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Sitzungsübersicht
Sitzung
4-13: Ausbildungsabbrüche – Prädiktoren und anschließende Verläufe
Zeit:
Dienstag, 19.03.2024:
10:30 - 12:10

Ort: S28

Seminarraum, 60 TN

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Präsentationen
Symposium

Ausbildungsabbrüche – Prädiktoren und anschließende Verläufe

Chair(s): Christian Michaelis (Universität Göttingen), Stefanie Findeisen (Universität Konstanz, Deutschland), Viola Deutscher (Universität Mannheim)

Diskutant*in(nen): Anne Christine Holtmann (Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung)

Hohe Abbruchquoten an Ausbildungsverhältnissen sowohl im dualen System (ca. 27 % der Ausbildungsverträge pro Jahr; BIBB, 2023) als auch im Schulberufssystem (ca. 38 %; Autor:innengruppe Bildungsberichterstattung, 2022) stellen seit Jahren eine zentrale Herausforderung des Berufsbildungssystems dar (Autor:innengruppe Bildungsberichterstattung, 2022; BIBB, 2023). Vor allem im Kontext der aktuellen Situation um Fachkräfteengpässe erfährt der Diskurs um Abbrüche in der beruflichen Ausbildung eine hohe Aufmerksamkeit. Aber auch international ist das Thema relevant, da Ausbildungssysteme in vielfältigen Ländern ähnlich ausgestaltet sind und dort vergleichbare Problemlagen bestehen.

Mehrere Studien verdeutlichen, dass Brüche im Ausbildungsverlauf nur für den geringsten Anteil an Jugendlichen zu langfristigen und somit „problematischen“ Bildungsverläufen führen (Michaelis et al., 2022; Michaelis & Richter, 2022; Holtmann & Solga, 2023). Häufiger ist ein Bruch mit einem Ausbildungsverhältnis als eine Bildungs-, Berufs- bzw. Betriebskorrektur zu werten (Krötz & Deutscher, 2022). Positiv betrachtet bergen solche nachschulischen Erfahrungen deshalb auch ein Sozialisationspotenzial für die berufliche und karrierebezogene Entwicklung (Michaelis et al., 2022), dennoch sollten Risiken dieser Umwege nicht negiert werden. Patzina und Wydra-Somaggio (2021) verdeutlichen beispielsweise Nachteile in der späteren Beschäftigungs- und Gehaltssituation. Auch institutionelle Risiken, zum Beispiel auf Seiten der Betriebe sind zu berücksichtigen, da Negativerfahrungen im Ausbildungsprozess die Ausbildungsbereitschaft gefährden können. Aus wissenschaftlicher Perspektive ist es deshalb bedeutsam, Hintergründe von Abbrüchen eines Ausbildungsverhältnisses sowie deren Konsequenzen theoriegeleitet zu analysieren, um evidenzbasierte Handlungsempfehlungen für die Gestaltungsakteure beruflicher Bildung zu generieren. Derzeit stehen vor allem zwei Forschungsschwerpunkte im Mittelpunkt:

(1) Prädiktoren von Abbrüchen: Der aktuelle Forschungsstand verdeutlicht, dass der Abbruch eines Ausbildungsverhältnisses ein komplexes Konstrukt ist, dass auf vielfältige Kontext-, Input sowie Prozessmerkmale der beruflichen Ausbildung zurückzuführen ist (Böhn & Deutscher, 2022). Gut erforscht sind vor allem distale Einflüsse der Individuen (Leistungsmerkmale der vorherigen Bildungsbiografie, sozioökonomischer Hintergrund etc.). Wenig erforscht ist hingegen die Ausbildungsprozessebene und komplexe Strukturzusammenhänge zwischen den einzelnen Input- und Prozessmerkmalen.

