Symposium
Wie kann der Transfer sprachbildender Maßnahmen und Konzepte gelingen?
Chair(s): Kathrin Hippmann (Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache, Universität zu Köln)
Discussant(s): Natalie Förster (Bergische Universität Wuppertal)
In einer Vielzahl wissenschaftlicher Untersuchungen wurde die Wirksamkeit von Maßnahmen und Konzepten zur Förderung (schrift-)sprachlicher Fähigkeiten belegt (z. B. Schneider, 2019). Die Übertragung und Umsetzung evidenzbasierter Innovationen in die schulische Praxis erweist sich jedoch häufig als problematisch und geht meist mit verringerten messbaren Effekten auf die angesprochenen Kompetenzen der Schüler:innen einher (ebd.; Dignath & Büttner, 2008). Wie der Transfer von wissenschaftlich evaluierten Maßnahmen und Konzepten so gelingt, dass ihre Wirksamkeit auch im schulischen Alltag erhalten bleibt, und wie Lehrkräfte darin unterstützt werden können, diese langfristig in der Praxis zu implementieren, bedarf weiterer Forschung (Souvignier & Philipp, 2016).
Hier setzt das Forschungsnetzwerk BiSS-Transfer an, um Erkenntnisse darüber zu gewinnen, wie wissenschaftlich evaluierte sprachbildende Maßnahmen und Konzepte unter Anwendung eines Multiplikationsansatzes effektiv und erfolgreich in die Praxis transferiert werden können. Die Vorhaben des Forschungsnetzwerks fokussieren verschiedene (schrift-)sprachfördernde Maßnahmen und Konzepte sowohl für die Primar- als auch die Sekundarstufe. Dabei wird die gesamte Wirkungskette von der Qualifizierung von Multiplikator:innen über die Fortbildung von Lehrkräften und die Umsetzung der Maßnahmen im Unterricht bis hin zur Erfassung der Wirksamkeit auf die angezielten Kompetenzen der Schüler:innen untersucht.
Die Fortbildung von Lehrkräften bietet das Potenzial, wissenschaftlich erprobte Konzepte für eine nachhaltige Schul- und Unterrichtsentwicklung zu nutzen (Gräsel, 2010). Durch Fortbildungen sollen den Lehrkräften das grundlegende Wissen sowie eine positive Einstellung zur Umsetzung der Innovation vermittelt und dadurch Veränderungen im professionellen Handeln erzielt werden. Allerdings sind eine Vielzahl von Faktoren zu beachten, die sich auf den Fortbildungs- bzw. auf den Transfererfolg auswirken können. Zur systematischen Untersuchung des Erfolgs von Lehrkräftefortbildungen und den Faktoren, die diesen beeinflussen, kann das Angebots-Nutzungs-Modell von Lipowsky (2011) herangezogen werden. Der Transfererfolg wird in diesem Modell auf verschiedenen Ebenen betrachtet. Auf der ersten Ebene wird die direkte Reaktion der Lehrkräfte auf die Fortbildung betrachtet (z. B. die Zufriedenheit), aber auch transferrelevante Einstellungen. Die nächste Ebene bezieht sich auf das erworbene Wissen sowie auf Veränderungen von Überzeugungen und Einstellungen. Daran schließen sich Veränderungen des professionellen Handelns bzw. eine verbesserte Unterrichtsqualität an. Schließlich werden auf der letzten Ebene messbare Veränderungen wie bspw. Kompetenzsteigerungen bei den Schüler:innen erfasst.
Die im Symposium vorgestellten Beiträge aus den Vorhaben des Forschungsnetzwerks BiSS-Transfer beleuchten den fortbildungsbasierten Transfererfolg auf unterschiedlichen Ebenen und widmen sich der Frage, wodurch dieser gehemmt oder gestützt wird. Als transferrelevante Einstellungen betrachten alle Beiträge unter anderem die Akzeptanz als grundlegende Zufriedenheit mit der Innovation sowie die Machbarkeit als wahrgenommene Umsetzbarkeit einer Innovation in Schule und Unterricht (Meudt et al., 2020).
