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Sitzungsübersicht
Sitzung
7-07: Teilhabe an Bildung und Gesellschaft in Zeiten der Digitalität
Zeit:
Mittwoch, 20.03.2024:
9:00 - 10:40

Ort: H06

Hörsaal, 91 TN

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Präsentationen
Symposium

Teilhabe an Bildung und Gesellschaft in Zeiten der Digitalität

Chair(s): Pia Sander (Universität Duisburg-Essen, Deutschland)

Diskutant*in(nen): Uta Hauck-Thum (LMU München), Jana Heinz (Hochschule München)

Die Digitalisierung hat sich tief in sämtliche Funktionssysteme der Gesellschaft und Handlungspraktiken eingebettet und bewirkt somit umfassende gesellschaftliche Veränderungen in den Bereichen des täglichen Lebens, Lernens und Arbeiten (Kerres, 2020). Dieser (digitale) Transformationsprozess betrifft Menschen aller Altersgruppen und Lebensphasen - wir können ihm nicht mehr ausweichen, sondern müssen die Möglichkeit haben, an ihm teilzuhaben. Teilhabe an der (digitalen) Gesellschaft setzt die Befähigung zu einer informierten, aktiven und verantwortlichen Mitgestaltung der Welt voraus (Hafer, Mauch & Schumann, 2019). Die Voraussetzungen und Rahmenbedingungen hierfür betreffen Aspekte auf individueller und institutioneller Ebene. Individuen müssen über Kompetenzen und Fertigkeiten verfügen, die ihnen eine aktive gesellschaftliche und berufliche Teilhabe in einer von Digitalisierung geprägten Welt ermöglichen. Die Europäische Kommission (2006) spricht in diesem Zusammenhang von „21st-Century-Skills“, die beschreiben, was Lernenden Heute und in Zukunft können sollten (Voogt et al., 2013). Der Erwerb dieser (Digital-)Kompetenzen hängt in erheblichem Maße von sozialer Herkunft und den damit verbundenen Chancen und Hindernissen ab (Eickelmann et al., 2019). Eine bedeutsame Aufgabe wird demnach Bildungsinstitutionen entlang der gesamten Bildungskette zugeschrieben, „Menschen in allen Lebensphasen zu unterstützen und zu begleiten sowie unterschiedliche Lernsettings zu nutzen, um digitale Kompetenzen zu vermitteln“ (Wilmers et al., in Druck). Bildung wird somit zur grundlegenden Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe und erfordert von Bildungsinstitutionen, Organisations- und Schulentwicklungsprozesse unter dieser Verantwortlichkeit zu betrachten.

Dieses Symposium untersucht Voraussetzungen von Teilhabe unter den Vorzeichen der Digitalisierung. Es widmet sich der Frage wie wirksame Bildungsprozessen zur Förderung von Teilhabe gestaltet werden können. Dabei beleuchtet es verschiedene Akteursebenen (Individuum und Institution) sowie Bildungsbereiche (Schule und Erwachsenen-/Weiterbildung. Das gemeinsame theoretisches Fundament bildet das Input-Prozess-Output-Model für Schulqualität (Eickelmann & Drossel, 2019), das von diversen Voraussetzungen (Input) und prozessorientierten Faktoren (Prozess) ausgeht, die den Output in Form von Kompetenzen der Lernenden (Kompetenzen) und deren gesellschaftliche Teilhabe sowie beruflichen Erfolg und Befähigung zum lebenslangen Lernen (Outcome) beeinflussen. Darüber hinaus teilen die Beiträge die Annahme, dass die Digitalisierung sowohl Treiber von gesellschaftlicher Veränderung ist als auch das Potenzial bietet, durch den Einsatz digitaler Medien und digitalsierungsbezogenen Entwicklungsprozessen Teilhabe an einer sich wandelnden Gesellschaft zu fördern.

Beitrag 1 präsentiert Ergebnisse einer Forschungssynthese zur Frage, wie das Prüfen von Informationen von Schüler:innen durch den Einsatz digitaler Medien gefördert werden kann. Die Ergebnisse des Critical Reviews zeigen erfolgreiche didaktische Umsetzungen auf, um die Informationskompetenz und somit die Möglichkeit zur Teilhabe in einer digital geprägten Gesellschaft von Schüler:innen zu fördern.

