Symposium
Teach-R: Simulationsbasierte Lehramtsausbildung in VR
Chair(s): Axel Wiepke (Universität Potsdam, Deutschland)
Discussant(s): Axel Wiepke (Universität Potsdam)
Unterschiedliche Methoden werden im Lehramtsstudium genutzt, um einen Übergang von der Theorie zur Praxis des Lehrens zu unterstützen (Hedtke, 2000). So können zum Beispiel Videomitschnitte als Grundlage zur Reflexion über Unterrichtssituationen dienen (Richter et al., 2022), schriftliche Fallvignetten eine "innere Vorbereitung" auf Unterrichtseinheiten ermöglichen (Lübcke et al., 2019), Unterrichtsplanung und -forschung als Bindeglied fungieren (Gagel, 1983), oder Praktika, sowohl mit als auch ohne eigene Lehrtätigkeit, Einblicke in den Schulalltag bieten (Brocca, 2020). Der praktische Kontakt zu realen Klassen wird oft als entscheidend angesehen, um das theoretische Wissen in der Praxis zu erproben (Hedtke, 2000). Jedoch gehen damit hoher organisatorischer und personeller Aufwand und begrenzte Generalisierbarkeit der Erfahrungen an Schulen einher (ebd.).
Doch auch andere Trainingsmethoden haben Herausforderungen. Beispielsweise fehlt es oft an Interaktivität in Videos und Texten, Datenschutzbedenken können bei der Verwendung von Videos und Praktika auftreten, und es bedarf einer hohen Abstraktionsfähigkeit, um aus Unterrichtsplänen und -forschung Erkenntnisse für die Praxis zu ziehen. Die Übertragbarkeit dieser Methoden in die Praxis kann selten umfassend untersucht werden, aufgrund von mangelnder Wiederholbarkeit und unterschiedlichen Schwerpunkten in der Theorie (z.B. Ökonomie und Effektivität der Lehrmethoden) und der Praxis (Persönlichkeitswerte – Was macht eine "gute Lehrkraft" aus mir?) (Oelkers, 1999).
Ein Ansatz, der sich diesen Herausforderungen widmet, ist die Virtual Reality (VR)-Simulation, wie sie im Projekt "Teach-R" vorgestellt wird (Wiepke et al., 2019a). Teach-R umfasst eine VR-Umgebung und eine Weboberfläche zur Steuerung von virtuellen Schülerinnen und Schüler (vSuS). In der VR-Umgebung können Lehramtsstudierende den Erstkontakt mit einer Klasse von bis zu 30 vSuS in einer realitätsnahen Simulation erleben und praktische Erfahrungen sammeln. Der erste Einsatz erfolgte im Jahr 2018 an der Universität Potsdam im Rahmen eines Kurses zum Umgang mit Unterrichtsstörungen. Seitdem wurde Teach-R weiterentwickelt, unter anderem durch die Möglichkeit von Unterrichtsgesprächen mit den vSuS. Das Projekt bietet eine interdisziplinäre Plattform, die Informatik, Erziehungswissenschaften, Fachdidaktiken und empirische Forschung miteinander verknüpft. Innerhalb der Anwendung können Daten erfasst werden, wie z.B. Bewegungsprofile oder Aufzeichnungen der Nutzenden während der Simulation, die sowohl für die Reflexion als auch für die Forschung genutzt werden können. Über die Webplattform kann ein Coach die Lehrkraft hinsichtlich ihrer didaktischen Methoden bewerten, was bei den vSuS verschiedene, vordefinierte Animationen und Rückmeldungen auslösen kann. Das Verhalten der vSuS kann auch direkt gesteuert oder anhand festgelegter Skripts angepasst werden. Die Lernumgebung kann durch Änderungen des Wetters oder der Lautstärke im Schulgebäude beeinflusst werden (Wiepke et al., 2021). Dadurch lassen sich gezielte Szenarien erstellen und reproduzieren, was sowohl das Training von Lehrmethoden als auch die Erforschung des Verhaltens im virtuellen Unterricht ermöglicht (Huang et al., 2021).
