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Sitzungsübersicht
Sitzung
P 134: Intersektionale und mediale Abhängigkeiten: von Herrschaftsverhältnissen und Solidaritäten
Zeit:
Donnerstag, 28.09.2023:
11:00 - 12:30

Ort: Raum 5

Raum 0.001

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Präsentationen

Intersektionale und mediale Abhängigkeiten: von Herrschaftsverhältnissen und Solidaritäten

Chair(s): Louise Haitz (Universität Wien, Österreich)

Unser Panel untersucht Abhängigkeiten unter Gesichtspunkten intersektionaler Theoriebildung und fragt wie sie in Kunst und Medien zur Erscheinung und Wirkung kommen. Intersektionale Theorien gehen von der Relationalität sozialer Positionen und Kämpfe aus (The Combahee River Collective 1977; Crenshaw 1989). Als Analysewerkzeug macht Intersektionalität komplexe Hierarchien und Herrschaftsverhältnisse problematisierbar und ermöglicht die Beschreibung sowie das Erarbeiten von Solidaritäten. Derlei Abhängigkeiten wollen wir, auch im Anschluss an Butler (2016) und Berlant (2022) als basale menschliche Beziehungsförmigkeit denken, die Bedingung für Herrschafts- ebenso wie für solidarische Verhältnisse ist. Die medienwissenschaftliche Analyse vermag es unserer Ansicht nach zu zeigen, wie Abhängigkeiten als wirksame und wahrnehmbare Wissensobjekte hervorgebracht werden. Wir untersuchen mithin die medialen Verfahren – Ästhetiken, Poetiken, Diskurse –, die in unseren Beispielen Abhängigkeiten als Solidaritäten hervorbringen (Poppe zu dekolonialen Heimsuchungen, Schweigler zu intergenerationalen Beziehungen in Medienpraktiken, Kapfer zu „Precarious-Girl Comedies“) und/oder Abhängigkeiten in Herrschaftsverhältnisse überführen (Haitz zu #MeToo vs. #NotMe).

Butler, Judith (2016): Anmerkungen zu einer performativen Theorie der Versammlung, Berlin: Suhrkamp.

Berlant, Lauren (2022): On the Inconvenience of Other People, Durham: Duke UP.

Combahee River Collective (1977, 2017): „The Combahee River Collective Statement“, in: Keeanga-Yamahtta Taylor (Hg.) How We Get Free: Black Feminism and the Combahee River Collective. Chicago: Haymarket Books.

Crenshaw, Kimberlé (1989): „Demarginalizing the Intersection of Race and Sex: A Black Feminist Critique of Antidiscrimination Doctrine“, Feminist Theory and Antiracist Politics, The University of Chicago Legal Forum, 1989/1, S. 139–67.

 

Beiträge des Symposiums

 

Abhängigkeiten aus/nutzen – Täter*innenstrategien und neoliberaler Feminismus

Louise Haitz
Universität Wien, Österreich

Mein Beitrag verknüpft Erkenntnisse aus der sozialwissenschaftlichen Forschung zu intimer Partner*innengewalt mit einer medienwissenschaftlichen Diskursanalyse der #MeToo-Debatte. Als Gewalt bezeichne ich das Ausüben von Kontrolle durch Zwangsmittel (vgl. Stark 2007; Hayes/Jeffries 2016; Barlow/Walklate 2022), die Verletzung von Selbstbestimmung, das Zufügen von Schmerz, Erzeugen von Angst, von Gefühlen der Ausweglosigkeit und das Zerstören von Lebensfreude. Als täter*innenstrategisch bezeichne ich Handlungs- und Denkweisen, die Gewalt legitimieren und ermöglichen – z.B. das Ausnutzen von Abhängigkeit. Mein medienanalytischer Fokus liegt auf Positionen, die gegen #MeToo artikuliert werden. Ich möchte zeigen, dass die neoliberalfeministischen Imaginationen souveräner Unabhängigkeit – sich wehren, nein sagen, gehen, anzeigen – Täter*innenstrategien stärken, indem sie Abhängigkeiten verschleiern und ihre Ausnutzung implizit legitimieren (vgl. Berlant 2011; Kessel 2019). Im Umkehrschluss liegt es nahe, dass Strategien, die Abhängigkeit als wechselseitige Angewiesenheit von Menschen aufeinander (Athanasiou/Butler 2014) nutzen und betonen, Widerstand gegen Gewalt ermöglichen.

Athanasiou, Athena/Butler, Judith (2014): Die Macht der Enteigneten das Performative im Politischen, Zürich: Diaphanes.