Der erste Beitrag untersucht Rahmenbedingungen, sowie Merkmale von Multiplikator:innen und Qualifizierungen auf ihre Relevanz für die transferrelevanten Variablen Akzeptanz und Machbarkeit.
Der zweite Beitrag untersucht Effekte einer Fortbildung zur datenbasierten Unterrichtsentwicklung im Kompetenzbereich Lesen auf die Zufriedenheit sowie transferrelevante Einstellungen der fortgebildeten Lehrkräfte und vergleicht zwei Bedingungen: a) Fortbildung durch Expert:innen und b) durch Multiplikator:innen.
Der dritte Beitrag betrachtet die Umsetzung einer systematischen Schreibförderung und untersucht die Veränderung von Variablen, die potenziell Einfluss auf einen gelungenen Transfer nehmen. Hierbei werden das schreibbezogene Unterrichtshandeln und die schreibbezogenen Überzeugungen von Lehrkräften vor und nach der Implementation analysiert.
Der vierte Beitrag fokussiert die Entwicklung der Veränderungen implementationsrelevanter Variablen im Verlauf des Transferprozesses auf der Lehrkräfteebene während der Implementation einer Leseintervention und leitet daraus Empfehlungen für die Unterstützung von Lehrkräften bei der nachhaltigen Verankerung von Innovationen in die Praxis ab.
Der fünfte Beitrag untersucht die Kompetenzentwicklung von Lehrkräften durch eine Fortbildung zum sprachbildenden Mathematikunterricht sowie den Einfluss systemischer Faktoren und der wahrgenommenen Eignung des Förderkonzepts für die Praxis auf dessen Akzeptanz und eingeschätzte Machbarkeit.
Die Beiträge des Symposiums liefern Erkenntnisse zu Gelingensbedingungen des erfolgreichen Transfers von Maßnahmen und Konzepten zur Sprachbildung. Sie werden abschließend mit Blick auf forschungs- und praxisrelevante Aspekte diskutiert.
Presentations of the Symposium
Prädiktoren für den Transfererfolg von Qualifizierungen für Multiplikator:innen in der sprachlichen Bildung
Antonia Schmidt, Sonja Sieger, Cedric Lawida, Hans-Joachim Roth Universität zu Köln
In BiSS-Transfer werden Multiplikator:innen in einem Blended Learning-Format zu Maßnahmen und Konzepten der sprachlichen Bildung qualifiziert, um anschließend die entsprechenden Inhalte in Lehrkräftefortbildungen zu vermitteln. Dieser Multiplikationsansatz gilt als effektiv und ressourcenschonend um Fortbildungsinhalte aus der Wissenschaft an Lehrkräfte weiterzugeben (Behr, Leidig, Krull, Spilles & Hennemann, 2021). Allerdings gelten Erkenntnisse über die Merkmale von Fortbildner:innen bzw. Multiplikator:innen im Rahmen von Fortbildungen für Lehrkräfte als Forschungsdesiderate (Lipowsky, 2019). Für die Einschätzung zum Erfolg von Fortbildungen, im Hinblick auf den Transfer von Innovationen in Schulen, sind Akzeptanz und Machbarkeit transferrelevante Konstrukte (Meudt, Zeuch, Neuber & Souvignier, 2020). Der Beitrag fokussiert daher, ob Rahmenbedingungen, Merkmale der Multiplikator:innen und ihre Evaluation der Qualifizierung die Akzeptanz und antizipierte Machbarkeit der Maßnahmen vorhersagen können.
