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Sitzungsübersicht
Sitzung
3-04: Empirische Forschung zur Wirksamkeit der Lehrkräftebildung – Überblick und Perspektiven
Zeit:
Montag, 18.03.2024:
15:20 - 17:00

Ort: H02

Hörsaal, 150 TN

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Präsentationen
Symposium

Empirische Forschung zur Wirksamkeit der Lehrkräftebildung – Überblick und Perspektiven

Chair(s): Johannes König (Universität zu Köln), Sarah Strauß (Universität zu Köln, Deutschland)

Diskutant*in(nen): Gabriele Kaiser (Universität Hamburg)

Seit Jahrzehnten steht die Lehrer:innenbildung in der Kritik: Zu den wiederholt genannten Problem­stellungen wie mangelnde Wirksamkeit, fehlende Kohärenz curricularer Angebote, Praxisferne der Ausbildung kommen auch aktuelle Herausforde­rungen der inklusiven Bildung, der Digitalisierung oder des Well-Beings. Zentral ist dabei auch die Fachlichkeit schulischen Lernens, die es erforderlich macht, die genannten Problemstellungen aus einer domänenspezifischen bzw. interdisziplinären Perspektive zu betrachten.

In der empirischen Bildungsforschung existiert mittlerweile eine kaum mehr zu überblickende Anzahl empirischer Einzelstudien zur Analyse der Wirksamkeit von Lehrer:innenbildung, wie beispielsweise das Literatur-Review von Cochran-Smith und Villegas (2015) aufzeigt (für einen Überblick im deutschsprachigen Raum vgl. z.B. Hascher, 2014). In den vergangenen Jahren wurden überdies weitere Literatur-Reviews veröffentlicht, die nach thematischen Schwerpunkten ausgewählte Studien zur Prüfung von Wirksamkeit der Lehrer:innenbildung auswerten, etwa zur Digitalisierung (Ma et al., 2023; Perry et al., 2021), zum Well-Being (Shepherd et al., 2016) oder zur Unterrichtsplanungskompetenz (König & Rothland, 2022).

Vor diesem Hintergrund stellen sich zwei Fragen, die den Anlass für das Symposium bilden – und im Sinne des Tagungsthemas der GEBF 2024 dazu beitragen können, die auf Lehrkräfte bezogene „Bildung zu verstehen“: Wie ist erstens der Stand der empirischen Forschung zur Wirksamkeit der Lehrer:innenbildung (empirical research on teacher education effectiveness) insgesamt bzw. im Überblick zusammenzufassen und zu bewerten? Und zweitens welche Perspektiven sollten daraus – zumindest exemplarisch – für die zukünftige Forschung aktuell bezogen und entwickelt werden?

Als Input zur ersten Frage dient Beitrag 1: Berichtet wird über eine aktuell durchgeführte Synthese von 27 internationaler Literatur-Reviews empirischer Studien zur Wirksamkeit der Lehrer:innenbildung, die in den vergangenen 30 Jahren veröffentlicht wurden (König et al., 2023/im Druck). Die Synthese baut auf über 2000 empirischen Studien auf, die in den 27 Reviews insgesamt zum Gegenstand gemacht wurden. Zentrale Ergebnisse der Synthese beziehen sich auf Kernaspekte der Wirksamkeitsforschung (u.a. theoretische Rahmungen, Outcomes, Prozessvariablen) sowie die identifizierten Forschungslücken. Beitrag 1 liefert somit einen Forschungsüberblick, aus dem zentrale Perspektiven für die zukünftige Forschung bezogen werden können. Die daran anschließenden Beiträge vertiefen jeweils exemplarisch ausgewählte Perspektiven und zeigen somit auf, wie zukünftig bestimmte Schwerpunkte gesetzt werden können, um Innovationen in der Forschung zur Wirksamkeit der Lehrer:innenbildung zu forcieren.

Beitrag 2 setzt bei dem Forschungsdesiderat an, Interventionsstudien zur Wirksamkeit bestimmter Innovationen der Lehrer:innenbildung durchzuführen, die forschungsmethodisch anspruchsvolleren Untersuchungsdesigns gerecht werden (vgl. auch Hill et al., 2021). Am Beispiel der Förderung von situationsspezifischen Fähigkeiten im Bereich einer effektiven Klassenführung (Kramer et al., 2020) wird die Frage nach der Wirksamkeit einer neu entwickelten Intervention auf Basis von Unterrichtsvideos bearbeitet, wobei die (perspektivische) Umsetzung eines methodisch anspruchsvollen (experimentellen) Designs, die Testung multipler Facetten der klassenführungsspezifischen Kompetenzen sowie das Ziel einer breiten Implementation der Intervention im Vordergrund stehen.