Das Open-Source-Projekt "Teach-R" wird in immer größerem Umfang in Hochschulseminaren eingesetzt, um innovative Lehrmethoden zu erproben und die vermittelten didaktischen Ansätze zu untersuchen. Im Rahmen dieses Symposiums werden einige der bereits existierenden Szenarien aus unterschiedlichen Fachdisziplinen vorgestellt. Dabei werden Lehrformate, anvisierte Kompetenzen und Forschungsschwerpunkte beschrieben, sowie die Erweiterbarkeit und die Anwendung aus technischer Perspektive näher beleuchtet. Es werden Beiträge erwartet aus der Wirtschaftspädagogik, der Sport- und Chemiedidaktik, sowie aus den Erziehungswissenschaften und der Informatik. Die Autorinnen und Autoren der eingereichten Beiträge werden in Gruppen ihre eigenen Erfahrungen mit Teach-R teilen, gemeinsam diskutieren und die Diskussion dann für das gesamte Plenum öffnen. Nach den Präsentationen der Gruppen wird das Symposium mit einer offenen Diskussionsrunde abgeschlossen.
Presentations of the Symposium
Teach-R in der Sportlehrkräftebildung
David Wiesche1, Raphael Zender2, Britta Fischer3 1Universität Duisburg-Essen, 2Humboldt-Universität zu Berlin, 3Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
Das Ziel des Schulsports ist nicht nur, die Heranwachsenden in die Bewegungs-, Spiel- und Sportkultur einzuführen und eine Handlungsfähigkeit in dieser Kultur zu ermöglichen, sondern auch einen Beitrag zur ganzheitlichen Entwicklungsförderung durch Bewegung, Spiel und Sport zu leisten (Kurz, 2008). Die Sportlehrkräftebildung an deutschen Universitäten, die neben theoretischen Inhalten auch sportpraktische Seminare beinhaltet, fokussiert dabei traditionell auf normierte Sportarten oder Bewegungsfelder. Die Verbesserung von Wahrnehmungsfähigkeit und Bewegungskompetenz sind sowohl im Studium, als auch im Schulsport prominente Zielperspektiven. Die Fähigkeit, lernrelevante Unterrichtsereignisse erkennen und theoriebasiert interpretieren zu können (z. B. Meschede et al., 2017), also Wahrnehmungsprozesse, sind für ein professionelles Sportlehrkräftehandeln relevant. Zudem ist auch das Wissen über Wahrnehmungs- bis hin zu Verstehensprozessen von Schülerinnen und Schülern (SuS) bedeutsam.
Die Entwicklung von Medienkompetenzen ist eine Querschnittsaufgabe der Schule, die alle Fächer betrifft. Dabei wird im sportpädagogischen Diskurs vor allem ein Blick auf den Einsatz von digitalen Medien (z.B. Greve et al., 2020) sowie das Lehren und Lernen mit und in digitalen Medien im Sport (Fischer & Paul, 2020) gelegt. Der Proklamation der KMK (2021), dass immersive Technologien wie Virtual Reality (VR) bei der Entwicklung innovativer, digitaler Lernformate im Unterricht zu beachten, zu reflektieren und einzubeziehen sind, wird an wenigen Standorten in Deutschland umgesetzt. Dabei ist Körpererfahrung in VR ein Teil des gesellschaftlichen Transformationsprozesses (Wiesche et al., 2023). Das Potenzial von VR für Körpererfahrung (Bielefeld, 1991) im Sinne eines mehrperspektivischen Sportunterrichts ist noch unerforscht und es bestehen Unsicherheiten aus medizinischer und pädagogischer Perspektive (Zender et al., 2022).
Mit der Teach-R-Sporthalle steht eine Umgebung zur Verfügung, in der Simulationen im Kontext des Sportunterrichts ermöglicht werden. Dabei wird die VR-Sporthalle auf der einen Seite als ein möglicher Raum für Formen von Bewegung, Spiel und Sport verstanden: Wenn körperliche Praktiken im physischen Raum über Interfaces in den digitalen Raum übertragen werden, eröffnet sich ein hybrider Raum, in dem Körpererfahrungen und damit auch eine Reflexion derselben ermöglicht werden, die sowohl für das Verständnis von Körper als auch von Virtualität genutzt werden können.