An den relevanten Erhebungen haben 49 Multiplikator:innen teilgenommen, die überwiegend weiblich (84%) waren und ein Durchschnittsalter von 45.43 Jahren hatten (SD=8.01). Als Merkmale der Multiplikator:innen wurden die beruflichen Qualifikationen dieser Gruppe einbezogen (Lipowsky, 2019). Hierzu wurde betrachtet, ob die Multiplikator:innen zum Zeitpunkt der Qualifizierung als Lehrkräfte tätig waren und wieviel Erfahrungen sie in Bereichen der Fort- und Weiterbildung von Erwachsenen hatten (Methodik und Didaktik, Begleitung/Coaching, Blended-Learning) (3 Items, α=.798). Unter Rahmenbedingungen wurde erfasst, ob sie noch weitere Fortbildungen parallel gaben, ob sie eigeninitiativ teilgenommen haben und wie viel Selbstgestaltungsspielraum sie bei der Bearbeitung der Qualifizierungsinhalte empfunden haben. Die Evaluation wurden mit zwei Skalen erfasst: (1) Zusammenfassenden Bewertung der Qualifizierung (3 Items, α=.787). Die Multiplikator:innen schätzten hier ein, ob ihre Erwartungen an die Qualifizierung erfüllt wurden, ob sie erneut teilnehmen und sie weiterempfehlen würden. (2) Wahrgenommener Praxisbezug (2 Items, α=.748), der die Praxisrelevanz der Inhalte und der Didaktik in der Qualifizierung abfragte. Die abhängigen Variablen wurden durch die Skalen Akzeptanz (10 Items, α=.892) und Machbarkeit (7 Items, α=.844) erhoben (Meudt et al., 2020).
Multiple Regressionsanalysen zeigen, dass ein Modell, in das die drei oben genannten Variablen zu den Rahmenbedingungen als Prädiktoren eingeflossen sind 27,9% der Varianz in der Machbarkeit aufklären kann (p=.009). Als unabhängiger Prädiktor stellte sich die Durchführung paralleler Fortbildungen heraus (β=-.64, p=.012). Merkmale der Multiplikator:innen und Evaluationen der Qualifizierung haben keine signifikanten Modelle mit Machbarkeit ergeben. Ein Modell, in das die zwei Skalen zur Evaluation als Prädikatoren eingeflossen sind, zeigt, dass dieses 26,6% der Streuung in den Akzeptanz-Bewertungen erklären kann (p=.004). Als unabhängiger Prädikator konnte die zusammenfassende Bewertung die Akzeptanz am besten vorhersagen (ß=.41, p=.008). Hier haben Rahmenbedingungen und Merkmale der Multiplikator:innen keine signifikante Vorhersagekraft. Merkmale der Multiplikator:innen können in Regressionsmodellen weder Machbarkeit noch Akzeptanz signifikant vorhersagen.
Es wird also deutlich, dass besonders veränderbare Faktoren eine Rolle für die transferrelvanten Einstellungen der Multiplikator:innen spielen, während fixe Merkmale hier keine Effekte zeigen. Hinsichtlich der Machbarkeit sollte bei der Planung von Qualifizierungsmaßnahmen und der Akquise von Multiplikator:innen darauf geachtet werden, dass diese eigeninitiativ teilnehmen, genug Selbstgestaltungsfreiraum bekommen und vor allem nicht zu sehr durch parallele Tätigkeiten ausgelastet sind. Für die Akzeptanz der Maßnahme hingegen ist es wichtig, dass die Qualifizierung einen Praxisbezug herstellt und besonders, dass die Multiplikator:innen diese zusammenfassend positiv bewerten, dies äußert sich darin, dass ihre Erwartungen erfüllt sind, sie erneut teilnehmen und die Qualifizierung weiterempfehlen würden. Hingegen scheint es in dieser Stichprobe für die transferrelevanten Einstellungen keine Rolle zu spielen, ob Multiplikator:innen selbst Lehrkräfte sind oder Vorerfahrungen in verschiedenen Bereichen der Fort- und Weiterbildungen haben. Es zeigt sich, dass es trotz der Betonung der Wichtigkeit von Merkmalen der Multiplikator:innen (Lipowsky, 2019), schwierig ist, relevante Merkmale herauszukristallisieren. Dieses Problem besteht auch weiter, wenn Merkmale der Multiplikator:innen in ihrer Wirkung auf Lehrkräfteeinstellungen untersucht werden (Hagena, Bruns & Gasteiger, 2022; Rzejak & Lipowsky, 2019). Dies soll im weiteren Projektverlauf betrachtet werden.