Beiträge 3 und 4 setzen jeweils den Fokus auf die Messung und Förderung spezifischer Kompetenzfacetten, die als Weiterentwicklung bisheriger fachlicher (Beitrag 3) bzw. affektiv-motivationaler (Beitrag 4) Outcomes der Lehrer:innenbildung anzusehen sind. Beitrag 3 fokussiert die neuartige Herangehensweise, die Fähigkeit zur Auswahl von digitalem Lernmaterial als Ansatz zur Bewertung der digitalen Kompetenz von (angehenden) Mathematiklehrkräften zu konzipieren, zu messen und zu validieren. Beitrag 4 prüft die prognostische Validität der Emotionsregulation von berufstätigen Lehrkräften, um darauf aufbauend evidenzbasierte Interventionen entwickeln zu können. Damit soll perspektivisch dem Desiderat begegnet werden, weitreichende Wirksamkeitsnachweise in Untersuchungsdesigns umzusetzen (vgl. z.B. Kennedy, 2016).

Die Beiträge werden von der Diskutantin Prof.in Dr.in Gabriele Kaiser (Universität Hamburg) eingeordnet und reflektiert. Dabei wird u.a. die Frage adressiert, welche Rolle die Kompetenzforschung (z.B. im TEDS-Forschungsprogramm), aber auch benachbarte theoretische Ansätze (z.B. zum Expertise-Erwerb) eine zentrale Rolle einnehmen und den Ansatz einer Wirksamkeitsforschung in Bezug auf die professionelle Entwicklung von Lehrer:innen bestimmen (vgl. Kaiser et al., 2015; Kaiser & König, 2019).

 

Beiträge des Symposiums

 

Wirksamkeit der Lehrer:innenbildung als Forschungsparadigma: Eine Synthese von 27 Literaturreviews

König Johannes, Heine Sandra, Kramer Charlotte, Weyers Jonas, Becker-Mrotzek Michael, Großschedl Jörg, Hanisch Charlotte, Hanke Petra, Hennemann Thomas, Jost Jörg, Kaspar Kai, Rott Benjamin, Strauß Sarah
Universität zu Köln

Theoretischer Hintergrund

Mit der Forschung zur Wirksamkeit der Lehrer:innenbildung verbindet sich generell die Aufgabe, Hinweise zu erbringen, welche Stärken und Schwächen in einem bestimmten Lehrer:innenbildungsprogramm oder -system bestehen, welche Aus- und Fortbildungselemente gut gelingen, welche modifiziert werden sollten, welche Kritik gerechtfertigt ist und welche möglicherweise unberechtigt geäußert wird (vgl. Hascher, 2014; König & Blömeke, 2020). Über die vergangenen Jahrzehnte haben zahlreiche Literatur-Reviews versucht, empirische Studien zur Wirksamkeit von Lehrer:innenbildung zusammenzufassen (z.B. Cochran-Smith & Villegas, 2015). Zwar leisten solche Reviews einen bedeutsamen Beitrag zu der Frage, was empirische Forschung zur Lehrer:innenbildung aller Phasen umfassen könnte – einschließlich der Frage wie Lehrer:innenbildung erachtet wird, wirksam zu sein angehende Lehrkräfte auszubilden und berufstätige Lehrkräfte fortzubilden. Doch ist der Forschungsstand noch immer begrenzt, wenn es um eine allgemeinere und übergreifende Perspektive auf die empirische Forschung zur Wirksamkeit von Lehrer:innenbildung geht. Ein mögliche Erklärung dafür könnte sein, dass heterogene Forschungsansätze bestehen, die sich nur schwer vergleichen lassen (z.B. Kennedy, 2016). Die hohe Relevanz des Forschungsgegenstandes war der Beweggrund für die Erarbeitung einer Synthese von Literatur-Reviews empirischer Studien zur Wirksamkeit von Lehrer:innenbildung, um den Erkenntnisfortschritt bezüglich eines entsprechenden Überblickswissens voranzubringen.

