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Sitzungsübersicht
Sitzung
4-07: Wie kann Wissenstransfer zwischen Schulpraxis und Bildungsforschung gelingen? Neue Erkenntnisse zu Wissenschaft-Praxis-Kooperationen
Zeit:
Dienstag, 19.03.2024:
10:30 - 12:10

Ort: H06

Hörsaal, 91 TN

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Präsentationen
Symposium

Wie kann Wissenstransfer zwischen Schulpraxis und Bildungsforschung gelingen? Neue Erkenntnisse zu Wissenschaft-Praxis-Kooperationen

Chair(s): Ulrike Hartmann (DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation, Deutschland), Désirée Theis (DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation, Deutschland)

Diskutant*in(nen): Hans Anand Pant (Humboldt-Universität zu Berlin)

Die Forderung nach Evidenzorientierung im Bildungswesen wird sowohl in Deutschland als auch international seit gut zwei Jahrzehnten intensiv diskutiert (Schrader, 2014; Farley-Ripple et al., 2018; Sjölund et al., 2022). Um diesem Anspruch gerecht zu werden, sind in den letzten Jahren vielfältige bildungspolitische Maßnahmen – oftmals Top-Down (vgl. Gräsel, 2010) ergriffen worden – nicht immer erfolgreich. Immer wieder wird vom sogenannten „research-practice gap“, gesprochen und es gilt, Wege und Möglichkeiten zu finden, diese Lücke zu verringern (Phelps, 2019), um wirksame Methoden und aktuelle Erkenntnisse für die Schulpraxis nutzbar und implementierbar zu machen. In den letzten Jahren beginnt sich eine Vorstellung durchzusetzen, dass die Bildungsforschung sich während des gesamten Konzeptions- und Forschungsprozesses stärker an den tatsächlichen Bedarfen der Bildungspraxis orientieren müsse. Theoretische Modelle, die sich damit befassen, wie dies gelingen kann, betonen die Relevanz eines bidirektionalen Wissenstransfers zwischen Bildungsforschung und Schulpraxis (Brühwiler & Leutwyler, 2020; Farley-Ripple et al., 2018). Eine Möglichkeit dafür wird in engen Kooperationen zwischen Forschenden und pädagogisch tätigen Personen gesehen, die darauf abzielen, Bildungsforschung und Schulpraxis gemeinsam zu gestalten. Coburn und Penuel (2016) sprechen in diesem Zusammenhang von Research-Practice Partnerships (RPP), im Deutschen meistens als Wissenschaft-Praxis-Kooperationen bezeichnet. In der engeren Auslegung des Begriffs werden RPP als langfristige Kooperationen beschrieben, die gemeinsam praxisorientierte Forschungsfragen formulieren und bearbeiten. Die Partnerschaften arbeiten gezielt zusammen an der Erhebung, Analyse und Aufbereitung von Daten, wobei die jeweiligen Expertisen anerkannt werden.

In den USA sind solche Partnerschaften an der Schnittstelle zwischen Bildungsforschung und Bildungspraxis bereits eine gängige Methode, um Herausforderungen der Schulpraxis zu begegnen. Das Forschungsfeld, das sich mit RPP, ihren Eigenschaften und Erfolgsaussichten beschäftigt, wächst stetig (Penuel et al., 2020). In Deutschland hingegen findet sich ein breites Spektrum vornehmlich lokaler Wissenschafts-Praxis-Kooperationen. Sie reichen von Projekten einzelner universitärer Fach- oder Arbeitsbereiche und engagierten Einzelschulen (z.B. Design-Based-Research) über längerfristig angelegte Kooperationen im Kontext von Universitäts- oder Versuchsschul-Programmen. Großangelegte BMBF-Vorhaben wie beispielsweise das Schule macht stark oder lernen:digital versuchen darüber hinaus, Ko-Konstruktionsprozesse zwischen Bildungsforschung und Schulpraxis auf struktureller/institutioneller Ebene anzuregen. Dennoch haben RPP in Deutschland bisher vergleichsweise wenig Beachtung hinsichtlich ihrer Beforschung erfahren. Auch international ist das Wissen über Gestaltungsmerkmale von entsprechenden Partnerschaften sowie über Gelingensbedingungen und Herausforderungen, die mit ihnen einhergehen, insgesamt noch lückenhaft (Coburn & Penuel, 2016).