Effekte unterschiedlicher Transferbedingungen auf den Erfolg von Lehrkräftefortbildungen
Carola Schnitzler1, Daria Frencik-Lehmkuhl2, Charlotte Stehr2, Sofie Henschel1, Jörg Jost2 1Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) an der Humboldt-Universität zu Berlin, 2Institut für Deutsche Sprache und Literatur II an der Universität zu Köln
Lehrkräftefortbildungen bilden ein wesentliches Element zur Verbreitung von Innovationen im Bildungssystem und haben damit ein hohes Potenzial für die Weiterentwicklung der Schul- und Unterrichtsqualität (Gräsel, 2010). Lipowsky und Rzejak (2012) betrachten Lehrkräftefortbildungen als multifaktoriell bedingten Prozess und ihren Erfolg als eine Wirkungskette, die mehrere Ebenen umfasst.
Die Konzeption und Durchführung qualitativ hochwertiger Fortbildungen, in denen Lehrkräfte das erforderliche Wissen und notwendige Handlungskompetenzen erwerben, um Fortbildungsinhalte im schulischen Alltag gut umsetzen zu können, sind mit vielfältigen Anforderungen und Aufgaben seitens der Fortbildner:innen verbunden (vgl. Rzejak, Lipowsky & Bleck, 2020; Prediger, 2019). Die Verbreitung von Innovationen im Bildungssystem kann allein durch Expert:innen (z. B. Fachdidaktiker:innen) nur in einem begrenzten Ausmaß erfolgen. Insofern bietet es sich an, die Verbreitung durch Fortbildner:innen zu ergänzen, die vorab entsprechend qualifiziert wurden. Diese setzen als sog. Multiplikator:innen von Expert:innen konzipierte Fortbildungen um, z. B. im Blended-Learning-Format (vgl. Mörs & Wendland, 2022). Somit lassen sich zwei unterschiedliche Transferbedingungen unterscheiden: 1) von Expert:innen konzipierte und durchgeführte Fortbildungen (naher Transfer) und 2) von Expert:innen konzipierte und von entsprechend qualifizierten Multiplikator:innen durchgeführte Fortbildungen (ferner Transfer).
Die hier vorgestellte Studie fokussiert die erste Ebene des Fortbildungserfolgs (Lipowsky & Rzejak, 2012). Auf dieser Ebene bilden sich als Merkmale des Fortbildungserfolgs die Zufriedenheit mit der Fortbildung und transferrelevante Einstellungen wie die Akzeptanz und die wahrgenommene Machbarkeit der Fortbildungsinhalte heraus (ebd.; Meudt, Zeuch, Neuber & Souvignier, 2020). Es wird analysiert, wie sich zwei unterschiedliche Transferbedingungen auf den Fortbildungserfolg auswirken, wenn gleichzeitig relevante Aspekte im Bereich der persönlichen Voraussetzungen der Teilnehmenden und des schulischen Kontexts kontrolliert werden. Außerdem werden Effekte der Transferbedingung auf die Ausprägung dieser Merkmale untersucht.
66 Lehrkräfte (83,3 % weiblich; MAlter=40.65 Jahre, SD=9.09) aus 22 Schulen nahmen an einer Fortbildung (Dauer: ca. 3 Monate) im Blended-Learning-Format zur datenbasierten Weiterentwicklung des Deutschunterrichts mit den Ergebnissen aus den Vergleichsarbeiten (VERA-8) im Kompetenzbereich Lesen teil. Die Fortbildung bestand aus zehn E-Learning-Einheiten, die in drei Bausteinen strukturiert sind (VERA-Grundlagen, Lesekompetenz, VERA-Nutzung), sowie vier Veranstaltungen. 37 Lehrkräfte wurden von Multiplikator:innen fortgebildet, 29 Lehrkräfte von Expert:innen. Persönliche Merkmale und schulische Kontextbedingungen wurden zu Beginn der Fortbildung erhoben (T1, Januar 2023), Merkmale des Fortbildungserfolgs (Zufriedenheit: 5 Items, α=.94; Akzeptanz: 7 Items, α=.93; und Machbarkeit: 6 Items, α=.85) unmittelbar danach (T2, April/Mai 2023). Zur Untersuchung des Einflusses der Transferbedingung auf den Fortbildungserfolg wurden lineare Regressionsanalysen durchgeführt. Unterschiede zwischen den beiden Transferbedingungen hinsichtlich des Fortbildungserfolgs wurden mittels t-Tests analysiert.
