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Sitzungsübersicht
Sitzung
1-04: Ungleichheiten im lebenslangen Lernen und ihre Folgen: Längsschnittliche Erkenntnisse auf der Basis des Nationalen Bildungspanels
Zeit:
Montag, 18.03.2024:
10:30 - 12:10

Ort: H02

Hörsaal, 150 TN

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Präsentationen
Symposium

Ungleichheiten im lebenslangen Lernen und ihre Folgen: Längsschnittliche Erkenntnisse auf der Basis des Nationalen Bildungspanels

Chair(s): Corinna Kleinert (Leibniz-Institut für Bildungsverläufe (LIfBi) und Universität Bamberg), Steffen Schindler (Universität Bamberg)

Diskutant*in(nen): Sarah Widany (Deutsches Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW))

Heutige Wissensgesellschaften sind durch Prozesse des kontinuierlichen technologischen, ökonomischen und sozialen Wandels gekennzeichnet. Diese erfordern es, dass Menschen ihre Fähigkeiten fortwährend an veränderte Anforderungen anpassen (van Nieuwenhove und Wever 2021; Gorges, 2015). Lernprozessen nach der Schule und Erstausbildung kommt damit eine wachsende Relevanz zu. In der Realität ist das Lernen im Erwachsenenalter allerdings hochgradig sozial stratifiziert. Es partizipieren vor allem diejenigen, die sowieso schon bessere Voraussetzungen mitbringen (Kilpi-Jakonen et al. 2015). Vor diesem Hintergrund stellen sich zwei grundlegende Fragen: Wie universell sind diese sozialen Ungleichheiten im lebenslangen Lernen, das heißt, wie stark variieren sie über die Zeit und über unterschiedliche institutionelle Kontexte (Boeren et al. 2012)? Und welche Konsequenzen haben sie für die weiteren Lebensverläufe, Lebenschancen und Karrieren Erwachsener, aber auch für die Entwicklung gesamtgesellschaftlicher Ungleichheit? Antworten auf beide Fragen sind entscheidend, um die Relevanz sozial ungleicher Lernbeteiligung besser einordnen zu können und um zu verstehen, wo gesellschaftliche Anreize liegen könnten, diese zu verringern. Aufgrund der großen Heterogenität von Bildungsprozessen, Lernformen und Lernkontexten im Erwachsenenalter sind diese Fragen jedoch kaum universell zu beantworten (Kaufmann & Widany, 2013), und die Forschung dazu ist noch immer überschaubar.

Dies liegt vermutlich auch daran, dass man zu ihrer empirischen Bearbeitung reichhaltige Längsschnittdaten benötigt. In Deutschland stellt das Nationale Bildungspanel (NEPS) die einzige Datenquelle dar, die es erlaubt, heterogene Bildungsprozesse, -formen und -kontexte im Erwachsenenalter zu identifizieren, diese längerfristig bei den gleichen Personen zu beobachten und Einflüsse veränderter Gelegenheitsstrukturen sowie Erträge von lebenslangem Lernen zu analysieren. Daher versammelt dieses Symposium eine Diskussion und vier Beiträge aus unterschiedlichen disziplinären Perspektiven auf der Basis der Erwachsenenkohorte des NEPS (NEPS-SC6), die genuin längsschnittliche Fragestellungen im Kontext der Beteiligung an und der Erträge von Lernaktivitäten im Erwachsenenalter adressieren.

Die ersten zwei Beiträge nehmen die ungleiche Beteiligung an Lernprozessen im Erwachsenenalter in den Blick und untersuchen, welche Auswirkungen sich verändernde Gelegenheitsstrukturen darauf haben, die durch gesamtgesellschaftliche Krisen bedingt sind. Der erste Beitrag befasst sich mit Effekten von Konjunkturzyklen auf die individuelle Weiterbildungsbeteiligung. Dabei werden zwei Mechanismen beleuchtet, die die bisher vorliegenden widersprüchlichen Forschungsergebnisse dazu erklären können, nämlich die Rolle von Risikopräferenzen und Statuserwägungen. Außerdem werden unterschiedlich finanzierte Weiterbildungen unterschieden. Der zweite Beitrag befasst sich den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf die Entwicklung geschlechts- und familienspezifischer Ungleichheiten in der Teilnahme an berufsbezogener Weiterbildung. Er untersucht, welchen Einfluss Inzidenzraten, staatliche Beschränkungen und Veränderungen der Arbeitssituation auf die Weiterbildungsteilnahme von Frauen und Männern mit und ohne Kindern hatten.

