischen Medienkünstlerin Christine Wilks heranführen.

Literaturhinweise:

Bell, A., A. Ensslin & H.K. Rustad (2013) (eds) Analyzing Digital Fiction. New York: Routledge.

Ensslin, A. (2014) Literary Gaming. Cambridge, MA: MIT Press.

Grigar, D. et al. (2021-2023) The Next. https://the-next.eliterature.org/

Skains, R. (2019). Digital Authorship: Publishing in the Attention Economy (Elements in Publishing and Book Culture). Cambridge: Cambridge University Press.

Skains, R. (2023) “The influence of digital platforms on authors of electronic literature and interactive digital narratives”, in A. Ensslin, J. Round und B. Thomas (eds) The Routledge Companion to Literary Media. New York: Routledge. Im Druck.

 

Zur Bedeutung des materialen Widerstandes in der AI-Art

Angela Krewani
Universität Marburg

Der Vortrag fragt nach der Widerständigkeit des Materials in der künstlerischen Praxis von digitaler Kunst und konterkariert damit die weitverbreitete Ansicht, dass digitale Kunst aufgrund der fehlenden Materialität ästhetisch weniger komplex ausfällt.

Ausgehend von den Überlegungen zu einer "Materialität der Kommunikation" wird diese ebenfalls im Arbeiten mit digitalen Kunstwerken angenommen und die Vermutung einer rein digital funktionierenden Ästhetik ausgeschlossen. Allerdings bleibt zu fragen, wie sich die Widerständigkeit des Materials im digitalen Schaffen ausgestaltet. Zur Beantwortung dieser Frage wird in einem ersten Schritt auf die unterschiedlichen technischen Ausgangsbedingungen von digitaler Kunst eingegangen. Hier wird deutlich, dass sich der Widerstand aus den technischen Bedingungen ergibt: KI bietet demnach ein anderes Reservoir an Widerständen als traditionelles digitales Arbeiten. Anhand von künstlerischen Arbeiten werden die jeweiligen ästhetischen Praktiken vorgeführt, die Widerstände in das Arbeiten mit KI einführen. Das Schaffen von Materialitäten bzw. Widerständen gehört demnach maßgeblich zur ästhetischen Praxis.

Eine abschließende theoretische Reflexion fokussiert die jeweiligen Materialitäten der Widerständigkeiten: Der Begriff der Materialität der Kommunikation wird dynamisiert: Materiale Widerstände im Kunstschaffen erscheinen nicht als Elemente mit stabilen physikalischen Eigenschaften, sondern werden im Rahmen einer Theorie des New Materialism als dynamische Entitäten begriffen, die sich im Netzwerk von digitalen Strukturen und individuellem ästhetischen Zugriff ausprägen.

 

Zur Paradoxie und Produktivität von Abhängigkeiten am Beispiel der Netzkunst um 2000

Michael Rottmann
Karlsruher Institut für Technologie

Die Netzkunst um 2000 gilt als medienreflexiv (Baumgärtel 1999). Im Zuge ihrer Befragung bzw. Thematisierung der Bedingungen des Internets weist sie insbesondere auf Abhängigkeiten hin, etwa die ökonomische Bedingtheit seiner Ästhetik. Zugleich begibt sich die Netzkunst selbst in Abhängigkeiten des digitalen Mediums, das sie einsetzt, etwa seiner Hard- und Software. Diese paradoxale Situation möchte ich im ersten Teil meines Beitrages an Fallbeispielen – insbesondere die Künstler*innengruppe Jodi – sowie die spezifische künstlerische Produktion und ihres Dispositivs auf Basis meiner aktuellen Forschung zur Netzkunst rekonstruieren.

In einem zweiten Teil möchte ich das (vermeintlich) paradoxale Verhältnis von Kunst und digitaler Medientechnik bezüglich der Abhängigkeiten theoretisieren. Dies soll über die geläufige Kritik an einer Kunst, die Technik kritisiert und diese Technik selbst gebraucht, hinausgehen. Vielmehr gilt es aufzuzeigen, dass ein Sich-in-Abhängigkeit bringen – so die Arbeitshypothese – mit der Intention einer Befreiung – insbesondere praxisvermittelt – geschah; hier etwa im Sinne eines aufklärerischen, emanzipatorischen Impulses. Abhängigkeit und Befreiung stehen also in einem dialektischen und produktiven Verhältnis (wie ich für analoge und digitale Kunstformen der 1960er-Jahre und deren Befreiung vom Selbst mittels Systeme dargelegt habe). Dabei gilt es auch zu bedenken, inwiefern eine Kritik des Mediums durch die Netzkunst im Medium selbst möglich ist. Im Speziellen möchte ich vorführen, dass die Netzkunst zur Realisierung ihrer Medienreflexionen bzw. Werkkonzeptionen just auf Abhängigkeiten, etwa in der Praxis des Internetgebrauchs, setzen musste und konnte und auch derart Abhängigkeiten produktiv machte.

Literatur (Auswahl)

Tilman Baumgärtel, [net.art]. Materialien zur Netzkunst, Verlag für Moderne Kunst, Nürnberg 1999.