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Sitzungsübersicht
Sitzung
AGS 140: Differentielle Abhängigkeiten – queer/feministische Methoden der Situierung
Zeit:
Donnerstag, 28.09.2023:
9:00 - 10:30

Ort: Raum 7

Raum 1.004

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Präsentationen

Differentielle Abhängigkeiten – queer/feministische Methoden der Situierung

Chair(s): Jasmin Degeling (Universität Paderborn)

Abhängigkeit bestimmt unseren Alltag im Wissenschaftssystem nicht nur institutionell, sondern auch methodisch: Unsere Forschungsmethoden und -techniken können Abhängigkeiten beschreibbar machen, sie haben aber selbst eine Materialität und Eigenlogik, die sich in die Forschung einschreibt. Wie können wir mit ihnen denken und forschen? Wie behandeln wir methodisch die differentiellen Szenen der Abhängigkeit, in denen unsere Forschung stattfindet? Wie positionieren wir uns mit queer/feministischem Anspruch zu und mit unseren Gegenständen, sozialen Bewegungen, Medien und Praktiker_innen? Welche Verletzbarkeiten werden als Abhängigkeiten anerkannt? Welche körperlichen und affektiven Prozesse sind damit verbunden?

In den letzten Jahren sind im Feld queer/feministischer, dekolonialer und extraktivismuskritischer Forschung Ansätze entwickelt worden, die Verwicklungen von Forschung und sozialer Welt nicht nur negativ als Abhängigkeiten bestimmen, sondern derer wir methodisch Sorge tragen und aus ihnen heraus neue Perspektiven entwickeln müssen.

Dieses Symposium der AG Gender/Queer Studies verbindet dazu Fragen nach der Medialität, Materialität und Affektivität von Abhängigkeiten in queeren ästhetischen und digitalen Praktiken mit einer Diskussion von Verletzbarkeiten in der Geschichte der feministischen Gesundheitsbewegung im Spannungsfeld zwischen Schwarzem und Ökofeminismus. Es verhandelt die konstitutive Ambivalenz von Anerkennungskämpfen, insbesondere auch zwischen Trans Studies und Queer Theory und erprobt queere, empirische Methoden einer extraktivismuskritischen Medienwissenschaft. Die Beiträge schlagen dabei eine gemeinsame, kritische Diskussion von Relationalität und Gewalt entlang eines Begriffs differentieller Abhängigkeit vor, der methodisch insbesondere Prozesse ungleicher Zugänge und Betroffenheiten, Verwobenheiten und Interdependenzen, Intelligibilitäten und Intersektionalitäten beschreibbar zu machen sucht.

 

Beiträge des Symposiums

 

W/holeness wiederherstellen? Intersektionale Kritik und differentielle Verletzbarkeit

Vera Mader
Ruhr-Universität Bochum

Versehrtheit und strukturelle Gewalt sind in Audre Lordes Schreiben über Krankheit nicht nur Ausgangspunkt literarisch-ästhetischer Produktion, sondern werden ebenso als theoriebildend ausgewiesen. Das ist für die Arbeit an meinem Projekt methodisch und auch politisch ein Problem. Entlang einer Schwarzen und diasporischen Kritik, die Lorde feministischen Gesundheitsbewegungen und Ökofeminismen im deutschsprachigen und US-amerikanischen Raum einträgt, probiert der Beitrag eine Annäherung, die meine nicht-unschuldige Situierung als Wissenschaftlerin in ihren epistemologischen Konsequenzen und Abhängigkeiten mitführt: Wie kann mein Schreiben diesen prekären Wissensbeständen begegnen und deren spezifischen Unwägbarkeiten, etwa in Bezug auf oftmals un- oder unterbestimmten intersektional vergeschlechtlichenden Gewaltverhältnisse, einarbeiten? Welche argumentativen Schließungen werden aus der relativen Sicherheit historischer Rückschau dennoch vorgenommen? Wie lässt sich dem Anspruch Audre Lordes nach einer emanzipativen Theoriearbeit aus einer weißseinskritischen Perspektive folgen, ohne die zugrundeliegende Gewalt, und damit auch die verfügbaren Kategorien ihrer Beschreibbarkeit zu wiederholen? Der Beitrag fragt, wie eine intersektionale Kritik differentieller Verletzbarkeit in der medienkulturwissenschaftlichen Forschung nutzbar gemacht werden kann.