Auf der anderen Seite sollen in der VR-Sporthalle Simulationen erarbeitet werden, an denen Wahrnehmungs-, Deutungs- und Handlungskompetenzen in Bezug auf die Qualität der Unterrichtsgestaltung entwickelt werden können. Dabei stehen einerseits die Klassenführung vor dem Hintergrund einer doppelten Verletzbarkeit (Herrmann & Gerlach, 2020), andererseits das Nähe-Distanz Verhältnis zwischen SuS und Lehrkraft als sportpädagogische Themen im Mittelpunkt der Professionalisierung von Sportlehrkräften.
Die Abbildungen 1 und 2 illustrieren den aktuellen Entwicklungsstand der VR-Sporthalle, welche als Erweiterung von Teach-R konzipiert wurde. Diese Erweiterung, realisiert in enger Zusammenarbeit mit dem Teach-R-Team und erfahrenen Sportlehrkräften, berücksichtigt sowohl die Hauptsporthalle als auch zugehörige Nebenräume wie Gerätelager und Umkleidekabinen in seiner Umsetzung. Die Konzeption der Räumlichkeiten orientierte sich dabei an den baulichen Vorgaben für neu zu errichtende Sporthallen in Berlin, sowohl hinsichtlich der Raumgrößen als auch der Anzahl der Räume. Des Weiteren wurden die bewährten Teach-R-Interaktionskonzepte aufgegriffen. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sind noch keine virtuellen SuS in die VR-Sporthalle integriert.
Im nächsten Schritt sollen virtuelle SuS in die VR-Sporthalle integriert werden, die sich in standardisierten Situationen bewegen. Die Definition dieser standardisierten Situationen bezüglich der Themen (1) Klassenführung sowie (2) Nähe und Distanz werden aktuell erarbeitet. Ziel ist es, ein konsequenzfreies Lernen und Explorieren von Handlungsmustern in der Sporthalle zu ermöglichen.
Aus wissenschaftlicher Perspektive soll darüber hinaus der Frage nachgegangen werden, ob das Erleben von Nähe und Distanz in Teach-R zum Ausgangspunkt für einen Reflexionsprozess bei (angehenden) Lehrkräften genutzt werden kann. Durch phänomenologische Beschreibungen des Erlebten von unterschiedlicher “virtuelle Nähe” in ausgewählten Situationen wie einem Einzelgespräch, bei Hilfestellungen oder in Unterrichtsgesprächen mit SuS-Gruppen können Rückschlüsse auf die Konzeption von möglichen Trainingsszenarien geschlossen werden.
Die Potenziale eines virtuellen Klassenzimmers für die Erklärfähigkeit von Lehramtsstudierenden
Jürgen Seifried, Robert Mühldorfer, Christian Mayer Universität Mannheim
Einleitung
Im Beitrag wird ein Lehrkonzept zur Förderung des Kompetenzerwerbs im Studium der Wirtschaftspädagogik vorgestellt. Das Studium hat das Ziel, angehende Lehrkräfte bestmöglich auf zukünftige Herausforderungen in Schule und Unterricht vorzubereiten bzw. entsprechende Lerngelegenheiten bereit zu stellen. Diesbezüglich ist das Erproben von (fach-)didaktischen Alternativen im Rahmen von authentischen Unterrichtsszenarien bereits im Studium von hoher Bedeutung (Dalgarno et al., 2016; Grossman, 2018). Das virtuelle Klassenzimmer Teach-R (Wiepke et al., 2019) bietet hier die Möglichkeit, dass sich angehende Lehrpersonen gezielt mit der die Gestaltung von Unterrichtserklärungen auseinander setzen.