(2) Diskontinuierliche Ausbildungsverläufe: Abbrüche von Ausbildungsverhältnissen werden nicht nur durch den vorherigen Bildungsverlauf beeinflusst, sondern haben selbst auch Einfluss auf den zukünftigen Lebensverlauf. Erkenntnisse bestehen vor allem für Entwicklungen nach dem Abbruchsereignis (Michaelis & Richter, 2022; Holtmann & Solga, 2023; Krötz & Deutscher, 2022). Auch bestehen erste Analysen zum Einfluss von distalen Faktoren (z.B. Bildungshintergrund) auf die Entwicklungen nach dem Abbruch eines Ausbildungsverhältnisses (Michaelis & Richter, 2022; Holtmann & Solga, 2023), wenig Evidenz besteht hingegen zum Einfluss proximaler Abbruchsgründe (z.B. persönliche Gründe, Ausbildungsqualitätsmerkmale) auf den anschließenden Verlauf.

Vor diesem Hintergrund bildet das Symposium in Form von vier Vorträgen aktuelle empirische Problemstellungen zu diesen beiden Forschungsschwerpunkten im Themenfeld beruflicher Abbrüche ab. Dabei werden quantitative (Beiträge 1, 3 und 4) und qualitative Ansätze (Beitrag 2) kombiniert.

  1. Beitrag 1 (Ma, Krötz, Deutscher & Winther) widmet sich in einer längsschnittlichen Untersuchung bei kaufmännischen Auszubildenden der Rolle der berufsfachlichen Kompetenz für die Abbruchsabsicht.
  2. Beitrag 2 (Arianta & Goller) untersucht mittels einer qualitativen Längsschnittstudie (Grounded Theory) Prädiktoren für Ausstiegs- bzw. Bleibeabsichten von Auszubildenden zu Beginn der Pflegeausbildung.
  3. Beitrag 3 (Michaelis & Findeisen) untersucht domänenübergreifend anhand von Daten des Nationalen Bildungspanels (NEPS), inwiefern verschiedene selbstberichtete Abbruchgründe die auf tatsächliche Vertragslösungen folgenden Bildungsverläufe erklären.
  4. Beitrag 4 (Wicht, Siembab & Beckmann) analysiert ebenfalls auf Basis von NEPS-Daten domänenübergreifend vorgenommene Berufswechsel von sog. „Stop-Outs“ unter besonderer Berücksichtigung der Geschlechtstypik und des Status der Berufe vor und nach dem Wechsel.

Ein abschließender Diskussionsbeitrag wird die Befunde vor dem Hintergrund theoretisch-konzeptioneller Aspekte reflektieren und forschungsmethodische und bildungspolitische Implikationen beleuchten.

 

Beiträge des Symposiums

 

Zur Rolle beruflicher Kompetenzentwicklung für die Ausbildungsabbruchabsicht bei kaufmännischen Auszubildenden

Beifang Ma1, Maximilian Krötz2, Viola Deutscher2, Esther Winther1
1Universität Duisburg-Essen, 2Universität Mannheim

Theoretischer Hintergrund

Hohe Abbruchquoten in den beruflichen Bildungssystemen stellen rund um den Globus eine große Herausforderung dar (CEDEFOP, 2016). Die jahrzehntelange Forschung zum Thema Ausbildungsabbruch konnte inzwischen zahlreiche Einflussfaktoren identifizieren, allerdings werden einerseits die Kausalität zwischen solchen Einflussfaktoren und andererseits die Rolle der Kompetenzentwicklung der Auszubildenden für ihr Abbruchverhalten weitestgehend außer Acht gelassen. Nur selten fokussieren Studien auf den Kausalzusammenhang zwischen Kompetenzen und Ausbildungsabbruch. In solchen Fällen werden ausschließlich die Auswirkungen sozialer und methodischer Kompetenzen analysiert (z. B. Ulrich et al., 2020; Weber & Garcia-Murias, 2019). Zum heutigen Zeitpunkt liegen keine empirischen Belege vor, die einen Zusammenhang zwischen der Entwicklung berufsfachlicher Kompetenzen und dem Abbruch der Berufsausbildung belegen. Allerdings verdeutlichen Befunde durch Zumbühl und Wolter (2017) im Längsschnitt, dass Befunde zu typischen Abbruchfaktoren variieren können, wenn allg. schulische Kompetenzen (Mathematik, erfasst durch PISA-Erhebungen) der Auszubildenden einbezogen werden.

