Conference Agenda

Overview and details of the sessions of this conference. Please select a date or location to show only sessions at that day or location. Please select a single session for detailed view (with abstracts and downloads if available).

 
 
Presentations including 'thielmann, merle'

Symposium

Heterogene Lerngruppenzusammensetzung: Quantitative Erfassung und Umgang mit Heterogenität auf Klassen- und Schulebene

Chair(s): Merle-Sophie Thielmann (Universität Mannheim), Alexander Naumann (TU Dortmund, DIPF Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation)

Discussant(s): Axinja Hachfeld (Universität Konstanz)

Die soziale und kulturelle Heterogenität der Gesellschaft spiegelt sich auch in der Zusammensetzung von Schulen und Schulklassen wider: Zwischen Schulen zeigt sich eine zunehmende soziokulturelle Segregation, die durch eine Kumulation von Benachteiligungen an einzelnen Schulen negative Effekte individueller sozialer Benachteiligung verstärken kann (Jurczok & Lauterbach, 2014). Befunde aus internationalen Kontexten zeigen, dass sich eine ungünstigere soziale Schulzusammensetzung negativ auf die durchschnittliche SchülerInnenleistung auswirkt (Dumont et al., 2013; van Ewijk & Sleegers, 2010). Dieser Effekt wird zum Teil durch Strukturen und Prozesse auf Schulebene vermittelt (Helbig & Nikolai, 2019). Jedoch deuten aktuelle Befunde aus Rheinland-Pfalz darauf hin, dass sich die Auswirkungen auf SchülerInnenleistung nicht ausschließlich über solche schulischen Prozessmerkmale erklären lassen (Kraus et al., 2021).

Die Vermutung liegt nahe, dass die Zusammensetzung der Schülerschaft zusätzlich auf Ebene der Schulklasse als Merkmal der Lernumgebung wirksam wird. Hier zeigen Analysen im aktuellen Bildungsbericht einerseits eine große Bandbreite der mittleren sozioökonomischen und kulturellen Klassenzusammensetzung, andererseits jedoch auch eine hohe Heterogenität der kulturellen und sozialen Hintergründe innerhalb von Schulklassen (AutorInnengruppe Bildungsberichterstattung, 2022). Zahlreiche Untersuchungen zu sogenannten Kompositionseffekten auf Klassenebene zeigen, dass die kulturelle, soziale und leistungsbezogene Klassenzusammensetzung die Leistung von SchülerInnen über Effekte des individuellen Hintergrundes hinaus beeinflusst, Befunde zu Effekten der Heterogenität fallen allerdings gemischt aus (z.B. Dumont et al., 2013). Es wird angenommen, dass die Heterogenität einer Klasse die Interaktionen zwischen SchülerInnen untereinander und ihren Lehrkräften, aber auch die Qualität der Instruktion beeinflussen kann (Rjosk, 2022).

Um unter Bedingungen zunehmender Heterogentität in Schulen und Klassen eine gleichberechtigte Bildungsbeteiligung unabhängig vom individuellen Hintergrund der SchülerInnen zu gewährleisten, sind auf beiden Ebenen Ansätze zum Umgang mit einer heterogenen SchülerInnenschaft notwendig. Auf Ebene der Schule gilt es, Strategien zu identifizieren, die eine hohe Prozess- und Ergebnisqualität ermöglichen und es so möglich machen, individuelle und kumulierte Benachteiligungen von SchülerInnen auszugleichen - insbesondere an Schulen in herausfordernden Lagen, die häufig mit einer besonders heterogenen Schülerschaft konfrontiert sind (Bremm et al., 2016). Auch auf Ebene der Einzelklasse erfordert der Umgang mit einer heterogenen SchülerInnenschaft die Identifikation von Strategien, die es erlauben, innerhalb einer heterogenen Klasse SchülerInnen mit unterschiedlichen Lernvoraussetzungen gleichermaßen bestmöglich zu fördern.

