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Sitzungsübersicht
Sitzung
P 102: Kritik der Politischen Ökonomie und materialistische Perspektiven in der Medienwissenschaft: Tätigkeit, Arbeit, Humanismus und Praxis
Zeit:
Donnerstag, 28.09.2023:
9:00 - 10:30

Ort: Raum 8

Raum 1.001

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Präsentationen

Kritik der Politischen Ökonomie und materialistische Perspektiven in der Medienwissenschaft: Tätigkeit, Arbeit, Humanismus und Praxis

Chair(s): Christian Fuchs (Universität Paderborn, Deutschland)

Dieses Panel stellt Perspektiven der kritischen, materialistischen, politisch-ökonomischen Medien- und Kommunikationsforschung vor. Es fragt: Was sind aktuelle Grundlagen und Anwendungen der Kritik der Politischen Ökonomie der Medien sowie der kritisch-materialistischen Medien- und Kommunikationsforschung?

Materialistische Medien- und Kommunikationsforschung wird als die Analyse des Zusammenhangs von Produktion und Medien sowie von Medien, Herrschaft und Klasse in der (kapitalistischen) Gesellschaft verstanden. Es geht um ontologische (Vortrag 3 & 4), methodologische und epistemologische (Vortrag 1 & 2) sowie ethische Fragestellungen (Vortrag 1, 2, 3) auf Basis der Tradition der Kritik der Politischen Ökonomie.

Der im Panel verfolgte Ansatz gewinnt seine Spezifik insbesondere erstens durch die Kombination von Gesellschafts- und Medien- sowie Kommunikationstheorien, Politische Ökonomie der Medien und der Kommunikation, empirischer Sozialforschung und Medienethik.

Zweitens wird hier – vor dem Hintergrund und als Kritik an einer konstruktivistischen, postmodernen und kulturalistischen Wende in der Medien-, Kommunikations- und Gesellschaftswissenschaft sowie an einer beobachteten Zunahme der Relevanz von Neuen Materialismen – an ältere materialistische Ansätze (zum Beispiel jene von Horst Holzer und Manfred Knoche) angeknüpft. So lassen sich Medienstrukturen kritisch als durch spezifische Klassen- und Machtinteressen hervorgebracht analysieren mit der Hilfe eines kritischen humanistischen Ansatzes, der die gesellschaftliche Verantwortlichkeit festhält, bewerten. Daraus erklärt sich die Bedeutung der Begriffe Arbeit, Tätigkeiten, Humanismus und Praxis in den vorgestellten Ansätzen, die Medienwissenschaft und Kommunikationswissenschaft als kapitalismuskritische Gesellschaftsanalyse betreiben.

Das Panel möchte durch die Präsentation von vier Vorträgen zur Reflexion über die heutige Relevanz dieser Ansätze beitragen.

 

Beiträge des Symposiums

 

Digitale Arbeit in Deutschland

Thomas Allmer
Universität Paderborn

Dieser Vortrag fragt: Welche Grundlagen werden für eine kritische Analyse digitaler Arbeit in Deutschland benötigt?

Obwohl es kaum verlässliche Daten gibt, legt eine Studie nahe, dass Plattformarbeit und Crowdwork in Deutschland auf dem Vormarsch sind (Leimeister et al. 2016). Beispielsweise stammt ein Viertel der 700.000 Mitglieder einer der größten und ältesten Freelancer-Plattformen, „Clickworker“, aus Deutschland. Darüber hinaus haben Plattformen wie „Freelancer“, „Upwork“ und „99designs“ viele Mitglieder aus dem deutschsprachigen Raum.

Während in Deutschland bislang vor allem die Digitalisierung der Arbeit (Industrie 4.0, Automatisierung, Robotik etc.) diskutiert wird, dreht sich die internationale Debatte primär um digitale Arbeit und die Produktion und den produktiven Konsum digitaler Medien (Plattformen als neues Geschäftsmodell, informationelle Produkte etc.) (Mahnkopf 2019). Wie die Bedingungen digitaler Arbeit von unterschiedlichen Subjekten erlebt werden, wurde in Deutschland bisher eher randständig debattiert. Während die Erfahrungen technologiegetriebener Arbeit in anderen Branchen wie der Automobilindustrie gut dokumentiert sind, fehlt es noch an einem Verständnis der Erfahrungen digitaler Arbeiter:innen im deutschen Kapitalismus sowie an einer Analyse und Theoretisierung ihrer Arbeitsbedingungen.

