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Sitzungsübersicht
Sitzung
8-11: Beiträge zur Perspektive kleiner Kinder in der Sozial- und Bildungsberichterstattung
Zeit:
Mittwoch, 20.03.2024:
11:10 - 12:50

Ort: S27

Seminarraum, 70 TN

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Präsentationen
Symposium

Beiträge zur Perspektive kleiner Kinder in der Sozial- und Bildungsberichterstattung

Chair(s): Susanne Kuger (Deutsches Jugendinstitut, Deutschland)

Diskutant*in(nen): Christine Sälzer (Universität Stuttgart)

Die Aufgabe der Bildungs- und Sozialberichterstattung ist es, fortlaufend gesellschaftliche Phänomene und Wandlungsprozesse im Allgemeinen sowie diese im Kontext von Bildung im Besonderen zu beobachten. Dabei werden die Berichtsthemen und –gegenstände nicht beliebig ausgewählt, sondern danach, welche Strukturen und Rahmenbedingungen, Prozesse und Verläufe sowie Resultate und Erträge (Purves, 1987, Scheerens, 1990) gesellschaftlich und politisch von besonderer Relevanz sind (Kuger & Klieme, 2016). Im Vordergrund der Berichterstattung stehen ebenso die Beschreibungen von (Un-)Gleichheiten wie die Bedeutung von Mechanismen in Ursache-Wirkungszusammenhängen für das Zusammenwirken von Faktoren in den beteiligten (komplexen) Systemen. Daher widmet sie sich ihrer Aufgabe deskriptiv, analytisch und evaluierend (Maaz & Kühne, 2018).

Die Themenfelder der Bildungs- und Sozialberichterstattung sind vielfältig und berühren die Belange von Kindern in verschiedenster Weise. Es ist nicht unüblich, dass die thematisch sehr breit angelegten regelmäßigen Berichtsformate eine thematische Zuspitzung oder Schwerpunktlegung erhalten (etwa „Digitalisierung“, „Förderung demokratischer Bildung im Kindes- und Jugendalter“). Die Auswahl des jeweiligen Schwerpunktthemas signalisiert dabei besonderes Erkenntnisinteresse und fällt zumeist auf ein zeitgeschichtlich besonders relevantes Thema. Von besonderer Bedeutung aufgrund der ihnen zukommenden Aufmerksamkeit, ihrer Reichweite und thematischen Breite, vor allem aber den möglichen praktischen Implikationen für das konkrete Alltagsleben von Kindern sind wohl der Nationale Bildungsbericht sowie der Kinder- und Jugendbericht und der Familienbericht der Bundesregierung. Die Bildungs- und Sozialberichterstattung bearbeitet so Themen, die für das Leben von Kindern zentral sind, die Kinder im Alltag erfahren und erleben, zu denen Kinder eine Meinung haben können und die das zukünftige Leben von Kindern beeinflussen.

Gemäß der UN-Kinderrechtskonvention sichert Deutschland zu, die Meinung des Kindes in allen es betreffenden Entscheidungen angemessen und entsprechend seinem Alter und seiner Reife zu berücksichtigen. Trotzdem spielt die Sichtweise von Kindern in den genannten Berichten aus verschiedenen Gründen bisher kaum eine relevante Rolle. Besonders häufig wird als Grund angeführt, dass die Befragung von kleinen Kindern den hohen Standards, die an die Datengrundlagen für die Berichterstattung angelegt werden nicht genügen (Vogl, 2021). Zugleich gibt es in unterschiedlichen Disziplinen und aus verschiedenen Begründungszusammenhängen heraus umfassende Erfahrungen mit den Besonderheiten und dem Wert der direkten Erfassung von Informationen von (kleinen) Kindern selbst (Lipski, 2000). Darunter fallen etwa die medizinische, pädagogische und psychologische Diagnostik (z.B. pädiatrische Untersuchungen, Einschulungsuntersuchung, Sprachstandsfeststellung) oder Gutachten und Zeugenaussagen in juristischen Verfahren (z.B. in Kinderschutzverfahren, beim Familiengericht, als Unfallzeugen).