Das hier vorgestellte Symposium wird dazu beitragen, aktuelle Forschungsbefunde aus Deutschland über Wissenschaft-Praxis-Kooperationen zusammenzufassen. Basierend auf vier Einzelbeiträgen wird ermittelt, wie ko-konstruktive Transferaktivitäten zwischen Schulpraxis und Wissenschaft in Form von RPP gelingen können bzw. welche Aspekte dabei hinderlich sind. In Beitrag 1 wird am Beispiel des Schulversuchs Universitätsschule Dresden der Austausch zwischen Forschenden und pädagogisch tätigen Personen beschrieben. Dabei wird insbesondere darauf eingegangen, welche Relevanz die Konzepte Dialog und Resonanz in diesem Kontext haben. In Beitrag 2 wird die Frage von Gegenseitigkeit im Rahmen von RPP thematisiert. Anhand von vier Leitfragen wird ermittelt, welche Stakeholder beteiligt sind, welche Ziele die verschiedenen Stakeholder verfolgen, welche Rollen sie einnehmen und wie Wissen zwischen Wissenschaft und Praxis ausgetauscht wird. Mithilfe der Fragen wird reflektiert, inwiefern Gegenseitigkeit, als ein zentrales Merkmal von Wissenschafts-Praxis Kooperationen im groß angelegten BMBF-Verbund Schule macht stark beachtet und umgesetzt wird. In Beitrag 3 werden Befunde einer systematischen Literaturrecherche vorgestellt. In dem Review werden die komplexen Mechanismen von RPP untersucht und es wird ermittelt, welche Funktionen RPP anstreben, welche Einheiten und Eigenschaften dabei eine Rolle spielen und welche Interaktionen zwischen Einheiten und Eigenschaften dabei zu beobachten sind. Beitrag 4 widmet sich der Frage nach Erfolgsfaktoren und Herausforderungen in RPP im Kontext der Lehrer*innenausbildung. Hier wird die Arbeit von Entwicklungsteams in der Lehrer*innenbildung evaluiert und Befunde einer Fragebogenerhebung vorgestellt. Im Anschluss werden die vier Einzelbeiträge durch einen Diskutanten hinsichtlich ihrer Bedeutung für das Forschungsfeld und eine evidenzorientierte Schulpraxis reflektiert.

 

Beiträge des Symposiums

 

Dialog und Resonanz zwischen Schulpraxis und Wissenschaft am Beispiel des Schulversuches Universitätsschule Dresden

Maxi Heß1, Anke Langner2
1Universitätsschule Dresden, 2Technische Universität Dresden

