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Sitzungsübersicht
Sitzung
2-14: Von Vielfalt profitieren – Eine ganzheitliche Förderung von Schülerinnen und Schülern durch multiprofessionelle Kooperation gestalten
Zeit:
Montag, 18.03.2024:
13:10 - 14:50

Ort: H07

Hörsaal, 56 TN

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Präsentationen
Symposium

Von Vielfalt profitieren – Eine ganzheitliche Förderung von Schülerinnen und Schülern durch multiprofessionelle Kooperation gestalten

Chair(s): Monique Ratermann-Busse (Institut Arbeit und Qualifikation an der Universität Duisburg-Essen), Susanne Enssen (Institut Arbeit und Qualifikation an der Universität Duisburg-Essen), Philipp Hackstein (Institut Arbeit und Qualifikation an der Universität Duisburg-Essen)

Diskutant*in(nen): Nina Bremm (Friedrich-Alexander-Universität (FAU) Erlangen-Nürnberg)

Schulen in sozial deprivierter Lage liegen oft in Gebieten, die von „sozioökonomischen Polarisierungs- und Entmischungsprozessen“ (Bremm et al., 2016, 325) geprägt sind. Die Schulen kennzeichnen sich durch eine heterogene und sozial benachteiligte Schüler:innenschaft aus, deren Familien zumeist einen geringen sozioökonomischen Status haben. Gründe hierfür können bspw. ein niedriger Bildungsabschluss, Arbeitslosigkeit und der Empfang von Sozialhilfeleistungen sowie ein Migrationshintergrund und daraus resultierende Sprachbarrieren sein (Bremm et al., 2016; Enssen et al., i. V.).

Studien verweisen auf multiprofessionelle Kooperation, die sowohl innerschulisch als auch durch die Kooperation mit außerschulischen Partnern geprägt sein kann, als wichtige Gelingensbedingung für Schulen in herausfordernden Lagen zur Unterstützung von Schüler:innen mit heterogenen Bedarfen (Serke, 2022; van Ackeren et al., 2021; Fussangel & Richter, 2017). Dabei erfolgen Kooperationen mit außerschulischen Partnern sehr zweckorientiert und sind beispielsweise bei der Gestaltung von Ganztagsangeboten häufig interinstitutionell (Kielblock & Rinck, 2021, 2022) oder insbesondere bei der beruflichen Orientierung zusätzlich durch die Zusammenarbeit mit betrieblichen Akteuren geprägt (Bigos, 2020; Ratermann-Busse et al., 2022). Gleichzeitig sind Qualität und Wirkung von multiprofessioneller Kooperation ein Forschungsdesiderat (Hochfeld & Rothland, 2022). Im Schulalltag zeigt sich, dass multiprofessionelle Kooperation eine Herausforderung darstellt, ihr Gelingen nicht garantiert ist (Gräsel et al., 2006; Speck et al., 2011) und von multiplen Einfluss- und Bedingungsfaktoren abhängt (Hochfeld & Rothland, 2022).

Im Rahmen der Bund-Länder-Initiative „Schule macht stark“, an der bundesweit 200 Schulen in sozial deprivierter Lage teilnehmen, sollen Schul- und Unterrichtsentwicklungsprozesse gefördert und Bildungschancen von sozial benachteiligten Schüler:innen verbessert werden. Im Fokus steht dabei auch die Identifikation und Nutzbarkeit von Potenzialen des Sozialraums für multiprofessionelle Kooperationen im Rahmen einer kontextsensiblen Schulentwicklung. Wissenschafter:innen greifen hier zum einen auf bestehendes Wissen aus vorausgegangen Studien zurück und arbeiten zum anderen in einem ko-konstruktiven Prozess mit Schulen zusammen, um diese anhand ihrer individuellen Bedarfslagen zu unterstützen und gleichzeitig transferierbares Praxiswissen zu generieren. Vorliegende Erkenntnisse, die auf einer engen Zusammenarbeit mit Schulen in verschiedenen Werkstattformaten beruhen, zeigen, dass eine gelingende multiprofessionelle Kooperation eine ganzheitliche Perspektive auf die bedarfsorientierte Förderung von Schüler:innen im Übergangsprozess ermöglicht. Dabei führen transparente Strukturen und Prozesse sowie Zuständigkeiten zu einer effektiven Gestaltung des Schulalltags, wobei personelle und zeitliche Ressourcen sinnvoll eingesetzt werden können.

