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Sitzungsübersicht
Sitzung
AGS 118: Abhängigkeiten und Rückkopplungen zwischen Medien, Plattformen und Verschwörungserzählungen
Zeit:
Donnerstag, 28.09.2023:
16:00 - 17:30

Ort: Raum 5

Raum 0.001

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Präsentationen

Abhängigkeiten und Rückkopplungen zwischen Medien, Plattformen und Verschwörungserzählungen

Chair(s): Vincent Fröhlich (Philipps-Universität Marburg, Deutschland), Angela Krewani (Philipps-Universität Marburg, Deutschland)

Spätestens mit der COVID-19-Pandemie hat sich gezeigt, welche zentrale Rolle digitale Medien in der Entstehung, Verbreitung und Gestaltung von neuartigen politisch aktiven Gemeinschaften, Verschwörungsnarrativen und alternativem Wissen haben. Heute bestimmen nicht allein menschliche Praktiken und von Menschen hergestellte Inhalte politische Diskurse, sondern gerade die Abhängigkeit von technischen Kommunikationsstellen bringt neue Gefüge hervor. Auch aufgrund einer äußerst niederschwelligen Produktionsweise, der leichten Teilbarkeit und dem Viral-Gehen digitaler Inhalte entwickeln sich Eigendynamiken, die für Demokratien eine nicht zu unterschätzende Herausforderung darstellen.

Die AG spürt in ihrem ersten gemeinsamen Panel dieser Abhängigkeit multiperspektivisch nach. Ziel ist es, den menschlich-technischen Gefügen und ihren medialen Dynamiken wie den daraus erwachsenden politisch-gesellschaftlichen Konsequenzen nachzugehen. Fragen nach der Entstehung und Funktionsweise von Verschwörungserzählungen und digitalen Gemeinschaften bilden die Grundlage. Vor allem die Abhängigkeiten und Rückkopplungen zwischen Medien, Plattformen, Akteur:innen und Verschwörungserzählungen werden dabei aufgefächert.

Anne Ulrich nimmt eine medientheoretische Relektüre des Ansatzes von Boris Groys Buchs Unter Verdacht (2000) vor und fragt nach den Gemeinsamkeiten von Medientheorien und Verschwörungsnarrativen hinsichtlich der Abhängigkeit von sich selbst verbergenden Medien. Martin Hennig untersucht anhand von Tichys Einblick die Abhängigkeit von Strukturen des Printmediums und der von Anfang an mitgedachten Anschlusskommunikation auf digitalen Plattformen. Vincent Fröhlich analysiert die Plattform-Abhängigkeiten und Rückkopplungen zwischen konspirationistischem Denkstil, Lebensstil und Erzählstil anhand eines Bildes von Q auf 4chan. Deborah Wolf vergleicht ein- und dieselben Filmaufnahmen aus unterschiedlichen Verschwörungsfilmen und stellt die Abhängigkeit von diskursiven und dispositiven Kontexten aus.

 

Beiträge des Symposiums

 

Das Narrativ des Narrativs. Mediale Abhängigkeiten vom Narrativen bei Verschwörungserzählungen

Martin Hennig
Eberhard Karls Universität Tübingen

In Untersuchungen zu Verschwörungserzählungen bleibt der Begriff des Narrativs häufig vage und undefiniert (vgl. exemplarisch Nocun/Lamberty 2020). Dabei werden zum Beispiel Metaphern (‚Flüchtlings-Flut‘), kulturelle Stereotype, historische Referenzen und Oppositionsbildungen redundant auf derselben Ebene als Narrative benannt. Im Vortrag werden deshalb eingangs Ebenen identifiziert, auf denen erzähltheoretische Begriffe und Perspektiven bislang Anwendung gefunden haben und mögliche forschungsleitende Konzeptionen des Narrativbegriffs im Bereich der Verschwörungserzählungen diskutiert und auf ein konkretes Beispiel angewendet.

Untersucht werden vor diesem Hintergrund exemplarisch die narrativen Strategien des Printmagazins “Tichys Einblick”, Ebenen des Zusammenwirkens der Texte innerhalb einer Magazinausgabe sowie Aspekte der crossmedialen Vermarktung und der Aktualisierung des semantischen Potenzials des Magazins auf digitalen Kanälen. Die kondensierten ‚Geschichten‘ und Erzählungen des Magazins werden dabei mit Blick auf die dort entwickelten Wertesysteme und narrativen Grundmuster untersucht, die dann als rhetorisch funktionalisierte Topoi in kürzeren Texten (Social Media-Postings) der Aufmerksamkeitserzeugung, Erinnerung/Rekapitulation/Tradierung und vor allem der Überzeugung dienen. Anhand aktueller Beispiele aus dem Jahr 2023 geht es dabei insbesondere um die Abhängigkeit der Form der Anschlusskommunikation auf sozialen Netzwerken von den narrativen Strukturen des Magazins.