Die Universitätsschule ist ein 15jähriger Schulversuch beantragt durch Wissenschaftler:innen der TU Dresden und genehmigt durch das Sächsische Kultusministerium und der KMK angezeigt. Die Universitätsschule ist eine Gemeinschaftsschule vom 1. bis zum 12. Jahrgang in Trägerschaft der Stadt Dresden (Langner & Heß, 2020). Gestartet ist der Schulversuch 2019, die Schule wird vollaufgewachsen sein mit ca. 1000 Schüler:innen im Schuljahr 2026/27. Die Universitätsschule stellt ein Real-Labor (Schäpke et al., 2018) dar, die Forschung an dem Schulversuch lässt sich mit dem Design Based Research Ansatz (Gess et al., 2014) wie aber auch dem Ansatz der gestaltenden Bildungsforschung (Tulodziecki, 2019) charakterisieren (vgl. Langner et al., 2020). Im Rahmen des Beitrags im Symposium wird vor allem die Zusammenarbeit zwischen Schulleitung und wissenschaftlicher Leitung für vier ausgewählten Themen genauer betrachtet. Drei dieser vier Themen stehen exemplarisch für die nach Rolff (2016) beschrieben Schwerpunkte der Schulentwicklung: Organisationsentwicklung, Unterrichtsentwicklung und Personalentwicklung, darüber hinaus spielt ein viertes Thema – die Bildungspolitik – eine bedeutende Rolle. Diese Themen sind das Ergebnis der Analyse des Chatverlaufs zwischen Schulleitung und wissenschaftliche Leitung im 2. Schuljahr des Schulaufbaus. Hinsichtlich des Themas der Bildungspolitik wird herausgearbeitet, dass das Zusammenspiel der beiden Rollen – Schulleitung und wissenschaftliche Leitung - wesentlicher Bestandteil für die Etablierung dieses Schulversuches und damit auch für die Umsetzung von Schulentwicklung ist. Die Darstellung der Zusammenarbeit von wissenschaftlicher Leitung und Schulleitung an Hand der exemplarischen Themen zielt darauf ab, herauszuarbeiten, dass das Verhältnis von Schulpraxis und Wissenschaft mehr als ein Rückmelden von Evidenz und/oder Datenanalyse ist, wenn die Gestaltung von Bildungsinnovation das Ziel sein soll. Vielmehr muss es darum gehen, dass sowohl Praxis als auch Forschung gemeinsam für das Gelingen von Schule Verantwortung übernimmt – jeweils in ihrer Rolle als Schulleitung und in ihrer Rolle als wissenschaftliche Leitung - und ein Scheitern eine mögliche Option sein kann. Die gegenseitige Anerkennung der Expertise des anderen ist unabdingbar wie Resonanz im Handeln und im Dialog (Rosa, 2019) miteinander. Gemeinsames Gestalten und Entwickeln von Schule bedarf Respekt und Wertschätzung, es ist nicht institutionell anzulegen. Die notwendige Resonanz zwischen den beiden Akteur:innen soll für die ausgewählten Themen herausgearbeitet werden.

 

Die Gegenseitigkeit im Fokus: Vier Fragen an Research-Practice-Partnerships

Simon Ohl, Therese Gesswein, Hanna Dumont
Universität Potsdam

Der Transfer zwischen Bildungsforschung und Bildungspraxis hat in den vergangenen Jahren besondere Aufmerksamkeit bekommen und wird aktuell als zentrale Voraussetzung diskutiert, um den Herausforderungen im Bildungssystem begegnen zu können. Um zu verstehen, wie erfolgreicher Transfer zwischen Wissenschaft und Praxis gelingen kann, ist es notwendig, die unterschiedlichen Handlungslogiken, Mechanismen und Strukturen beider Seiten zu betrachten (Blatter & Schelle, 2022). Theoretische Ansätze wie der “Conceptual Framework on the Research-Practice-Gap” von Farley-Ripple et al. (2018) oder das Konzept der „Knowledge Mobilization“ von Cooper et al. (2020) beschreiben dieses ambivalente Verhältnis und nennen Bidirektionalität, Reziprozität und Partnerschaft als zentrale Eigenschaften gelingender Zusammenarbeit. In ähnlicher Weise betont das Positionspapier der Landesinstitute und Qualitätseinrichtungen der Länder zum Transfer von Forschungswissen, dass es beim Transfer von wissenschaftlichem Wissen in die Bildungspraxis einer ko-konstruktiven Zusammenarbeit und der Wertschätzung der Expertisen der jeweils beteiligten Wissenschafts- und Praxisvertretr:innen bedarf (Bieber et al., 2018).