Die beiden folgenden Beiträge beleuchten Erträge von Lernprozessen im Erwachsenenalter. Der dritte Beitrag befasst sich mit der Rolle von Weiterbildung für Personen, deren berufliche Karrieren vom technologischen Wandel betroffen sind. Hier wird erstens analysiert, ob berufliche Weiterbildung vor Arbeitsplatzverlust und anschließender Arbeitslosigkeit schützt, und zweitens, ob dabei länderspezifische Unterschiede zu beobachten sind. Konkret werden dazu Deutschland und Großbritannien verglichen, wofür Analysen auf Basis des Haushaltspanels Understanding Society durchgeführt wurden. Der vierte Beitrag befasst sich grundlegend mit sozialen Reproduktionsprozessen und fragt, inwieweit eine formale Höherqualifizierung dazu beitragen kann, dass sich der enge Zusammenhang von sozialer Herkunft und sozialer Platzierung im Erwachsenenalter im Laufe des Lebens noch verändert. Konkret wird untersucht, ob formale Bildungsaufstiege dazu beitragen, den Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Einkommen zu verändern. Dazu werden Daten der NEPS-SC6-ADIAB genutzt, in der das NEPS um administrative Daten angereichert wurde.

Zum Schluss werden alle vier Beiträge zusammenfassend diskutiert, insbesondere mit Blick auf interdisziplinäre Anschlüsse, künftige Forschungsbedarfe und Implikationen für Interventionen.

 

Beiträge des Symposiums

 

Die Rolle von Risikopräferenzen und Statuserwägungen bei der Vermittlung von Konjunktureffekten auf individuelle Weiterbildungsbeteiligung

Dominik Becker, Marion Thiele, Myriam Baum, Sandra Müller, Harald Pfeifer, Nele Tschöpe
Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB)

Konjunkturzyklen können das betriebliche Angebot an und die individuelle Nachfrage nach Weiterbildung beeinflussen (Dietz & Zwick, 2020). Dem aktuellen Forschungsstand lassen sich Inkonsistenzen konstatieren: Theoretisch könnten einerseits betriebliche Weiterbildungsinvestitionen rezessionsbedingt ansteigen, etwa durch geringere Opportunitätskosten (Brunello, 2009) oder ein geringeres Verlustrisiko von Fachkräften an konkurrierende Betriebe (Felstead & Green, 1996). Zudem könnten Rezessionen die betriebliche Übernahme neuer Technologien bestärken (Caballero & Hammour, 1994), somit betriebliche (Weiterbildungs-)Investitionen zur Deckung des resultierenden Fachkräftebedarfs befördern (Hershbein & Kahn, 2018). Andererseits könnten Rezessionen auch betriebliche Weiterbildungsinvestitionen verringern, etwa durch Einnahmeverluste bei gleichbleibenden Finanzbelastungen (Mason & Bishop, 2015) oder hohe Aus-/Weiterbildungskosten bei unklarer Ertragslage (Becker, 1962). Für Individuen verringern rückläufige betriebliche Weiterbildungsangebote die Weiterbildungschancen. Zudem verringern ggf. erhöhte relative Weiterbildungskosten bei niedrigeren verfügbaren finanziellen Ressourcen die Weiterbildungsteilnahmen. Dagegen könnten Individuen rezessionsbedingt freigesetzte Zeitressourcen – etwa bei Arbeitslosigkeit/Kurzarbeit – in ihre Weiterbildung investieren (Felstead et al., 2013), deren erwarteter Nutzen gleichzeitig zunehmen würde.

Der empirische Forschungsstand folgt diesen theoretischen Inkonsistenzen: Während die Studienlage mehrheitlich rezessionsbedingt geringere betriebliche Weiterbildungsinvestitionen nahelegt (Mason & Bishop, 2015; z.B. Popov, 2014), beobachteten andere Studien gegenläufige (Bassanini et al., 2007) oder keine Effekte (Felstead et al., 2012). Auch für die individuelle Weiterbildungsnachfrage wurden sowohl positive (Majumdar, 2007) als auch, häufiger, negative Konjunktureffekte beobachtet (Bassanini & Brunello, 2008; Dietz & Zwick, 2020; Sepulveda, 2004).