Fragestellungen

Mit einer Synthese von Literatur-Reviews wurden folgende Kernfragen bearbeitet: (1) Welche größeren theoretischen Rahmungen werden verwendet? (2) Welche Outcome-Maße dienen als Kriterien für Wirksamkeit von Lehrer:innenbildung? (3) Welche Maßnahmen und Charakteristika bilden die Prozesse, welche als effektiv betrachtet werden? (4) Welche zentralen Forschungslücken sollten in zukünftiger empirischer Forschung zur Wirksamkeit von Lehrer:innenbildung adressiert werden?

Methode

Mithilfe einer systematischen Literaturrecherche konnten 27 einschlägige Literatur-Reviews identifiziert werden, die im Zeitraum der letzten drei Jahrzehnte (1993-2023) publiziert wurden (König et al., 2023/im Druck). Dabei wurde „Lehrer:innenbildung“ breit verstanden und auf alle Phasen der Professionalisierung von Lehrkräften bezogen – nämlich Erstausbildung, Induktionsphase bzw. Berufseinstieg (z.B. Vorbereitungsdienst bzw. Referendariat in Deutschland), Fortbildung berufstätiger Lehrkräfte. Zu den vier genannten Fragestellungen wurde in einem Wechselspiel deduktiver und induktiver Herangehensweise ein Kategoriensystem entwickelt, wobei die Analysekategorien (zwischen drei und sechs Kategorien pro Forschungsfrage) als Leitlinie für eine thematische Analyse dienten. Anteilig konnte auch für einzelne Kategorien eine qualitative Inhaltsanalyse angewendet werden. Die entsprechend durchgeführte Synthese von Reviews ist (u.a. angesichts der anzutreffenden Heterogentität der 27 Reviews) als „Scoping-Review“ und nicht als „systematisches Review“ zu bezeichnen (Munn et al., 2018).

Ergebnisse

Als zentrale Ergebnisse können hervorgehoben werden: Bezüglich Forschungsfrage (1) zeigte sich, dass nur wenige Reviews überhaupt auf eine umfassende theoretische Rahmung eingehen; die meisten Reviews wenden Wirksamkeitsforschung an, um spezifische Themenschwerpunkte zu fokussieren und zu analysieren, etwa zu den Bereichen digitaler Bildung (Ma et al., 2023; Perry et al., 2021), Well-Being (Shepherd et al., 2016) oder Unterrichtsplanungskompetenz (König & Rothland, 2022). Hinsichtlich der Forschungsfrage (2) stellte sich heraus, dass Outcome-Messungen sehr oft auf (modellhafte) Vorstellungen von Lehrkomptenz bezogen sind; hier sind insbesondere die erwarteten Kompetenzzuwächse die eigentlichen Outcomes der empirischen Forschung zur Wirksamkeit von Lehrer:innenbildung. Bezüglich der Forschungsfrage (3) wurde deutlich, dass “Kurse” (bzw. Trainings, Seminare) als Kategorie die prozessbezogenen Maßnahmen oder Charakteristika in empirischen Studien dominieren, während z.B. Ausbildungsprogramme oder auch praktische Einheiten von Lerngelegenheiten (z.B. Schulpraktika) weitaus seltener die Kategorien einer Überprüfung darstellen. Letztlich zeigte sich hinsichtlich Forschungsfrage (4), dass Rahmenmodelle der Outcome-Messungen in der Kritik stehen – theoretisch, aber vor allem forschungsmethodisch. Darüber hinaus können weitere zentrale Forschungslücken identifiziert werden.

Diskussion

Auf Basis der gewonnenen Erkenntnisse, vor allem basierend auf grundsätzlichen Unterscheidungen, die in den Reviews getroffen wurden, konnte in einem Folgeschritt eine Klassifikation entwickelt werden, die Prozesse und Kriterien in einer Matrix systematisiert (sog. processes-and-criteria classification (PCC) of basic distinctions in teacher education effectiveness research). Wie die entwickelte Klassifikation eine Orientierung für zukünftige empirische Studien zur Wirksamkeit der Lehrer:innenbildung zu leisten vermag, soll im Vortrag dargelegt und diskutiert werden.