Fragestellung und Methode

Die vorliegende Studie analysiert die Auswirkungen der beruflichen Kompetenzentwicklung auf die Abbruchabsicht anhand von Längsschnittdaten von 458 Auszubildenden (Industriekaufleute) in Deutschland. Über zwei Jahre wird die berufliche Kompetenz durch einen validierten Kompetenztest (Klotz, 2015) zu drei Zeitpunkten gemessen und in eine domänenverbundene und eine domänenspezifische Dimension unterteilt (Gelman & Greeno, 1989). Außerdem werden vier unterschiedliche Richtungen von Abbruchabsichten (Krötz & Deutscher, 2022) modelliert. Somit wird eine differenzierte Betrachtung der Forschungslücke in insgesamt 12 temporären Kausalbeziehungen angestrebt (to-t1; t0-t2; t1-t2 für je vier Abbruchrichtungen). Daneben werden gängige Abbruchfaktoren wie Bildungsniveau, Alter, Sprache und Wunschberuf als Kontrollvariablen berücksichtigt.

Ergebnisse

Im Ergebnis werden über die Verwendung schrittweiser hierarchischer Regressionsmodelle signifikante Einflüsse der beruflichen Kompetenz auf die Abbruchabsicht für 3 der 12 möglichen Beziehungen aufgezeigt: Geringere domänenspezifische Kompetenzen zu Beginn der Ausbildung erhöhen im zweiten Ausbildungsjahr die Absicht, den Ausbildungsberuf zu wechseln. Des Weiteren beeinflussen die Niveaus der domänenspezifischen Kompetenz zu Beginn und nach einem Ausbildungsjahr die Absicht, im letzten Ausbildungsjahr nach unten abzubrechen. Somit können drei temporäre Kausalbeziehungen identifiziert werden, bei denen eine niedrige domänenspezifische Kompetenz zu Beginn der Ausbildung spätere Abbruchabsichten der Auszubildenden signifikant verstärkt.

Insgesamt können die beschrieben Modelle jedoch nur 6-7% Varianz der Abbruchabsichten erklären (korrigiertes R²). Die domänenspezifische Kompetenz kann hierbei jeweils rund einen Prozentpunkt Varianzaufklärung beitragen, sodass von nur sehr geringen Erklärungsbeiträgen berufsfachlicher Kompetenzen für das Abbruchgeschehen ausgegangen werden muss. Auffällig ist zudem, dass sich für domänenverbundene Kompetenz keine signifikanten Einflüsse auf die Abbruchabsichten der Auszubildenden zeigen. Gängige Befunde zu Wunschberuf (Übereinstimmung senkt Abbruchabsichten), Alter (höheres Alter erhöht Abbruchabsichten), Geschlecht (männliche Auszubildende zeigen verstärkt Abbruchabsichten) und Bildungsniveau (höheres Bildungsniveau senkt i. d. R. Abbruchabsichten, verstärkt jedoch Abbruchabsicht nach oben) konnten innerhalb der Analysen bestätigt werden (z. B. Böhn & Deutscher, 2022).

 

Dynamiken von Bleibe- und Ausstiegsintentionen im Verlauf der Ausbildungseingangsphase der Pflegeausbildung: Eine qualitative Längsschnittstudie

Katrin Arianta, Michael Goller
Universität Kassel

Theoretischer Hintergrund/Fragestellung

Nach aktuellen Schätzungen werden in den nächsten Jahren ca. 13 Millionen Pflegekräfte im Gesundheitswesen fehlen (ICN, 2022), weshalb die nachhaltige Bindung von Nachwuchskräften an den Pflegeberuf von großer Bedeutung ist. Leider ist trotz steigender Vertragslösungen und Abbruchneigungen in der Pflegeausbildung (BMFSFJ, 2022; Destatis, 2022; Merkley, 2016) bisher wenig über deren Entwicklung während der Pflegeausbildung bekannt (González & Peters, 2021). Zur Schließung dieser Forschungslücke wird mit der vorliegenden Studie beigetragen, indem Entwicklungsverläufe pflegeberuflicher Aspirationsfelder von Auszubildenden, welche als Zone akzeptabler und zugänglicher pflegeberuflicher Alternativen definiert sind (Gottfredson, 1981, 2005), empirisch untersucht werden.