Wir adressieren zwei mögliche Gründe für diese Inkonsistenzen in bisherigen Studien: 1) heterogene Konjunktur- und Weiterbildungsmaße sowie 2) bislang ungenaue Messungen der den Konjunktureffekten zu Grunde liegenden Mechanismen. Ad 1) schätzen wir Konjunktureffekte für verschiedene Konjunkturmaße (z.B. jährliches BIP vs. monatlich/quartalsweise Arbeitslosenquoten auf regionaler/nationaler Ebene) auf die individuelle betrieblich- vs. individuell-finanzierte Weiterbildungsbeteiligung. Ad 2) untersuchen wir die Rolle individueller Risikopräferenzen (Dohmen et al., 2011) und Statuserwägungen (Breen & Goldthorpe, 1997) als potentielle Mediatoren vs. Moderatoren von Konjunktureffekten auf Weiterbildung.

Bewährt ist der Einfluss von Konjunktureffekten auf den Wandel individueller Risikopräferenzen (Guiso et al., 2018), zudem scheinen Risikopräferenzen individuelle Weiterbildungsinvestitionen zu bedingen (Caliendo et al., 2020) – dies spricht für Risikopräferenzen als Mediator von Konjunktureffekten auf Weiterbildung. Zur besseren Trennung investitionsbezogener und statusbezogener Vermittlungseffekte individueller Risikopräferenzen kontrollieren wir zudem individuelle Statuserwägungen. Wir vermuten, dass bei konstanten Statuspräferenzen Rezessionen zu höherer Risikoaversion und damit zu geringeren Weiterbildungsinvestition führen. Zur Herleitung von Moderationseffekten von Risikopräferenzen folgen wir der Idee von psychosozialen Traits als „Linse“, durch die Situationseinflüsse auf individuelles Handeln vermittelt werden (Huinink & Schröder, 2008). Konkret sollten bei konstanten Statuspräferenzen negative Konjunktureffekte auf individuelle Weiterbildungsinvestitionen für risikoaverse Individuen stärker wiegen.

Primäre Datenquelle ist die Erwachsenenstartkohorte des Nationalen Bildungspanels (NEPS-SC6; Blossfeld & Roßbach, 2019). Outcomes sind dichotome Indikatoren individuell vs. betrieblich-finanzierter non-formaler Weiterbildung. Da in NEPS-SC6 nur begrenzte Informationen über den jeweiligen Weiterbildungszeitpunkt vorliegen, spielen wir unter Rückgriff auf das Sozioökonomische Panel den für ausgewählte soziodemographische Hintergrundmerkmale geschätzten Weiterbildungsmonat mittels statistical matching (Alpman, 2016) an die jeweiligen „statistischen Zwillinge“ im NEPS. Auf Basis der imputierten Weiterbildungsmonate können extern vorliegende Konjunkturmerkmale monats- bzw. quartalsgenau ans NEPS angespielt werden. Risikopräferenzen wurden mittels subjektiver domänenübergreifender Risikobereitschaft (0=gering – 10=hoch) gemessen. Statuserwägungen liegen in Form von Einschätzungen des Weiterbildungsnutzens für Jobsicherheit/Statuserhalt sowie als subjektive Wichtigkeit von Jobsicherheit/Statuserhalt (jeweils 0=gering – 10=hoch) vor. Aufgrund der angenommenen Exogenität der Konjunkturindikatoren kontrollieren wir nur Bildung und Alter als wichtigste zeitvariante Kovariaten. Zeitinvariante Heterogenität wird mittels Fixed-Effects-Modellen aufgefangen.

Erste Ergebnisse zeigen antizyklische Konjunktureffekte auf betrieblich-finanzierte Weiterbildung und tendenziell prozyklische Konjunktureffekte auf individuell-finanzierte Weiterbildung, jedoch keine Befunde für eine mediierende Rolle von Risiko- und Statuspräferenzen. Der positive Zusammenhang zwischen subjektivem Weiterbildungsnutzen für den eigenen Statuserhalt und betrieblich-finanzierter Weiterbildungsteilnahme suggeriert für letztere ein vergleichsweise höheres Gewicht für den individuellen Statuserhalt. Als nächste Schritte werden wir die moderierende Rolle von Risikopräferenzen/Statuserwägungen sowie asymmetrische Konjunktureffekte zur Trennung von Auf- und Abschwungseffekten (Allison, 2019) untersuchen.