In die Regressionsanalysen gingen neben der Transferbedingung die Einstellung (10 Items, α=.94) und das durch die teilnehmenden Lehrkräfte selbsteingeschätzte Vorwissen zur datenbasierten Unterrichtsentwicklung mit VERA (6 Items, α=.89) zu Beginn der Fortbildung sowie die von ihnen wahrgenommene Unterstützung durch die Schulleitung (8 Items, α=.90) als Prädiktoren ein.
Mithilfe der Modelle konnten die Zufriedenheit, Akzeptanz und Machbarkeit zu mindestens 26 % vorhergesagt werden. In allen drei Modellen stach die Transferbedingung als bedeutendster (.62<β<.93) und unabhängiger Prädiktor hervor (.001<p<.005). Beim Vergleich der Transferbedingungen hinsichtlich des Fortbildungserfolgs ist der nahe Transfer dem fernen Transfer signifikant überlegen. Am deutlichsten ausgeprägt ist der Effekt der Transferbedingung auf die Zufriedenheit (d=0.99). Aber auch für die Akzeptanz lässt sich noch ein großer Effekt verzeichnen, während der für die Machbarkeit nur mittelhoch ausfällt.
Für die in dieser Studie betrachteten Transferbedingungen lassen sich signifikante Effekte auf der ersten Ebene des Fortbildungserfolgs beobachten, die nahelegen, dass durch die Multiplikation ein gewisser „Reibungsverlust“ im Fortbildungsprozess entsteht. Dabei mag auch eine Rolle spielen, dass die hier untersuchte Fortbildung einen relativ hohen Komplexitätsgrad aufweist. Die vorliegenden Ergebnisse weisen darauf hin, dass Multiplikator:innensysteme im Bereich der Lehrkräftefortbildung ein Optimierungspotenzial aufweisen.
Einschätzung von Lehrkräften zu einer systematischen Schreibförderung sowie Entwicklung ihres unterrichtlichen Handelns und ihrer Überzeugungen beim Transfer
Ruth Görgen-Rein, Ina Kaplan, Michaela Mörs, Michael Becker-Mrotzk Universität zu Köln
Für den erfolgreichen Transfer einer Fördermaßnahme in die Schule ist es wichtig, dass diese von den Lehrkräften wie intendiert umgesetzt wird und sich außerdem gut und sinnvoll in den schulischen Alltag einbinden lässt. Hierfür ist die Einschätzung der Lehrkräfte im Hinblick auf die Bereiche Akzeptanz, Machbarkeit und Lernerfolg sowie die Wiedergabetreue zentral (Meudt et al. 2020). Ferner spielen die professionellen Überzeugungen von Lehrkräften eine wesentliche Rolle, da diese ebenfalls die Unterrichtsgestaltung und den Lernerfolg von Schüler:innen beeinflussen (Graham et al. 2002; Schmidt & Schindler, 2020). Bei professionellen Überzeugungen handelt es sich um subjektive Bewertungen, also etwa um Überzeugungen über die eigenen Fähigkeiten (Keller, 2016; Kunter & Pohlmann, 2015). Angesichts des großen Einflusses der schreibbezogenen Überzeugungen von Lehrkräften gilt es, diese im Rahmen der Aus- und Fortbildung von Lehrkräften zu stärken bzw. nachhaltig zu modifizieren (Graham et al. 2002; Lipowsky, 2014).
Im Rahmen des Projektes werden Grundschullehrkräfte im Bereich der Schreibförderung fortgebildet und setzen anschließend eine systematische Schreibförderung um. Diese umfasst ein Training der Schreibflüssigkeit und ein darauf aufbauendes Training zur Anwendung von Schreibstrategien. Zur Vorbereitung nehmen die Lehrkräfte an einem Blended-Learning-Kurs teil und werden darüber hinaus während der Implementation durchgehend von Multiplikator:innen begleitet.