Der Fokus liegt auf der Eingangsphase der Pflegeausbildung, die als Transition in den Ausbildungsberuf verstanden wird (Welzer, 1993). Typisch für diese Phase ist eine Häufung individueller beruflicher Orientierungsversuche (Lamamra & Duc, 2015). Um diese zu verstehen, wird eine subjektorientierte Perspektive auf den Berufswahlprozess eingenommen, bei der die/der Jugendliche als Agent ihrer/seiner Laufbahn verstanden wird und diese in Ko-Konstruktion mit ihrer/seiner Umwelt gestaltet (Savickas 2012, 2021). Abschließendes Ergebnis dieser Ko-Konstruktionsprozesse können berufliche Bleibe-, Reorientierungs- oder auch Abbruchtendenzen während der Ausbildung sein.

Methode

Um die Entwicklungsdynamiken pflegeberuflicher Aspirationen aus der Subjektperspektive nachzeichnen zu können, wurde eine qualitative Längsschnittstudie auf Basis der Grounded Theory Methodologie (Corbin & Strauss, 2015) durchgeführt. Mittels problemzentrierter Interviews (Witzel & Reiter, 2012) wurden 12 Auszubildende der Gesundheits- und Krankenpflege, Gesundheits- und Kinderkrankenpflege sowie Altenpflege zu zwei bis vier Zeitpunkten im ersten Ausbildungsjahr befragt (insgesamt k = 35 Interviews). In einem theoretischen Samplingverfahren wurden sieben stark kontrastierende Fälle (21 Interviews) für die weitere Analyse mittels Kodierverfahren der Grounded Theory (Corbin & Strauss, 2015) ausgewählt.

Als erstes Ergebnis dieser Analyse wurde ein Modell entwickelt, das die pflegeberufliche Aspirationsentwicklung als sozialen Lernprozess erklärt. Dieses Modell wurde dann zur Identifikation verschiedener Muster der Entwicklung pflegeberuflicher Pläne im Verlauf des ersten Ausbildungsjahres verwendet. Für diese Prozessanalyse wurde in Anlehnung an die Empfehlungen von Dreier et al. (2018) und die Grounded Theory Methodologie (Corbin & Strauss, 2015) ein qualitatives, längsschnittliches Analyseverfahren entwickelt. Hierdurch konnte das Ausgangsmodell erstens hinsichtlich prozessualer Phänomene optimiert und zweitens typische Prozessvarianten identifiziert werden.

Ergebnisse

Die Prozessanalysen zeigen verschiedene Einflüsse der Interaktionen mit Ausbildungsbeteiligten (z.B. Kolleg:innen, Ausbilder:innen) auf die beruflichen Planungsüberlegungen der Auszubildenden und die damit verbundenen Ausstiegs- und/oder Bleibeabsichten. Hier wirken sich insbesondere das Erleben der Beziehung zu diesen sowie die erlebte soziale und berufliche Integration im Praxisfeld aus. Die dabei entstehenden Dynamiken lassen sich in vier Prozessvarianten typisieren: (a) das Ankommen- und Bleiben-Wollen, bei dem das soziale Umfeld positiv erlebt und die Bleibeabsicht durch ein Gefühl vollwertiges Mitglied der Community zu sein bzw. zu werden intendiert wird; (b) der Verbleib als Übergangspassage, wobei von Ausbildungsbeginn an der Verbleib als zeitweiser Übergang gesehen und auf negative soziale Erfahrungen mit einer Durchhaltestrategie reagiert wird; (c) das Suchen, um zu bleiben, womit die Intention fokussiert wird, trotz negativer interaktionaler Erlebnisse im Praxisfeld nach Möglichkeiten zu suchen, den Pflegeberuf nicht aufgeben zu müssen; (d) der Ausstieg als Kurzschluss, bei dem durch einzelne negative interaktionale Erlebnisse ein Ausstiegsplan ausgelöst wird. Die Prozessvarianten sind durch typische Oszillationen zwischen den beiden Polen des Bleiben- oder Aussteigenwollens gekennzeichnet, die im geplanten Beitrag dargestellt werden sollen.