Research-Practice-Partnerships (RPPs) sind eine Möglichkeit ko-konstruktive Beziehungen zwischen Wissenschaft und Praxis umzusetzen. In RPPs bearbeiten Wissenschafts- und Praxisvertretr:innen gemeinsam und langfristig Probleme der Praxis. Die Zusammenarbeit beruht dabei auf dem Prinzip der Gegenseitigkeit und es werden gezielt Strategien genutzt, um die Partnerschaft zwischen den Beteiligten zu fördern (Coburn et al., 2013). Wie aber kann das Gegenseitigkeitsprinzip in RPPs umgesetzt und vor allem für die Praxisvertreter:innen sichtbar werden?

In unserem Beitrag möchten wir die Gegenseitigkeit in RPPs konkretisieren und konzeptuell ausleuchten. Wir arbeiten dazu vier Fragen heraus, die es ermöglichen, die Gegenseitigkeit im Kontext von RPPs umzusetzen oder zu untersuchen. Anschließend wenden wir die vier Fragen auf das SchuMaS-Projekt an, ein aktuelles Beispiel für RPPs aus der deutschen Forschungslandschaft.

Zunächst gehen wir davon aus, dass die Stakeholder in RPPs von Seite der Wissenschaft in der Regel homogener in ihren persönlichen Hintergründen, Einstellungen und beruflichen Erfahrungswelten sind, als die Stakeholder aus der Praxis. Diese Heterogenität der Stakeholder sollte Berücksichtigung in der Planung und Durchführung von RPPs finden, indem als erstes die Frage gestellt wird: Welche Stakeholder sind in der RPP vertreten?

Mit der Heterogenität der Stakeholder aus der Praxis geht möglicherweise eine Heterogenität der Ziele in RPPs einher. Da Schule von Komplexität und Unsicherheit geprägt ist, was ambigue Ziele produziert (Mintrop & Zumpe, 2019), sollten die Ziele aller Akteure klar definiert werden. Daraus ergibt sich die zweite Frage: Welche Ziele verfolgen die Stakeholder in der RPP?

Je nach Zielsetzung der RPPs können die Rollen der Stakeholder aus Wissenschaft und Praxis unterschiedlich ausgestaltet sein. Verschiedene Rollenkonstellationen gehen dabei mit jeweils unterschiedlichen Verantwortlichkeiten und Verpflichtungen einher (Sjölund et al., 2022). Die Rollen können sich dabei im Verlauf eines Projekts ändern und an verschiedenen Stellen zu Konflikten führen (Farrell et al., 2019). Mit unserer dritten Frage plädieren wir dafür, Rollen aktiv in RPPs zu thematisieren: Welche Rollen haben die Stakeholder in der RPP?

Schließlich wird in theoretischen Modellen und empirischer Forschung zu RPPs häufig der Fokus auf den Transfer von wissenschaftlichem Wissen in die Praxis gelegt. Seltener wird untersucht, wie Praxiswissen in die Wissenschaft gelangt. Soll die Zusammenarbeit auf Augenhöhe ernst genommen werden und in RPPs auch die Wissenschaft durch die Praxis verändert werden, kann unsere vierten Frage angeführt werden: Wie fließt Wissen zwischen Praxis und Wissenschaft in der RPP?

Anhand des SchuMaS Projekts, in dem ko-konstruktiv Schulentwicklungsmaßnahmen entwickelt, umgesetzt und verbreitet werden sollen, zeigen wir exemplarisch, wie die vier Fragen helfen können, das Verhältnis von Wissenschaft und Praxis im Rahmen von RPPs in den Blick zu nehmen. Insbesondere reflektieren wir, inwiefern Gegenseitigkeit zwischen Wissenschaft und Praxis in SchuMaS bislang umgesetzt wurde.