Im Symposium werden vier Beiträge (á 15 Minuten) vorgestellt, die gemeinsam die folgende übergeordnete Frage beantworten: Wie kann eine multiprofessionelle Kooperation gelingen, damit sie einen Mehrwert für eine bedarfsorientierte und kontextsensible Schulentwicklung mit dem Ziel der ganzheitlichen Förderung von Schüler:innen hat?

Beitrag 1 setzt sich mehrebenenanalytisch mit dem Zusammenhang von multiprofessioneller Kooperation, Angebotsqualität und benachteiligten Schüler:innen auseinander und fragt, welchen Einfluss diese auf das schulische Wohlbefinden hat.

Daran anknüpfend befasst sich Beitrag 2 mit multiprofessioneller Kooperation in Familienzentren im Primarbereich und der Frage, welche Strategien Grundschulen zur Gestaltung multiprofessioneller Kooperation nutzen, um ganzheitlich und ressourcenorientiert mit Familien zusammenzuarbeiten.

Das Bindeglied zwischen der Primar- und Sekundarstufe stellt Beitrag 3 dar, welcher den Blick auf Bedarfe, Chancen und Herausforderungen in der Kooperation zwischen Schule und außerschulischen Partnern richtet.

Abschließend behandelt Beitrag 4 die reflexiv und partizipative Gestaltung einer multiprofessionellen Kooperation für die Begleitung von Schüler:innen im Übergangsprozess von der Schule ins Erwachsenwerden, eine berufliche Ausbildung oder ein Studium.

Auf Basis qualitativer und quantitativer Forschung in den Projekten „StEG - Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen“, „Familienzentren im Primarbereich“ und „Schule macht stark“ soll entlang der Bildungskette eine multiperspektivische Betrachtung auf die Förderung von Schüler:innen durch multiprofessionelle Kooperation erfolgen und der Transfer von Erkenntnissen zur bedarfsorientierter und kontextsensibler Schulentwicklung in den Blick genommen werden.

Im Anschluss an die Beiträge folgt eine themenübergreifende Diskussion (ca. 30-40 Minuten) mit Beteiligung von Prof. Dr. Nina Bremm (FAU Erlangen-Nürnberg) als Diskutantin. Dabei werden die Ergebnisse mit Blick auf die übergreifende Frage reflektiert und ihre Transferpotenziale diskutiert.

 

Beiträge des Symposiums

 

Multiprofessionelle Kooperation, Angebotsqualität und das Wohlbefinden in der Schule. Mehrebenenanalysen zum Beitrag von multiprofessionellen Kooperationsstrukturen für Kinder in der Ganztagsschule

Amina Kielblock, Stephan Kielblock
DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation

Die Ergebnisse der PISA-Studie vor etwa zwei Jahrzehnten und deren Diskussion ebneten politisch den Weg, Ganztagsschulen flächendeckend in Deutschland einzuführen (Tillmann & Kuhn, 2015). Es wird angenommen Ganztagsschulen haben ein besonderes Potenzial, Schüler:innen – auch an Schulen in herausfordernden Lagen – individuell zu unterstützen (van Ackeren et al., 2021). Um dies umzusetzen, werden vielfältige multiprofessionelle und interinstitutionelle Kooperationen eingegangen (Kielblock, 2022). Auch mit Blick auf den ab 2026 gesetzlichen Anspruch auf ganztägige Förderung von Grundschulkindern ist die Qualität in der Grundschule wichtig (KMK, 2023). In diesem Beitrag wird der Blick auf die pädagogische Kooperation an Ganztagsgrundschulen gelenkt. Es wird untersucht, inwiefern diese mit der Angebotsqualität und mit dem Wohlbefinden der Schüler:innen zusammenhängt.