Hier setzt das Symposium an: Zur Identifikation von Ansatzpunkten für die Förderung von SchülerInnen in heterogenen Klassen auf Ebene der Schule und Schulklasse werden Erkenntnisse zu den Auswirkungen heterogener Lerngruppenzusammensetzung benötigt. Während bisherige Untersuchungen den Fokus zumeist auf einzelne Dimensionen der Heterogenität legen, werden zunehmend die komplexen Interaktionen unterschiedlicher sozialer Zugehörigkeitsdimensionen deutlich (Bellin, 2009), aber wie dargestellt auch die komplexen Auswirkungen der Gruppenzusammensetzung auf den unterschiedlichen Ebenen Schule und Einzelklasse. Für die weitere Untersuchung der Lerngruppenzusammensetzung ist deshalb eine differenziertere Betrachtungsweise und auch Messung von heterogener Gruppenzusammensetzung notwendig.

Das vorliegende Symposium widmet sich daher zuerst der Frage, wie die Zusammensetzung von Lerngruppen multidimensional betrachtet und möglichst umfassend quantitativ erfasst werden kann. Der erste Beitrag greift mit dem Konzept der Faultlines auf einen ökonomischen Ansatz zur Messung multidimensionaler Heterogenität zurück. Im zweiten Beitrag wird ein Ansatz zur Messung multidimensionaler Gruppenzusammensetzung aus der Ökologie adaptiert und für die Untersuchung des Kompositionseffektes multidimensionaler Heterogenität auf individuelle Leseleistung verwendet.
Anschließend werden konkrete Ansätze auf Schul- und Klassenebene betrachtet, die zum konstruktiven Umgang mit einer heterogenen SchülerInnenschaft beitragen können. Der dritte Beitrag vergleicht unterschiedliche Herangehensweisen an Schulentwicklung von Schulen in sozialräumlich deprivierten Lagen und vergleicht die Auswirkungen unterschiedlicher Schulentwicklungsprofile auf SchülerInnen-Outcomes. Ein vierter Beitrag untersucht mit dem Einsatz metakognitiver Strategien einen Ansatz auf Ebene des Unterrichtsgeschehens, der einen konstruktiven Umgang mit heterogenen Lernvoraussetzungen von SchülerInnen und einen Lernerfolg für SchülerInnen unabhängig von ihrem Vorwissen ermöglicht.

 

Presentations of the Symposium

 

Konzeption und Messung multidimentionaler Heterogenität in Schulen

Georg Lorenz1, Karoline Sachse2, Camilla Rjosk3, Kristoph Schumann2, Oliver Lüdtke4
1Universität Potsdam, Universität Leipzig, 2Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB), Humboldt-Universität zu Berlin, 3Universität Potsdam, 4Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik (IPN)

Heterogenität in Schulen bezeichnet das Ausmaß an Unterschiedlichkeit der Schüler*innen innerhalb einer Schule oder Schulklasse. Wie mit wachsender Heterogenität der SchülerInnen in Bildungseinrichtungen umzugehen ist, um individuelle Entwicklung und gesellschaftlichen Zusammenhalt zu fördern, ist eine der zentralen Fragen unserer Zeit. Aktuelle erziehungswissenschaftliche Ansätze betrachten Heterogenität von SchülerInnen in Schulen und Klassen als multidimensionale Eigenschaft, bei der sich verschiedene Dimensionen mehr oder weniger überschneiden können (Gräsel et al., 2017). Vor allem für Gruppenbildungsprozesse in Schulen und Schulklassen sowie psychosoziale Merkmale wie das Zugehörigkeitsgefühl könnte gerade die gleichzeitige Ähnlichkeit oder Verschiedenheit der Schüler*innen auf mehreren Dimensionen relevant sein. Auch die zunehmende Diversifizierung von ethnischen Minderheitsgruppen in verschiedenen Dimensionen, wie Religion, Sprache, Kultur, Bildungshintergrund und sozioökonomischer Status, betont die Notwendigkeit eines tieferen Verständnisses und einer präzisen Messung von Diversität als multidimensionalem Konstrukt. Die Perspektive der Multidimensionalität wird durch Arbeiten aus der Ökonomie ergänzt, die das Konzept der "faultlines" entwickelt haben, um hypothetische Trennlinien zu beschreiben, die sich aus der Überschneidung demografischer Attribute unter Teammitgliedern in Unternehmen ergeben (Lau & Murnighan, 1998, 2005; Thatcher & Patel, 2012).