 

Effektiv(e) Klassenführung lernen - Wirksamkeit von Unterrichtsvideos in der universitären Lehramtsausbildung zur Förderung der professionellen Kompetenz

Sarah Strauß, Kramer Charlotte, König Johannes, Arnold Sophie, Darge Kerstin
Universität zu Köln

Theoretischer Hintergrund

Eine zentrale berufliche Anforderung von Lehrkräften ist eine effektive Klassenführung. Sie gilt als Basisdimension qualitätsvollen Unterrichts (Klieme, 2018) und erweist sich in Metaanalysen als ein Merkmal mit großer Vorhersagekraft für die Lernleistung von Schüler:innen (Hattie, 2012; Wang et al., 1993). Es zeigt sich jedoch, dass Lehramtsstudierende und Junglehrkräfte ihr Wissen über Klassenführung als unzureichend einschätzen und sich durch ihre Ausbildung auf diese berufliche Anforderung nicht hinreichend vorbereitet fühlen (Jones, 2006; Poznanski et al., 2018). Die Diskrepanz zwischen der Relevanz von Klassenführung für ein erfolgreiches Unterrichten und der Einschätzung der (angehenden) Lehrkräfte zu ihren Fähigkeiten, rückt das Thema Klassenführung auch in den Fokus der universitären Lehrkräftebildung.

Um den Anforderung der Klassenführung gerecht zu werden, gelten neben Wissen und affektiv-motivationalen Merkmalen auch situationsspezifische Fähigkeiten als zentrale Aspekte der professionellen Kompetenz von Lehrkräften (Kaiser & König, 2019; Sherin et al., 2011). Diese lassen sich in die Wahrnehmung von lehr- und lernrelevanten Aspekten, deren Interpretation und das Treffen von (weiterführenden) Handlungsentscheidungen unterteilen (Blömeke et al., 2015). Unterrichtsvideos können vor allem diese situationsnahen Kompetenzfacetten bei Studierenden erfolgreich fördern (Gold et al., 2016; Kramer et al., 2017). Obwohl sich die Forschung zu den situationsspezifischen Fähigkeiten in den letzten zwei Jahrzehnten stark entwickelt hat (König et al., 2022) und das Thema Klassenführung vermehrt in Interventionsstudien bearbeitet wird (Junker & Holodynski, 2022; Weber et al., 2020), fehlen diesbezüglich empirische Nachweise zur Wirksamkeit der (universitären) Lehrkräftebildung, die u.a. in methodisch anspruchsvolle Designs umgesetzt werden (König et al., 2023/im Druck) und über einzelne punktuelle Interventionen hinaus gehen.

Fragestellung

Im Rahmen des an der Universität zu Köln laufenden Verbundprojekts „Proving the Effectiveness of Teacher Education“ bearbeiten wir die Frage nach der Wirksamkeit einer neu entwickelten videobasierten Intervention zur Förderung der klassenführungsspezifischen Kompetenzen bei Lehramtsstudierenden. Dabei stehen ein methodisch anspruchsvolles Design, standardisierte Testungen der klassenführungsspezifischen Kompetenzen sowie das Ziel einer breiten Implementation der Intervention im Vordergrund.

Methode

Im Wintersemester 2023/24 findet mit der Pilotierung einer Lehrveranstaltung zur Förderung der Klassenführungskompetenz von Lehramtsstudierenden der erste (ca. n=150) von vier Durchläufen einer Interventionsstudie statt. Mittels eines quasi-experimentellen Designs wird untersucht, ob das Wissen, affektiv-motivationale Merkmale und die situationsspezifischen Fähigkeiten im Anforderungsbereich der Klassenführung mit dieser Intervention bei Lehramtsstudierenden im Master gefördert werden können. Im Fokus der Intervention steht die intensive Auseinandersetzung der Studierenden mit konkreten Anforderungen der Klassenführung und die Analyse dieser in authentischen Unterrichtssituationen, spezifiziert über reale Unterrichtsvideos. Zwei Masterseminare („Modellseminare“) erarbeiten das Thema Klassenführung tiefgreifend über das gesamte Semester. In zwei weiteren Seminaren („Anwendungsseminare“) werden in sieben Sitzungen zentrale Inhaltsbereiche von Klassenführung in Form standardisierter Materialien, d.h. wissenschaftlicher Texte und Unterrichtsvideos bearbeitet. Ein weiteres Seminar, das zwar das Thema Klassenführung neben einer Vielzahl anderer Themen betrachtet, aber keine Analysen von Unterrichtsvideos durchführt, stellt die Kontrollgruppe dar. Alle fünf Seminare werden zu Beginn und zum Ende des Semesters mit standardisierten u. a. videobasierten Messinstrumenten getestet. Hierzu gehört ein neu entwickelter erstmalig auf Klassenführung fokussierter Wissenstest (TCM-Wissenstest, König et al., 2024/Pre-Print), ein erprobtes und bereits mehrfach genutztes videobasiertes Instrument zur Erfassung der klassenführungsspezifischen situationsspezifischen Fähigkeiten der Wahrnehmung und Interpretation (CME; König, 2015) und eine Erweiterung dieses Instruments für den Bereich des Entscheidens (CME-Decide; Weyers et al., in Begutachtung). Ab dem darauffolgenden Semester ist stehen engen Qualitätskriterien hinsichtlich der Messung und des Studiendesigns im Fokus, hierzu gehören u.a. Merkmale wie die Randomisierung der Studierenden (vgl. Hill et al., 2021).