Um die Sichtweise von Kindern in der Bildungs- und Sozialberichterstattung adäquat einfließen zu lassen, müssen daher Methoden gefunden werden, mithilfe derer die generierten Daten diesen Standards entsprechen. Das Symposium stellt vier Studien vor, die in standardisierten Vorgehensweisen (kleine) Kinder, z.T. ab vier Jahren, zu ihrer Perspektive auf Bildungsthemen befragen, um die Daten in die Berichterstattung einfließen zu lassen. Anhand dieser Studien werden verschiedene Aspekte der Reliabilität und Validität von Kinderbefragungen untersucht sowie traditionelle und neuere Ansätze und Themenbereiche der Befragung diskutiert. Die Studien decken dabei unterschiedliche Bildungskontexte und –phasen, zu denen befragt wird, ab. Beitrag 1 untersucht mit den AID:A-Daten Auskünfte von ab fünf Jahren alten Kindern zum kindlichen Wohlbefinden, speziell zu ihren Familien, Freunden und formalen Lernkontexten (Kindergarten, Schule), d.h. überblickt formale, informelle und non-formale Kontexte. In Beitrag 2 stellt eine Studie Ergebnisse zu Reliabilität und Validität einer bundesweit repräsentativen Befragung von 4- bis 6-jährigen zu der von den Kindern wahrgenommenen Qualität im Kindergarten vor. Beitrag 3 ergänzt um den biografisch nachfolgenden formalen Kontext der Grundschule und berichtet von einem Perspektivenabgleich zwischen Eltern- und Kindersicht. Im Zentrum steht die prädiktive Validität der beiden Informationsquellen. Schließlich geht Beitrag 4 auf neuere Ansätze ein, die technologische Hilfsmittel einsetzen, mithilfe derer die Befragungen noch spielerischer ablaufen können.

 

Beiträge des Symposiums

 

Mit den Augen eines Kindes sehen: die Zuverlässigkeit von Kinderaussagen zum Wohlbefinden in non-formalen und informellen Aufwachsens-Kontexten am Beispiel von AID:A

Inga Simm, Anja Linberg, Thorsten Naab
Deutsches Jugendinstitut, Deutschland

Die Kindheit ist eine entscheidende Entwicklungsphase, in der zentrale Grundlagen für den Bildungsweg, die gesellschaftliche Teilhabe und das Wohlbefinden eines Kindes gelegt werden (Heckman & Masterov, 2007). Die Selbstbestimmungstheorie setzt das Wohlbefinden von Kindern in engen Zusammenhang zu zentralen Bedürfnissen nach Autonomie, Kompetenz und sozialer Eingebundenheit in verschiedenen Kontexten wie Familie, Schule und Freundeskreis (Deci und Ryan, 2002). Die Herausforderung besteht darin, das Wohlbefinden von Kindern in groß angelegten Studien zu erfassen, die derzeit hauptsächlich auf Informationen von Auskunftspersonen über Kinder basieren.

Im Vergleich zu Erwachsenen gelten die Aussagen jüngerer Kinder entwicklungsbedingt oft als weniger zuverlässig. Um Kinder als aktive Gestalter ihrer Umwelt anzuerkennen und ihr Potenzial zu nutzen, bedarf es entsprechender Methoden. Es gilt zu berücksichtigen, dass die Vorstellungen von Kindern gerade beim Wohlbefinden von Erwachsenen abweichen können (Punch, 2002). Die Erkenntnisse aus der medizinischen und pädagogisch-psychologischen Diagnostik und Kompetenzmessung geben bereits Hinweise darauf, wie Befragungen die Entwicklung jüngere Kinder angemessen berücksichtigen können (u.a. Niehaus et al., 2017; Dunn, 2019).