Fragestellung

Der vorliegende Beitrag konzeptualisiert verschiedene Formen von multidimensionaler Diversität und stellt verschiedene Messmethoden gegenüber. Die zentrale Frage des Beitrags ist, wie multidimensionale Heterogenität adäquat konzeptualisiert und gemessen werden kann. Die multidimensionale Perspektive berücksichtigt mehrere Attribute von Schüler*innen, wie beispielsweise Bildung, Einkommen, Sprachhintergrund und ethnische Herkunft.

Methode

Nach einer Systematisierung und Zusammenfassung der bestehenden Konzepte multidimensionaler Heterogenität folgt eine theoretische Auseinandersetzung mit den in der Literatur vorgeschlagenen Messmethoden. Im Fokus stehen insgesamt sechs Indizes. Eine Simulationsstudie erstellte künstliche soziale Kontexte (vorstellbar als Schulen oder Schulklassen), die sich systematisch in ihrer Sozialstruktur unterscheiden, um die Reaktion verschiedener Heterogenitätsindizes auf unterschiedliche Strukturen zu testen. Die simulierten Kontexte unterscheiden sich in den Varianzen der einzelnen Heterogenitätsdimensionen, den Korrelationen zwischen den Heterogenitätsdimensionen, der Art der Kategorisierung kontinuierlicher Variablen (wie z. B. des ISEI) und der Kontextgröße. Insgesamt ergeben die kombinierten Bedingungen unseres Designs 108 unterschiedliche Szenarien, für die jeweils 500 Stichproben gezogen werden. Die Gesamtstichprobe umfasst damit 54.000 Kontexte. Im Fokus der Analyse stehen insgesamt sechs Indizes, deren Berechnung eigens in R implementiert wurde.

Ergebnisse

Die Befunde zeigen, dass verschiedene Indizes entweder auf multidimensionale Vielfalt oder auf das Ausmaß an Überschneidung verschiedener Heterogenotätsdimensionen reagieren. Diese Ergebnisse verdeutlichen die Notwendigkeit eines theoriegeleiteten Ansatzes bei der Auswahl von Indizes für spezifische Forschungsszenarien. Ein Leitfaden soll Forschenden eine fundierte Entscheidung über die am besten geeigneten Indizes je nach Forschungskontext ermöglichen.

Der Beitrag verdeutlicht die wachsende Bedeutung multidimensionaler Heterogenitätskonzepte in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen und liefert wertvolle Einblicke für Bildungsforscher*innen und Pädagog*innen, die sich mit heterogenen Gruppen in Bildungseinrichtungen befassen, in die Möglichkeiten der Messung multidimensionaler Heterogenität.

 

Messung multidimensionaler Lerngruppenzusammensetzung durch die Nutzung von Hypervolumina

Merle-Sophie Thielmann, Karina Karst
Universität Mannheim

Theoretischer Hintergrund

Nicht nur individuelle Merkmale und Lernvoraussetzungen beeinflussen die Schulleistung von Lernenden, sondern auch die Zusammensetzung der Lerngruppe bezüglich der Leistung, aber auch sozioökonomischer und kultureller Merkmale beeinflusst die Lernumgebung und damit individuelle Schülerleistungen (Dumont et al., 2013). Während auf Ebene der Schule häufig der Effekt der mittleren Zusammensetzung der Schülerschaft und des umgebenden Sozialraumes auf sozioökonomischen und kulturellen Faktoren untersucht wird, um beispielsweise eine gezieltere Ressourcenzuweisung zu ermöglichen (Bellin, 2009), steht auf Ebene der einzelnen Schulklasse zusätzlich die Diversität der Schüler*innen im Fokus, die sich auf den Unterricht, aber auch Interaktionen zwischen Schüler*innen auswirken kann (Rjosk, 2022). Dabei liegt der Fokus meist nur auf einer Dimension der Klassenzusammensetzung (Bellin, 2009). Dadurch wird jedoch ausgeblendet, dass Variablen wie sozioökonomischer Status, linguistischer Hintergrund und Migrationserfahrung nicht unabhängig voneinander sind, sondern sich überschneiden und interagieren können (Else-Quest & Hyde, 2016). Die Diversität einer Lerngruppe kann sich je nach betrachtetem Merkmal unterscheiden, und es ist anzunehmen, dass Interaktionen zwischen Schüler*innen und Lehrkräften durch mehrere Merkmale zugleich beeinflusst werden (Piekut et al., 2012).Eine Betrachtung der Lerngruppenzusammensetzung und Diversität als multidimensionales Konstrukt bietet daher die Möglichkeit, einen besseren Einblick in Effekte der Lerngruppenzusammensetzung zu gewinnen.