Ergebnisse

Im Vortrag werden erste Ergebnisse zur angenommenen Lernwirksamkeit in Klassenführungskompetenzen der Intervention präsentiert und Implementationsziele aufgezeigt und diskutiert. Erwartet werden Zuwächse im Wissen, für die Modell- und Anwendungsseminare im mittleren Bereich und für die situationsspezifischen Fähigkeiten für die Modellseminare im mittleren und für die Anwendungsseminare im kleinen Bereich.

 

Die Auswahl digitaler Lernmaterialien als Ansatz zur Bewertung der digitalen Kompetenz für die Beurteilung der Wirksamkeit von Lehrer:innenbildung

Peter Gonscherowski, Benjamin Rott
Universität zu Köln

Theoretischer Hintergrund

Digitale Kompetenzen sind für (angehende) Lehrer:innen wichtig, um Lernende zur aktiven Teilnahme an den zunehmend digitalen gesellschaftlichen Prozessen zu befähigen und um möglichen Bildungsungleichheiten mit dem Potenzial digitaler Technologien entgegenzuwirken. Aufgrund des großen Angebots an digitalem Lernmaterial (dLM) und digitaler Technologie (dT) hat die Fähigkeit, entsprechende Ressourcen auszuwählen, einen hohen Stellenwert für die Lehrer:innenbildung. Um den Erfolg der Vermittlungsprozesse bezüglich der Auswahlfähigkeit von angehenden Lehrer:innen – als Teil von digitalen Kompetenzen – zu messen, bedarf es objektiver, reliabler und valider Items und Instrumente.

Fragestellung

Wir gehen der Frage nach, wie das Konstrukt der Auswahlfähigkeit gemessen werden kann und geben erste Einblicke hinsichtlich der Validität des Konstrukts. Wir stellen vier offene und geschlossene Items zur Erfassung der Auswahlfähigkeit vor, die als Teil eines digitalen Kompetenzinstrumentes entwickelt wurden. In den Items für die Auswahlfähigkeit werden die Begründungen über den Einsatz oder Nicht-Einsatz von dLM bei der Unterrichtsplanung für eine zu definierende Schulstufe und Förderschwerpunkt (FSP) und Lerninhalt bewertet.

Methode

Theoretische Grundlage der entwickelten Items sind der europäische DigCompEdu (Redecker & Punie, 2017) und das TPACK-Modell (Mishra & Koehler, 2006), ergänzt um die anglo-amerikanischen Kernunterrichtspraktiken nach Grossman (2018) und das allgemeine Lehrerkompetenzmodell von Blömeke et al. (2015). Basierend auf der Konzeptualisierung wurde die Auswahlfähigkeit von dLM als situationsspezifische Entscheidung, die auf der Interpretation und Wahrnehmung von Kontextfaktoren beruht, im Modell nach Blömeke et al. (2015) verortet. Nach dem Modell von Blömeke et al. (2015) erfordert eine fundierte Begründung einer Entscheidung prädiziertes Wissen, insbesondere Wissen über den Lerninhalt, den ein dLM zu vermitteln beabsichtigt, und dessen Verortung in lokalen Lehrplänen (Mishra & Koehler, 2006).