Theorie
Fehleranfällige Unterrichtserklärungen von Lehramtsstudierenden und angehenden Lehrpersonen sind keine Seltenheit (Borko et al., 1992; Guler & Celik, 2016; Halim & Meerah, 2002; Leinhardt, 1989). Sie haben z. B. Schwierigkeiten, das Vorwissen der Lernenden richtig einzuschätzen (Sánchez et al., 1999) und können bei Rückfragen der Lernenden wenig flexibel reagieren (Borko & Livingston, 1989; Leinhardt, 1989). Schwierigkeiten gibt es auch hinsichtlich der Darstellung von Lerninhalten (Borko et al., 1992; Inoue, 2009; Kinach, 2002; Wheeldon, 2012) und dem Aufzeigen lebensnaher Praxisbeispiele (Borko et al., 1992; Inoue, 2009; Wheeldon, 2012). Als eine Ursache für die mangelnde Erklärfähigkeit werden Defizite beim inhaltlichen Wissen angeführt (Borko et al., 1992; Eisenhart et al., 1993; Halim & Meerah, 2002; Thanheiser, 2009). Allerdings lassen sich entsprechende Fähigkeiten auch fördern. So wies bspw. (Miltz, 1972) in einer der wenigen Experimental-Kontrollgruppenstudien in diesem Bereich nach, dass Trainingseinheiten zum verständlichen Erklären die Erklärfähigkeit signifikant verbessern. Darüber hinaus verbessert Feedback durch Mentor:innen die Fähigkeiten angehender Lehrpersonen (Borko et al., 1992; Eisenhart et al., 1993).
Adressierte Kompetenzen
Im Fokus des Teach-R-Unterrichtsszenarios steht zum einen die Entwickelung der Erklärfähigkeit von Lehramtsstudierenden unter authentischen Bedingungen und zum anderen die Förderung der Reflexionsfähigkeit der eigenen Unterrichtserklärung (Richter et al., 2022). Video-Aufzeichnungen aus dem Unterrichtsszenario dienen den Studierenden als Ausgangspunkt zur Reflexion über ihr unterrichtliches Handeln. Studierenden nutzen die Methode der qualitativen Inhaltsanalyse von Videodaten zur theoriegeleiteten Analyse von Lehr-Lernsituationen, um ihr eigenes fachdidaktisches Handeln selbständig kritisch zu überdenken.
Lehrformat
Das virtuelle Klassenzimmer (Teach-R) wird Rahmen des Seminars „Reflexion wirtschaftsberuflicher Lernumgebungen“ im Studiengang Wirtschaftspädagogik an der Universität Mannheim eingesetzt. Hierfür wurde ein vorprogrammiertes impulsgesteuertes Unterrichtsgespräch zur Thematik der Nachfrageverschiebung (Volkswirtschaftslehre) entwickelt. Die Simulation wird zu Beginn und zum Ende des Semesters eingesetzt (HTC Vive Pro-Eye). Die Studierenden analysieren das unterrichtliche Handeln anhand gängiger Qualitätsdimensionen zur Analyse von Erklärprozessen (z. B. (Findeisen, 2017): Fachlicher Gehalt, Lernendenzentrierung, Prozessstruktur, Repräsentation und Sprache). Dabei greifen sie die Technik der qualitativen Inhaltsanalyse nach (Mayring, 2022) zurück und arbeiten mit MAXQDA.
Zur Analyse der Erklärfähigkeit wird aktuell ein Versuchs-Kontrollgruppen-Design (Versuchsgruppe: n=16, Kontrollgruppe; n=11) umgesetzt. Beide Gruppen führen eine Unterrichtserklärung zur Nachfrageverschiebung zu zwei Messzeitpunkten durch. Es wird durch die Authentizität und dem Immersionserleben im virtuellen Klassenzimmer (Teach-R) erwartet, dass die VR-Gruppe Vorteile gegenüber der Kontrollgruppe aufweist. Das Projekt befindet sich derzeit in der Erhebungsphase; die Datenerhebung und -analyse wird zur Tagung abgeschlossen sein. Im Zuge der Weiterentwicklung des Lehrkonzepts wollen wir uns verstärkt um gezielt ausgewählte Teilaspekte der Erklärfähigkeit widmen (Huang Y. et al., 2023). So kann die Aufmerksamkeit noch gezielter auf relevante Aspekte gelernt werden. Es wird erwartet, dass so die Potenziale der VR-Umgebung noch besser genutzt werden können.