Die Ergebnisse deuten auf eine sehr dynamische Entwicklung pflegeberuflicher Aspirationen in der Ausbildungseingangsphase hin, die stark vom subjektiven Erleben des pflegerischen Arbeitsfeldes und der sozialen Interaktionen darin abhängt und damit wenig vorhersehbar ist. Das Lernen pflegeberuflicher Aspirationen stellt sich somit als z.T. zufälliges Geschehen dar, wie auch Krumboltz (2009) verdeutlicht. Darüber hinaus liefert die Studie Hinweise darauf, dass einem Ausstieg nicht zwangsläufig eine Akkumulation negativer Erfahrungen vorausgehen muss, wie in vielen Forschungsarbeiten zum Vertragslösungsgeschehen bisher angenommen wurde (u.a. Ertelt et al., 2016; Krötz & Deutscher, 2022; Rohrbach-Schmid & Uhly, 2015).

 

Gründe für verschiedene Formen der vorzeitigen Vertragslösung von Auszubildenden: Eine empirische Analyse von Ausbildungsverläufen

Christian Michaelis1, Stefanie Findeisen2
1Universität Göttingen, 2Universität Konstanz

Theoretischer Hintergrund und Fragestellung

Vielfältige Studien haben in den vergangenen Jahren Prädiktoren von vorzeitigen Vertragslösungen (vV) analysiert. Insgesamt zeigt sich, dass Hintergründe komplex sind und auf unterschiedliche Faktoren der Input- und Prozessebene zurückzuführen sind (Böhn & Deutscher, 2023; Biggs, 1999, Tynjälä, 2013). Evidenz besteht insbesondere hinsichtlich von Inputmerkmalen der Auszubildenden (z. B. zu Risikomerkmalen wie niedriger Bildungshintergrund, niedriger sozioökonomischer Hintergrund, Migrationshintergrund etc., vgl. Holtmann & Solga, 2023; Michaelis & Richter, 2022). Weniger Evidenz besteht dagegen zum Ausbildungsprozess und hierbei proximale Faktoren, die unmittelbar die Vertragslösung verursachen. Daneben verdeutlichen aktuelle Analysen, dass vorzeitige Vertragslösungen nicht als ein Ereignis analysiert werden sollten, da diese hierdurch zu negativ konnotiert interpretiert werden. Verläufe nach einer vV können vielfältig sein (Michaelis & Richter, 2022), ein nicht unerheblicher Anteil an Jugendlichen mündet wieder in Ausbildung ein und erzielt einen Ausbildungsabschluss (Holtmann & Solga, 2023; Michaelis & Richter, 2022). Daher empfehlen Krötz und Deutscher (2023) die Abbruchsrichtung bei Analysen zu vV zu berücksichtigen, da Erklärungshintergründe sich bei unterschiedlichen Abbruchsrichtungen unterscheiden. Unterschieden werden können hierbei horizontale vV (Wiedereinmündung in Ausbildung), vV nach oben (Einmündung in Bildungsangebote zur Besserqualifikation) und vV nach unten (Arbeitslosigkeit, Beschäftigung als ungelernte Person). In der vorliegenden Analyse werden beide Forschungsdesiderata integriert betrachtet. Folgende Fragestellung steht im Mittelpunkt: Inwiefern erklären verschiedene Gründe für eine vorzeitige Vertragslösung den anschließenden Bildungsverlauf?

Methode

Zur Beantwortung der Fragestellungen werden Daten der Jugendkohorte SC 4 des NEPS (NEPS-Netzwerk, 2021) genutzt. Der Datensatz wurde reduziert auf Personen, die in ein duales Ausbildungsverhältnis eingemündet sind und dieses vorzeitig gelöst haben sowie mindestens eine Nachbetrachtungszeit von 18 Monaten nach der vV aufweisen (n = 664). Hierbei wird unterschieden, ob die Auszubildenden durch den Betrieb gekündigt wurden (17,9 %) oder selber gekündigt haben (82,1 %, enthält auch einvernehmliche Kündigungen). In letzterem Fall liegen differenzierte Angaben der Auszubildenden zu Abbruchsgründe vor, wobei Mehrfachantworten möglich waren (andere Ausbildungsstelle, nicht Wunschberuf, Konflikte, Überforderung, Qualität, finanzielle oder persönliche Gründe). Die abhängige Variable misst die Richtung der vV. Es werden sechs Richtungen unterschieden. Hinsichtlich horizontaler vV werden Betriebswechsel (15,5 %) und Einmündungen in einen anderen Beruf unterschieden (36,7 %). Für vV nach oben werden Einmündungen in weiterführende Schulen (8,7 %) und in den Hochschulsektor (6,2 %) differenziert. VV nach unten umfassen Einmündungen in den Übergangssektor (9,8 %) und Übergänge in Beschäftigung und Arbeitslosigkeit (23 %).