Unklar ist dabei jedoch, (1) welche Methoden sich für die Erfassung des kindlichen Wohlbefindens in large-scale Studien eignen und (2) welche Zusammenhänge sich zwischen Kind- und Elternaussagen beim kindlichen Wohlbefindens finden lassen.

Die Studie „Aufwachsen in Deutschland: Alltagswelten“ (AID:A; Rauschenbach et. al., 2021) liefert seit vielen Jahren bevölkerungsrepräsentative Daten von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Deutschland. Die Selbstauskünfte sowie die Angaben von Auskunftspersonen aus dem gleichen Haushalt fließen regelmäßig in verschiedene Sozial- und Bildungsberichte ein.

In der AID:A 2023-Studie werden erstmals Kinder ab fünf Jahren selbst befragt. Die Fragen zum Wohlbefinden von Kindern zwischen fünf und acht Jahren orientieren sich an dem bestehenden Befragungsprogramm für andere Altersgruppen und enthalten auch spezielle Fragen für diese Altersgruppe. Das Instrument wurde umfassend getestet und in Vorstudien mit Kindern reflektiert. Die Befragung selbst wurde für 5 - bis 8Jährige durch einen Interviewer durchgeführt und die Antwortskalen kindgerecht visualisiert (z.B. Smileys, Daumen). Ab 9 Jahren hatten Kinder auch die Möglichkeit auf selbstausfüllende Methoden auszuweichen.

Der Beitrag untersucht die Selbstauskünfte von etwa 1000 Kindern im Alter von 5-11 Jahren sowie die Angaben ihrer Eltern zum Wohlbefinden in drei zentralen Lebensbereichen: Familie (Familienklima, Beziehungsqualität), Schule (Schulzuneigung, Zufriedenheit mit Betreuung) und Freundeskreis (Häufigkeit der Freundeskontakte, Beziehungsqualität). Darüber hinaus werden Aussagen der Interviewer (z.B. Störungen, Anwesenheit der Eltern) berücksichtigt.

Erste Ergebnisse zeigen keine Abbrüche und eine hohe wahrgenommene Motivation der jüngeren Kinder. Der Beitrag wird detailliertere Informationen über altersspezifische Unterschiede und Vergleiche mit den Eltern liefern. Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass keine Aussage als valider angesehen wird als die andere, sondern fokussiert darauf, welche zusätzlichen Erkenntnisse durch Selbstaussagen gewonnen wird. Dies erweitert nicht nur Erkenntnisse der Kindheitsforschung, sondern trägt auch zur Weiterentwicklung von Methoden zur Erfassung der kindlichen Perspektive bei.

 

Methode und Belastbarkeit von quantitativer Kinderbefragung – exemplarisch anhand der Daten von 4-7-jährigen für das Monitoring zum KiQuTG

Magdalena Molina Ramirez, Theresia Pachner
Deutsches Jugendinstitut, Deutschland

Im System der frühkindlichen Bildung, Betreuung und Erziehung nehmen Kinder einerseits als Adressaten, andererseits als Akteure, die den Betreuungsalltag aktiv mitgestalten, eine zentrale Rolle ein. Gemäß der UN-Kinderrechtskonvention haben Kinder das Recht, an Entscheidungen beteiligt zu werden, die sie betreffen. Demnach sollen kindliche Sichtweise, Meinungen, Erfahrungen und Vorschläge eingeholt werden, wenn Angelegenheiten, die die Kinder betreffen, geplant und umgesetzt werden. Kindheitsforscher sind zunehmend davon überzeugt, dass man die Aufwachsensbedingungen von Kindern nur dann verstehen und verbessern kann, wenn man Kinder selbst dazu befragt (Ben-Arieh, 2014). Trotzdem wird ihre subjektive Sichtweise in der Sozial- und Bildungsberichterstattung bislang nicht systematisch einbezogen. Denn methodische und forschungsethische Herausforderungen, die mit der Befragung der Sichtweise von Kindern verbunden sind, sind unbestritten (Vogl, 2015). Spricht man jedoch Kindern ihr Recht zu als Experten ihrer Erfahrungswelt zu gehört zu werden, so erscheint es unumgänglich, die Kinderperspektive zukünftig systematischer und selbstverständlicher in die Sozial- und Bildungsberichterstattung einzubeziehen. Dies bedarf einer sorgfältigen Reflexion (Nentwig-Gesemann & Mackowiak, 2012).