Beitrag 2 untersucht Schulen, die trotz einer besonders herausfordernder Schülerkomposition Schüler:innen mit unerwartet hohen digitalen Kompetenzen aufweisen. Die Autorinnen gehen der Frage nach, welche Voraussetzungen Schulträger an diesen organisational resilienten Schulen schaffen, um einen chancengerechten digitalisierungsbezogenen Schulentwicklungsprozessen zu ermöglichen. Die Ergebnisse der inhaltsanalytischen Analyse von fünf Interviews mit Vertreter:innen von Schulträgern zeigen, dass diese erheblich zur Chancengerechtigkeit auf allen Dimensionen der digitalisierungsbezogenen Schulentwicklung beitragen können.

Beitrag 3 stellt Ergebnisse einer Forschungssynthese vor, die die Voraussetzungen für die Teilnahme an Bildungsangeboten mit digitalen Medien durch benachteiligte Erwachsene herausarbeitet. Ein induktiv-thematisches Clustering führt zu drei Kategorien, die die Teilnahme an digitalisierungsbezogener Bildung benachteiligter Erwachsene beeinflussen können: Gestaltungsfaktoren, Faktoren aufseiten der Teilnehmenden sowie Ungleichheiten in Zugang und Nutzung.

Beitrag 4 adressiert den Einsatz von digitalen Medien in Grundbildungskursen und untersucht die institutionellen Voraussetzungen hierfür. Die Ergebnisse der Mixed-Method Studie mit Institutionsleitenden, konzeptionell Tätigen sowie Kursleitungen bieten Erkenntnisse über den Status und die Entwicklungspotenziale im Bereich IT-Infrastruktur/Ausstattung sowie Professionalisierung des Personals. Die Autorinnen diskutieren die Ergebnisse in Hinblick auf ihre Implikationen für gesellschaftliche Teilhabe.

Im Anschluss an das Symposium diskutieren Prof. Uta Hauck-Thum und Prof. Dr. Jana Heinz unter Einbezug der Teilnehmenden Voraussetzungen für gesellschaftliche Teilhabe in Zeiten der Digitalität aus einer übergeordneten und interdisziplinären Perspektive (vgl. Hauch-Thum, Heinz & Hoiß, 2023).

 

Beiträge des Symposiums

 

Förderung der Informationskompetenz von Schüler:innen im digitalen Kontext in Hinblick auf gesellschaftliche Teilhabe

Anna Heinemann, Pia Sander, Jens Leber
Universität Duisburg-Essen

Hintergrund:

Schüler:innen stoßen im Internet auf eine enorme Anzahl an Informationen. Für die effiziente Beschaffung relevanter und vertrauenswürdiger Informationen ist es deshalb wichtig, den Überblick über sie zu behalten und sie einordnen zu können. Informationskompetenz ist demnach für eine gesellschaftliche Teilhabe von zentraler Bedeutung, da sie dazu befähigt, fundierte Entscheidungen zu treffen, Daten kritisch zu analysieren und sich aktiv an Diskussionen zu beteiligen. Bei der Förderung von Informationskompetenz haben Bildungsinstitutionen eine zentrale Aufgabe, denn sie sollen Lernende befähigen unabhängig und selbstbewusst mit Informationen in der digitalen Landschaft umzugehen (Griesbaum, 2022; Kerres, 2020; Senkbeil et al., 2019; United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization [UNESCO], 2013). Jedoch ist die Gestaltung von Interventionen für die Lehrenden herausfordernd, da sie diese Anforderung in konkrete (fach-)didaktische Konzepte übersetzen müssen. Digitale Medien können hierbei möglicherweise sinnvoll eingesetzt werden (Kerres, 2018). Dieser Beitrag betrachtet verschiedenen theoretische Zugänge von Informationskompetenz (z.B. ACRL; 1989 und Klingenberg, 2016) und verwandten Konzepten, wie Critical Thinking. Er beschäftigt sich mit der Frage, wie Informationskompetenz von Schüler:innen durch den Einsatz digitaler Medien im Unterricht gefördert werden kann und diskutiert die Ergebnisse im Kontext von gesellschaftlicher Teilhabe.