Ergebnisse

In einer multinomialen logistischen Regression zeigt sich, dass im Falle einer betrieblichen Kündigung ein Betriebswechsel wahrscheinlicher wird. Wenn Personen selber kündigen, werden die Abbruchsgründe „nicht Wunschberuf“ (58 %), „Konflikte“ (50 %) und „Qualität“ (41 %) am häufigsten angegeben. Die übrigen Gründe haben 16 bis 21% der Personen angegeben. Die Ergebnisse der multinomial logistischen Regression zeigen, dass vV nach oben und Berufswechsel auf horizontaler Ebene wahrscheinlicher werden, wenn der Ausbildungsberuf nicht dem Wunschberuf entspricht. Konflikte führen hingegen seltener zu vV nach oben bzw. in einen neuen Beruf. Wahrscheinlicher werden hierbei Betriebswechsel. Wird Qualität als Abbruchsgrund genannt, sind die Ergebnisse weniger eindeutig. Hier zeigen sich schwache Tendenzen für horizontale vV und Einmündungen in den Übergangssektor. Problematisch sind vor allem persönliche Gründe (Krankheit, Schwangerschaft etc.), die zwar selten sind, aber deutlich das Risiko der Einmündung in Beschäftigung und Arbeitslosigkeit und somit Tendenzen in Richtung Ausbildungslosigkeit verstärken.

Die Ergebnisse lassen insgesamt auf reflektierte Entscheidungen nach einer vV vor dem Hintergrund der genannten Gründe für die vV der Personen schließen. Sie lassen aber auch Rückschlüsse auf die Bedeutung von Berufswahlkompetenzen zu, damit die häufig beobachtbaren Korrekturen der Berufswahl reduziert werden. Differenziert wird im Beitrag auf Implikationen für Forschung und Bildungspolitik eingegangen.

 

Woher kommen sie und wohin gehen sie? Berufswechsel von Stop-Outs in Deutschland

Alexandra Wicht1, Matthias Siembab2, Janina Beckmann2
1Bundesinstitut für Berufsbildung und Universität Siegen, 2Bundesinstitut für Berufsbildung

Einleitung und Fragestellung

Der idealtypische Weg von der Schule führt über eine Ausbildung in die Erwerbstätigkeit. Die Realität gestaltet sich jedoch komplexer: Ausbildungen werden abgebrochen oder gewechselt. Für einige Jugendliche resultieren längere und komplexere Ausbildungsverläufe aus Orientierungs- und Suchphasen, die individuelle, betriebliche und wirtschaftliche Kosten verursachen. Bisherige Forschungsarbeiten haben beispielsweise gezeigt, dass der Großteil der Personen, die ihre Ausbildung vorzeitig beenden, später eine neue Ausbildung beginnen, ein Phänomen, das als „Stop-Out“ bezeichnet wird. In Deutschland nehmen 67 Prozent innerhalb eines Jahres eine andere Ausbildung auf, was oft mit einem Berufswechsel einhergeht (Holtmann & Solga, 2023).

Über die Art der Berufswechsel von Stop-Outs ist bislang wenig bekannt. Wir gehen explorativ der Frage nach, welche berufsstrukturellen Merkmale den Wechsel maßgeblich charakterisieren. Wir betrachten Berufswechsel hinsichtlich der zentralen soziologischen Kategorien Geschlechtstypik und Sozialstatus. Wir untersuchen auch, ob Auszubildende, die Berufswahlkompromisse eingehen mussten, in Berufe wechseln, die eher ihren initialen Aspirationen hinsichtlich dieser Kategorien entsprechen.