Der vorliegende Beitrag adaptiert einen Ansatz zur Beschreibung funktionaler Diversität aus der ökologischen Forschung, der die Beschreibung von Lerngruppen auf mehreren Dimensionen und unter Einbezug der Diversität ermöglicht. Dafür werden die Merkmale, bezüglich derer die Lerngruppenzusammensetzung untersucht werden soll, als die Achsen eines n-dimensionalen Raumes aufgefasst, in dem die einzelnen Schüler*innen entsprechend ihren Merkmalsausprägungen als Punkte verortet werden. Durch unterschiedliche Methoden wird ein sogenanntes Hypervolumen konstruiert, dass die Datenpunkte aller Schüler*innen einschließt (Blonder, 2018). Diese Hypervolumina ermöglichen die quantitative Beschreibung der Lerngruppe über das Volumen und die sogenannte Dispersion, den durchschnittlichen Abstand der Punkte im Hypervolumen von dessen Zentroiden (Blonder, 2018).

Fragestellung

Der vorliegende Beitrag erprobt Hypervolumina als Methode zur Beschreibung multidimensionaler Diversität im Klassenkontext, insbesondere bezüglich ihrer Anwendbarkeit unter den Bedingungen korrelierter Merkmale und eingeschränkter Stichprobengröße. Wir testen die Eigenschaften Hypervolumen-basierter Indizes und nutzen diese in einem zweiten Schritt zur Vorhersage individueller Schüler*innenleistung.

Methode

Wir nutzen einen Datensatz von N=1420 Fünftklässler*innen in insgesamt 59 Klassen unterschiedlicher Schulformen, der Messungen der Leseleistung zu Beginn und Ende des ersten Schulhalbjahres 2018/19 mit parallelen Versionen des „Lernstand 5“ enthielt. Als Merkmalsdimensionen zur Beschreibung der Klassenzusammensetzung dienten kulturelles Kapital, kulturelle Werte gematcht aus der World Values Survey (Haerpfer et al., 2022) und Eingangsleistung. Wir vergleichen unterschiedliche Methoden und Vorgehensweisen zur Konstruktion von Hypervolumina mit unterschiedlichen Annahmen über die zugrundeliegenden Daten und untersuchen die Eigenschaften der resultierenden Hypervolumina durch den Vergleich ihres Volumens und ihrer Dispersion zur eindimensionalen Range und Standardabweichung. Anschließend verwendeten wir Hypervolumen-basierte Indizes als Prädiktoren individueller Schüler*innenleistung in Mehrebenenmodellen.

Ergebnisse und Diskussion

Die Hypervolumen-basierten Indizes zeigten mittlere bis hohe, signifikante Korrelationen zu eindimensionalen Streuungsmaßen auf den unterschiedlichen Merkmalen, wobei die Korrelationen zwischen Dispersion und Standardabweichung höher ausfielen, als zwischen Volumen und Range. Die Konstruktionsmethoden unterschieden sich bezüglich der absoluten Größe der Volumina und in geringerem Maße auch der Dispersionswerte, es zeigten sich jedoch hohe Korrelationen der Indizes (.70 ≤ r ≤ .75, p < .001). Die Wahl untransformierter oder orthogonaler Achsen resultierte in ähnlichen, hoch korrelierten Indizes (.45 ≤ r ≤ .59, p < .001). Multidimensionale Diversität, gemessen durch Hypervolumen-basierte Indizes, zeigte unabhängig von der verwendeten Konstruktionsmethode keinen Kompositionseffekt auf individuelle Schüler*innenleistung.

Die Ergebnisse zeigen die Anwendbarkeit des Hypervolumen-Ansatzes im Klassenkontext, insbesondere zur Berechnung eines multidimensionalen Streuungsmaßes, das hohe Korrelationen zur Standardabweichung aufweist. Hypervolumina bieten einen Ansatzpunkt zur differenzierteren Messung multidimensionaler Heterogenität, und zudem durch Möglichkeiten zur Visualisierung und zum Vergleich von Lerngruppen methodische Ansatzpunkte für weitere Untersuchungen von Effekten der Lerngruppenzusammensetzung.