In den letzten Jahren wurden vermehrt qualitative Studien durchgeführt, die zeigen, welche Aspekte der Kindertagesbetreuung Kindern wichtig sind (z.B. Nentwig-Gesemann, Walther, Bakels & Munk 2021). Quantitative Studien, die bundesrepräsentative Aussagen erlauben, existieren jedoch bislang nicht. Der Beitrag geht deshalb der Frage nach, mit welcher Methode Kinder befragt werden können und wie reliabel ihr Antwortverhalten ist.

Das Monitoring zum KiQuTG berücksichtigt im Rahmen des ERiK Projekts, neben den Sichtweisen weiterer relevanter Akteure im Feld, auch die Aussagen von Kindern, die selbst in den Kindergarten gehen. Im Sommer 2022 wurde eine persönliche Befragung mit n=479 bundesweit repräsentativ gezogenen Kindern im Alter von 4 bis einschließlich 7 Jahren durchgeführt. Dazu wurde im Rahmen mehrerer Vorstudien eine Befragung entwickelt, die die Sichtweise von Kindern zur Qualität in ihrem Kindergarten einholt. Die Befragung selbst ist als Brettspiel konzipiert, bei der die Kinder mit einer Spielfigur über verschiedene Felder eines abgebildeten Kindergartens ziehen und Fragen zu den folgenden Themenbereichen beantworten: eigenes Wohlbefinden, Räume, Raumnutzung und Bewegungsmöglichkeiten, Freundschaften und Peers, Bewertung der Beziehung zu Fachkräften, positive und negative Aspekte der Kinderbetreuung sowie Selbst- und Mitbestimmungsmöglichkeiten. Ergänzend wurden die Eltern der teilnehmenden Kinder online befragt, um Informationen zur Betreuungshistorie und Soziodemografie sowie der elterlichen Wahrnehmung der Betreuungssituation zu erhalten. Des Weiteren wurden im Rahmen des ERiK Projekts pädagogische Fachkräfte dieser Kinder zu zum Teil vergleichbaren Themen befragt (vgl. Molina Ramirez et al., in Druck).

Zusätzlich wurde ein kleine Test-Retestbefragung von Kindern in der Pfalz durchgeführt, um zu analysieren, wie robust das Antwortverhalten der Kinder ist. Dabei konnten vom selben Interviewer n=17 Kinder in 3 verschiedenen Kitas im Abstand von ca. 3 bis 4 Wochen zweimal befragt werden.

Erste deskriptive Auswertungen der bundesweit repräsentativen Kinderstichproben n=479 zeigen zum Teil hohe Übereinstimmungen der Sichtweisen von Kindern und pädagogischen Fachkräften: Sowohl Kinder als auch pädagogische Fachkräfte schätzen beispielweise bei der Itembatterie Selbst- und Mitbestimmungsmöglichkeiten der Kinder die Items „mit wem spielen“, „was spielen“ und „wo spielen“ am höchsten ein. Erste Reliabilitätsauswertungen (Kendalls Tau bzw. Pearson Korrelation) mit der kleinen Zusatzstichprobe von n=17 Kindern zeigen hohe Übereinstimmungen bei der Frage nach den Freunden im Kindergarten (r=.5) und den Fragen nach der Fachkraft-Kind-Interaktion (Werte zwischen τ=.5 und τ=.8), was auf ein reliables Antwortverhalten der Kinder in diesen Bereichen schließen lässt.