Theoretischer Hintergrund

Berufe unterscheiden sich hinsichtlich verschiedener struktureller Merkmale (Gottfredson, 2002) und umfassen damit verbunden berufsspezifische Lebensstile, Lebensmöglichkeiten und Kultur (Weeden & Grusky, 2005). In Anlehnung an Bourdieu (1979) können berufliche Fehlentscheidungen oder Kompromisse bei der Berufswahl zu einer „habituellen Unsicherheit“ führen, die sich aus einer Diskrepanz zwischen dem individuellen und beruflichen Habitus (Bourdieu, 1979; Colley et al., 2003; Meuser, 2001) ergibt.

Aus der theoretischen Perspektive individueller Handlungsfähigkeit (Evans, 2002; Lent & Brown, 2013) und angesichts des engen Zusammenhangs zwischen freiwilligen Ausbildungsbeendigungen und beruflichen Kompromissen (z. B. Beckmann et al., 2023) können Ausbildungswechsel als Mittel zur Bewältigung unerfüllter beruflicher Ziele betrachtet werden. Sie können aber auch aus Reorientierungen im Zuge der Ausbildung resultieren. Ausbildungswechsel können dazu dienen, Berufe zu ergreifen, die besser mit dem beruflichen Habitus bzw. beruflichen Selbstkonzept in Bezug auf Sozialstatus oder Geschlecht übereinstimmen (Gottfredson, 2002).

Methode

Wir stützen unsere Analysen auf die repräsentativen Längsschnittdaten des Nationalen Bildungspanel (NEPS), Startkohorte „Schule und Ausbildung“ und konzentrieren uns auf eine Teilstichprobe von etwa 550 Auszubildenden, die ihre erste Berufsausbildung vorzeitig beendet und eine neue Ausbildung aufgenommen haben. Wir verwenden Informationen über die Berufsaspirationen sowie die Ausgangs- und Zielberufe der Auszubildenden in Bezug auf Geschlecht (Frauenanteil im Beruf) und sozialen Status (Internationaler sozioökonomischer Index des beruflichen Status), um zu untersuchen, welche Berufswechsel am häufigsten vorkommen.

Ergebnisse

Die vorläufigen, deskriptiven Ergebnisse zeigen, dass Jugendliche, deren Ausgangsberuf traditionell mit ihrem Geschlecht assoziiert ist, dazu neigen zu ähnlich geschlechtstypischen Ausbildungsberufen zu wechseln, während sich mehr Vielfalt in Berufswechseln Jugendlicher in geschlechtsatypischen Ausgangsberufen zeigt. Sie wechseln in selbem Ausmaß sowohl zu atypischen als auch typischen Berufen. Hinsichtlich des Sozialstatus wechseln einige Personen zu statushöheren und andere zu statusniedrigeren Ausbildungsberufen. Dies könnte auf sozioökonomische Faktoren und die Anforderungen statushöherer Berufe zurückzuführen sein.

In weiteren Analysen werden wir die Berufswechselmuster entlang individueller Merkmale (Geschlecht, Sozialstatus, Migrationshintergrund) detaillierter analysieren, da sich die beruflichen Präferenzen und Möglichkeiten, die zu einem Berufswechsel führen, in den verschiedenen sozialen Gruppen unterscheiden können. Wir werden auch prüfen, ob Auszubildende in Berufe wechseln, die ihren ursprünglichen Berufsaspirationen hinsichtlich Geschlecht und Sozialstatus eher entsprechen.

Die Ergebnisse unserer Studie werden Aufschluss darüber geben, welche Muster beruflicher (Neu-)Orientierungen unter Auszubildenden zu beobachten sind und welche Rolle die individuelle Handlungsfähigkeit bei der Verwirklichung von Berufswünschen durch Berufsbildungswechsel spielt. Aus Sicht der Berufsberatung und Praxis helfen sie somit, das Entscheidungsverhalten Jugendlicher zu verstehen und geeignete Maßnahmen zu entwickeln, um die Beständigkeit in der Berufsausbildung zu erhöhen.



 
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