Das Wohlbefinden ist für ein positives Aufwachsen wichtig und ist zentrale Aufgabe der Schule (UNESCO, 2022), auch der Ganztagsschule (KMK, 2023). Forschungsbefunde zu Sekundarstufenschüler:innen I zeigen, dass eine hohe Angebotsqualität das Wohlbefinden stärkt (Fischer, Brümmer & Kuhn, 2011; Fischer & Theis, 2014). Eine Rolle bei der Angebotsqualität spielt u.a. die von den Schüler:innen eingeschätzte Beziehungsqualität. Hier ist bekannt, dass die Beziehungsqualität sich positiv auf das Sozialverhalten (Fischer, Kuhn & Züchner, 2011) sowie auf Schulerfolg-relevante Merkmale (Dohrmann, Brisson & Kielblock, 2021; Fischer, Brümmer & Kuhn, 2011; Kuhn & Fischer, 2011a) auswirkt. Dass die Qualität sich auf Schüler:innenmerkmale auswirkt, findet sich im Modell zur Schulwirksamkeit von Ganztagsschule (Holtappels, 2009). Diesem zufolge ist die Qualität der Ganztagsangebote von Merkmalen der Schulgestaltung abhängig, zu denen auch die multiprofessionelle Kooperation zählt. Von der Kooperation wird gemeinhin angenommen, dass sie vielfältige positive Effekte für die pädagogische Praxis bringen könnte (WHO, 2010). Diese Annahme ist theoretisch begründet, aber es fehlt an empirischer Evidenz (Hochfeld & Rothland, 2022; Kielblock & Rinck, 2021, 2022).

Deshalb wird im Vortrag untersucht, inwiefern die Angebotsqualität mit dem Wohlbefinden der Schüler:innen zusammenhängt (Frage 1a) und ob sich der Zusammenhang nach Schüler:innen- und Schul-Ebene unterscheidet (Frage 1b). Auf Schulebene wird der Zusammenhang der Kooperation mit der Angebotsqualität (Frage 2a) und dem Wohlbefinden (Frage 2b) analysiert. Ferner wird der Zusammenhang mit der zu Hause gesprochenen Sprache (als ein Teil-Indikator für soziale Benachteiligung, vgl. Schräpler & Forell, 2023) und dem Wohlbefinden untersucht (Frage 3a) und ob es Unterschiede zwischen der Schüler:innen- und Schul-Ebene gibt (Frage 3b). Dafür eine Sekundäranalyse der Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen (StEG; 2005–2011) vorgenommen. Ausgewertet wird der Primarschüler:innendatensatz von 2009 (3. Klasse, Substichprobe: Schüler:innen, mit Ganztagsteilnahme, n=1107) sowie der dazugehörige Schulleitungsdatensatz (n=75). Das Wohlbefinden wird mittels Schulzufriedenheit (5 Items) operationalisiert, die Angebotsqualität durch die Skala „Positive Wahrnehmung von Betreuerverhalten und Ganztagsangeboten“ (5 Items). Für die Einschätzung der multiprofessionellen Kooperation, werden die Antworten der Schulleitung herangezogen. Berechnet wird ein Mehrebenenpfadmodell, das auf Schüler:innenebene (Level 1) die Qualität und die zu Hause gesprochene Sprache auf das Wohlbefinden modelliert. Auf Schulebene (Level 2) wird zudem die Kooperation auf die Qualität sowie auf das schulische Wohlbefinden modelliert.

Die Mehrebenenanalysen ergeben ein kohärentes Bild: Zu Frage 1 zeigt die Analyse, dass die Qualität mit dem Wohlbefinden positiv zusammenhängt (Level 1: beta=.22***, Level 2: beta=.68***). Hinsichtlich Frage 2 zeigt sich: auf Schulebene hängt die Kooperation stärker mit der Qualität zusammen (beta=.34*) als mit dem Wohlbefinden (beta=.21*). Die zu Hause gesprochene Sprache hat auf Individualebene keinerlei Effekt, aber auf Schulebene: Schulen mit einem hohen Anteil an Schüler:innen, die zu Hause nicht Deutsch sprechen, haben gleichzeitig einen hohen Anteil von Schüler:innen, die sich nicht in der Schule wohlfühlen (beta=-.47*, Frage 3).

Die vorliegenden Analysen erweitern das Wissen um die multiprofessionelle Kooperation in Ganztagsgrundschulen: hier wurde die Kooperation erstmals u.a. mit der Qualität und den Schüler:innenoutcomes in Verbindung gebracht. Weitere Analysen sind geplant (bspw. den Einbezug weiterer Benachteiligungsmerkmale).