Vera Mader ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Medienwissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum und promoviert am DFG-Graduiertenkolleg “Das Dokumentarische. Exzess und Entzug” mit einer Arbeit zur Medialisierung von w/holeness bei Audre Lorde.

 

Scores als queere ästhetische Methode

Philipp Hohmann
Ruhr-Universität Bochum

Queere Kunst wird mitunter mit einem Freiheitsversprechen verbunden, mit der Erwartung, aus repressiven Vorstellungen von Geschlecht und normativen Annahmen über Sexualität auszubrechen, sie zu überwinden. Die ästhetischen Praktiken von Antonia Baehr/Werner Hirsch/Henry Wilde et. al. und Pauline Boudry/Renate Lorenz, um die es in diesem Vortrag geht, sind diesem Ziel - oder diesem Wunsch - verpflichtet, aber stellen die Frage nach dem wie. Ordnungen der Anerkennung, die Judith Butler zufolge Intelligibilität distribuieren, können auf Grund unserer Verwobenheit mit ihnen und der ihnen inhärenten Gewalt der Verwerfung nicht einfach so verlassen werden. Sie strukturieren Wahrnehmung und Wirklichkeit. In Baehr/Boudry/Lorenz Arbeiten werden Handlungsanweisungen verschiedener Medialität und Materialität – Scores oder auch Partituren – zu Medien der Explikation von Normen und Abhängigkeiten, sie geben Raum für ein ambivalentes Spiel queerer Begehren, welche die Machtverhältnisse zwischen Anweisenden Ausführenden und Beobachter_innen differenziell durchziehen. Entgegen intuitiver Formulierungen von Freiheit werden in scheinbar disziplinarischer Manier ästhetisch-performative Handlung von einer (mitunter rigiden) Vor-Schrift abhängig gemacht, die nie vollständig eingenommen werden kann. So wird nicht nur ermöglicht, implizite Interdependenzen zu adressieren, sondern in der bewussten Unterwerfung unter Scores und Partituren in ihrer gleichzeitigen Reflexion, öffnen diese ästhetischen Praktiken einen Raum für Rekonstellationen des Verhältnisses von Körpern, Medien und Affekten.

Philipp Hohmann promoviert am Graduiertenkolleg “Das Dokumentarische. Exzess und Entzug” an der Ruhr-Universität Bochum mit einem Projekt zu queerer Kunst und Kollektivität zwischen Performance, Film und Medienkunst mit einem besonderen Fokus auf Scores.

 

Situierung in Abhängigkeiten. Trans* (Un)Sichtbarkeit in der Medienwissenschaft

Sarah Horn
JGU Mainz

»Yet precisely because what is visible is caught in the struggle for hegemony and its processes of valorization, one cannot not want the relative security promised by visibility.«

Kara Keeling stellt die Ambivalenz eines Sichtbarkeitsparadigmas und damit verbundener Versprechen von Emanzipation und politischer Anerkennung konkret in Bezug auf die Lebensrealität Schwarzer trans* männlicher Protagonist*innen des Dokumentarfilms “The Aggressives” (USA 2005, R: Daniel Peddle) heraus. Ausgehend von dieser queertheoretisch wie postkolonial informierten Analyse einer differentiellen Abhängigkeit von Sichtbarkeit, diskutiert mein Beitrag die damit einhergehenden unterschiedlich verteilten Risiken mit Fokus auf (die Institutionalisierung von) Trans Studies. Dabei geht es sowohl um methodische Einsätze aus den Trans Studies als auch um die Frage, wer sich mit und in Bezug auf diese Forschung wie situieren kann oder was es bedeutet, bereits (als anders) situiert zu sein. Wie kann auch eine solidarische, medienwissenschaftliche Situierung vorgenommen werden angesichts der vielfältigen Formen der Delegitimierung von und Gewalt gegen trans* Personen?