 

Geschlechterungleichheiten in der berufsbezogenen Weiterbildung während der Covid-19 Pandemie: längsschnittliche Evidenz aus Deutschland

Christina Haas1, Corinna Kleinert2, Gundula Zoch3
1Leibniz-Institut für Bildungsverläufe (LIfBi), 2Leibniz-Institut für Bildungsverläufe (LIfBi) und Universität Bamberg, 3Universität Oldenburg und Leibniz-Institut für Bildungsverläufe (LIfBi)

Von der COVID-19-Pandemie und ihren wirtschaftlichen und sozialen Folgen waren einige soziale Gruppen überproportional stark betroffen. Vor allem die Schließung von Kinderbetreuungseinrichtungen und Schulen führte zu einer Verstärkung der geschlechtstypischen Aufteilung unbezahlter Arbeit (z.B. Zoch et al. 2021), zu mehr Konflikten zwischen Beruf und Familie sowie zu einer Vergrößerung der geschlechtsspezifischen Unterschiede bei der Priorisierung von Arbeitsaufgaben und der Produktivität (z. B. Hipp & Konrad, 2022; Cui et al., 2021; Rusconi et al., 2020). Veränderungen in der Teilnahme an Bildungsprozessen während der Pandemie wurden jedoch erst selten untersucht (vgl. z.B. Kleinert & Zoch, 2023), und überhaupt nicht mit Blick auf Geschlechterungleichheiten. Aufbauend auf früheren Studien, die eine geringere Weiterbildungsbeteiligung von Frauen im Zuge der Mutterschaft konstatieren (Dämmrich et al. 2015; Zoch 2023), sowie auf den jüngsten Ergebnissen zu den geschlechtsspezifischen Auswirkungen von Covid-19 auf Beschäftigung und Familienleben untersuchen wir, wie sich die Pandemie auf geschlechts- und familienspezifische Unterschiede in der Beteiligung an berufsbezogener Weiterbildung ausgewirkt hat.

Wir nutzen dazu einen theoretischen Rahmen, der auf veränderten Gelegenheitsstrukturen, Ansätzen zeitlicher Verfügbarkeit und Überlegungen zu Geschlechterungleichheiten beruht (Becker, 2018; Diekhoff & Steiber, 2011; Massing & Gauly, 2017; Rüter & Martin, 2021). Grundsätzlich dürfte Covid-19 nichts an der intrinsischen Motivation verändert haben, sich weiterzubilden. Deutliche Veränderungen gab es jedoch in den Gelegenheitsstrukturen: Da Frauen häufiger als Männer in systemrelevanten Berufen arbeiten, waren sie während der Pandemie besonders belastet. Die Teilnahme an Weiterbildung dürfte in diesen Arbeitskontexten häufig wenig prioritär gewesen sein. Dies gilt auch für familiäre Kontexte, wo anzunehmen ist, dass Frauen und insbesondere Mütter aufgrund ihrer geringeren Verhandlungsmacht und traditionellen Rollenbildern stärkeren Zeitkonflikten ausgesetzt waren als ihre Partner. Diese Zeitkonflikte dürften in Zeiten und Regionen mit starken Corona-Beschränkungen und hohen Inzidenzen besonders ausgeprägt gewesen sein. Zusammenfassend nehmen wir folglich an, dass Frauen, insbesondere Mütter, anfälliger für staatliche Restriktionen und damit verbundene Konsequenzen waren als Männer, was sie dazu veranlasste, familiären und beruflichen Aufgaben Vorrang vor Weiterbildungsaktivitäten einzuräumen. Dies führte zu einer sinkenden Teilnahme während der COVID-19-Pandemie.

Unsere Studie verwendet Paneldaten aus Deutschland (NEPS-SC6, N=9.078), die Informationen über berufsbezogene nonformale Bildung zwei Jahre vor der Pandemie (2018/19) und zwei Jahre nach Ausbruch der Pandemie (2020/21) enthalten. Zusätzlich wurden regionale Daten zu täglichen COVID-19-Inzidenzraten und staatlichen Beschränkungen auf Kreisebene (INFAS 360) einbezogen. Auf der Grundlage zeitlicher und regionaler Variation im Weiterbildungsangebot, in pandemiebedingten Einschränkungen sowie den Inzidenzraten wurden lineare Wahrscheinlichkeitsmodelle mit individuellen fixen Effekten geschätzt, um Veränderungen der Beteiligung an beruflich motivierter Weiterbildung zu erklären.