Methode:

Zur Beantwortung der Forschungsfrage werden Ergebnisse präsentiert basierend auf einer Forschungssynthese (Leber et al., 2023), die sich am Format des Critical Reviews (Grant und Booth, 2009) orientiert. Dieser beinhaltete eine systematische Recherche der Literatur mit relevanten Suchbegriffen, die in Anlehnung an das PICO-Schema (Petticrew & Roberts, 2006, S. 38) definiert wurden und die Themenblöcke Schule und Unterricht, digitale Medien sowie Informationskompetenz umfassten. Die Recherche wurde in den Datenbanken ERIC, ERC, WoS und IEEE Xplore für den Zeitraum 2016 bis 2023 von einer Informationswissenschaftlerin durchgeführt. Aufgrund des großen Datensatzes (4134 Publikationen) wurde die Treffermenge die Publikationszeitspanne auf 2018 bis 2023 eingegrenzt. Hieraus resultierte eine Gesamttreffermenge von 3098 Datensätzen für das Titel- und Abstractscreening. Schließlich flossen 533 Studien in die Volltextprüfung ein. 22 Studien wurden final in das Review aufgenommen und in Hinblick auf die Fragestellung analysiert und synthetisiert. Es wurden dabei ausschließlich Beiträge berücksichtigt, die empirisch vorgingen und konkrete Interventionen untersuchten.

Ergebnisse:

Die Ergebnisse verdeutlichen, dass digitale Medien sowohl als Lerninstrument, Lernumgebung und Lerninhalt zur Stärkung von Informationskompetenz eingesetzt werden können. Dabei können sie an bisherige Erkenntnisse über das Potenzial digitaler Medien zur Förderung von Informationskompetenzen anknüpfen (Kerres, 2018). Analysierte Studien deuten diesbezüglich u.a. darauf hin, dass die Nutzung von digitalen Tools die Bewertung von Informationen in bestimmten didaktischen Rahmen verbessern kann (Ackermans et al., 2021; Axelsson et al., 2021). Wurden Tools mit integrierten Funktionen zur Überprüfung von Informationen in der Intervention angeboten, wurden umso mehr Verbesserungen festgestellt (Nygren et al., 2021). Ein Desiderat, welches sich aus dem Review ergibt, sind Studien, die sich dem Forschungsgegenstand der Informationskompetenz einheitlich nähern, da so Ergebnisse besser synthetisiert und damit Übertragbarkeiten und Implikationen für die Schulpraxis sowie curriculare Umsetzungen klarer herausgearbeitet werden könnten. In diesem Sinne wäre auch die transparente Nutzung von Forschungsinstrumenten hilfreich, damit deutlich wird, was in den Studien gemessen wurde (Buntins et al., 2021) und um die Reproduzierbarkeit der Studien zu gewährleisten. Dies könnte sowohl auf Forschungsebene zu noch weitergehenden Erkenntnissen führen, als auch für die Schulpraxis von Relevanz sein, um mehr Klarheit darüber zu verschaffen, wie die Informationskompetenz von Schüler:innen und damit ihre Mündigkeit und Teilhabe in einer digital geprägten Welt im Schulraum unterstützt werden können.

 

Voraussetzungen zur Unterstützung von chancengerechten digitalisierungsbezogenen Schulentwicklungsprozessen durch Schulträger

Kerstin Drossel, Birgit Eickelmann, Ricarda Bette, Jan Niemann
Universität Paderborn

Theoretischer Hintergrund und Fragestellung

Schulische digitalisierungsbezogene Bildungsprozesse entfalten in Deutschland bisher nicht in erforderlicher Weise ihre Wirksamkeit (Scheiter, 2021). Dies betrifft vor allem auch die Förderung digitaler Kompetenzen von Schüler:innen aus sozial benachteiligten Lagen (Drossel et al., 2020). In diesem Zusammenhang zeigen beide bisherigen Zyklen der ‚International Computer and Information Literacy Study‘ (ICILS 2013, 2018) auf, dass die digitalen Kompetenzen von Achtklässler:innen in allen an der Studie beteiligten Bildungssystemen sozialen Disparitäten unterliegen und diese für Deutschland besonders deutlich ausfallen (Fraillon et al., 2019; Senkbeil et al., 2019). Dennoch lassen sich Schulen identifizieren, die die digitale Spaltung (van Deursen & van Dijk, 2015) überwinden und die digitalen Kompetenzen ihrer Schüler:innen besonders gut fördern (Drossel et al., 2020). Diese Schulen werden als organisational resilient angesehen (Schelvis et al., 2014). Schulträger, deren Handlungsrealität in Schulqualitätsmodellen (z. B. Eickelmann & Drossel, 2019) auf der Inputebene zu verorten ist, weisen dabei in der Mehrebenenstruktur des Schulsystems Entwicklungspotenziale zur Unterstützung der Überwindung von digitalisierungsbezogenen Bildungsdisparitäten auf (Schulze et al., 2022).