Diese und weitere Ergebnisse werden eingeordnet und vor dem Hintergrund methodischer Limitationen, die vor allem für die Befragung von Kindern gelten, diskutiert.

 

Besitzt die Kindperspektive prädiktiven Mehrwert? Erklärungsbeiträge von Lernfreude aus multiplen Perspektiven für Noten in der Grundschule

Markus Vogelbacher, Manja Attig
Leibniz-Institut für Bildungsverläufe

Die Berücksichtigung der Kindersicht in der empirischen Bildungsforschung bietet neben der Möglichkeit, die Perspektive von Kindern deskriptiv zu repräsentieren auch Potenziale für erklärende Analysen. Die Sicht der Kinder kann neben dem Explanandum also auch das Explanans für weitere Faktoren darstellen. Demnach bietet die Erhebung von Selbstauskünften in quantitativen Studien die Möglichkeit, erklärende Analysen mit Prädiktoren aus Kindperspektive aufzuwerten. Allerdings unterliegen gerade groß angelegte längsschnittliche Bildungsstudien zeitliche und finanzielle Restriktionen und stellen hohe Standards an die Datenqualität. Vogl (2021) verweist darauf, dass standardisierte Befragungen ab ca. 10 Jahren sinnvoll sind. Bei jüngeren Kindern wird demnach häufig auf eine Befragung der Eltern zurückgegriffen. Inwieweit die Kindperspektive einen analytischen Mehrwert zu Auskünften von Dritten (Lehrer oder Eltern) besitzt, ist daher (insbesondere bei jungen Kinder) eine noch nicht ausreichend geklärte Frage. Der vorliegende Beitrag beleuchtet diese Fragestellung beispielhaft am prädiktiven Effekt von Lernfreude der Kinder für Schulnoten und berücksichtigt die Eltern- und Kindperspektive.

Lernfreude stellt einen Ausdruck intrinsischer Motivation (Gottfried, 1990) und damit eine zentrale Funktion beim Kompetenzerwerb dar (Hagenauer & Itter, 2023) und sollte sich somit auch auf die Leistungsbewertung niederschlagen (Gottfried, 1990; Taylor et al., 2014). Da Lernfreude über ihre emotionale Qualität motivational wirksam wird, können in der Eigenperspektive der Kinder hier endogen emotionale Aspekte in die Bewertung einfließen, die über die Beobachtungsperspektive der Eltern nicht abbildbar sind (vgl. Helm & Huber, 2022).

Mit der Hilfe von kindgerechten Instrumenten ist das Selbstkonzept von Kindern bereits ab 6 Jahren reliabel über Selbstauskunft erfassbar (Davis-Kean & Sandler, 2001; Harter, 1996). Selbstbezogene Einschätzungen und Verhalten stehen dann ab ca. 8 Jahren in Zusammenhang (Davis-Kean, Jager & Collins, 2009). Dies lässt vermuten, dass die Eigenperspektive der Kinder auf Lernfreude auch in der Prädiktion von Verhalten und Verhaltensfolgen, die durch Lernfreude beeinflusst werden – z.B. Lernverhalten, Kompetenzerwerb und Leistungsbewertung (Taylor et al., 2014) – einen Mehrwert zur Fremdeinschätzung durch die Eltern aufweist.

Im vorliegenden Beitrag soll untersucht werden, inwieweit die Selbsteinschätzung der Lernfreude durch Kinder im Alter von 9 und 10 Jahren eine von der Elterneinschätzung der kindlichen Lernfreude unabhängige Rolle für die Erklärung der Halbjahresnoten in Deutsch, Mathematik und Sachunterricht besitzt.