 

Wissenschafts-Praxis-Partnerschaften im Bildungswesen – Eine systematische Literaturanalyse ihrer Mechanismen

Raphaela Schlicht-Schmälzle1, Antje Thiele1, Désirée Theis1, Sølvi Lillejord2, Catherine Snow3, Mareike Kunter1, Ulrike Hartmann1
1DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation, Deutschland, 2University of Bergen, Norway, 3Harvard Graduate School of Education, USA

Wissenschafts-Praxis-Partnerschaften (WPP) sind ein aufstrebendes Forschungs- und Praxisfeld, um die Brücke zwischen Theorie und Praxis im Bildungsbereich zu schlagen (Coburn et al., 2013). In den letzten zehn Jahren hat es einen exponentiellen Anstieg bildungswissenschaftlicher Veröffentlichungen zu WPP gegeben (Denner et al., 2019). Obwohl WPP zunehmend an Bedeutung gewinnen, ist unser Verständnis der komplexen sozialen Dynamiken, die diese Partnerschaften von ihrer Entstehung bis zu wirkungsvollen Ergebnissen prägen, immer noch begrenzt (Farrell et al., 2022). Es besteht somit Bedarf an einer systematischen Übersicht, die die Komplexität von WPP erfasst und die verschiedenen Aspekte und Wege berücksichtigt, die ihre Funktionsweise und ihren Erfolg bei der Erreichung ihrer beabsichtigten Ergebnisse gestalten (Coburn et al., 2016; Penuel et al., 2019; Welsh, 2021). Diese Studie hat das Ziel, durch eine systematische Literaturanalyse relevante Mechanismen von WPP zu identifizieren (Illari et al., 2012). Die Ergebnisse dieser Analyse können dazu beitragen, die Theoriebildung über die komplexen Funktionsweisen von WPP voranzubringen und die Umsetzung von WPP, ihre Evaluation und die empirische Forschung in diesem Bereich zu unterstützen.

Wir greifen auf einen theoretischen Ansatz von Illari und Kolleg*innen (2012) zurück, um die angenommenen Wirkungen von WPP in ihre Einzelteile zerlegen zu können. WPP können demnach als komplexe soziale Mechanismen verstanden werden (Penuel et al., 2019), also Strukturen mit Komponententeilen und Prozessen, die jeweils bestimmte Funktionen erfüllen (Bechtel et al., 2005; Machamer et al., 2000). Um diese Mechanismen zu verstehen, müssen sie in ihre Komponententeile zerlegt werden (Illari et al., 2012). Diese Komponententeile umfassen die angestrebten Funktionen (Outcomes) der WPP, relevante Einheiten und ihre Eigenschaften (Einflussgrößen) sowie Interaktionen zwischen diesen Komponententeilen (Prozesse). Unsere Studie zielt darauf ab, diese Komponententeile im Rahmen einer Literaturanalyse zu identifizieren. Daraus ergeben sich drei zentrale Forschungsfragen: (F1) Was sind laut bestehender Literatur Outcomes von WPP? (F2) Welche zentralen Einflussgrößen stellt die Literatur heraus, die das Erreichen der Ziele beeinflussen? (F3) Was sagt die Literatur über die Prozesse zwischen diesen Komponententeilen im WPP-Mechanismus aus?

Unsere Literaturanalyse orientiert sich an den PRISMA-Richtlinien (Liberati et al., 2009) und den EPPI-Center-Richtlinien (Gough et al., 2017), um einen umfassenden und reproduzierbaren Überblick über die Forschungsliteratur zu WPP zu erstellen. Dazu wurden relevante Veröffentlichungen in den Datenbanken EBSCO Education Research Complete und Social Science Citation Index (SSCI) von Web of Science gesucht und ausgewählt. Von den anfänglich gefundenen 3.444 Veröffentlichungen wurden nach mehreren Auswahlrunden 578 Artikel für unsere Analyse ausgewählt, darunter konzeptionelle, empirische, Übersichts- und Hybridveröffentlichungen.