Daher wird in diesem Beitrag unter Rückbezug auf die fünf Dimensionen der digitalisierungsbezogenen Schulentwicklung (Organisationsentwicklung, Unterrichtsentwicklung, Personalentwicklung, Kooperationsentwicklung und Technologieentwicklung, vgl. Eickelmann & Gerick, 2017) der Frage nachgegangen, welche Voraussetzungen zur Unterstützung von chancengerechten digitalisierungsbezogenen Schulentwicklungsprozessen durch Schulträger an organisational resilienten Schulen geschaffen werden.

Methodik

Um die Forschungsfrage zu beantworten, werden Daten des BMBF-geförderten Projektes ‚Unerwartbar erfolgreiche Schulen im digitalen Wandel – eine qualitative Vertiefungsstudie zu ICILS 2018’ (UneS-ICILS 2018; Laufzeit 2020-2023) herangezogen. Schulen werden als ‚unerwartbar erfolgreich‘ bzw. als organisational resilient identifiziert, wenn der mittlere sozioökonomische Status (SES) der Achtklässler*innen in den Daten der Studie ICILS 2018 unterdurchschnittlich ausfiel (untere 40% im HISEI; Highest International Socio-Economic Index of Occupational Status) und die mittleren digitalen Kompetenzen (5 Plausible Values) sich überdurchschnittlich in der repräsentativen Gesamtverteilung für Deutschland einordnen ließen. Diese Kriterien erfüllen 17% (N=36) der teilnehmenden Schulen in ICILS 2018 in Deutschland (Drossel et al., 2020).

In die hier vorgestellten, die ICILS-2018-Studie vertiefenden, inhaltsanalytischen Analysen (Mayring, 2010) fließen die Daten von qualitativen, leitfadengestützen Interviews ein, die im Sommer 2022 mit Vertreter:innen von Schulträgern (N=5) dieser organisational resilienten Schulen geführt wurden. Der Leitfaden wurde auf Basis von Schulqualitätsmodellen (z. B. Eickelmann & Drossel, 2019) sowie unter Berücksichtigung der fünf Dimensionen der digitalisierungsbezogenen Schulentwicklung (vgl. Eickelmann & Gerick, 2017) entwickelt.

Ergebnisse und Implikationen

Mit Blick auf eine chancengerechte digitalisierungsbezogene Schulentwicklung auf der Ebene der Organisationsentwicklung (1) als eine der fünf Dimensionen der digitalisierungsbezogenen Schulentwicklung (Eickelmann & Gerick, 2017) zeigt sich u.a., dass sich UneS-Schulträger vor allem als übergreifende Unterstützungsinstanz wahrnehmen, die die Verantwortung für die Umsetzung der (pädagogisch-technischen) Prozesse chancengerechter digitalisierungsbezogener Schulentwicklungsprozesse übernehmen. Bezüglich der Dimension der Unterrichtsentwicklung (2) passen UneS-Schulträger u. a. ihre Unterstützung der (pädagogisch-technischen) Prozesse flexibel an die diesbezüglichen Bedarfe der UneS-Schulen an. Hinsichtlich der Dimension Personalentwicklung (3) zeigt sich u. a., dass der Schwerpunkt der Schulträger bei Lehrkräftefortbildungen im Bereich der technischen Anwendungen im Multiplikator:innenverfahren liegt. Die Ergebnisse zeigen in Bezug auf die Kooperationsentwicklung (4), dass u. a. eine transparente, zuverlässige und wertschätzende Kommunikation zwischen Schulträgern und schulischen Akteuren hinsichtlich chancengerechter digitalisierungsbezogener Entwicklungsprozesse entscheidend ist. Im Hinblick auf eine chancengerechte digitalisierungsbezogene Technologieentwicklung (5) zeigen die Ergebnisse, dass die Schulträger u. a. neben allen Ausstattungs- und Anschaffungseinzelfragen im Grunde die organisatorische Hauptrolle bei der Planung der lernförderlichen IT-Ausstattung der Schulen spielen.