Deskriptive Ergebnisse zeigen einen signifikanten Rückgang der Weiterbildungsbeteiligung bei allen Geschlechtern, mit oder ohne Kinder, im ersten Jahr der Pandemie (2020), wobei der Rückgang bei Männern stärker ausfällt als bei Frauen. Vorläufige Ergebnisse linearer Wahrscheinlichkeitsmodelle mit fixen Effekten bestätigen einen deutlichen negativen Effekt während des ersten Pandemiejahres, insbesondere für Frauen mit und ohne Kinder sowie für kinderlose Männer. Diese Rückgänge lassen sich in erster Linie auf regionale Infektionsraten und Veränderungen der Gelegenheitsstrukturen am Arbeitsplatz zurückführen. Interessanterweise deuten die Ergebnisse auf eine robustere Erholung in der Gruppe der Eltern, insbesondere bei Frauen, im Jahr 2021 hin. Im Vergleich dazu weisen kinderlose Erwachsene auch im zweiten Pandemiejahr eine geringere Weiterbildungsbeteiligung auf als vor der Pandemie. Dies deutet darauf hin, dass Kinder das berufliche Lernen über die regionale COVID-19-Dynamik hinaus nicht wesentlich stärker beeinträchtigt haben als pandemiebedingte Veränderungen der Angebotsseite von Weiterbildungen. Zusammenfassend lässt sich schlussfolgern, dass die bisherigen Ergebnisse zwar signifikante Verschiebungen in der berufsbezogenen Weiterbildungsbeteiligung während der COVID-19-Pandemie aufzeigen, diese jedoch nicht mit einer wesentlich stärkeren Benachteiligung von Frauen oder Eltern einhergehen.

 

Stabilisiert Weiterbildung Karrieren, die vom technologischen Wandel betroffen sind? Ergebnisse aus Deutschland und Großbritannien

Martin Ehlert1, Misun Lim2
1Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung und Freie Universität Berlin, 2Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung

Die Weiterbildung erwachsener Arbeitnehmer ist eine der wichtigsten Prioritäten der politischen Entscheidungsträger, um den negativen sozialen Folgen des technologischen Wandels entgegenzuwirken (OECD 2019). Um beschäftigungsfähig zu bleiben, müssen Arbeitnehmer durch Weiterbildung neue Kompetenzen erwerben. In dieser Studie wollen wir zwei miteinander verbundene Forschungsfragen beantworten: Erstens: Hilft Weiterbildung Arbeitnehmern, ihren Arbeitsplatz zu behalten oder zu einem neuen Arbeitsplatz zu wechseln, wenn ihr derzeitiger Arbeitsplatz von Automatisierung bedroht ist? Zweitens: Moderieren länderspezifische Institutionen die Auswirkungen von Weiterbildung auf die Arbeitsplatzmobilität gefährdeter Arbeitnehmer?

Nach der Humankapitaltheorie (Becker 1975) führen Investitionen in Weiterbildung zu höheren Qualifikationen. Die Teilnahme an Weiterbildungsmaßnahmen sollte es den Arbeitnehmern daher im Allgemeinen ermöglichen, mit den technischen und sozialen Veränderungen am Arbeitsplatz Schritt zu halten oder einfach ihr Wissen auf den neuesten Stand zu bringen. Dies dürfte insbesondere für Beschäftigte in Berufen relevant sein, die durch Automatisierung ersetzt werden könnten. Berücksichtigt man jedoch auch die Personalpolitik der Unternehmen und die Transaktionskosten, so ergeben sich andere Vorhersagen für die Arbeitsplatzmobilität. Die meisten Kurzausbildungen werden von den Unternehmen bezahlt (Cedefop 2015). Die Bereitstellung von Weiterbildungsangeboten stellt somit einen Kostenfaktor für die Unternehmen dar, der gemäß Transaktionskostentheorien ihr Verhalten beeinflusst (Williamson 1985; Wotschack 2020). Folgt man dieser Argumentation, würden Übergänge in neue Beschäftigungsverhältnisse nach der Weiterbildung vor allem innerhalb des Unternehmens stattfinden. Wir gehen davon aus, dass dies für Beschäftigte in schrumpfenden Berufen von größerer Bedeutung ist, da sie wahrscheinlich häufiger Weiterbildungsmaßnahmen nutzen, um neue Qualifikationen für neue Tätigkeiten zu erwerben.