Indem ich die Dynamiken von Überschneidungen und Abgrenzungen zwischen Trans Studies und queerfeministischer Theorie nachzeichne, versuche ich herauszuarbeiten, wie jeweils auch methodische Situierungen in Abhängigkeit zu einer relativen Sicherheit durch Sichtbarkeit zu denken sind.

Sarah Horn ist PostDoc am FTMK der JGU Mainz. Promotion am DFG-Graduiertenkolleg „Das Dokumentarische. Exzess und Entzug“ an der Ruhr-Universität Bochum zu „Testo-Techniken. Queere Zeitlichkeiten und Selbstdokumentation in trans* Vlogs“. Seit 2020 Co-Sprecherin der AG Gender/Queer Studies.

 

Abhängigkeit mit/als Methode. Situiertes, engagiertes und aktivistisches Forschen

Julia Bee1, Jennifer Eickelmann2
1Universität Siegen, 2FernUniversität in Hagen

Der Vortrag diskutiert anhand zweier empirischer Forschungsszenen Abhängigkeiten als Involviertheiten. Wir fragen: Was für Methoden haben wir, um Abhängigkeiten nicht nur sichtbar zu machen, sondern durch Abhängigkeiten hindurch zu denken bzw. ausgehend von eben diesen zu denken? Abhängigkeit wird damit nicht als von den Prozessen der Subjektivierung und Objektivierung zu trennende Kategorie gedacht, über die mittels Methode souverän verfügt werden kann, sondern als die Forschung methodisch notwendigerweise mitkonstituierend ernst genommen. Zwei Schauplätze, die wir diskutieren wollen, machen dies für uns besonders relevant und dringlich, und zwar Forschungen mit Aufmerksamkeits- und Affektökonomien digitaler Plattformen und medienwissenschaftliche Forschungen zur Klimakatastrophe. 1. Mit Blick auf konzeptuelle Fragen nach machtvollen kuratorischen Praktiken digitaler Plattformen, in die wir uns notwendigerweise involvieren und in denen (Forschungs-)Praktiken der Subjektivierung/Objektivierung sowie der Differenz/Konnektivität miteinander interferieren. 2. Der zweite Teil diskutiert Ansätze aus der dekolonialen Anthropologie wie activist research für die Medienwissenschaft und methodische Implikationen für Solidarität mit Klimabewegungen.

Beide Schauplätze erfordern eine Rejustierung der Rolle der Forscher:in und die Anerkennung von Abhängigkeiten als methodische Herausforderung und Chance. Wir schlagen vor, Abhängigkeit mit queer/feministischen und extraktivismuskritischen Ansätzen zu Situierung, Positionalität und Diffraktion als relationalen Konnex zu verstehen: Welche methodischen Implikationen haben konstitutive Intraaktionen in der empirischen Forschung mit dem Digitalen bzw. Algorithmischen? Welche Methoden bringen welche Realitäten der Forschung hervor? Und auch: welche Körperlichkeiten und Affektivitäten, Verletzbarkeiten, Anrufungen aber auch neue Perspektiven ergeben sich mit Blick auf eine situierte und engagierte Medienwissenschaft?

Julia Bee ist Professorin für Medienästhetik an der Universität Siegen, davor 2016-2022 Jun.-Prof. an der Bauhaus-Universität Weimar, Gastprofessorin an der FU und Universität Wien. Aktuelle Arbeitsgebiete: ethnographischer Film und audiovisuelle Methoden; Gender, Affekt und Medien; dekoloniale und medienwissenschaftliche Zugänge zur Klimakatastrophe; Fahrradmedien, Mobilitätsgerechtigkeit.