Barlow, Charlotte/Walklate, Sandra (2022): Coercive Control, London, New York: Routledge.

Berlant, Lauren (2011): Cruel Optimism, Durham, London: Duke UP.

Hayes, Sharon/Jeffries, Samantha (2016): „Romantic Terrorism? An Auto-Ethnographic Analysis of Gendered Psychological and Emotional Tactics in Domestic Violence“, Journal of Research in Gender Studies, 6(2), S. 38–61.

Kessel, Alisa (2019): „The Cruel Optimism of Sexual Consent“, Contemporary Political Theory, 19(3), S. 359–380.

Stark, Evan (2007): Coercive Control : How Men Entrap Women in Personal Life, New York: Oxford University Press.

Kurzbio:

Louise Haitz (sie/ihr) war von 2017–2022 Universitätsassistentin am Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft der Universität Wien. Sie promoviert mit der Arbeit „Authentisch Leiden. Die mediale Herstellung von Un/Glaubwürdigkeit in Fällen sexualisierter Gewalt“. Seit 2019 ist sie Mitglied im European Network on Gender and Violence ENGV. Letzte Publikation: „Medienwissenschaft und Intersektionalität“, in; Handbuch Intersektionalitätsforschung (hg. Mefebue, Bührmann, Grenz).

 

„Precarious Girl Comedies“ – vom Scheitern zur Solidarität?

Leonie Kapfer
Universität Wien, Österreich

In meinem Beitrag möchte ich anhand der Besprechung von sogenannten „Precarious Girls Comedies“ (Wanzo 2016) zeigen, dass sich die „postfeministische Sensibilität“ (Gill 2007) gewandelt hat und durch eine veränderte Gefühlsstruktur ersetzt wurde. An Stelle von Autonomie, Wahlfreiheit und Empowerment wird in diesen Serien mittels narrativer und ästhetischer Mittel ein diffuses Unbehagen erzeugt, das sich in einem seriellen Scheitern manifestiert, dem die Protagonistinnen* ‚unterworfen‘ sind. Diese repetitive Struktur setzt einerseits negative Gefühle in Bewegung, anderseits zeigt sich darin eine Form der Abhängigkeit: denn die Girls Scheitern nicht nur an sich selbst, sondern vor allem an den Strukturen, in die sie eingelassen sind. Diese entindividualisierende Inszenierung von Versagen verstehe ich als eine Kritik an meritokratischen Versprechungen und als Anerkennung einer universellen Ausgesetztheit. In den Formaten wird Abhängigkeit somit seriell hervorgebracht. Diese inszenierte Abhängigkeit möchte ich in meinem Beitrag in Anlehnung an Judith Butler (2016) und Sabine Hark (2017) als möglichen Ansatzpunkt für solidarische Kollektive diskutieren.

Butler, Judith (2016): Anmerkungen zu einer performativen Theorie der Versammlung, Berlin: Suhrkamp.

Gill, Rosalind (2007): Gender and the Media, Cambridge: Polity Press.

Hark, Sabine (2017): Koalitionen des Überlebens. Queere Bündnispolitiken im 21. Jahrhundert, Göttingen: Wallstein.

Wanzo, Rebecca (2016): „Precarious-Girl Comedy. Issa Rae, Lena Dunham, and Abjection Aesthetics“, Camera Obscura 31(2), S. 27–59.

Kurzbio:

Leonie Kapfer ist Universitätsassistentin (prae-doc) am Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft der Universität Wien. Zuvor war sie vier Jahre als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Frauen- und Geschlechterforschung der Johannes-Kepler-Universität Linz beschäftigt. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Feministische Theorie, Gender Media Studies und audiovisuelle Formen des Selbstbezugs.

 

Dekoloniale Phantome in Kitso Lynn Lelliots South Atlantic Hauntings: Geographies of Memory, Ancestralities and Re-Memberings

