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Sitzungsübersicht
Sitzung
P 190: Abhängen in / von sozialen Plattformen: Meme Cultures und die digitale Aufmerksamkeitsökonomie
Zeit:
Donnerstag, 28.09.2023:
14:00 - 15:30

Ort: Raum 5

Raum 0.001

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Präsentationen

Abhängen in / von sozialen Plattformen: Meme Cultures und die digitale Aufmerksamkeitsökonomie

Chair(s): Brigitte Weingart (Universität der Künste Berlin, Deutschland), Chris Tedjasukmana (Johannes Gutenberg-Universität Mainz)

Das Panel nimmt die „medienspezifischen Abhängigkeitsverhältnisse“ (CfP) in den Blick, die sich anhand plattformbasierter Online-Kommunikation beobachten lassen. Dabei wird der Meme Culture ein besonderer Aufschlusswert unterstellt, weil die mehrfach hybride Positionierung von Internet-Memes – zwischen Kunst und Kreativindustrie, DIY-Selbstverwirklichung und Meme-Generator, subkultureller Nischenproduktion und kommerziellem Reichweiten-Trigger – symptomatisch erscheint für die interdependenten Gemengelagen im Netz: Memes sind offensichtlich abhängig von den Funktionsmechanismen der digitalen Aufmerksamkeitsökonomie und deren Implementierung in den Interface-Operationen und algorithmischen Content-Manipulationen, die befördern, dass wir möglichst lange im Netz ‚abhängen‘.

Wenn die digitale Aufmerksamkeitsökonomie kennzeichnet, dass hier die „business ontology“ des von Mark Fisher diagnostizierten „capitalist realism“ in die Währung von Retweets, Likes etc. übersetzt wird, dann riskiert eine auf virale Verbreitung ausgerichtete Meme-Kultur, zur Stabilisierung dieses Zustands als vermeintlich ‚alternativlos‘ beizutragen. Wie steht es unter diesen Bedingungen um das Potential von Memes, die aufmerksamkeitsökonomischen Imperative der vernetzten Medienumgebungen, in denen sie zirkulieren, nicht nur zu bedienen, sondern auch zu irritieren? Oder gehört es zu den grundsätzlichen Eigenschaften digitaler Konnektivität, dass sie bestimmte affektive und politische Irritationen privilegiert? Und gilt auch für Memes, die ihrerseits Abhängigkeiten und gesellschaftliche Schieflagen thematisieren oder alternative Vergemeinschaftungsformen performativ hervorbringen, dass das Medium (im Sinne der aufmerksamkeitsökonomisch ausgerichten Affordanzen sozialer Plattformen) immer schon die Botschaft ist? Wenn Meme Cultures Teil des Problems sind, (wie) können sie dann Teil der Lösung werden?

Im Panel werden diese Fragen aus mehreren Perspektiven anhand unterschiedlicher Meme Cultures diskutiert.

 

Beiträge des Symposiums

 

Konnektiver Zynismus – eine technologisch-ideologische Symbiose

Fabian Schäfer
FAU Erlangen

Im meinem Vortrag gehe ich von der Annahme aus, dass zwischen der technologischen Beschaffenheit der sozialen Medien und dem kulturellen und politischen Zynismus unserer Zeit eine symbiotische Wechselbeziehung besteht. Einerseits begünstigt die konnektive Affordanz des wechselseitigen Likens oder Teilens im Zusammenspiel mit der algorithmischen Funktionsweise der sozialen Medien die Verbreitung eines politischen und kulturellen Zynismus. Zum anderen beruht der Erfolg kultureller und politischer Ausprägungen dieses zeitgenössischen Zynismus – Rechtspopulismus und monetarisierbarer Internethumor – auf einer geschickten Ausnutzung der Aufmerksamkeitsökonomie der sozialen Medien. Überspitzt lässt sich sagen, dass Rechtspopulismus und Zynismus der „Default-Modus“ der sozialen Medien sind, weil sie tief in den Code der Plattformen eingeschrieben sind und deren Algorithmen die aufmerksamkeitsheischenden Grenzüberschreitung stets priorisieren. Ich bezeichne diese doppelte wechselseitige Abhängigkeit zwischen Ideologie und Technologie sowie kultureller und politischer Zynismen als „konnektiven Zynismus“. In meinem Vortrag werde ich nicht nur die theoretischen Grundlagen dieses Begriffs erläutern, sondern anhand von Beispielen zum kulturellen und politischen Zynismus aus Japan und Deutschland auch illustrieren.