Darüber hinaus erwarten wir Unterschiede zwischen Großbritannien und Deutschland. In Deutschland sind die beruflichen Veränderungen im Laufe des Erwerbslebens vergleichsweise geringer als in Großbritannien, was vermutlich auf die starke Fokussierung auf berufliche Fähigkeiten in der Erstausbildung (Allmendinger und Hinz 1998; Manzoni, Härkönen und Mayer 2014) und in den Arbeitsmarktinstitutionen (Dustmann und Pereira 2008; Hall und Soskice 2001) zurückzuführen ist. Zudem erfordern viele Berufe in Deutschland bestimmte formale Bildungsabschlüsse, insbesondere auf der mittleren Qualifikationsebene (Bol und Weeden 2015; Vicari und Unger 2020). Daher ist es unwahrscheinlich, dass kurze Weiterbildungsmaßnahmen, die fast nie zu einem Wechsel des formalen Qualifikationsniveaus führen, in Deutschland zu einem Wechsel zwischen Berufen führen. Im Vereinigten Königreich hingegen werden berufliche Qualifikationen häufiger "on the job" erworben. Außerdem gibt es einen höheren Anteil von Beschäftigten in Berufen, die keine formale Qualifikation erfordern (Bol und Weeden 2015).

Zur Beantwortung unserer Forschungsfragen greifen wir auf hochwertige Paneldaten aus Deutschland und Großbritannien zurück - das deutsche Nationale Bildungspanel (NEPS) und Understanding Society - The UK Household Longitudinal Study (UKHLS). Darüber hinaus verwenden wir ein neuartiges Maß für das Automatisierungsrisiko, das auf der Wahrnehmung von Personalfachleuten in Europa basiert. Für die Analysen benutzen wir multivariate Event-History Modelle.

Das Hauptergebnis unserer Analyse ist, dass berufliche Weiterbildung Arbeitslosigkeit verhindert (vgl. Dieckhoff, 2007; Ebner & Ehlert, 2018; McMullin & Kilpi-Jakonen, 2014). Dies ist insbesondere bei Arbeitnehmern mit hohem Automatisierungsrisiko der Fall, sowohl in Deutschland als auch im Vereinigten Königreich. Dies steht im Einklang mit unserer auf der Humankapitaltheorie basierenden Vorhersage, dass kurze Weiterbildungsmaßnahmen neue Fähigkeiten vermitteln und dass Arbeitnehmer mit hohem Automatisierungsrisiko am meisten davon profitieren, da sie eine höhere Nachfrage nach Fähigkeiten haben. Infolgedessen sind gefährdete Arbeitnehmer, die nicht an Weiterbildungsmaßnahmen teilnehmen, in beiden Ländern mit einer etwas höheren Beschäftigungsinstabilität konfrontiert. Trotz dieser Ähnlichkeiten haben wir deutliche länderübergreifende Unterschiede im Zusammenhang zwischen Ausbildung und beruflicher Mobilität festgestellt: Während Weiterbildung im Vereinigten Königreich den Arbeitsplatzwechsel zu fördern scheint, insbesondere bei Personen, die einem hohen Automatisierungsrisiko ausgesetzt sind, finden wir in Deutschland einen deutlich schwächeren Zusammenhang.

 

Formale Höherqualifizierung und soziale Ungleichheit auf gesamtgesellschaftlicher Ebene

Anja Grauenhorst, Steffen Schindler
Universität Bamberg

Weiterbildung und lebenslanges Lernen haben in den letzten Jahrzehnten zunehmend an Bedeutung gewonnen. Ihnen kommt zudem eine besondere Relevanz zu, um aktuellen Herausforderungen, wie z.B. veränderten Qualifikationsanforderungen aufgrund des strukturellen und technologischen Wandels oder Fachkräftemangel in bestimmten Branchen, zu begegnen. Andererseits wirft die zunehmende Bedeutung von Weiterbildung auch neue Fragen im Zusammenhang mit sozialer Ungleichheit und Mobilität auf. Da Bildung die zentrale vermittelnde Variable des Zusammenhangs zwischen sozialer Herkunft und sozialer Platzierung ist (Goldthorpe 2014), könnte eine sozial selektive Beteiligung an Weiterbildung diesen Zusammenhang im Lebensverlauf verändern.