Virtual Reality Teaching Partner: Studie zur Wahrnehmung realer und VR-basierter Unterrichtssimulationen
Eric Richter1, Kira E, Weber2, Lucas J. Jacobsen3, Dirk Richter1, Yizhen Huang1 1Universität Potsdam, 2Universität Hamburg, 3Leuphana Universität Lüneburg
Theoretischer Hintergrund
Unterrichtssimulationen sind fester Bestandteil der Lehramtsausbildung (Grossman, Hammerness, et al., 2009). Diese Art des Lernens ermöglicht es situationsspezifisches Wissen und pädagogische Kompetenzen zu vermitteln, um so Transfer in die spätere Berufspraxis zu erleichtern (Kramer et al., 2020).
Entscheidend für den Lernerfolg in praxisorientierten Lernumgebungen wie Simulationen ist das Ausmaß der wahrgenommenen Authentizität. Dabei handelt es sich um den Grad der Ähnlichkeit zwischen den Merkmalen der Lernumgebung und dem tatsächlichen Kontext in der beruflichen Praxis (Grossman, Compton, et al., 2009; Shavelson, 2012).
Die Bereitstellung authentischer Simulationen in der physischen Realität ist zeit- und ressourcenintensiv. Im Gegensatz dazu lassen sich standardisierte und realistische Simulationen in der virtuellen Realität (VR) leichter durchführen, da sie nicht auf menschliche Akteure angewiesen sind. VR ist eine Sammlung digitaler Technologien, die es ermöglichen, realistische Erfahrungen in virtuellen Umgebungen zu schaffen (McGarr, 2020). Aufgrund ihres hohen Grades an Realismus und Kontrollierbarkeit haben VR-Anwendungen in der Lehramtsausbildung an Bedeutung gewonnen (Huang et al., 2023). Es gibt erste Hinweise darauf, dass VR-basierte Microteaching-Erfahrungen die Selbstwirksamkeit und das Wissen von Lehramtsstudierenden in Bezug auf das Klassenmanagement steigern können (z. B. Seufert et al., 2022). Bislang wurde jedoch nicht untersucht, ob Lehramtsstudierende VR-basierte Microteaching-Erfahrungen ähnlich authentisch wahrnehmen wie reale Unterrichtssimulationen.
Um diese Frage zu beantworten, wurden in der vorliegenden Studie die Einschätzungen von Lehramtsstudierenden zur Authentizität und kognitiven Eingebundenheit von Unterrichtssimulationen in der VR und in der physischen Realität untersucht.
Methode
Diese Studie wurde im Rahmen des bildungswissenschaftlichen Blockseminars "Become a VR Teaching Partner: Unterricht erproben, analysieren und Feedback geben" (ca. 4. Semester) durchgeführt. Während des Seminars wurden Lehramtsstudierende darauf vorbereitet, selbstständig Unterrichtssimulationen für Kommiliton:innen anzubieten, deren Unterricht zu beobachten, zu analysieren und ihren Peers anschließend Feedback zur Qualität des Unterrichts zu geben. Die Unterrichtssimulationen wurden entweder in der VR oder in der physischen Realität angeboten (nVR = 43, nReal = 14). Im Anschluss an diese Peer-Learning-Möglichkeit wurden 57 Lehramtsstudierende, die an der Unterrichtssimulation teilgenommen hatten, gebeten, ihre Erfahrungen mit einer der beiden Simulationen im Hinblick darauf zu bewerten, wie authentisch (Codreanu et al., 2020) und wie kognitiv involvierend (Schubert et al., 2001) die Simulation empfunden wurde.
Die VR-Simulation wurde mit Teach-R (ehemals VR-Klassenzimmer; Wiepke et al., 2019) durchgeführt, welches 30 virtuelle Schüler:innen abbildete. Die Teilnehmer:innen erlebten die Simulation mithilfe des HTC VIVE Headsets, das sie in das virtuelle Klassenzimmer versetzte. Während der VR-Simulation hielten die Teilnehmenden einen vierminütigen Vortrag zu einem vordefinierten Thema und reagierten dabei auf vorprogrammierte Störungen im VR-Klassenzimmer. Die reale Simulation folgte dem gleichen Skript, wurde jedoch von fünf geschulten Schauspieler:innen inszeniert, die die Rollen der fiktiven Schüler:innen übernahmen. Die Lehraufgabe blieb in beiden Simulationsszenarien identisch.