Kurzbiographie

Dr. Martin Hennig ist Medienkulturwissenschaftler und Postdoc am Internationalen Zentrum für Ethik in den Wissenschaften (IZEW) an der Universität Tübingen. Seine Forschungsschwerpunkte umfassen u.a.: Digitale Kulturen, Medienethik, Narratologie, Technikimaginationen, Game Studies, Medien-, Raum- und Subjekttheorien. Veröffentlichungen im Vortragskontext: Medien und Realität. Verfahren der Analyse von ‹Fake News› und hermetischer Weltmodelle. In: Jan-Oliver Decker u.a. (Hg.): Mediale Strukturen – Strukturierte Medialität. Kiel: Ludwig 2021, S. 481-495; Von Storytelling bis Verschwörungserzählungen: Förderung narrativer Kompetenz im Deutschunterricht am Beispiel medialer Krisenkommunikation. In: Stefan Schallenberger/Matthis Kepser (Hg.): Presse im Zeitalter der Digitalisierung – neue Aufgaben für den Deutschunterricht. MiDU – Medien im Deutschunterricht. 2022. URL: https://journals.ub.uni-koeln.de/index.php/midu/article/view/1607

 

Abhängigkeit oder Sehnsucht? Verschwörung, Metaphysik und Medientheorie

Anne Ulrich
Eberhard Karls Universität Tübingen

Marcus Krause, Arno Meteling und Markus Stauff haben bereits 2011 in "The Parallax View. Zur Mediologie der Verschwörung" auf erstaunliche Parallelen zwischen Verschwörungs- und Medientheorien hingewiesen: Bei beiden gehe man erstens davon aus, dass sich der Untersuchungsgegenstand „unter der Oberfläche des gemeinhin Sichtbaren und Anerkannten“ befinde, zweitens werde die Theorie oft mit polemischem und aufklärerischem Gestus vorgetragen und drittens eine große „Erklärungsreichweite“ angenommen, da die Befunde letztlich die gesamte Gesellschaft beträfen (S. 14f.). In der Tat operieren viele Medientheorien mit dem Konzept der Unsichtbarkeit bzw. Selbstverbergung des Mediums und einem sich daran anknüpfenden (Manipulations-)Verdacht. Als ergiebigster Beleg dafür, dass Medientheorien, wie Krause, Meteling und Stauff zuspitzen, „immer auch beziehungsweise immer schon Verschwörungstheorien“ gewesen seien (S. 12), wird die Monographie "Unter Verdacht. Eine Phänomenologie der Medien" (2000) des Kunsttheoretikers Boris Groys genannt.

Der Beitrag unternimmt eine ebenso kritische wie differenzierte Relektüre dieses Ansatzes, der sich als radikale Rückkehr zur Metaphysik versteht und pauschal gegen die „poststrukturalistische Philosophie des Fließens“ wendet (S. 42). Diese sei bloß Symptom einer tief liegenden „ontologischen Angst“ vor einem „Subjekt im submedialen Raum, das die Bewegungen des Einzelnen aus dem Jenseits der medialen Oberfläche heraus beobachtet“ (S. 41) Wenn Groys dazu auffordert, sich dieser Angst zu stellen, könnte dies wiederum als Symptom einer Sehnsucht nach metaphysischen Gewissheiten gedeutet werden – eine Sehnsucht, die sich auch in Verschwörungserzählungen manifestiert, in Form eines tremendum et fascinosum angesichts einer alles steuernden und manipulierenden unsichtbaren Entität.

Kurzbiographie

Dr. Anne Ulrich ist Akademische Rätin am Institut für Medienwissenschaft der Universität Tübingen. In ihrer aktuellen Forschung beschäftigt sie sich mit der Geschichte und Funktion der Gespenstermetapher in der Medienwissenschaft. Weitere Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich Fernsehtheorie, Medienrhetorik und politische Kommunikation. Jüngste Veröffentlichung (hrsg. mit Dominik Maeder u.a.): "Trump und das Fernsehen. Medien – Realität – Affekt – Politik" (Köln: Halem, 2020).

 

Persuasive Rhetorik: Situierte Überzeugungspotenziale filmischer Verschwörungserzählungen über den 11. September 2001

Deborah Wolf
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

Verschwörungserzählungen überzeugen. Warum sonst glauben so viele Menschen konspirationistische Deutungen über die Anschläge vom 11. September? Überzeugungskraft generieren nicht nur Inhalte, sondern auch die Art ihrer Vermittlung. Beginnend mit Richard Hofstadters Überlegungen zum paranoid style haben Forscher*innen verschiedener Disziplinen ihre stilistische, d. h. ästhetische und narrative Gestaltung untersucht – und sind dabei zu unterschiedlichen Ergebnissen gekommen. Das ist nicht verwunderlich, denn die Wirkungspotenziale einzelner Ressourcen (Phelan 2018) und ganzer Erzählungen sind durch komplexe Verflechtungen bedingt, die sie in diskursiven Zusammenhängen verorten. Nicht zufällig wird die Abhängigkeit individueller und kultureller Dynamiken von ihren Kontexten in den letzten Jahren unter den Schlagworten situierte Affektivität (Candiotto/Slaby 2022) bzw. situierte Narratologie (Dinnen/Warhol 2018, Lanser/Rimmon-Kenan 2019) programmatisch betont.