In diesem Beitrag wird eine bestimmte Form der Weiterbildung untersucht: formale Höherqualifizierung nach dem Eintritt in den Arbeitsmarkt. Die Frage ist, ob und wie sich der Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Arbeitslohn auf gesamtgesellschaftlicher Ebene durch diese Form der Weiterbildung verändert. Der Beitrag ist eine Replikation der Studie von Virdia und Schindler (2019), die zeigen, dass formale Höherqualifizierung die Stärke des Zusammenhangs zwischen sozialer Herkunft und sozialem Status nicht verändert. In dieser Studie wurde der soziale Status anhand des Internationalen sozioökonomischen Index des beruflichen Status (ISEI) analysiert. Dies hat zur Folge, dass Effekte der Weiterbildung lediglich im Zusammenhang mit Berufswechseln identifiziert werden können. Vor dem Hintergrund, dass das Ausmaß beruflicher Mobilität im Lebensverlauf in Deutschland eher gering ist (Hillmert 2011; Mayer, Grunow, Nitsche 2010), könnte das Ergebnis der Studie durch die Wahl des gewählten Indikators der Arbeitsmarkterträge beeinflusst sein. Daher erscheint als alternativer zu analysierender Arbeitsmarktertrag der Arbeitslohn besonders interessant, da dieser im individuellen Erwerbsverlauf auch innerhalb der gleichen Berufstätigkeit variieren kann. Wir folgen daher dem Vorschlag von Virdia und Schindler (2019) und betrachten den Arbeitslohn anstelle des ISEI.

Nach Virdia und Schindler (2019) beeinflussen vor allem drei Faktoren das Niveau sozialer Ungleichheit auf gesamtgesellschaftlicher Ebene. Erstens unterscheiden sich die Wahrscheinlichkeiten verschiedener sozialer Herkunftsgruppen im Erwerbsverlauf, nach dem Eintritt in den Arbeitsmarkt, eine formale Höherqualifizierung zu absolvieren. Dies ist vor allem auf Unterschiede in den Ausgangsqualifikationen und Arbeitsmarktpositionen zurückzuführen. Zweitens unterscheidet sich aufgrund der Unterschiede in den Ausgangspositionen die Qualität der Höherqualifizierung zwischen den unterschiedlichen zu analysierenden Gruppen. Hier ist die überbrückte Distanz zwischen anfänglich und neu erworbenem Bildungsabschluss und die damit verbundene Einkommensprämie von Bedeutung. Drittens sind die absoluten Gruppengrößen der sozialen Herkunftsgruppen von Bedeutung: So kann eine geringe Höherqualifizierungswahrscheinlichkeit einer großen Gruppe einen größeren Einfluss auf die gesamtgesellschaftliche Ungleichheit haben als eine hohe Wahrscheinlichkeit einer kleinen Gruppe. Vom Zusammenspiel dieser drei Faktoren hängt es ab, ob Höherqualifizierung im Lebensverlauf insgesamt zu einer Verringerung oder Verstärkung des Zusammenhangs zwischen sozialer Herkunft und dem Arbeitslohn führt.

Für die Analysen nutzen wir die NEPS-SC6-ADIAB-Daten, bestehend aus Befragungsdaten der Startkohorte Erwachsene des Nationalen Bildungspanels und administrativen Daten, aus den Meldungen zur Sozialversicherung, die Teil der Integrierten Erwerbsbiografien (IEB) des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) sind (Bachbauer, Wolf 2022). Wir stellen die Entwicklung des Zusammenhangs zwischen sozialer Herkunft und Arbeitslohn im Erwerbsverlauf anhand von Wachstumskurvenmodellen und Dekompositionsanalysen dar. Der individuelle Arbeitslohn (brutto) ist die zentrale abhängige Variable. Indikator für die soziale Herkunft ist die EGP-Klasse der Eltern (Erikson 1984).

Unsere Ergebnisse zeigen, dass eine ungleichheitsverstärkende Wirkung von formaler Höherqualifizierung im Erwerbsverlauf nicht zu erkennen ist. Man kann die Ergebnisse vorsichtig als Hinweis darauf interpretieren, dass, wenn formale Höherqualifizierung nach dem Arbeitsmarkteintritt in den letzten Jahrzehnten überhaupt einen Effekt auf die soziale Ungleichheit auf gesamtgesellschaftlicher Ebene hatte, dann wahrscheinlich bestenfalls einen geringen mildernden Effekt.



 
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