Olivia Poppe
Universität Wien

In meinem Beitrag werde ich Theorien kultureller und sozialer Heimsuchung in Bezug auf dekoloniale Praxen beleuchten. Dabei argumentiere ich, dass es sich hierbei um „undisziplinierte Methoden“ (Sharpe 2016: 13) handelt. Das Vokabular der Heimsuchung soll die Dialektik von Abhängigkeitsverhältnissen nicht nur beschreiben, sondern darin auch ein Transformationspotential zur Veränderung dieser Konstellationen bereitstellen (Gordon 2008: 21). Diese Arbeit lässt sich eindrücklich an das Projekt South Atlantic Hauntings: Geographies of Memory, Ancestralities and Re-Memberings der (Video-)Künstlerin Kitso Lynn Lelliot (2018) nachvollziehen. Sie verarbeitet Theorien der Heimsuchung in essayistischen Bild- und Tonwelten, um epistemische Kategorien von Sein und Wissen vor dem Hintergrund kolonialer Gewalt zu verunsichern. Im Kontext meiner Präsentation wird Heimsuchung als soziales und kulturelles Phänomen der Abhängigkeit anhand von Lelliots dekolonialen Phantomen herausgearbeitet. Beantwortet werden soll, wie das kulturelle Konzept von Heimsuchung Diskurse von Macht, Agency und Sozialität an ihren intersektionalen Schnittstellen transformiert und wie mediale Performanzen diese Aushandlungen hervorbringen.

Derrida, Jacques (2019): Marx’ Gespenster. Der Staat der Schuld, die Trauerarbeit und die neue Internationale, Frankfurt a. M.: Fischer.

Gordon, Avery F. (2008): Ghostly Matters. Haunting and the Sociological Imagination, Minneapolis: Minnesota UP.

Lelliott, Kitso Lynn (2018): South Atlantic Hauntings. Geographies of Memory, Ancestralities and Re-Memberings, About — South Atlantic Huntings, Zugriff am 20.03.2023.

Sharpe, Christina (2016): In the Wake. On Blackness and Being, Durham/London: Duke UP.

Spivak, Gayatri C. (1995): „Ghostwriting“, Diacritics 25(2), S. 64–84.

Kurzbio:

Olivia Poppe ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl Kulturgeschichte audiovisueller Medien am Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft der Universität Wien. Sie hat die Studien Musikerziehung und Theater-, Film- und Medienwissenschaft abgeschlossen. Ihr Interessensschwerpunkt sind intersektionale Fragen an der Schnittstelle von Gesellschaft, Geschichte und Kultur. Im Rahmen der Promotion forscht sie zu Konzepten der Heimsuchung aus medienkulturwissenschaftlicher Perspektive.

 

Queer Theory, Gerontologie und Medien

Stefan Schweigler
Universität Graz

In meinem medienkulturwissenschaftlichen Dissertationsprojekt und meiner Mitarbeit am Zentrum für interdisziplinäre Alterns- und Care-Forschung befasse ich mich aus intersektionaler Sicht mit rezenten medialen Verhandlungen von queerer Gesellschaftskritik durch die LGBTIQA+-Community. Dabei geht es im Besonderen um die Beobachtung und Analyse diverser populärkultureller, künstlerischer, aktivistischer und/oder theoretischer Strategien, die Begriffe von Involvierung, Sorge und Interdependenz als „queer worldbuilding“ (Berlant 2022) produktiv machen und sich durch einen formativen, alternative Zukünfte gestaltenden Anspruch auszeichnen. Aus den Zusammenhängen meiner Dissertation heraus vorgestellt, fokussiert mein Beitrag auf mediale Verhandlungen intergenerationaler Beziehungen an der Schnittstelle von Queerness und Alter(n), die mit dem Konzept „making kin not population“ (Clarke/Haraway 2018) korrelieren und Figuren der Abhängigkeit politisieren. Präsentiert werden Bezugnahmen auf Care-Begriffe und Care-Ethik (vgl. Tronto 2017) innerhalb queerfeministischer Theoriebildung sowie eine künstlerische Arbeit der australischen Drag Queens „The Motel Sisters“ in einem Pflegeheim für ältere Menschen.

Berlant, Lauren (2022): On the Inconvenience of Other People, Durham: Duke UP.

Clarke, Adele E./Donna Haraway (Hg.) (2018): Making Kin Not Population, Chicago: Prickly Pradigm Press.

Tronto, Joan C. (2017): „There is an alternative: homines curans and the limits of neoliberalism“, International Journal of Care and Caring 1(1), S. 27–43.

Kurzbio:

Stefan Schweigler ist wiss. Mitarbeiter (PräDoc) im Forschungsprojekt „Gender Matters: Aging, Care, and Migration“ am Center for Interdisciplinary Research on Aging and Care (Universität Graz) sowie Literarar Mechana Stipendiat. Forschungsschwerpunkte sind Medientheorie, Care-Ethik und Intersektionalität. Er ist Mitherausgeber des 2022 erschienen Sammelbands „Pride. Mediale Prozesse unter dem Regenbogen“ (Open Access).