Die Fragestellung wird mit Daten der Startkohorte 1 des NEPS untersucht (Attig, Vogelbacher & Weinert, 2023). Die Halbjahresnoten (nur Eltern) und die Einschätzung der Lernfreude (Eltern und Kinder) wurden zu zwei Messzeitpunkten (2021 und 2022) in standardisierten Interviews erhoben (Eltern: CATI; Kinder: CASI), als die meisten Kinder die 3. und 4. Klasse besuchten (N=1577/1457; Alter ca. 9 und 10 Jahre). Zur Erhebung der Lernfreude wurden Items des Forschungsprojekts BiKS (Lorenz et al., 2013) verwendet, welche in Anlehnung an eine Subskala des „Fragebogen zur Erfassung emotionaler und sozialer Schulerfahrungen von Grundschulkindern dritter und vierter Klasse“ (FEESS 3-4; Rauer & Schuck, 2003) weiterentwickelt wurden. Die Forschungsfrage wird über regressionsanalytische Ansätze und Strukturgleichungsmodellierungen untersucht. Kontrollvariablen, wie der sozio-ökonomische Hintergrund der Familien, werden berücksichtigt.

Erste korrelative Analysen zeigen einen Zusammenhang der selbsteingeschätzten Lernfreude der Kinder mit den Schulnoten von r=-,13 bis -,20 im Alter von 9 Jahren und von -,15 bis -,20 im Alter von 10 Jahren, abhängig vom jeweiligen Fach. Der Zusammenhang der Noten mit der von den Eltern eingeschätzten Lernfreude ist vergleichbar (r=-,18 bis -,30 je nach Fach und Messzeitpunkt). Regressionen der Halbjahresnote in Deutsch auf Lernfreude aus Eltern- und Kindperspektive im Alter von 9 Jahren zeigen signifikante Effekte für Eltern- und Kindauskunft (ß=-,18/-,12), ebenso im Alter von 10 Jahren (-,26/-,09). Ein ähnliches Bild ergibt sich für die Prädiktion der Halbjahresnote in Deutsch im Alter von 10 mit der Lernfreude im Alter von 9 Jahren (-,22/-,10). Die Ergebnisse werden im Hinblick der Bedeutung der kindlichen Perspektive für die Bildungsforschung diskutiert.

 

Zum Einsatz von Audiostiften zur Unterstützung von Befragungen mit Kindern im Vor- und Grundschulalter

Thorsten Naab, Inga Simm, Moritz Abraham
Deutsches Jugendinstitut, Deutschland

In den vergangenen Jahrzehnten hat sich in zahlreichen Disziplinen der Kindheitsforschung ein Paradigmenwechsel von der Forschung über Kinder hin zur Forschung mit Kindern vollzogen (Büker et al., 2018; Weise et al., 2020). Anstatt Kinder als passive Teilnehmende der Gesellschaft zu betrachten und sich an Sorgen und Interessen von Erwachsenen zu orientieren, sieht die heutige Forschung Kinder immer stärker als aktive Gestalter:innen ihrer eigenen Umwelt. Dementsprechend versucht die Kindheitsforschung, den gesellschaftlichen Ansprüchen an die Berücksichtigung von kindlicher Agency, Autonomie und Selbstbestimmung gerecht zu werden (Hammersley, 2017; Sutterlüty & Tisdall, 2019). Hierzu versuchen Forschenden die Perspektive von Kindern auf für sie relevante Themen sichtbar zu machen, indem sie sie dazu befragen.