Ergebnisse und Diskussion
Wir verwendeten den Brunner-Munzel-Test - eine robuste Version des Mann-Whitney's U-Tests (Karch, 2021) - um die Verteilungen der Bewertungen von Authentizität und kognitiver Eingebundenheit zwischen den beiden Simulationsbedingungen zu vergleichen. Die Teilnehmenden bewerteten die VR- und die reale Simulation in Bezug auf Authentizität (MVR = 2.93, MReal = 2.98, p = .79) und kognitive Eingebundenheit (MVR = 3.62, MReal = 3.55, p = .69) ohne signifikante Unterschiede.
Die vorliegende Studie zeigt somit, dass Lehramtsstudierende VR-basierte und reale Unterrichtssimulationen in Bezug auf Authentizität und kognitive Eingebundenheit ähnlich erleben. Dieses Ergebnis ist angesichts des Fehlens vergleichbarer Studien zu VR-basierten und realen Unterrichtserfahrungen von Bedeutung. Validierungsstudien wie diese, die die Wahrnehmung von Lehramtsstudierenden in VR- und realen Klassenzimmern vergleichen, sind notwendig, um die ökologische Validität von VR-Anwendungen in der Lehramtsausbildung beschreiben zu können. Unsere Ergebnisse gehören vor diesem Hintergrund zu den ersten, die die Vergleichbarkeit von VR- und realen Unterrichtssituationen empirisch belegen und das Potenzial der Integration von VR-Technologie in die Lehramtsausbildung unterstreichen.
Generalisierung spezifischer Entwicklungen der simulationsbasierten Lehre von Teach-R
Axel Wiepke Universität Potsdam
Verschiedene Fachdisziplinen nutzen simulationsbasierte Lehre durch das Teach-R-Projekt. Hier ist es möglich, verschiedene Lehrinhalte und Schwerpunkte in der Interaktion mit virtuellen Schülerinnen und Schülern (vSuS) in einer Virtual Reality (VR)-Umgebung anzusprechen. Die Vielfalt an Disziplinen führt zu Anforderungen an die Software, die in angepassten Versionen (Derivaten) mit speziellen Funktionen resultieren. Die Funktionen sollen jedoch generalisiert werden, damit andere Disziplinen eigene Inhalte einbinden können. Der Beitrag soll die Spannung zwischen spezifischen Inhalten und generalisierbaren Interaktionen anhand des Entwicklungsprozesses beleuchten.
Teach-R Genese
Die ursprüngliche Version des Projekts (Paulicke & Wiepke, 2018) umfasste ein VR-Klassenzimmer mit frontaler Sitzordnung, einen Avatar für die Lehrkraft und 30 homogenen vSuS. Das Verhalten der vSuS wurde basierend auf disziplinübergreifenden Verhaltensmustern aus realen Unterrichtsvideos modelliert (Paulicke et al., 2015). Folgend wurde je eine der Verhaltensweisen für die sieben Kategorien von Schülerverhalten (Kounin, 2006) exemplarische in eine virtuelle Darstellung überführt. Neben der Steuerung der vSuS über eine Weboberfläche war in VR das Greifen von Objekten und die Bewegung im Raum möglich.
Darauf aufbauend wurden in Forschungsprojekten mit verschiedenen Fachdisziplinen Derivate entwickelt, die sowohl als Ausgangspunkt für weitere Entwicklungen dienten als auch von den jeweiligen Projektpartnern weiterentwickelt wurden. Zunächst sollte Training des Klassenraummanagements mit den Erziehungswissenschaften ermöglicht werden. Besonderes Augenmerk lag hier auf der Wiederholbarkeit von Unterrichtssituationen. Daraus ergab sich die Funktion des Skripts, das Verhaltensweisen, auslösende vSuS und Zeitpunkt des Verhaltens in einer Textdatei festlegte (Wiepke et al., 2019). Zudem wurden die vSuS vielfältiger gestaltet, und Daten zur späteren Reflexion erfasst. Die Daten umfassten Anzahl der „störenden“ Verhaltensweisen der vSuS, Positionsdaten der Lehrkraft und die zurückgelegten Meter in der VR.