Unsere Analyse ergab, dass die meisten Artikel empirische Studien waren, wobei Einzelfallstudien den Großteil dieser Kategorie ausmachten. Derzeit führen wir qualitative Inhaltsanalysen durch, um die relevanten Komponententeile des WPP-Mechanismus zu identifizieren. Unsere vorläufigen Ergebnisse zeigen, dass die Outcomes (F1) von WPP vielfältig sind, aber in den meisten Fällen auf die Schüler*innen- und Lehrer*innen-Ebene abzielen. Auf Schüler*innenebene konzentrieren sie sich auf verschiedene Lernbereiche und die Förderung der Chancengleichheit. Auf Lehrkraftebene zielen sie vor allem auf die berufliche Weiterentwicklung der Lehrenden ab. Wir haben eine große Menge an Einflussgrößen (F2) in sechs Kategorien identifiziert, wobei der "strategische Aufbau der Partnerschaft", konkret die dokumentierte Institutionalisierung, die Infrastruktur für berufsfeldübergreifendes Arbeiten, die Unterstützung von übergeordneten institutionellen Führungskräften und ein kollaborativer praxisorientierter Forschungsansatz – neben den "sozialen Beziehungen zwischen den Mitgliedern der Partnerschaft" besonders wichtig erscheinen. Die Einflussgrößen interagieren auch untereinander (F3): Zum Beispiel wirkt sich laut Literatur der strategische Aufbau der Partnerschaft auf die sozialen Beziehungen zwischen den Partnerschaftsmitgliedern aus.

Unsere systematische Übersicht trägt dazu bei, ein umfassenderes Verständnis der komplexen Mechanismen von WPP zu entwickeln. Diese Erkenntnisse können zukünftige Forschung sowie die Umsetzung von WPP unterstützen. Im Vortrag werden methodischer Zugang und Analysen im Detail vorgestellt und angesichts der gefundenen sehr heterogenen Literatur zu WPP kritisch diskutiert.

 

Zur Arbeit in Entwicklungsteams: Erfolgsfaktoren und Herausforderungen in Research-Practice Partnerships in der Lehrkräftebildung

Sandra Fischer-Schöneborn, Timo Ehmke
Leuphana Universität Lüneburg

Kollaborativen Formaten zwischen Schule und Universität, häufig mit Integration weiterer Partner*innen „mit unterschiedlichen Hintergründen, Rollen und Funktionen" (Lillejord & Børte, 2016, S. 556), wird das Potenzial zugesprochen, die Lehrkräftebildung durch eine verbesserte Theorie-Praxis-Verzahnung weiterzuentwickeln (Autor*innen A, 2022; Lillejord & Børte, 2016; Villiger, 2015). Research-Practice Partnerships (RPPs) sind eines dieser kollaborativen Formate, die auf Innovationen in der Lehrkräftebildung durch Kooperation zwischen Praxis und Forschung setzen (Farrell et al., 2021). Die mit RPPs einhergehenden Prozesse sowie auch die Erträge jenseits der entwickelten Produkte oder Lösungen sind jedoch noch weitestgehend unerforscht (Coburn & Penuel, 2016).

Im Projekt „Zukunftszentrum Lehrkräftebildung – Netzwerk (ZZL-Netzwerk)“ der Leuphana Universität Lüneburg wurden als Teil der Qualitätsoffensive Lehrerbildung seit 2016 neun institutionenübergreifende Entwicklungsteams (ETs) konstituiert, die sich aus Vertreter*innen der folgenden vier Akteur*innengruppen zusammensetzen: Universität (Forscher*innen), Schule (insbesondere Lehrkräften), außerschulische Partnerorganisationen und Lehramtsstudierende. Das Design dieser ETs vereint alle Prinzipien von RPPs nach Farrell et al. (2021). Die Teams arbeiten in ko-konstruktiver Zusammenarbeit vor allem an der Konzeption von Lernmodulen und an der Entwicklung von Unterrichtsmaterialien (Autor*innen B, 2022).

