Abgehängt. Ermöglichungsbedingungen gesellschaftlicher Teilhabe älterer Nichtnutzer in China und Deutschland
Cornelia Bogen
Pädagogische Hochschule Ludwigsburg, Deutschland
Spätestens mit dem Ausbruch der Covid-19 Pandemie erfährt der Konnex Altern und Medien in unterschiedlichen kulturellen Kontexten eine erhöhte Aufmerksamkeit. Im Bedrohungsszenario, das der öffentliche Diskurs in China (Bogen 2022) und Deutschland zeichnet, wird älteren Nichtnutzern soziale Isolation und Exklusion von Partizipationsmöglichkeiten unterstellt, um zu betonen, dass gesellschaftliche Teilhabe ohne die Nutzung digitaler Technologien und ohne digitale Kompetenzen immer weniger oder schon jetzt nicht mehr möglich ist (Initiative D 21 e.V., 2021, S. 55; BAGSO 2022, S. 19 und S. 43-44).
Der im Vortrag angestrebte Kulturvergleich geht der Frage nach, welche Lösungsmöglichkeiten politische Institutionen, IT- und Gesundheitsindustrie, Bildungseinrichtungen und zivilgesellschaftliche Akteure in beiden Ländern bereitstellen, um die in den Abhängigkeitsdiskursen marginalisierte Gruppe älterer Wenig- und Nichtnutzer in zunehmend digitalisierte Gesellschaften zu integrieren. Zudem wird aufgezeigt, ob in beiden Ländern Bestrebungen vorliegen, analoge Dienste aufrechtzuerhalten bzw. digitale Angebote so zu modifizieren, dass sie an die Bedürfnis- und Lebenslage älterer Menschen angepasst werden.
Kurzbibliographie
BAGSO (2022). Leben ohne Internet – geht’s noch?
Bogen, Cornelia (2022). Einsam in China. Digitale Mediennutzung älterer Menschen in der Corona-Pandemie. Berliner Debatte Initial 33(1), S. 110-122.
Initiative D 21 e.V. (2021). D 21-Digital-Index 2020/21. Digital skills gap.
Kurzbiographie
Dr. Cornelia Bogen ist akademische Mitarbeiterin an der Abteilung für Kultur- und Medienbildung, Pädagogische Hochschule Ludwigsburg und Redaktionsmitglied der Zeitschrift Medien & Altern. Zu den Forschungsschwerpunkten der Medien- und Kommunikationswissenschaftlerin zählen Transformationsprozesse digitaler Kommunikation und Praktiken in China und Europa, das Medienhandeln älterer Menschen und die mediatisierten Rahmenbedingungen des Alter(n)s in zeitgenössischen Gesellschaften.
Computerspiele als Medien der Abhängigkeit. Von existenzieller zu relationaler Software am Beispiel von Animal Crossing: New Horizons
Sebastian Möring
Universität Potsdam, Deutschland
In diesem Vortrag geht es darum zu untersuchen, welche Abhängigkeiten bestimmten Medien strukturell oder praxeologisch eingeschrieben sind. Im Rückgriff auf die Game Studies und feministische Sorgeethik schlage ich vor, Computerspiele als grundlegend abhängige Medien in zweifacher Hinsicht zu verstehen. Ich argumentiere für eine paradigmatische Unterscheidung zwischen spielinternen existenziellen Sorgestrukturen und externen Sorgeökologien. Spiele mit einer internen existenziellen Sorgestruktur bezeichne ich als existenzielle Software. Dies sind solche Computerspiele, in denen der Erfolg der individuellen Projekte von Spieler*innen davon abhängt, ob sie ein grundlegendes strukturelles Sorgebedürfnis dieser Medien erfüllt wird, wovon der Zugang der Spielenden zum Medium abhängt. Dies sind Spiele wie das Tamagotchi, Tetris oder auch Die Sims. In die Sims kann ich meinem Konsuminteresse nur fröhnen, wenn ich als Spieler*in dafür Sorge trage, dass meine Sims auch überleben. Als Teil externer Sorgeökologien zeige ich, dass Spiele eingebettet in sozio-technische Gefüge und mit verschiedenen Sorgeakteur*innen verflochten sind. Dies wurde vor allem in der Corona-Zeit deutlich, in der das Spiel Animal Crossing: New Horizons einen enormen Absatz erfuhr und für eine Vielzahl von Spieler*innen, Protestbewegungen (z.B. Black Lives Matter, Demokratieproteste in Hongkong) aber auch für Museen und andere Akteur*innen eine Möglichkeit wurde der Abhängigkeit des Sozialen von Möglichkeiten des Kontakts Rechnung zu tragen. Ich zeige weiterhin, dass auch existenzielle Software kann, aber muss nicht Teil einer externen Sorgeökologie sein kann. Wie zu zeigen sein wird, ist Animal Crossing: New Horizons keine existenzielle Software. Es ist als relationale Software in eine externe Sorgeökologie eingebunden, die ebenfalls existenziell ist.
Die Lage bestimmt unsere Medien, weswegen sie (trotzdem oder deshalb) eine Beschreibung verdient und einer Veränderung bedarf
Axel Volmar
Humboldt-Universität zu Berlin, Deutschland
„Medien bestimmen unsere Lage“ – der erste Halbsatz aus Friedrich Kittlers „Grammophon, Film, Typewriter“ stellt die vermutlich bekannteste – und vielleicht auch strittigste – Abhängigkeitsbehauptung der deutschsprachigen Medientheorie dar, die (trotzdem oder deshalb) immer wieder zu Debatten darüber geführt hat, wer denn nun die eigentlichen Agenten der Mediengeschichte seien: die Maschinen oder „der“ Mensch. Jenseits dieses Widerstreits zwischen Technikdeterminismus und Sozialkonstruktivismus hat die globale Pandemie durch den Boom des zuvor zwar vorhandenen, aber kaum genutzten Mediums der Videokonferenz gezeigt, dass sich die Entwicklung, Infrastrukturierung und Nutzung von Medien nicht zuletzt auch in Reaktion auf vorherrschende Situationen (oder in der Übersetzung des englischen Begriffs „situation“ eben Lagen) vollziehen. Der Beitrag unternimmt den explorativen Versuch, das Kittlersche Diktum in einen Dialog mit der jüngeren Infrastrukturtheorie zu stellen und dabei erneut auf seinen Wirkungsbereich hin zu befragen. Es soll dabei jedoch nicht darum gehen, dieses billigerweise unmittelbar zu widerlegen, sondern es mit dem Blick auf die Lagebilder oder Rahmenbedingungen der Mediengeschichte zu der These zu erweitern, dass Medien nur deshalb unsere Lage bestimmen, weil zuvor Lagen unsere Medien bestimmt haben. Diese verdienen (trotzdem oder deshalb) eine differenzierte Analyse, insbesondere hinsichtlich der Frage, um welche bzw. wessen spezifische Lagen es sich eigentlich handelt, denen wir schließlich „unsere“ Medien verdanken, unter welchen Bedingungen sich die Universalisierung situativ entstandender Medien vollzieht und wessen Situationen davon letztlich unberührt bleiben. Der Beitrag nimmt die Abhängigkeit vom Situationszusammenhang daher als Bezugspunkt, um eine medienwissenschaftliche Infrastrukturforschung nicht von technischen Einrichtungen und Systemen, sondern von alltäglichen Infrastrukturierungspraktiken her zu denken.
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