Die Begleitstudie fokussiert die Einschätzung der Lehrkräfte hinsichtlich der Umsetzung des Schreibförderprogramms sowie der Entwicklung ihrer schreibbezogenen Überzeugungen und des unterrichtlichen Handelns. Die Datenerhebung erfolgt mithilfe von Fragebögen (Likert 1-5), wobei die Items aus erprobten Fragebögen übernommen und teilweise für den hier im Fokus stehenden Bereich ‚Schreiben‘ angepasst wurden (Cutler & Graham 2008, Graham et al. 2001, 2002, Meudt et al. 2020). Die Lehrkräfte nehmen an insgesamt fünf Befragungen teil: (t1) vor der Teilnahme an der Fortbildung, (t2) nach der Fortbildung, (t3) nach erfolgter Implementation des Schreibflüssigkeitstrainings, (t4) nach erfolgter Implementation des Schreibstrategietrainings und (t5) als Follow-up. Die Wartekontrollgruppe wird zu drei Zeitpunkten befragt.
An der Fortbildung nahmen in der Experimentalgruppe 66 Lehrkräfte (93,5% weiblich; M_Alter=45.84 Jahre, SD=9.14; M_Berufserfahrung=13.26 Jahre, SD=9.94) aus verschiedenen Bundesländern teil. In die Analysen wurden Lehrkräfte eingeschlossen, deren Datensätze pro Messzeitpunkt vollständig sind. Die Datenerhebung ist zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen. Deskriptive Analysen zum Transfererfolg der Schreibtrainings zeigen, dass die Akzeptanz und die angegebene Wiedergabetreue für das Schreibflüssigkeitstraining auf einem hohen Niveau liegen (Akzeptanz: 10 Items, α=.82, M=4.31, SD=0.59; Wiedergabetreue: 4 Items, α=.59, M=4.52, SD=.61), während die Machbarkeit und der wahrgenommene Lernerfolg von den Lehrkräften als mittelmäßig eingeschätzt werden (Machbarkeit: 7 Items, α=.89, M=3.74, SD=0.89; Lernerfolg: 4 Items, α=.77, M=3.91, SD=0.67). Für das Schreibstrategietraining liegen die eingeschätzte Akzeptanz sowie der Lernerfolg auf einem mittleren Niveau (Akzeptanz: 10 Items, α=.93, M=3.32, SD=1.00; Lernerfolg: 4 Items, α=.88, M=3.32, SD=0.85) und die angegebene Machbarkeit und Wiedergabetreue auf einem geringeren Niveau (Machbarkeit: 7 Items, α=.94, M=2.58, SD=1.08; Wiedergabetreue: 4 Items, α=.71, M=2.92, SD=0.97).
Hinsichtlich des schreibbezogenen Unterrichtshandelns fokussieren die Lehrkräfte vor der Fortbildung die hierarchieniedrigen Schreibfertigkeiten (10 Items, α=.67, M=3.21, SD=0.61) in stärkerem Maße als die hierarchiehohen Schreibfertigkeiten (11 Items, α=.89, M=2.90, SD=0.71). Das adaptive und motivierende unterrichtliche Handeln der Lehrkräfte zeigt sich vor der Fortbildung als solide, aber ausbaufähig (Adaptivität: 3 Items, α=.80, M=3.95, SD=.81; Motivation: 5 Items, α=.79, M=3.30, SD=0.76). Im mittleren Bereich verorteten die Lehrkräfte auch ihre Selbstwirksamkeit (2 Items, α=.73, M=3.72, SD=0.93) und ihr Wissen (6 Items, α=.88, M=3.28, SD=0.81). Das selbsteingeschätzte Wissen wurde bereits zu t2 erneut erfasst (M=4.27, SD=0.5). Eine ANOVA mit Messwiederholung zeigt hier einen statistisch signifikanten Haupteffekt (F(1,27)=38.26, p<.001).
Die ersten Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Lehrkräfte von der Fortbildung profitieren, während sich die durchgeführten Schreibtrainings noch nicht optimal in den schulischen Alltag einbinden lassen. Beeinflussende bzw. hemmende Faktoren werden im Vortrag diskutiert. Zusätzlich werden die Entwicklungen zum letzten Erhebungszeitpunkt präsentiert, auch im Vergleich zur Wartekontrollgruppe.