Filmische Verschwörungserzählungen weisen eine persuasive Rhetorik auf, die sich durch die Wechselwirkung kognitiver und affektiver Aspekte auszeichnet. Ihr Wirkungsspektrum ist an die Kapazitäten ihrer audiovisuellen Materialität und die Distributionsstrukturen von Onlinekommunikationsräumen gebunden. Die persuasive Rhetorik filmischer Verschwörungserzählungen zeigt so die Relevanz medienwissenschaftlicher Forschung in diesem Feld.

Der Beitrag befasst sich mit den Filmen Loose Change und Zeitgeist. Beide sind einflussreiche Diskursäußerungen, die in einer Zeit weitreichender medialer Transformationsprozesse entstehen. In ihnen werden Möglichkeiten ausgelotet und Strukturen entwickelt, die bis heute das Verschwörungserzählen prägen. Als Teil einer größeren Studie zeigt der Beitrag die Inszenierungslinien und persuasiven Potenziale sowie deren Abhängigkeit vom filmischen und diskursiven Kontext.

Kurzbiografie

Deborah Wolf promoviert zur persuasiven Rhetorik filmischer Verschwörungserzählungen über den 11. September 2001. Aktuell ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Sie arbeitet u. a. zu Fake News und Verschwörungstheorien, Verschwörungserzählungen im Film und den Anschlägen vom 11. September 2001 in verschiedenen medialen Kontexten. Ihre Forschungsinteressen sind Faktualität als Konzept, narratologische Rhetorikforschung und politisches Erzählen.

 

Die drei Dimensionen des Konspirationismus und Trump in "Jagd auf roter Oktober"

Vincent Fröhlich
Philipps-Universität Marburg

In meinem Beitrag möchte ich die drei Dimensionen des Konspirationismus anhand eines Beispiels vorstellen. In dem gemeinsam mit Michael Mertes verfassten Buch "#der neue Konspirationismus" adaptieren wir den Begriff des paranoiden Stils von Richard Hofstadter und schlagen vor, Konspirationismus als Feld aufzugliedern. Konspirationismus als Denkstil ist eine Form der Produktion von alternativem Wissen. Konspirationismus als Erzählstil ist eine Form der Herstellung von Zusammengehörigkeit in Erzählgemeinschaften, die in Extremfällen den Charakter von Fangemeinschaften annehmen. Der neue Konspirationismus beruft sich zum einen eklatant häufig auf fiktionale Filme und Bücher. Zum anderen bedient er sich auffallend oft erzählerischer und serieller Mechanismen. Neuere Verschwörungserzählungen machen sich also in zweifacher Weise Erzählerisches zu Nutze. Gerade dies bildet einen wichtigen Bestandteil ihrer Wirksamkeit, ihres Reizes, ihrer Deutungsmacht, ihres Mobilisierungspotenzials. Beide Dimensionen – Denkstil und Erzählstil – sind wirksam im Konspirationismus als Lebensstil, der Realität und Fiktion miteinander verknüpft.

Wie diese drei Dimensionen verknüpft sind, möchte ich anhand eines bildlichen Mashups erklären, das Q auf der Imageplattform 4chan mehrmals gepostet hat. Es handelt sich dabei um das Plakat für den Film "Jagd auf Roter Oktober", in das aber statt des Hauptdarstellers Sean Connery der damalige Präsident Donald Trump eingesetzt ist. Wie Q serielle Rückkopplungsschleifen benutzt, wie er den Post vorbereitet und immer wieder auf ihn zurückgreift, ist Teil der vorgeführten Analyse.

Kurzbiographie:

Dr. Vincent Fröhlich leitet das DFG-Forschungsprojekt "Seeing Film between the Lines" zu illustrierten Filmzeitschriften. Jüngste Publikationen beschäftigen sich unter anderem mit der Zirkulation und Ästhetik von Filmbildern, dem Layout von illustrierten Zeitschriften und Protesten von Fans gegen die Einstellung von Fernsehserien. (Zusammen mit Michael Mertes): #Der neue Konspirationismus. Wie digitale Plattformen und Fangemeinschaften Verschwörungserzählungen schaffen und verbreiten, 2022; "Periodizität". In: Oliver Scheiding/Sabina Fazli (Hg.): Handbuch Zeitschriftenforschung. Disziplinäre Perspektiven und empirische Sondierungen, 2023.