Veranstaltungsprogramm

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Sitzungsübersicht
Sitzung
P 105/195/116: Wirtschaftliche und technische Abhängigkeiten der Kunst
Zeit:
Freitag, 29.09.2023:
11:00 - 12:30

Chair der Sitzung: Patrick Nehls, Universität Bonn
Ort: Raum 6

Raum 0.002

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Präsentationen

Verlust und Reichweite: Poetry Slam auf YouTube

Henrik Wehmeier

Universität Hamburg, Deutschland

Der Boom des Poetry Slams in Deutschland wird oft auf dessen Liveness zurückgeführt: als abendliches Event lebe der Poetry Slam von der Interaktion der ko-präsenten Performer:innen und Zuschauer:innen. Diese Deutung übergeht jedoch, dass der Aufschwung des Poetry Slams in Deutschland maßgeblich von online verbreiteten Aufzeichnungen abhängt; so war es zum Beispiel Julia Engelmanns Slampoem „One Day“, das sehr erfolgreich auf Videoplattformen wie YouTube zirkulierte. Dabei zeigt sich ein auffälliges Abhängigkeitsverhältnis: Frühere Mediatisierungsversuche des Poetry Slams etwa durch das Fernsehen blieben randständig, erst auf Videoplattformen tritt eine reichweitenstarke Verbreitung auf, die wiederum in Zuschauerrekorde bei den Liveevents mündet. Der Grund hierfür ist – so die These des geplanten Vortrags – das erst diese Form der unprofessionell anmutenden Mediatisierung (die sich zum Beispiel in der niedrigen Auflösung, der wackeligen Kamera und der schlechten Tonqualität zeigt) erfolgreich ist, da sie durch die – unabsichtlichen oder intendierten – audiovisuellen Störungen an die Evokation eines Authentizitätseffekts anschließt, der eine wichtige Rolle im Poetry Slam spielt. Am Beispiel von Mona Harrys „Norden“ soll aufgezeigt werden, wie ein verlustreiches Umformatieren für eine erfolgreiche Zirkulation sorgt. Überspitzt formuliert also das „Scheitern“ an den plattformspezifischen Formatabhängigkeiten paradoxerweise zum Kriterium einer erfolgreichen Zirkulation wird. So wird die Aufzeichnung von Harrys Performance durch eine Landesbehörde heruntergeladen, fehlerhaft umformatiert (u.a. wird das Bildformat verzerrt und die Auflösung verringert), illegitim wieder hochgeladen und erfährt in dieser Form eine virale Verbreitung. Damit bietet sich das Beispiel an, um grundlegend über Fragen der Abhängigkeit von Formaten und Plattforminfrastrukturen zu reflektieren, aber auch um die wechselseitige Abhängigkeit von Liveness und Mediatisierung zu diskutieren.



Der bundesdeutsche Low Budget Gebrauchsfilm im Spiegel seiner Abhängigkeiten (1950–1981)

Alexander Stark

Philipps-Universität Marburg, Deutschland

In meinem Beitrag nehme ich eine filmhistorische Perspektive ein und gehe von der Annahme aus, dass Gebrauchsfilme Produkte eines komplexen, teils für diese Filmgattung spezifischen Geflechtes von Abhängigkeiten sind. Anknüpfend an Kesslers „historische Pragmatik“ und die Gebrauchsfilmforschung widme ich mich anhand des Fallbeispiels der Dortmunder Filmemacherin Elisabeth Wilms der These, dass die Erforschung dieser Abhängigkeiten einen integralen Bestandteil zum Verständnis insbesondere des Low Budget Gebrauchsfilms leisten kann.

Da es sich hierbei häufig um Produktionen handelte, die für Auftraggebende entstanden, welche selbst nicht in der Filmbranche tätig waren, waren diese Akteur:innen unmittelbar von der Expertise des Filmproduzierenden abhängig. Diese:r stand wiederum in einem wirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältnis zum Auftraggebenden und in Konkurrenz zu anderen Freelancer:innen. Die finanziellen Möglichkeiten des Auftraggebenden hatten wiederum großen Einfluss auf Gestaltung und Form der Filme und das 16mm-Format und die daran gekoppelten technischen Infrastruktur war determinierend für ihre Auswertung. Zudem waren Gebrauchsfilme von ihrem Zweck abhängig: Sobald dieser nicht mehr gegeben war, wurden sie für den Auftraggebenden häufig wertlos und nicht archiviert, was wiederum ihre Erforschung erschwert.

Bibliografie

Kessler, Frank: „Historische Pragmatik“. In: Montage AV 2, 2002, S. 104–112

Stark, Alexander: Die „filmende Bäckersfrau“ Elisabeth Wilms Amateurfilmpraktiken und Gebrauchsfilmkultur, Marburg 2023

Zimmermann, Yvonne (Hrsg.): Schaufenster Schweiz. Dokumentarische Gebrauchsfilme 1896–1964, Zürich 2011

Kurzbiografie

Alexander Stark ist Filmhistoriker und administrativer Projektkoordinator bei NFDI4Culture an der Philipps-Universität Marburg. In seiner Dissertation (erschienen 2023 im Schüren Verlag) untersucht er die historischen Schnittpunkte von Amateur- und Gebrauchsfilmproduktion in der BRD am Beispiel der Filmemacherin Elisabeth Wilms.



Techniken des Computerspiels im postkinematografischen Film

Cyrill Miksch

Universität Wien, Österreich

In meinem Vortrag will ich untersuchen, wie aufgrund der Digitalisierung des Films technologische Verfahren und ästhetische Praktiken des Computerspiels, wie der Gebrauch von Game Engines und die Praxis des Patchens Einzug in die postkinematografische Filmproduktion gehalten haben.

Neben Techniken, die lediglich analoge Verfahren simulieren, wie etwa das digital editing den Schnitt, oder solchen, die als Erweiterung bestehender beschrieben werden können, wie z.B. der green screen als Ersetzung der matte paintings, gibt es auch genuin digitale Techniken, wie beispielsweise das datamoshing. Einen Spezialfall solcher originär digitalen Verfahren machen die folgenden Beispiele aus, die eine Abhängigkeit digitaler Filmproduktion vom Medium des Computerspiels anzeigen.

Nachdem der Film Cats (2019) aufgrund des grotesken Aussehens der mittels Motion Capturing in Katzenform gemorphten Schauspieler:innen auf harsche Kritik gestoßen war, wurde eine neue Version in die Kinos gebracht, in der die digital produzierten Haare der Protagonist:innen, auf neue Weise gerendert wurden. Es handelte sich dabei nicht um ein Remake, sondern um ein Update oder einen Patch, wie es bei Computerspielen üblich ist.

Ein zweites Beispiel stellen die Dreharbeiten zur Star-Wars-Serie The Mandalorian (2019-) dar. Anstatt vor green screens wurde hier in einer riesigen Kuppel gefilmt, die aus LED-Bildschirmen besteht. Die Umgebung wurde dabei in Echtzeit durch die Unreal Engine, eine Entwicklungsumgebung zur Erstellung von 3D-Computerspielen, berechnet. Die Schauspieler:innen agierten hier gewissermaßen innerhalb einer Computerspielwelt, die sie während der Dreharbeiten um sich sahen.

In meinem Vortrag will ich untersuchen, ob sich in dieser medialen Abhängigkeit nicht nur eine Inanspruchnahme bestehender Techniken zeigt, sondern auch eine Durchlässigkeit und Fluidität zwischen den Medien offenbart, die durch die materielle Vereinheitlichung der Digitalisierung hervorgerufen wurde.