Um das prädizierte Wissen zu bewerten, wird in einigen Items nach dem Verständnis der Lerninhalte, die ein dLM vermitteln soll, nach der Klassenstufe der Lernenden und nach eventuell vorhandenen sonderpädagogischen Bedürfnissen der Lernenden, für die das dLM eingesetzt werden soll, gefragt. Ebenso werden die Gründe, warum ein gegebenes dLM für die zuvor spezifizierte Lerngruppe und den Lerninhalt verwendet werden sollte oder nicht, in einem Item festgehalten. Für die Operationalisierung haben wir unter Berücksichtigung der Ergebnisse von Gonscherowski und Rott (2022) ein dLM für einen mathematischen Inhalt in einen größeren Onlinetest mit den Items eingebettet.

Ergebnisse

Die deskriptiven und inferenzstatischen Auswertungen der Daten des Onlinetests mit angehenden Mathematiklehrer:innen (n = 395) von je einer Universität in Deutschland und in Österreich haben gezeigt, dass die Items eine objektive Messung der Fähigkeit ermöglichen – Interrater-Übereinstimmung bei der Kodierung der offenen Items lag im nahezu perfekten Bereich. Die theoretische und unterrichtspraktische Konzeptualisierung des Ansatzes und der Items trägt zur Validität bei. Einfaktorielle ANOVAs zeigen, dass die Ergebnisse von der Anzahl der Studiensemestern und der angestrebten Schulstufe der angehenden Lehrkräfte statistisch signifikant abhängig waren. Eine Spearman-Korrelation zeigt eine statistische signifikante Abhängigkeit von prädiziertem Wissen und fundierter Argumentation auf. Die Berechnung von Cronbachs-Alpha der entwickelten Items zur Messung der Auswahlfähigkeit von dLM und identisch konzipierter und operationalisierter Items zur Messung der Auswahlfähigkeit von dT ergaben einen akzeptablen Wert und zeigen die Zuverlässigkeit der Messung an.

Diese empirischen Ergebnisse belegen, dass die Items geeignet sind, verschiedene Kompetenzniveaus zu differenzieren, und stimmen mit der weithin akzeptierten Vorstellung überein, dass Fähigkeiten von (prädiziertem) Wissen abhängen (Blömeke et al., 2015).

Zusammenfassend zeigen die Ergebnisse – trotz einiger Limitationen wie z. B., dass die empirischen Ergebnisse nur auf Daten von angehenden Mathematiklehrer:innen von nur zwei Universitäten beruhen, und zur Erfassung der Bewertung der Auswahlfähigkeit wurde nur ein dLM und nur eine Argumentation betrachtet –, dass das Konstrukt, die Fähigkeit zur Auswahl von dLM zu messen, eine neue und valide und reliable Möglichkeit für die Überprüfung der Wirksamkeit von Lehrer:innenbildung darstellt.

 

Die Fähigkeit zu Emotionsregulation sagt Stresserleben bei Lehrkräften an inklusiven Grundschulen in Nordrhein-Westfalen voraus

Hanna Rauterkus1, Thomas Hennemann1, Tobias Hagen1, Johanna Krull1, Jannik Nitz1, Katrin Eiben1, Pawel Kulawiak2, Leonie Verbeck1, Charlotte Hanisch1
1Universität zu Köln, 2Universität Potsdam

Theoretischer Hintergrund

Der Lehrer:innenberuf wird von vielen Lehrkräften als sehr befriedigend empfunden, aber er ist auch ein Beruf, der nach wie vor mit Gesundheitsrisiken verbunden ist. In Deutschland kommen psychische und psychosomatische Erkrankungen bei Lehrkräften häufiger vor als in anderen Berufen, ebenso wie unspezifische Beschwerden wie Erschöpfung, Müdigkeit, Kopfschmerzen und Verspannungen (Scheuch et al., 2015). Die Hauptgründe für Frühpensionierungen in Deutschland sind psychische und psychosomatische Erkrankungen, die zusammen 32-50 % der Fälle ausmachen (Scheuch et al., 2015). Eine aktuelle Übersichtsarbeit bestätigt, dass Stress, Burnout, Ängste und Depressionen bei Lehrkräften auch international ein Problem darstellen (Agyapong et al., 2022).