 

Multiprofessionelle Kooperation in Familienzentren im Primarbereich: Zusammenarbeit zwischen Grundschule und Familien ganzheitlich gestalten

Philipp Hackstein
Institut Arbeit und Qualifikation an der Universität Duisburg-Essen

Die Anforderungen an Grundschulen gehen weit über die Gestaltung des Unterrichts hinaus und umfassen Schulentwicklungsaufgaben zur Schaffung eines ganzheitlichen Lern- und Lebensorts für Kinder. Dazu gehören bspw. die Gestaltung eines adäquaten Ganztagsangebotes, die Öffnung zum Sozialraum, die Implementierung digitaler Bildungsinfrastruktur oder die Umsetzung von Inklusion (Brinkmann et al., 2021, S. 3). Diese komplexen Aufgaben sind insbesondere für Schulen in herausfordernden Lagen, die durch einen hohen Anteil an sozial benachteiligten Schüler:innen gekennzeichnet sind (van Ackeren et al., 2021, S. 20), anspruchsvoll. Zur Unterstützung dieser Schulen und zur Gestaltung eines ganzheitlichen Blicks auf die Entwicklung von Kindern sind neben Lehrkräften vermehrt weitere pädagogische und nicht-pädagogische (Fach)Kräfte in Schule vorzufinden. Mit einer steigenden Anzahl an beteiligten Professionen und der zunehmenden Ausdifferenzierung der Personalstruktur an Schulen (Hochfeld & Rothland, 2022, S. 455) werden Kompetenzen zur Kooperation wichtiger, da multiprofessionelle Strukturen eine zentrale Gelingensbedingung für einen ganzheitlichen Blick auf die Lern- und Entwicklungsprozesse von Kindern darstellen (Brinkmann et al., 2021, S.3).

Für die Gestaltung von Grundschulen als Lern- und Lebensort ist auch eine ressourcenorientierte Zusammenarbeit mit Familien von Bedeutung. Die Kooperation zwischen Schule und Familien verbessert Vertrauen und Wertschätzung innerhalb der Schulgemeinde, wirkt sich positiv auf Schule und Lehrkräfte aus und verbessert die Sozialkompetenz und Lernmotivation von Schüler:innen, was langfristig auch auf die Leistungsentwicklung begünstigen kann (Sacher, 2022, S. 21).

Ein Konzept für die Zusammenarbeit von Grundschule und Familien ist das „Familienzentrum im Primarbereich“ (FaPri), das insbesondere in Nordrhein-Westfalen gefördert wird (bspw. MSB, 2023). Ziel der FaPri ist die Verbesserung von Bildungschancen von Kindern und der Abbau von Herkunftseffekten durch die Stärkung der Bildungs- und Erziehungspartnerschaft (Born et al., 2019; Boudon, 1974). FaPri zeichnen sich durch Familien-, Sozialraum- und Kooperationsorientierung aus (Hackstein et al., 2023a, S. 106). Eine zentrale Gelingensbedingung für die Implementierung des Konzepts ist die Verknüpfung der schulischen Teilsysteme und die Etablierung multiprofessioneller Strukturen, um professionsübergreifend und „aus einer Hand“ mit Familien zusammenzuarbeiten (Hackstein et al., 2023b).

Im Rahmen des Beitrags wird deshalb folgende Fragestellung beantwortet: Welche Strategien zur Gestaltung multiprofessioneller Kooperation nutzen Grundschulen, um ganzheitlich und ressourcenorientiert mit Familien zusammenzuarbeiten?

Als Datengrundlage für den Beitrag dienen Fallstudien an elf FaPri in Nordrhein-Westfalen, die im Rahmen von zwei Projekten (ein regionales Fallstudienprojekt und „Schule macht stark“) durchgeführt wurden. Dabei werden zum einen leitfadengestützte Expert:inneninterviews (n=90) mit Schulleitungen (n=11), FaPri-Koordinator:innen (n=9), Schulsozialarbeiter:innen (n=9), Ganztagsleitungen (n=10), Ganztags-(Fach)Kräften (n=24) und Lehrkräften (n=27) auswertet. Zum anderen wurden an drei der elf Grundschulen ko-konstruktive Werkstätten durchgeführt. Hier haben Wissenschaft und Grundschulpraxis gemeinsam Strategien zur Gestaltung von multiprofessioneller Kooperation als Basis für die Zusammenarbeit mit Familien entwickelt, die in Form von transferierbaren Gestaltungsinstrumenten festgehalten wurden.