Auf der Grundlage der UneS-Forschungsergebnisse ergibt sich, dass Schulträger einen maßgeblichen Beitrag leisten können, Chancengerechtigkeit im Kontext der Digitalisierung auf allen fünf Ebenen der Schulentwicklung zu unterstützen. Für nachhaltige und damit wirksame chancengerechte digitalisierungsbezogene Schulentwicklung sind Schulen darüber hinaus durch systematische Unterstützung auf der Prozess- und Systemebene zu begleiten. Dabei können die in dem UneS-Projekt entwickelten Transferprodukte zur Gestaltung chancengerechter digitalisierungsbezogener Schulentwicklungsprozesse genutzt werden.

 

Chancen und Herausforderungen für die Teilnahme an Bildung mit digitalen Medien durch benachteiligte Erwachsene

Jan Koschorreck, Angelika Gundermann
Deutsches Institut für Erwachsenenbildung – Leibniz-Zentrum für lebenslanges Lernen e.V.

Hintergrund

Die Teilnahme an Bildung ist ein zentraler Baustein für die Realisierung gesellschaftlicher Teilhabe. Teilnahme (auch Beteiligung) ist der messbare Indikator für Teilhabe und wird von vielen Large Scale Surveys und anderen großen Studien erfasst (Boeren, 2023). Im internationalen Diskurs bezeichnet Teilnahme nicht allein das Gegenteil von Nicht-Teilnahme, mit dem Begriff Teilnahme (engl. participation) wird hier das Versprechen auf positive Entwicklung impliziert (vgl. z.B. UNESCO Institute for Lifelong Learning, 2020). Die Verbreitung und der Einsatz digitaler Medien in der Erwachsenen- und Weiterbildung (EB/WB) nimmt zu und hat zuletzt bedingt durch die Pandemie einen Schub erfahren (Rohs, 2020). Zu den Menschen mit geringen digitalen Kompetenzen gehören u. a. Ältere, gering Literalisierte und gering Qualifizierte, drei Gruppen von Erwachsenen, die damit grundsätzlich als benachteiligt bei der Bildungsteilhabe betrachtet werden können (Bachmann et al., 2021). Im Rahmen dieses Beitrags verstehen Autorin und Autor unter Teilnahme sowohl den Fakt an sich (im Gegensatz zur Nicht-Teilnahme) als auch den Prozess hinsichtlich verschiedener qualitativer Aspekte, dessen Output entsprechende Digitalkompetenzen sind, die wiederum zur Realisierung gesellschaftlicher Teilhabe beitragen (vgl. Eickelmann & Drossel, 2019).

Forschungsfrage und Methode

Der Beitrag stellt Ergebnisse einer Forschungssynthese vor (Koschorreck & Gundermann, in Vorb.). Das Review wurde in Anlehnung an die Methode des Critical Review erstellt (Grant & Booth, 2009) und sichtet und analysiert empirische Arbeiten aus den Veröffentlichungsjahren 2016 bis Januar 2023, die sich auf die o. g. Gruppen beziehen. Die Forschungsfrage lautet: Welche Faktoren erleichtern oder erschweren benachteiligten Erwachsenen die Teilnahme an Bildung mit digitalen Medien?

Die Recherche umfasst deutsche und englische Titel in den Datenbanken ERIC, ERC, Web of Science, Fachportal Pädagogik und IEEE Explore. In den Suchstrings wurden grundsätzlich die Schlagworte „Erwachsenenbildung/Adult Education“, „Digital*“, „Teilnahme/Participation“ sowie die fokussierten Gruppen (Ältere/Older, gering Literalisierte/low literacy, gering Qualifizierte/lower educated) integriert und passende Trunkierungen und Synonyme bzw. verwandte Begriffe eingesetzt. Die Suchterme bzw. ihre Kombinationen wurden in einem iterativen Prozess mehrfach angepasst, um die Trefferquote zu verbessern. Die Recherche ergab 3.321 Treffer. Nach dem initialen Screening verblieben 259 Titel, die im Volltext geprüft wurden.