Ziele und Methode

Eine in 2021 mit den ETs durchgeführte Fragebogenerhebung mit n=78 Teilnehmer*innen (n=105 kontaktiert; Vollerhebung; Rücklaufquote 74%) zielte u.a. darauf ab, Erkenntnisse zu Erfolgsfaktoren und Herausforderungen in der Zusammenarbeit in RPPs zu gewinnen. Dafür waren folgende Forschungsfragen zu beantworten:

1) Welches sind die Herausforderungen, Enttäuschungen und Erfolgsfaktoren der Zusammenarbeit sowie die größten persönlichen Nutzen, die die Teilnehmer*innen wahrnehmen?

2) Gibt es Unterschiede zwischen den vier Akteur*innengruppen hinsichtlich der Herausforderungen, Enttäuschungen und Erfolgsfaktoren der Zusammenarbeit sowie hinsichtlich der größten persönlichen Nutzen?

3) Welche Auswirkungen ergeben sich für die Arbeitsstätte der Teilnehmer*innen (z.B. die Schule, das Studienseminar oder die Universität) durch die Beteiligung an der ET-Arbeit?

Zur Beantwortung dieser Forschungsfragen wurden Fragen mit offenem Antwortformat in den Fragebogen integriert. Dabei sollten die Teilnehmer*innen jeweils maximal drei Aspekte benennen. Die Daten wurden mit Hilfe der strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse (Kuckartz & Rädiker, 2022) ausgewertet.

Ergebnisse und Implikationen

Folgende relevante Erfolgsfaktoren für die Zusammenarbeit in RPPs konnten identifiziert werden: a) gegenseitiger Austausch & Kommunikation (57,63%); b) Entwicklung konkreter Produkte (40,68%); c) Multiperspektivität (38,98%); d) Wertschätzung (38,98); e) Kompetenzerweiterung & Wissenstransfer (37,29%) sowie f) Praxisorientierung (35,59%). Als größte Herausforderungen werden von den Teilnehmer*innen wahrgenommen: a) Zielfokussierung in den Sitzungen (45,28%); b) Arbeitsaufwand (37,74%); c) Planung und Organisation der Treffen (37,74%); d) Theorie-Praxis-Gap (30,19%) sowie e) Onlinetreffen / Covid (24,53%). Enttäuschungen spielen eine untergeordnete Rolle (Rücklaufquote 37%). Wenn sie genannt werden, dann beziehen sie sich zumeist auf die Planung und den Fokus der Treffen sowie auf fehlende Zeit (51,72%). Akteur*innengruppenspezifische Unterschiede bei den Wahrnehmungen sind insgesamt gegeben. Finale Ergebnisse zu den größten persönlichen Erträgen sowie zu den Auswirkungen auf die Arbeitsstätte der Teilnehmenden (primär Forschungsfrage 3) werden in Kürze erwartet.

Die Ergebnisse tragen wesentlich zu Erkenntnissen über Gelingensbedingungen und Verbesserungspotenziale in der Zusammenarbeit in multiprofessionellen Teams in der Lehrkräftebildung bei. Sie deuten darauf hin, dass ko-konstruktive Zusammenarbeit in RPPs kein Selbstläufer ist, sondern komplex. Eher widersprüchliche Ergebnisse wie Multiperspektivität als Erfolgsfaktor und die Lücke von Theorie und Praxis als Herausforderung verstärken diese Schlussfolgerung. Akteur*innengruppenspezifische Unterschiede können für zukünftige Zusammenarbeiten sowie für die Gewinnung neuer Mitglieder berücksichtigt werden, um die Zufriedenheit der Teilnehmenden und Lerneffekte weiter zu verstärken.

Die Ergebnisse zu den Wirkungen auf die beteiligten Organisationen (z.B. Schulen, Studienseminare oder die Universität) erweitern den Analyserahmen auf Effekte jenseits der direkt Beteiligten. Sie adressieren daher insbesondere Forschungslücken, die das Fehlen von Studien zu RPPs über die jeweilige Innovation hinaus kritisieren. Weitere Forschung über die Gestaltung und Umsetzung von RPPs sind erforderlich.



 
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