Im zweiten Derivat wurde Teach-R in Zusammenarbeit mit der Geschichtsdidaktik um Unterrichtsgespräche erweitert, in denen Erkenntnisstufen durch ein impulsgesteuertes Unterrichtsgesprächs erreicht werden konnten (Fenn & Arlt, 2023). Dafür wurde der Ablauf des Gesprächs mittels eines Strukturbaums konzipiert, in dem vSuS-Aussagen entworfen wurden, die auf „gelungene“, „akzeptable“ oder „irreführende“ Aussagen der Lehrkraft passten. Entworfen wurden die Bäume mit einer grafischen Oberfläche, um ohne Programmierkenntnisse erweiterbar zu sein. Durch die Geschichtsdidaktik wurden drei Themengebiete inklusive Unterrichtsmaterialien (Poster und Unterrichtspläne) angefertigt und mehrere Audiodateien für jede entworfene vSuS-Aussage aufgenommen. Zudem wurden weitere Sitzordnungen (Fischgräte und Hufeisen) implementiert, die als diskussionsförderlich angesehen wurden.
Das Derivat der Chemiedidaktik adressierte Experimentierphasen im Unterricht und den individuellen Fortschritt der vSuS im Experiment. Die Strukturbäume wurden dafür so verändert, dass jeder einzelne vSuS einen eigenen Zustand hatte. So konnten z.B. einige vSuS das Experiment beendet haben und andere noch immer im Gespräch mit der Lehrkraft ihre Angst vor dem Brenner überwinden (Wiepke et al., 2022). Darüber hinaus wurde auf die zeitkritische Interaktion mit vSuS beim Experimentieren Wert gelegt. Dafür wurde ein realer Raum mit Tischanordnung vermessen und virtualisiert, um Tische und Wände als haptisches Feedback nutzen zu können, wenn das Training in diesem Raum stattfindet.
Generalisierbarkeit spezifischer Entwicklungen
Auch in weiteren Projekten wurden die Bedarfe der jeweiligen Fachdisziplin erhoben und spezifische Erweiterungen vorgenommen. Die Kommunikation der vSuS mit der Lehrkraft wandelte sich so von der Website-Steuerung, zum Skript, zum Klassen-Strukturbaum, zum individuellen Strukturbaum, nun hin zum teilrandomisierten und zeitabhängigen Verhalten von Einzel- und Partnerarbeiten. Dabei bot jeder Schritt der Entwicklung spezifische Lösungen für spezifische Anwendungsfälle, kann jedoch ohne Programmierkenntnisse (mit entsprechendem Aufwand) für weitere Themenbereiche angepasst werden. Dies wird weiter unterstützt durch verschiedene Sitzordnungen und fachspezifische Klassenräume. Es wurden auch weitere Anpassungen und Erweiterungen vorgenommen, die neben der Nutzerfreundlichkeit auch weitere Möglichkeiten im VR Klassenzimmer erschließen, wie z.B. das Präsentieren von Folien, Schreiben an der Tafel, Wettererscheinungen auf dem Schulhof oder eine Pausenklingel.
Reflexion durch Teach-R adressieren
Christina Hildebrandt, Amitabh Banerji Universität Potsdam
Teach-R Variante für die Ausbildung im Fach Chemie: Das Laborklassenzimmer
In der Variante „Laborklassenzimmer“ unterrichten die Studierenden eine Lerngruppe aus virtuellen Schülerinnen und Schülern (vSuS), welche in Partnerarbeit ein Experiment am Gasbrenner durchführt. Die Verhaltensweisen der vSuS und die auftretenden fachspezifischen Störungen (z.B. vSuS haben Angst vor dem Gasbrenner) basieren dabei auf Praxisbeispielen und werden von einem dem Szenario zu Grunde liegenden Strukturmodell gesteuert. Die angehenden Lehrkräfte werden mit diesen fachspezifischen Störungen konfrontiert, die in einem 8- bis 10-minütigen Szenario adressiert werden sollen (Wiepke et al., 2022). Das Szenario wird hierbei vom Lehrpersonal über die Webanwendung eines externen Coachs begleitet. Die vSuS werden über diesen Coach im Hinblick auf die Handlungsentscheidungen der angehenden Lehrkräfte manipuliert und geben somit eine Form des Feedbacks, welches neben der durchgeführten Handlung selbst sowie der Entscheidungsfindung im Nachgang diskutiert und reflektiert werden soll.