Der Vortrag wird sich dieser Problematik analytisch nähern.

Leimeister, Jan Marco, Shkodran Zogaj, David Durward und Ivo Blohm. 2016. Systematisierung und Analyse von Crowdsourcing-Anbietern und Crowd-Work-Projekten. Düsseldorf: Hans-Böckler-Stiftung.

Mahnkopf, Birgit. 2019. The Future of Work in the Era of ‘Digital Capitalism’. In Socialist Register 2020: Beyond Market Dystopia: New Ways of Living, edited by Leo Panitch and Greg Albo, 104-121. London: Merlin Press.

 

Kritische, materialistische, öffentliche Medien- und Kommunikationswissenschaft: Interventionen kritischer Medienforschung

Sevda Can Arslan
Universität Paderborn

In diesem Vortrag geht es um Theorie und Praxis des Verhältnisses von Wissenschaft und Gesellschaft. Er fragt: Was ist kritische, öffentliche, materialistische Medien- und Kommunikationswissenschaft? Die Notwendigkeit gesellschaftlich wirksamer Forschung wurde in den letzten Jahren auch in der deutschsprachigen Medien- und Kommunikationswissenschaft wieder aus verschiedenen Perspektiven diskutiert (z.B. Altmeppen 2021). Ausgehend von Michael Burawoys Arbeiten zu Öffentlicher Soziologie wurde z.B. 2019 in einer Charta zu Öffentlicher Medien- und Kommunikationswissenschaft aufgerufen (Prinzing, Eisenegger und Krainer 2019).

Diese bestehenden Konzepte Öffentlicher (Medien- und Kommunikations-)Wissenschaft werden in Beziehung gesetzt zu einem Verständnis von Kritik, wie es das Netzwerk Kritische Kommunikationswissenschaft reklamiert.

Auf dieser Basis werden konkrete aktuelle Fallbeispiele kritischer Medienforschung mit öffentlicher Wirkung diskutiert. Dabei werden Möglichkeiten, Herausforderungen und Grenzen öffentlichen Wirkens der Medien- und Kommunikationswissenschaft ausgelotet.

Altmeppen, Klaus-Dieter. 2021. Mittendrin und trotzdem nicht dabei. Studies in Communication Media (SCM) 10 (2): 268-282.

Aulenbacher, Brigitte et al., Hrsg. 2017. Öffentliche Soziologie. Frankfurt: Campus.

Prinzing, Marlis, Mark Eisenegger & Larissa Krainer. 2019. Kommunikationswissenschaft als öffentliche Wissenschaft in der digitalen Mediengesellschaft: Charta. https://oeffentliche-kowi.org/oeffKowi/wp-content/uploads/2019/02/Oeffentliche-Kowi-Charta.pdf

 

Grundlagen einer radikal-humanistischen Theorie der Medien und des digitalen Kapitalismus

Christian Fuchs
Universität Paderborn

Dieser Vortrag stellt die Frage: Was ist eine radikal-humanistische Theorie der Medien und des digitalen Kapitalismus?

Dieser Beitrag diskutiert den Radikalen Humanismus als Theoriegrundlage der Kritik der Politischen Ökonomie der Medien und der Analyse des digitalen Kapitalismus.

Zunächst werden als Kritik am Strukturalismus Grundlagen erläutert, die menschliche Praktiken und Tätigkeiten der sozialen Produktion und der Werktätigkeit sowie eine Dialektik von Produktion und Kommunikation betonen.

Danach werden die Begriffe des Kapitalismus als Gesellschaftsformation und des digitalen Kapitalismus grundgelegt.

Dann werden einige methodologische, empirische, theoretische und axiologische Aspekte der Analyse von Arbeit, Ideologie und Öffentlichkeit im digitalen Kapitalismus vorgestellt. Dabei ist die Analyse der (digitalen) Entfremdung von zentraler Bedeutung.