 

Die Orientierung der Entwicklungsperspektiven in Schulentwicklungsprozessen und der Effekt auf die Entwicklung der Schüler*innen

Luisa Grützmacher, Julia Holzer, Sina Ludwig, Marko Lüftenegger, Barbara Schober, Manfred Prenzel
Universität Wien

Schulen in sozial deprivierter Lage stehen aufgrund ihrer Zusammensetzung vor besonderen Herausforderungen in ihrer pädagogischen Arbeit. Über intentionale Schulentwicklungsprozesse sollen Schulen zu lernenden Organisationen werden (Klein, 2017). Die Literatur zu Schulentwicklung fokussiert oft auf ein Lernen aus Misserfolgen (Faulstich, 2014; Schechter et al., 2004), das Fortschritte bewirken kann, aber sich langfristig nicht unbedingt als beste Strategie erweist, denn damit werden andere Lernmöglichkeiten ausgeschlossen (Karsten et al., 2000; Schechter et al., 2004). Eine Studie von Grützmacher et al. (2023) hat ergeben, dass Schulen auf unterschiedliche Weise an Schulentwicklungsprozesse angehen und vorantreiben. Während manche Schulen ihr Entwicklungsprozesse hauptsächlich auf eigenen Stärken ausrichten, orientieren sich andere Schulen hauptsächlich an eigenen Schwierigkeiten, Herausforderungen und/oder keinem dieser Aspekte.

Wie erfolgreich einzelne Herangehensweisen sind, lässt sich zum Beispiel anhand der Veränderungen in Outcomes auf Seiten der Schüler*innen beurteilen (z.B. intrinsische Motivation, schulisches Wohlbefinden). Dadurch können Wirkungen unterschiedlicher Herangehensweisen zwischen Schulen verglichen werden. Entsprechend untersucht die vorliegende Studie die Effektivität von Profilen der Schulentwicklung. Die Forschungsfrage lautet: Haben unterschiedliche Orientierungen der Schulen (Volks- und Mittelschulen in Österreich) zur Ausrichtung ihrer Schulentwicklung (an Stärken, Schwierigkeiten, Herausforderungen und/oder keinem dieser Aspekte) einen Effekt auf die Veränderung der intrinsischen Motivation und des schulischen Wohlbefindens ihrer Schüler*innen?

Methode

Die Stichprobe umfasst 2752 Schüler*innen in 100 Schulen in sozial deprivierter Lage in Österreich (55 Volksschulen/ 45 Mittelschulen).

Die intrinsische Motivation wurde mit drei Items auf einer 5-stufigen Likertskala (Gaspard et al., 2021; ωT1=.94 , ωT2=.94) zu zwei Messzeitpunkten gemessen. Das schulische Wohlbefinden wurde mit der EPOCH-S-Skala erhoben. Deren Subskalen Engagement, Beharrlichkeit, Optimismus, Zugehörigkeitsgefühl und positive Gefühle wurden jeweils mit drei Items auf einer 5-stufigen Likertskala zu zwei Messzeitpunkten gemessen (Buerger et al., 2023 ; ωT1=.87 , ωT2=.89).

Die Profile zur Orientierung der Schulentwicklung wurden mit einem Mixed-Method-Ansatz ermittelt: Die qualitativen Daten zu selbstberichteten Stärken, Schwierigkeiten, Herausforderungen und Entwicklungsperspektiven wurden mit einer qualitativen Inhaltsanalyse ausgewertet, aufbereitet und eine Profilanalyse getrennt nach Schulformen in Mplus durchgeführt (Grützmacher et al., 2023). Um die Forschungsfragen dieser Studie zu beantworten, wurde eine Mehrebenenregression in Mplus durchgeführt, in der der Slopeparameter durch die Gruppenzugehörigkeit, die sich aus der Profilanalyse ergeben hat, vorhergesagt wird.