Neben der sehr hohen Relevanz für den einzelnen Lehrer oder die einzelne Lehrerin unterstreicht der Lehrkräftemangel in Deutschland die Notwendigkeit effektiver Präventionsmaßnahmen, um Lehrer:innen gesund und lange in ihrem Beruf zu halten. Die Teilgruppe mentale Gesundheit und Wellbeing bei Lehrkräften und Schüler:innen der Emerging Group an der Universität zu Köln untersucht Bedingungsfaktoren von psychischer Gesundheit und Wohlbefinden im Setting Schule, um hieraus Präventions- und Interventionsmaßnahmen für Erwachsene und Kinder und Jugendliche abzuleiten (Leidig et al., 2021; Hanisch et al., 2019). Auf Seiten der Lehrkräfte sollen diese langfristig zur Prävention von arbeitsbezogenen Belastungen und Burnout beitragen. Aus- und Weiterbildung von Lehrkräften sollte entsprechend neben kognitiven, auch affektiv-motivationale professionelle Kompetenzen steigern wie beispielsweise im Modell von Kaiser und König (2019) vorgesehen.

Bei Schüler:innen erhöhen psychischen Auffälligkeiten das Risiko für schulischen Misserfolg und weitere Gesundheitseinschränkungen, so dass eine schulische Stärkung von mentaler Gesundheit und Wellbeing für Kinder und Jugendliche sowohl der Gesundheitsförderung als auch der Sicherung von Bildungsteilhabe dienen kann (Nitz et al., 2023). Schüler:innen werden darüber hinaus von der mentalen Gesundheit ihrer Lehrkräfte beeinflusst: Hoher Lehrer:innenstress stellt insofern ein Risiko für Schüler:innen dar, als dass er mit einer geringeren Unterrichtsqualität und einem geringeren Lernerfolg verbunden ist (Klusmann, Richter & Lüdtke, 2016).

Negative emotionale Reaktionen auf externe Stressoren sind entscheidend für die Entwicklung von Lehrer:innenstress (Montgomery & Rupp, 2005). Daher kann emotionale Kompetenz, d.h. die Fähigkeit, eigene und fremde Emotionen wahrzunehmen und eigene Emotionen auszudrücken und zu regulieren, einen bedeutsamen Beitrag zum Erhaltung der psychischen Gesundheit von Lehrer:innen leisten. Eine hohe emotionale Kompetenz wird auch mit einem besseren Klassenklima, positiven Beziehungen und größerer emotional-sozialer Kompetenz bei den Schüler:innen in Verbindung gebracht (Valente et al., 2018, Schonert-Reichl, 2017). Die Förderung von emotionalen Kompetenzen könnte daher Stress bei Lehrkräften verringern und darüber die Unterrichtsqualität, die Beziehungen, das Klassenklima und den Lernfortschritt unterstützen.

Fragestellung

In unserer Untersuchung gehen wir daher auf der Basis des theoretischen Hintergrunds folgenden Fragen nach: Lässt sich aus der emotionalen Kompetenz bei Lehrkräften Belastungserleben vorhersagen? Welche Komponenten emotionaler Kompetenz sind für diesen Zusammenhang besonders relevant und sollten daher im Rahmen von Aus- und Weiterbildung von Lehrkräften besonders gestärkt werden?

Methode

Zu diesem Zweck wurden 265 Lehrkräfte an inklusiven Grundschulen in Nordrhein-Westfalen zu Stresserleben und zu emotionalen Kompetenzen befragt. Eingesetzt wurden die Irritationsskala (Mohr, Rigotti & Müller, 2007) und der Emotionale-Kompetenz-Fragebogen (EKF, Rindermann, 2009), der die oben angesprochenen Facetten emotionaler Kompetenz erfasst.

Die Befragung war Teil einer Interventionsstudie, die die Effekte des mehrstufigen, multimodalen und multiprofessionellen ‚multimo‘ Ansatzes (Hanisch et al., 2019) zur Prävention externalisierenden Problemverhaltens an inklusiven Grundschulen untersuchte.

Ergebnisse

Mehrstufige Regressionsanalysen zeigten, dass der wahrgenommene Stress durch die "Regulation und Kontrolle eigener Emotionen" (- 0,53 (std. B), p< .001), nicht aber durch die "Wahrnehmung eigener" und "fremder Emotionen" oder den "Ausdruck von Emotionen" vorhergesagt wurde. Die Fähigkeit zur Emotionsregulation kann somit als Schutzfaktor für die Gesundheit von Lehrern verstanden werden. Die Ergebnisse werden im Hinblick auf die Lehrer:innen Aus- und -weiterbildung diskutiert.



 
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