Insbesondere bei standardisierten Befragungen kommen dabei jedoch nicht alle Kinder gleichermaßen zu Wort. Während Kinder, die über grundlegende Lese- und Schreibkenntnisse verfügen, vergleichsweise häufig befragt werden (Lorenz et al., 2021), kommen jüngere Vor- und Grundschüler:innen, die diese Kompetenzen nicht besitzen, in quantitativen Erhebungen kaum zu Wort. Grund dafür sind die methodischen Herausforderungen, die mit der Befragung von jüngeren Kindern einhergehen. Zum einen müssen Forschende Erhebungsinstrument und -situation an die individuellen Bedürfnisse von Kindern und ihren kognitiven, emotionalen und sozialen Entwicklungsstand anpassen (Lorenz et al., 2021). Gerade jüngere Kinder können sich in ihrem Entwicklungsstand stark voneinander unterscheiden, so dass sich standardisierte Erhebungsinstrumente nur mit Einschränkungen umsetzen lassen. Zum anderen sind insbesondere jüngere Kinder im Vergleich zu älteren stärker auf die Unterstützung von Eltern, Fachkräften oder Interviewenden (z.B. beim Lesen eines Fragebogens) angewiesen, um bei einer Befragung mitmachen zu können. Dies birgt für Forschende jedoch die Gefahr einer unbewussten oder bewussten Einflussnahme, die das Antwortverhalten der Kinder verändert, weshalb in der Befragungssituation bestehende und wahrgenommene Abhängigkeits- und Autoritätsverhältnisse zwischen Erwachsenen und Kindern sowie Aspekte sozialer und personaler Erwünschtheit zu berücksichtigen sind (Bell, 2007; Punch, 2002; Vogl, 2015).

Der vorliegende Beitrag adressiert zunächst die beschriebenen methodischen Herausforderungen bei der standardisierten Befragung von Kindern im Vor- und Grundschulalter. Als Lösungsansatz wird die Adaption eines Computer-Assisted-Self-Interview-Fragebogens (CASI) mithilfe eines Audio-Stifts vorgeschlagen.

Audio-Stifte sind audiodigitale Lern- und Kreativsysteme, die im Kern aus Speichermedium, Infrarot-Scanner und Audioausgabe sowie bei einigen Versionen einem Mikrofon bestehen (SCHAU HIN!, 2022). Kinder können mit dem Stift bei kompatiblen Büchern, Spielen und Spielzeugen durch Antippen ergänzende Audioinhalte abspielen. Darüber hinaus sind in zahlreichen Büchern, Spielen und Spielzeugen interaktive Elemente integriert, bei denen Kinder aufgefordert werden, bestimmte Felder bzw. Bilder auszuwählen und anzutippen. Durch quelloffene Drittanbietersoftware lassen sich die Funktionen von Audio-Stiften für eigene Digitalprojekte (Breitner, 2019, 2020) und damit zur Umsetzung einer Befragung nutzen.

Dadurch können Audiostifte Forschenden helfen, entwicklungsbedingte Zugangsvoraussetzungen für Kinder zu reduzieren. So lässt sich mithilfe von Audiostiften die Lesebarriere eines Fragebogens durch das Abspielen von Fragen im Audioformat nivellieren. Bei der Fragebogengestaltung lassen sich, analog zu den Angeboten der Audiostift-Anbieter, Bilder, grafische Darstellungen oder Spielfiguren durch Forschende in den CASI-Kontext einbinden.

Darüber hinaus kann die Verwendung von Audiostiften im Rahmen von Kinderbefragungen helfen, die Einflüsse von anwesenden Erwachsenen sowie der Interviewsituation auf das Antwortverhalten der befragten Kinder zu minimieren. Da Audiostifte unter vielen Kindern bekannt sind, sind auch jüngere Kinder im Vergleich zu Tablet, App oder Smartphone relativ geübt im selbstständigen Umgang damit ohne eine erwachsene Bezugsperson (Pfost & Becker 2020; Pfost, Freund & Becker 2018). Dies gilt insbesondere auch für Kinder bildungsferner Elternhäuser (Pfost & Becker 2020). Schließlich wird durch die spielerische Gestaltung der Befragung die für Kinder ungewohnte Befragungssituation aufgebrochen. Gerade bei Kindern im Vorschulalter besteht dabei eine gute Passung zum familialen und institutionellen Kontext, in dem Kinderbefragungen üblicherweise stattfinden.

Zusammengenommen hat der Einsatz von Audiostiften bei Kinderbefragungen das Potential die Validität und Reliabilität von Studien zu stärken und Einflüsse der Erhebungssituation sowie anwesender Dritter zu minimieren.



 
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