Ergebnisse & ihre Bedeutung

Für die Volksschulen (Primarstufe) zeigt sich, dass sich Schüler*innen, deren Schule sich im Schulentwicklungsprozess hauptsächlich an den Schwierigkeiten orientiert (Profil C), bezogen auf die Beharrlichkeit einen größeren Zuwachs aufweisen als die anderen Profilgruppen (B=.014, SE=.006, p=.013). Schüler*innen, deren Schule sich hauptsächlich an den Stärken orientiert (Profil D), zeigen einen geringeren Zuwachs bezogen auf die intrinsische Motivation als die anderen Profilgruppen (B=-.016, SE=.008, p=.031).

Für die Mittelschulen (Sekundarstufe) zeigt sich, dass sich Schüler*innen, deren Schule sich im Schulentwicklungsprozess hauptsächlich an den Stärken und Schwierigkeiten orientiert (Profil B), bezogen auf das Zugehörigkeitsgefühl einen geringeren Zuwachs haben als die anderen Profilgruppen (B=-.012, SE=.004, p=.006). Schüler*innen, deren Schule sich hauptsächlich an den Herausforderungen orientiert (Profil C), bezogen auf die Beharrlichkeit einen geringeren Zuwachs aufweisen als die anderen Profilgruppen (B=.014, SE=.006, p=.013). Schüler*innen, deren Schule sich hauptsächlich an den Schwierigkeiten und Herausforderungen orientiert (Profil E), bezogen auf das Engagement (B=.006, SE=.002, p=.010) und die intrinsische Motivation (B=.011, SE=.005, p=.030) einen größeren Zuwachs aufweisen als die anderen Profilgruppen.

Die Ergebnisse dieser Studie deuten darauf hin, dass einige dieser Profile effektiver sind als andere. Die Orientierung im Schulentwicklungsprozess allein reicht jedoch noch nicht aus, um mehr oder weniger gelingende Schulentwicklung erklären zu können. Daher sollten in einem weiteren Schritt schulische Prozesse in den Analysen berücksichtigt werden. In dem komplexen Wirkungsgeflecht von Schulentwicklung sind außerdem unterschiedliche Ausgangslagen und Zugänge zur Schulentwicklung zu berücksichtigen. Das spricht gegen one-fits-all Maßnahmen zur Schulentwicklung. Vielmehr müssen spezifische Entwicklungsperspektiven ausgearbeitet werden, die auf die besondere Situation der Schule zugeschnitten sind.

 

Umgang mit Heterogenität im Unterricht: Kann unterstützendes Lehrpersonenhandeln Vorwissenseffekte kompensieren?

Svenja Rieser1, Alexander Naumann2
1Bergische Universität Wuppertal, 2TU Dortmund, DIPF Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation

Theoretischer Hintergrund

Lernende bringen unterschiedliche Lernvoraussetzungen in den Unterricht mit. Eine zentrale Lernvoraussetzung mit bedeutsamem Einfluss auf den Lernerfolg ist das inhaltliche Vorwissen (z.B. Whitherby & Carpenter, 2021). Der Zusammenhang zwischen Vorwissen und Lernerfolg kann teilweise durch Unterschiede in der Nutzung metakognitiver Strategien erklärt werden (z.B. Mihalca & Mengelkamp, 2020; Pintrich & Zusho, 2002). Diese werden von Schülerinnen und Schülern mit hohem Vorwissen effizienter zur Steuerung des Lernprozesses eingesetzt (Veenman, 2016; Veenman, Hout-Wolters & Afflerbach, 2006). Dementsprechend erfordert ihre Nutzung bei hohem Vorwissen weniger kognitive Kapazitäten, die stattdessen in den inhaltlichen Lernprozess investiert werden können (z.B. Seufert, 2018).

Wir vermuten daher, dass durch eine gezielte Unterstützung bei der Planung, Überwachung und Evaluation des Lernprozesses, der Nachteil, den Lernende mit geringem Vorwissen mitbringen, zumindest teilweise kompensiert werden könnte.

Methode

Zur Überprüfung der Hypothese wurden das Vorwissen und der Lernerfolg von 573 Lernenden (49% weiblich, MAlter: 8.8 Jahre; SD = 0.50) aus 36 Klassen vor und nach einer vorstrukturierten Unterrichtseinheit getestet. Der Prätest bestand aus 16 Items (EAP-Reliabilität = .52), der Posttest aus 13 Items (EAP-Reliabilität = .70). Zusätzlich wurde vor der Unterrichtseinheit die naturwissenschaftliche Kompetenz der Schülerinnen und Schüler mit einem aus TIMSS 2007 adaptierten Test erhoben.