Ergebnisse

Schlussendlich wurden 35 Studien synthetisiert. Die Studien sind ungleich über die Gruppen verteilt (Ältere: 23, gering Literalisierte: neun, gering Qualifizierte: sieben). Repräsentative Samples werden vor allem in den ermittelten Sekundäranalysen zugrunde gelegt, ansonsten werden überwiegend anfallende Stichproben berichtet. Mittels eines induktiven thematischen Clusterings konnten drei übergeordnete Kategorien ermittelt werden: Gestaltungsfaktoren, Faktoren aufseiten der Teilnehmenden sowie Ungleichheiten in Zugang und Nutzung. Hierunter konnten verschiedene weitere Aspekte identifiziert werden. Darin zeigen sich einige Gemeinsamkeiten, aber auch deutliche zielgruppenspezifische Unterschiede. Die teilnehmerorientierte Gestaltung von Angeboten und eingesetzter Technik bzw. Anwendungen spielen eine bedeutende Rolle für den Teilnahmeprozess, ebenso wie Motivationen, Erfahrungen und Kompetenzen, (Selbst-)Wahrnehmungen und soziale Unterstützung. Gruppenübergreifend werden Lernformate mit Präsenzanteilen (Blended Learning, generationenübergreifendes Lernen) sowie die barrierearme Gestaltung von Anwendungen und Technik empfohlen. Ungleichheiten in Zugang und Nutzung bleiben eine relevante Hürde für die (erfolgreiche) Teilnahme an Bildung mit digitalen Medien. Die ermittelte Empirie ist insgesamt sehr heterogen. Dennoch haben die Ergebnisse einen Orientierungswert für die Bildungspraxis, da Zielgruppenspezifika eine bedeutende Rolle bei der Ansprache und Teilnehmendengewinnung spielen (am Beispiel der Alphabetisierung und Grundbildung: Mania et al., 2022), insbesondere im Bereich der EB/WB. In diesem Zusammenhang können auch zielgruppenspezifische Modelle wie etwa das Medienkompetenzmodell für die Grundbildung (Koppel & Langer, 2020) und daran anschließend zum Digital Taste (David et al., 2022) sowie der Digital Identity von älteren Erwachsenen (Muñoz-Rodríguez et al., 2020) eine Orientierung bieten, um in der Gestaltung von Lernen mit digitalen Medien systematisch Brücken zur Lebenswelt aufzubauen. Ein wichtiges Desiderat sind empirische Studien zu den Gründen für die Nichtteilnahme benachteiligter Erwachsener sowie vergleichende Untersuchungen der Teilnahme von benachteiligten und nicht-benachteiligten Erwachsenen.

 

Institutionelle Voraussetzungen für den Einsatz digitaler Medien in der Grundbildung und Implikationen für die gesellschaftliche Teilhabe

Ilka Koppel, Sandra Langer
PH Weingarten

Theoretischer Hintergrund und Fragestellung

Ein Großteil der erwachsenen Bevölkerung in Deutschland weist unzureichende digitale (Grund-)Kompetenzen auf (z.B. Grotlüschen & Buddeberg, 2020; Rammstedt et al., 2013): Personen mit Grundbildungsbedarf trauen sich beispielsweise im Bereich des Internets (z.B. im Internet angebotene Wohnungsbörsen) signifikant weniger zu im Vergleich zur Gesamtbevölkerung; zunehmend verlagern sich aber Angebote, die für das grundlegende Alltägliche lebensnotwendig sind – wie der Wohnungsmarkt, Terminvergaben bei Behörden oder Ärzt*innen – in das Internet (Buddeberg & Grotlüschen, 2020, S. 214). Damit besteht für diese Zielgruppe ein systematisch höheres Risiko des Teilhabeausschlusses und es ist ein hoher Bedarf an Weiterbildung im Bereich der Erwachsenengrundbildung festzustellen. Bildungsinstitutionen spielen demnach eine maßgebliche Rolle, Personen in ihrer Teilhabefähigkeit zu unterstützen, denn die institutionelle Ausstattung bildet den Rahmen für die Lehrtätigkeit in Bildungsinstitutionen. Mehrere Studien liefern Hinweise auf Bedingungsfaktoren für die erfolgreiche Integration digitaler Medien auf der institutionellen Ebene (vgl. z.B. Egetenmeyer, Lechner, Treusch & Grafe, 2020; Gerick & Eickelmann, 2017; Getto, Hintze, & Kerres, 2018). Auch wenn die Studien selbst z.T. kritisch zu hinterfragen sind, wird insgesamt deutlich, dass erst die Verbindung von Technologie und Organisationsentwicklungskonzepten eine qualitativ hochwertige, effektive Nutzung digitaler Medien in Schule und Unterricht erzielen kann (Schulz-Zander, 2001) und eine medienorientierte Entwicklung von Weiterbildungsorganisationen sowohl von den strukturellen Rahmenbedingungen (wie Organisationsgröße und Personalausstattung) als auch vom Engagement der Akteure und von der Organisationskultur abhängig ist (Stang, 2003, S. 229).