 

Aneignungs- und Abhängigkeitsverhältnisse. Zur Double-Bind-Logik kapitalismuskritischer Meme-Produktion

Brigitte Weingart
Universität der Künste Berlin

Internet-Memes sind einerseits vom Plattform-Kapitalismus abhängig, tragen andererseits aber auch zu seiner maximal geschmeidigen Implementierung in unser aller Alltage bei. Kapitalismuskritische Meme-Kulturen sind damit in einen Double Bind verstrickt, richtet sich die Kritik doch auch gegen ihre eigenen Ermöglichungsbedingungen. Auf vergleichbare performative Widersprüche wurde in Kunst und Popkultur im Kontext von ‚Kulturindustrie‘ außer mit Negation oder der Schaffung alternativer Sub-Öffentlichkeiten u.a. mit Taktiken wie ‚subversive Affirmation‘, Mimikry, Cultural Hacking, Ironie und Détournement reagiert. Solche Aneignungsverfahren werden in memetischen Praktiken deutlich beerbt – allerdings nicht zuletzt in den Meme Wars der neurechten Szenen.

Abgesehen von politischen Konkurrenzen ist es aber die grundsätzliche Abhängigkeit von den Infrastrukturen und Affordanzen sozialer Plattformen, die solche Taktiken vor besondere Herausforderung stellt. Denn im Fall von Memes erweist sich die totalisierende Tendenz der digitalen Aufmerksamkeitsökonomie als mediales Apriori ihrer Verfertigung und Zirkulation. Für eine kapitalismuskritische Meme-Produktion heißt das, dass sie als Teil der (einst für solidarische Projekte verheißungsvollen) Partizipationskultur auch an der affektiven Regulierung von digitaler Agency („hooked“) und an deren technischer Enteignung durch Algorithmisierung beteiligt ist.

Der Vortrag fragt (‚trotzdem‘) nach dem kritischen Potential von Memes – unter dem Vorzeichen ihrer Abhängigkeit, aber auch der Abhängigkeit des digitalen Kapitalismus von memefication. Dies geschieht am Beispiel von Kunstmarkt-kritischen Meme-Projekten, denn der Kunstmarkt kann (wie zuletzt seine NFTisierung bewiesen hat) als Metonymie des Kapitalismus gelten. Ein Fokus liegt dabei auf den Memes von Hilde Lynn Helphenstein (aka @jerry.gogosian), die überdies kürzlich eine Ausstellung für Sotheby’s organisiert hat, für die sie die kuratorische Arbeit an „den Algorithmus“ delegierte.

 

Zwischen Eigensinnigkeit und Abhängigkeit: Zur Performanz Performativer Memes

Florian Schlittgen
Universität der Künste Berlin / SFB 1512 Intervenierende Künste

In meinem Vortrag widme ich mich Performativen Memes, also Formaten der Video- und Bildproduktion, auf denen Personen etwas nachstellen bzw. nachmachen. Die durch Nachahmung vermittelte Verbindung vernetzter Individuen steht dabei jedoch nicht im Dienst kollektiver Identitäten oder geteilter Interessen, sondern soll als eine affizierende und intentional kaum beherrschbare Übertragungsform verstanden werden. Ihre Verselbständigungen, die sich bereits bei frühen Photo Fads und heutigen Dance-Challenges verfolgen lassen, zeichnen Performative Memes dahingehend selbst als performativ aus und stehen in tiefer Abhängigkeit zur Netzarchitektur sozialer Medien, deren rhythmischer Feed- und Flowcharakter auch die Bedingungen ihres ebenso schnellen Anschwellens wie Abflachens bilden.

Der Vortrag untersucht die Verzahnung dieser Memes mit einer Aufmerksamkeitsökonomie, die stets bemüht ist, Prosumierende nicht in ihrer Reflexivität zu adressieren, sondern sie in einem gleichsam rezeptiven wie responsiven Modus zu halten. Dabei kommt es jedoch – trotz aller Verwandtschaft mit ‚ansteckenden‘ Übertragungsformen – nicht zu einer Gleichschaltung. Im Gegenteil macht sich in kreativen Variationen des Nachgemachten eine Eigensinnigkeit bemerkbar, ein Begehren, sich in den Bildraum mimetisch einzuschreiben, sich diesem aber nicht vollständig zu fügen. Während im Umgestalten Performativer Memes oft ein Erstarken des Individuums gesehen wurde, bildet die Produktion von Variation aber nicht selten den eigentlichen Motor ihrer Zirkulation. Besonders im Fall unkalkulierbarer Übertragungen, wie sie mit Performativen Memes gegeben sind, verweist Eigensinn dabei nicht allein auf eine individuelle Widerstandsfähigkeit. Er wird vielmehr als strukturbildende Kategorie sichtbar, die sich in Form der Prozessualität und Offenheit von Memes niederschlägt und damit selbst ein produktives Abhängigkeitsverhältnis markiert.