Zur Erfassung der Unterstützung metakognitiver Strategien durch die Lehrperson wurde pro Klasse eine Unterrichtsstunde videographiert und mittels eines hochinferenten Ratings ausgewertet. Das Rating umfasste drei Items (Unterstützung bei der Planung, Überwachung und Evaluation des Lernprozesses), die von zwei unabhängigen, geschulten Ratern auf einer vierstufigen Skala bewertet wurden. Die Übereinstimmung zwischen den Ratern war zufriedenstellend (> .76%).

Die Auswertung der Daten erfolgte mittels Mehrebenen-Regressionsanalysen (Raudenbush & Bryk, 2010). Auf Individualebene wurde das Vorwissen (zentriert am Gruppenmittelwert) als Prädiktor für den Lernerfolg verwendet und für die naturwissenschaftliche Kompetenz auf Klassen- und Individualebene kontrolliert. Auf Klassenebene wurden die Ratingitems zur Unterstützung von Planung, Monitoring und Evaluation als Prädiktor für den Lernerfolg sowie für den Zusammenhang zwischen Vorwissen und Lernerfolg verwendet. Zur näheren Untersuchung möglicher Moderationseffekte wurden Simple-Slope-Analysen durchgeführt und Johnson-Neyman-Plots ausgewertet.

Alle Analysen wurden in R (R Core Team, 2022) unter Verwendung der Pakete lmerTest (Kuznetsova, Brockhoff, Christensen, 2017) und Interactions (Long, 2019) durchgeführt.

Ergebnisse und Diskussion

Erwartungsgemäß konnte ein positiver Zusammenhang zwischen dem Vorwissen und dem Lernerfolg identifiziert werden (β = .28, SE = .04, p < .001). Ein direkter Zusammenhang mit dem Lernerfolg konnte lediglich für die Unterstützung der Planung identifiziert werden (β = .10, SE = .05, p = .039).

Gemäß unserer Hypothese wurde der Zusammenhang zwischen Vorwissen und Lernerfolg negativ durch die Unterstützung bei der Überwachung (β = -.07, SE = .04, p = .05) und der Evaluation des Lernprozesses (β = -.08, SE = .04, p = .044) moderiert, nicht jedoch durch die Unterstützung bei der Planung. Die Ergebnisse der Simple-Slope Analysen und die Johnson-Neyman-Plots zeigen, dass mit zunehmender Unterstützung bei der Überwachung bzw. der Evaluation des Lernprozesses die Bedeutung des Vorwissens für den Lernerfolg abnimmt.

Eine Ursache für die unterschiedlichen Ergebnisse könnte in der zeitlichen Abfolge der metakognitiven Prozesse im Lernprozess liegen. Die Planung findet vor der inhaltlichen Bearbeitung der Aufgabe statt, also zu einem Zeitpunkt, zu dem noch wenige kognitive Kapazitäten für die eigentliche Aneignung der Inhalte benötigt werden. Daher könnten alle Lernenden gleichermaßen von einer intensiven Unterstützung profitieren. Jedoch finden die Überwachung und Evaluation des Lernprozesses parallel zur inhaltlichen Auseinandersetzung statt und beanspruchen somit kognitive Kapazitäten der Lernenden. Daher könnten insbesondere Lernende mit geringem Vorwissen von einer angemessenen Unterstützung bei der Überwachung und Evaluation profitieren. Somit kann eine gezielte, den Lernprozess begleitende Unterstützung helfen, dem heterogenen Vorwissen von Schülerinnen und Schülern konstruktiv zu begegnen.

Session Details:

4-02: Heterogene Lerngruppenzusammensetzung: Quantitative Erfassung und Umgang mit Heterogenität auf Klassen- und Schulebene
Time: 19/Mar/2024: 10:30am-12:10pm · Location: H04

 
 
 
Contact and Legal Notice · Contact Address:
Privacy Statement · Conference: GEBF 2024
Conference Software: ConfTool Pro 2.8.105
© 2001–2025 by Dr. H. Weinreich, Hamburg, Germany