Bisher wurden die institutionell geprägten Rahmenbedingungen in der durch heterogene Strukturen geprägten Grundbildung allerdings wenig explizit in den Blick genommen. Die Rahmenbedingungen umfassen üblicherweise rechtliche und finanzielle Regelungen sowie gesellschaftliche Erwartungen und Normvorstellungen (Jenner, 2023, 218); der Blick wird in diesem Beitrag daher konkret auf die technische Ausstattung, auf die Datenschutzmaßnahmen sowie die institutionell unterstützenden Weiterbildungsmöglichkeiten gerichtet und es wird folgende Frage bearbeitet:

Welche institutionellen Voraussetzungen sind gegeben, um in Grundbildungskursen digitale Medien einsetzen zu können und welche Implikationen zeigen sich im Hinblick auf die Förderung einer digitalen Grundbildung?

Methodik

Für die Bearbeitung der in diesem Beitrag anvisierten Fragestellung werden im Sinne eines „Convergent“ Mixed Methods-Design (Creswell, 2022, S. 52-53) quantitative Befragungen mit Institutionsleitenden bzw. konzeptionell Tätigen (N=58) sowie Kursleitungen (N=49) deskriptiv und inferenzstatistisch ausgewertet; daran anknüpfend werden Interviews mit Institutionsleitenden bzw. konzeptionell Tätigen (N=14; 4m/10w) sowie Kursleitenden (N=18; 5m/13w) mittels qualitativer Inhaltsanalyse (Kuckartz, 2018) ausgewertet. Die Daten wurden im Rahmen des BMBF-Projekts GediG (www.gedig.online) erhoben.

Ergebnisse

Für die Bearbeitung der Fragestellung werden die Ergebnisse den Themenbereichen IT-Ausstattung und -Infrastruktur (1) sowie Professionalisierung des Personals (2) zugeordnet:

In den Bildungsinstitutionen ist zwar eine digitale Grundausstattung vorzufinden, allerdings variieren Erweiterungs-/Aktualisierungsbedarfe bezüglich der IT-Ausstattung und der IT-Infrastruktur stark.

Ein Großteil der Lehrpersonen hat grundsätzlich Zugang zu Fort- und Weiterbildung, allerdings zeichnen sich Unterschiede zwischen fest angestellten Personen und Honorarkräften ab, was zu einem Ungleichgewicht hinsichtlich der Professionalisierung in der Erwachsenengrundbildung führen kann.

Beide dargestellten Aspekte können zu paradoxen Situationen in Bezug auf die didaktische Gestaltung von Kursen in der Grundbildung führen: Dem Anspruch, den Umgang mit digitalen Geräten bzw. Anwendungen zu vermitteln, kann aufgrund mangelnder IT-Ausstattung/Infrastruktur nicht begegnet werden. Lernsettings können somit nicht genutzt werden, um digitale Kompetenzen zu vermitteln und die Teilhabefähigkeit zu fördern. Des Weiteren kann es auf unzureichende Professionalisierung zurückgeführt werden, wenn Lehrpersonen aufgrund mangelnder Möglichkeiten zur Teilnahme an Fort- und/oder Weiterbildungen den Einsatz digitaler Medien im Kurs meiden. Damit haben die institutionelle Ausstattung und die Professionalisierungsmöglichkeiten nicht nur einen Einfluss auf die methodischen und didaktischen Gestaltungsmöglichkeiten in Grundbildungskursen, sondern auch auf mögliche motivationale Aspekte sowie die Teilhabefähigkeit der Kursteilnehmenden.



 
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