Im Symposiumsbeitrag werden Ergebnisse aus den Fallstudien sowie die ko-konstruktiv entwickelten Instrumente vorgestellt. Dabei werden Gelingensbedingungen und Herausforderungen identifiziert, die im Folgenden beispielhaft angeführt werden (siehe auch Hackstein, 2023b). Zur Etablierung von multiprofessioneller Kooperation ist die Gestaltung eines ganzheitlichen schulischen Selbstverständnisses und die Definition von Leitorientierungen (bspw. der „Blick auf’s Kind“ als gemeinsame Klammer) wichtig. Der Schulleitungsrolle kommt für diese Aufgabe als auch für die Initiierung und Steuerung von multiprofessionellen Teamstrukturen eine zentrale Bedeutung zu. Deutlich wird, dass Schulleitungen hier zum Teil im Kompetenzaufbau unterstützt werden müssen. Außerdem zeigt sich, dass der professionsübergreifende Austausch im schulischen Alltag gestaltet werden muss. Insbesondere bei additiven Ganztagskonzepten und vielen teilzeitbeschäftigten (Fach-)Kräften ist eine Institutionalisierung notwendig. Des weiteren sind eine Rollenklärung und -abgrenzung zwischen den (Fach)Kräften von Bedeutung, um bspw. niedrigschwellige Angebote und Zugänge für Familien gestalten zu können.

 

Bedarfe, Chancen und Herausforderungen außerschulischer Kooperationen bei Schulen in sozial deprivierten Lagen

Holger Bargel, Birgit Reißig
Deutsches Jugendinstitut

Die Kooperation von Schule mit außerschulischen Akteur:innen soll über ein breites Bildungsangebot dazu beitragen, Bildungs- und Lernprozesse zu verbessern. Dies trägt zugleich einem erweiterten Bildungsverständnis Rechnung, bei dem ein Zusammenwirken formaler, non-formaler und informeller Bildungsprozesse ermöglicht wird (StEG-Konsortium, 2019). Aus Forschungszusammenhängen gibt es Hinweise, dass Schüler:innen von Kooperationen profitieren, z.B. über eine bessere individuelle Förderung. Schulen können ihre Ressourcen effektiver nutzen und pädagogische Innovationen werden befördert (Jutzi, 2018). Gerade in benachteiligten Sozialräumen scheinen Kooperationen zwischen Schule und außerschulischen Partner:innen besonders relevant. Sozial herausfordernde Lagen stehen schon seit langem im Blickfeld von Forschung (u.a. Shaw & McKay, 1942; Häußermann & Siebel, 2004). Spätestens mit Beginn der PISA-Erhebungen ist der Zusammenhang von sozialer Ungleichheit und (schulischer) Bildung in das öffentliche Bewusstsein gerückt worden (Baumert, Stanat & Watermann, 2006; Prenzel et al., 2004). Als entscheidende Aspekte bei der Beschreibung herausfordernder Bedingungen werden ein niedriger ökonomischer Status, die ethnische Heterogenität sowie Mobilität identifiziert (Kunadt, 2010). Die betroffenen Schulen stehen vor dem Hintergrund der genannten Rahmenbedingungen vor großen Herausforderungen, denn sie müssen Kompensationsleistungen für Lerndefizite und fehlende außerschulische Unterstützungsleistungen ihrer Schüler:innen erbringen (Webs et al., 2018, S. 146).

Wir wollen im Beitrag der Frage nachgehen, welche Kooperationen bestehen und wie diese durch die Beteiligten an den Schulen eingeschätzt werden? Wo werden weitergehende Bedarfe bei der Ausgestaltung außerschulischer Kooperationen gesehen? Dabei sollen die Spezifika der Schulen aus sozial benachteiligten Gebieten herausgearbeitet werden. Mit welchen besonderen Bedarfen und Herausforderungen sind diese Schulen konfrontiert?

Die Daten dazu stammen aus einer Erhebung der 2021 gestarteten Bund-Länder-Initiative „Schule macht stark“. Zu Beginn des Projekts wurde an 200 beteiligten Schulen aus sozial deprivierten Lagen eine standardisierte Online-Ausgangserhebung durchgeführt, bei der die Schulleitungen, die Lehrkräfte und das weitere pädagogisch tätige Personal mit jeweils unterschiedlichen Fragebögen befragt wurde. An den Befragungen beteiligten sich 195 Schulleitungen, 2.923 Lehrkräfte und 787 Personen, die an den Schulen anderweitig pädagogisch tätig sind. Die aus den Befragungen generierten Daten wurden unter Nutzung der Methoden quantitativer Forschung ausgewertet. Darüber hinaus wurden an fünf Schulen Fallstudien erstellt. Dazu wurden standardisierte Interviews mit Schulleitungen sowie mit Lehrkräften und weiterem pädagogischen Personal geführt. Diese wurden anhand qualitativer Methoden untersucht.