Der Vortrag verdeutlicht, dass eine Aktualisierung von kritischen Theorieansätzen wie Karl Marx‘ Kritik der politischen Ökonomie, Georg Lukács‘ Ontologie des gesellschaftlichen Seins, Raymond Williams‘ Kulturmaterialismus, Erich Fromms Sozialpsychologie, Rosa Luxemburgs Kapitalismustheorie, Ansätze des marxistischen Feminismus, Henri Lefebvres Kritik des Alltagslebens und des Strukturalismus sowie Jean-Paul Sartres Version der Dialektik für die Grundlegung der Analyse der Politischen Ökonomie der Medien und der Kommunikation im digitalen Kapitalismus von Bedeutung sind.

 

Arbeit und Kommunikation als gegenständliche Tätigkeiten: Der Beitrag kultur-historischer Tätigkeitstheorie für eine materialistische Medienwissenschaft im Zeitalter digitaler Kommunikation

Sebastian Sevignani
Friedrich-Schiller-Universität Jena

Dieser Vortrag beschäftigt sich mit der Frage: Wie kann die Tätigkeitstheorie (z.B. für einen medientheoretisch relevanten Einstieg: Miettinen und Paavola 2018; Karanasios et al. 2021; Rückriem et al 2012) zur Entwicklung einer kritisch-materialistischen Medienwissenschaft generell und spezifisch zur Fundierung der kritischen kulturellen-politischen Ökonomie der Medien und der Kommunikation beitragen? Horst Holzer (1994) identifizierte drei „Bausteine“ eines kritisch-materialistischen Ansatzes in der Medien- und der Kommunikationswissenschaft: Auf Basis einer historisch-materialistischen Informations- und Kommunikationstheorie entwickelte er eine Kritische Politische Ökonomie der Medien und der Kommunikation, welche auch eine Sozialpsychologie des Publikums miteinschließt. Diese Basis war schon damals nur in Ansätzen ausgearbeitet; Holzer bezog sich auf kultur-historische Ansätze in der Psychologie bzw. die Tätigkeitstheorie im Anschluss an die Gründungsfiguren Wygotski, Luria und Leontjew (zur Übersicht über den in der deutschsprachigen Diskussion vernachlässigten Ansatz: Langner 1984; Foot 2016). Dies soll im Beitrag anhand einer Verhältnisbestimmung von Arbeit und Kommunikation als „gegenständliche Tätigkeit“ und den darauf aufbauenden medientheoretischen Konzepten „informationeller Bedürfnisse“ sowie „kommunikativer Handlungsfähigkeit“ einerseits in Abgrenzung zu alternativen (neo-)materialistischen Ansätzen und andererseits im Kontext zunehmend digitaler Medien dargestellt und geprüft werden.

Foot, Kirsten A. 2016. Activity Theory. In The International Encyclopedia of Communication Theory and Philosophy. Hoboken, NJ.: Wiley

Holzer, Horst. 1994. Medienkommunikation: Einführung in handlungs- und gesellschaftstheoretische Konzeptionen. Opladen: Westdeutscher Verlag.

Karanasios, Stan, Bonnie Nardi, Clay Spinuzzi und Julien Malaurent. 2021. Moving Forward with Activity Theory in a Digital World. Mind, Culture, and Activity 28 (3): 234-253.

Langner, Michael. 1984. Tätigkeitstheorie - Sprechtätigkeitstheorie. Deutsche Sprache: Zeitschrift Für Theorie, Praxis und Dokumentation 12: 110-140.

Miettinen, Reijo und Sami Paavola. 2018. Beyond the Distinction between Tool and Sign: Objects and Artifacts in Human Activity. In The Cambridge Handbook of Sociocultural Psychology, hrsg. von Alberto Rosa und Jaan Valsiner, 148-162. Cambridge.

Rückriem, Georg et al. 2012. Understanding Media Revolution – How Digitalization Is to Be Considered. Tätigkeitstheorie 2011 (3): 77–100.