Teach-R weist dabei in mehrfacher Hinsicht großes Potential auf, da realistische Trainingssituationen ermöglicht werden, die es zulassen (herausfordernden) Unterrichtssituationen interaktiv zu begegnen, diese zu erproben und prozedurales Wissen zu adressieren (Wiepke et al., 2022). Hierdurch erschließen sich echte Lehr-Lern-Gelegenheiten mit starkem Praxisbezug für die Ausbildung von Lehrpersonal an Hochschule. Der Einsatz moderner digitaler Technik im Rahmen der Lehramtsausbildung markiert hierbei einen wichtigen Schritt im Hinblick auf den digitalen Wandel, der sich bisher vor allem in den Fachwissenschaften sowie in der Ausprägung von Informations- und Kommunikationswegen der Schülerinnen und Schüler rasant vollzieht. So können jedoch auch Lehrkräfte erreicht und Kompetenzen im Sinne des DPaCK-Modells (DPacK: Digitality-related Pedagogical Content Knowledge) aufgebaut und erweitern werden (Huwer et al., 2019).
Forschungsgegenstand: Reflexionskompetenz
Der Lehrberuf ist mit vielfältigen Aufgaben und Kompetenzanforderungen hoch komplex und anspruchsvoll (Henke & Schrader, 2006). Angehende Lehrkräfte müssen deshalb unbedingt befähigt werden, eigene Unterrichtsplanungen und Durchführungen selbstkritisch zu hinterfragen sowie ihr unterrichtliches Handeln zu analysieren, um ihre Kompetenzen weiterentwickeln zu können. Die Reflexionskompetenz besetzt somit hinsichtlich der Verbesserung, Entwicklung und Anpassung von Unterricht eine Schlüsselposition (Helmke, 2012) und muss daher zentraler Bestandteil der Ausbildung sein, welchen es jedoch im Hinblick auf Unterrichtsdurchführung zu schärfen gilt. Denn Studien zeigen, dass Studierende Unterricht oftmals stark deskriptiv, wenig systematisch sowie wenig kritisch-reflektierend analysieren (Rothland & Zorn, 2015; Hatton & Smith, 1995).
Das Teach-R Szenario soll entsprechend einen ersten Reflexionsprozess anstoßen, der für eine zielführende und überlegte Handlung notwendig ist und den es nachfolgend im Rahmen einer Lehrveranstaltung zu erweitern und vertiefen gilt. Reflexion wird somit hinsichtlich der zwei Typen (Reflexion in der Handlung, Reflexion nach der Handlung; (Schön, 1983; Wyss, 2013) fachwissenschaftlich betrachtet. Die Entwicklung eines ersten Konzepts einer das Szenario integrierende Lehrveranstaltung, welche Reflexion am fachdidaktischen Inhalt der fachspezifischen Unterrichtsstörungen ermöglicht um adäquate Handlungsstrategien erproben und im Nachgang diskutieren zu können, ist eines der anvisierten Ziele. Um Reflexionskompetenz potentiell messbar adressieren und erweitern zu können, wird ein Modell zur Reflexion, entwickelt für den Physikunterricht von Nowak et al. zugrunde gelegt und angewendet. Es beschreibt eine ideale vollständige Reflexion über fünf Elemente (potenziell begründete Ausführungen zu Rahmenbedingungen, Unterrichtssituationen, Bewertungen, Alternativen, Konsequenzen) unter Bezugnahme auf die Wissensbasis (untergliedert in CK, PCK, GPK) und ermöglicht die Anwendung als Forschungsinstrument, welches die Untersuchung der Entwicklung der Reflexionsfähigkeit zum Ziel hat. Auch kann es Studierenden als Leitlinie beim Reflektieren und Dozierenden als Instrument zur Einschätzung der Güte der Studierendenreflexionen dienen (Nowak et al., 2019).
Grundlegend soll untersucht werden, ob und inwiefern gezielte und angeleitete Unterrichtsreflexionen ausgehend von einem virtuellen Setting zu einer signifikanten Steigerung der Handlungskompetenz führen und inwiefern sich diese Reflexionen objektiv, reliabel und valide messen lassen.
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