Diese Ergebnisse der Erhebungen werden in Bezug zu Erkenntnissen der bisherigen Forschung gesetzt. Bestehende Forschungsergebnisse aus der Fachliteratur zeigen, dass die Kooperation von Schule mit außerschulischen Partner:innen fester Bestandteil an allen Schulformen ist. Rund drei Viertel kooperieren regelmäßig oder häufig mit Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe, Sportvereinen und anderen Grundschulen (Wendt et al., 2017).

Bei der Befragung der „SchuMaS-Schulen“ werden die Schulsozialarbeit, das Jugendamt/die Jugendpflege sowie die Polizei am häufigsten genannt. Die Verortung der Schulen in sozial schwierigen Lagen, wirkt sich offensichtlich auf die Wahl der Kooperationspartner:innen aus. Bei der Kooperation mit Jugendamt/Jugendpflege fällt auf, dass besonders viele Schulleitungen die Zusammenarbeit als nicht bedarfsgerecht beschreiben und eine Weiterentwicklung für nötig halten.

Aus den Interviews mit den Fallstudien wird zudem ersichtlich, mit welchen besonderen Herausforderungen Schulen in sozial benachteiligten Gebieten zu kämpfen haben. Die Schulen haben alle einen sehr hohen Anteil an Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Die Schulen leisten eine immense Integrationsarbeit und sind dabei auf Kooperationen angewiesen: von Migrant:innenvereinen über Sprachschulen bis zum Jugendamt (bspw. bei unbegleiteten, minderjährigen Flüchtlingen).

Schulen in sozial deprivierten Lagen haben zudem häufig mit einem schlechten Image zu kämpfen und beschreiben ihre Schüler:innen als „schwierig zu nehmen“. Dies erschwert die Suche nach geeigneten Kooperationspartner:innen. Für Sekundarschulen stellt sich in der Phase der Berufsorientierung beispielsweise das Problem, Praktikumsplätze für die Schüler:innen zu finden.

Die Ergebnisse verweisen einmal auf die Herausforderungen, mit denen Schulen zu kämpfen haben, zeigen aber auch Ansatzpunkte für den zielgerichteten Aufbau außerschulischer Kooperationen.

 

Multiprofessionelle Kooperation für die Übergangsbegleitung von Schülerinnen und Schülern partizipativ und reflexiv gestalten – Wie geht das?

Monique Ratermann-Busse, Susanne Enssen
Institut Arbeit und Qualifikation an der Universität Duisburg-Essen

Die Heterogenität der Schülerschaft insbesondere an Schulen in sozial schwierigen Lagen hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Schulen mit Sekundarstufe I etablieren vielfältige Angebote und Maßnahmen für Schüler:innen mit heterogenen Bildungsvoraussetzungen, um ihnen die Partizipation an gesellschaftlicher und beruflicher Teilhabe zu ermöglichen. Der Übergang von der Schule in eine Ausbildung ist aufgrund sich stetig wandelnder Kompetenzanforderungen in der Arbeitswelt mit zunehmenden Unsicherheiten verbunden (Mittermüller, 2020, S. 157f.). Die Übergangsbegleitung im Rahmen der Berufsorientierung wird damit zu einem Kernthema, wie auch verschiedene Programme von Bund und Ländern (z. B. BMBF et al., 2021) aufzeigen. Um dem damit verbundenen wachsenden Aufgabenspektrum im schulischen Alltag gerecht zu werden, setzen Schulen vermehrt auf die multiprofessionelle Zusammenarbeit von schulischen und außerschulischen Akteur:innen. Aktuelle Studien verdeutlichen, dass Schulleitungen ihre Schulen als „lokale Akteurin“ (Fichtner et al., 2022, S. 84) verstehen, wobei multiprofessionelle Kompetenzteams neue Ideen einbringen und durch ein geteiltes Bildungsverständnis eine an heterogenen Bedarfen orientierte Schulentwicklung mitgestalten. Mit Blick auf die Berufs- und Studienorientierung als definierte Querschnittsaufgabe von Schulen wird die Entwicklung und Etablierung multiprofessioneller Kompetenzteams zur umfassenden Koordinationsaufgabe, wobei Handlungspotenziale und Kompetenzen aller beteiligten schulischen und außerschulischen Akteur:innen mit unterschiedlichen Professionen zusammengeführt, zeitliche und materielle Ressourcen bereitgestellt, Strukturen für Abstimmungsprozesse geschaffen sowie Aufgaben und Funktionen der Beteiligten festgelegt werden müssen (Enssen & Ratermann-Busse, in Bearbeitung).

Fragen multiprofessioneller Kooperation werden aktuell in der Bund-Länder-Initiative „Schule macht stark“ behandelt. Im Projektkontext wurde ein Werkstattkonzept entwickelt, welches im ko-konstruktiven Austausch zwischen Wissenschaft und Bildungspraxis folgende Teilforschungsfragen in den Blick nimmt:

- Wie lassen sich auf der institutionellen Ebene Koordinations- und Kooperationsstrukturen für die multiprofessionelle Zusammenarbeit von schulischen und außerschulischen Akteur:innen im Rahmen der Übergangsbegleitung mit Schwerpunkt auf die Berufs- und Studienorientierung nachhaltig etablieren?

- Wie kann auf der interpersonellen Ebene eine multiprofessionell ausgerichtete Partizipations-, Feedback- und Kooperationskultur im Kollegium zur Stärkung der Berufs- und Studienorientierung von Schüler:innen mit heterogenen Bedarfen im Übergangsprozess als Querschnittsaufgabe gestärkt werden?

- Wie können mit Blick auf die individuelle Ebene schulische und außerschulische Akteur:innen Ihre eigene Rolle bei der Übergangsbegleitung identifizieren, transparent machen und reflektieren?

Zur Beantwortung der Fragen wurden in einem ersten Schritt unterschiedliche Perspektiven zu förderlichen sowie hinderlichen Strukturen und Prozessen für eine kooperative Übergangsbegleitung erfasst. In einem zweiten Schritt dienten die analysierten Ergebnisse dazu, im ko-konstruktiven Theorie-Praxis-Austausch bedarfs- und transferorientierte Instrumente und Arbeitshilfen für die Stärkung einer partizipativ und reflexiv angelegten multiprofessionellen Kooperation als Gelingensbedingung bei der Übergangsbegleitung zu entwickeln und diese im Rahmen von Workshops zu erproben.

Die Datengrundlage bilden leitfadengestützte Interviews an einer Oberschule und einer kooperativen Gesamtschule in Niedersachsen mit schulischen (n = 11) und außerschulischen Akteur:innen (n = 8) sowie teilnehmenden Beobachtungen an Berufs- und Studienorientierungsangeboten (n = 5) und ergänzende Schüler:innenbefragungen (n = 150).

Im Fallvergleich zeigt sich, dass schulische und außerschulische Akteur:innen als Promotor:innen auftreten (können), indem sie die Schüler:innen z. B. durch ihr Fachwissen oder ihre Netzwerkarbeit im Sozialraum im Übergangsprozess unterstützen (Niermann &Palmas, 2017). Allerdings benötigen die Schulen konzeptionelle Impulse für die Klärung von Aufgaben und Zuständigkeiten multiprofessioneller Akteur:innen, um Prozesse voranzutreiben und für das gesamte Kollegium transparent zu machen. Gleichzeitig zeigen sich konkrete Unterstützungsbedarfe der Schulen bei der Verankerung der Berufs- und Studienorientierung als Querschnittsaufgabe und dem damit verbundenen hohen Koordinationsaufwand, der nur durch eine optimale Ressourcenverteilung in multiprofessionellen Kompetenzteams bewältigt werden kann.

Der Beitrag beschäftigt sich damit, wie die gewonnenen Erkenntnisse mit der ko-konstruktiven Entwicklung von forschungsbasierten Gestaltungsmaterialien für die multiprofessionelle Kooperation im Kontext der Übergangsbegleitung sowie ihrer Implementation im Schulalltag verknüpft wurden. Darüber hinaus wird ein Lehrkonzept dargestellt, welches in Anlehnung an die Werkstatt entstanden ist, um den Wissenstransfer in die Lehre zu sichern und Lehramtsstudierende für die Relevanz einer kooperativen Übergangsbegleitung an Schulen in sozial deprivierter Lage zu sensibilisieren.



 
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