Längsschnittliche Veränderungen in Einstellungen und im Unterrichtshandeln von Lehrkräften bei der Implementation einer Leseintervention
Mareike Ehlert, Elmar Souvignier Universität Münster
Wenn Lehrkräfte evidenzbasierte Interventionen in ihren Unterricht implementieren, erfordert das in der Regel eine Veränderung ihrer professionellen Kompetenzen (Guskey, 1988; Rogers, 2003). Zu diesen professionellen Kompetenzen gehören Einstellungen wie die Akzeptanz und die wahrgenommene Machbarkeit der Intervention sowie die Selbstwirksamkeit der Lehrkräfte in Bezug auf die Intervention (Bandura, 1997). Auf der Ebene des Unterrichtshandelns ist insbesondere das Ausmaß relevant, in dem Lehrkräfte eine Intervention wie vorgesehen umsetzen (‚Wiedergabetreue‘; O'Donnell, 2008). Diese Kompetenzen gehen mit einer verstärkten Nutzung von Interventionen (Hebbecker et al., 2020) und verbesserten Schüler:innenleistungen (Henninger, 2010) einher. Gleichzeitig wird in theoretischen Modellen jedoch auch angenommen, dass die Einstellungen von Lehrkräften zeitlichen und situativen Veränderungen unterliegen (Clarke & Hollingsworth, 2002; Opfer & Pedder, 2011). So stellten Timperley et al. (2003) fest, dass die Bereitschaft zur Implementation einer Maßnahme nach der Teilnahme an einer Fortbildung zunächst zunahm, jedoch wieder abnahm, als die Lehrkräfte erste Veränderungen im Unterricht vornehmen mussten.
Da bisher nur wenige empirische Untersuchungen zu den Veränderungen von Lehrkraft-Kompetenzen in Implementationsprozessen vorliegen, ist Ziel dieser Studie, längsschnittliche Veränderungen in implementationsrelevanten Variablen zu untersuchen. Die Forschungsfrage lautet: Wie verändern sich Kompetenzen (Akzeptanz, Machbarkeit, Selbstwirksamkeit) und Unterrichtshandeln (Wiedergabetreue) von Lehrkräften im Laufe des Implementationsprozesses? In Anlehnung an Timperley et al. (2003) wird von signifikanten Veränderungen bei den genannten Variablen ausgegangen. Die Richtungen dieser Veränderungen werden explorativ untersucht.
66 Grundschullehrkräfte aus 27 Schulen nahmen an einem Fortbildungsprogramm zu einer evidenzbasierten Intervention für den Leseunterricht teil. Die Lehrkräfte waren größtenteils weiblich (83%), im Durchschnitt 38,56 Jahre alt (SD=9.14) und arbeiteten seit M=9,89 Jahren (SD=8.81) als Lehrkräfte. Den Implementationsgegenstand bildete eine differenzierte Leseintervention, die sich auf evidenzbasierte Methoden zur Förderung dreier zentraler Facetten der Lesekompetenz stützt (Lesegenauigkeit, Lesegeschwindigkeit, Leseverständnis). Es wurden vorbereitete Unterrichtsmaterialien und Schüler:innenhefte mit unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden bereitgestellt. Die Blended-Learning-Fortbildung zur Intervention dauerte ein halbes Schuljahr und umfasste E-Learning-Einheiten im Selbststudium sowie drei ganztägige Präsenzveranstaltungen. Akzeptanz, Machbarkeit und Wiedergabetreue der Leseintervention sowie die Selbstwirksamkeit wurden mit standardisierten Instrumenten (Meudt et al., 2020; Schmitz & Schwarzer, 2000) an drei Messzeitpunkten erhoben: (t1) nach der Teilnahme der Lehrkräfte an der Fortbildung, als sie die Intervention noch nicht umgesetzt hatten, (t2) während der ersten zwei Monate der Implementation und (t3) nach erfolgter Implementation am Ende des Schuljahres.
Deskriptive Analysen zeigen, dass die Akzeptanz der Lehrkräfte gegenüber der Leseintervention über alle drei Messzeitpunkte auf einem hohen Niveau lag (Likert 1-5) (α=.76; t1: M=4.58, SD=0.29, t2: M=4.54, SD=0.49; t3: M=4.46, SD=0.56). Die wahrgenommene Machbarkeit war nach der Fortbildung vergleichsweise geringer ausgeprägt (t1: M=3.86, SD=0.78), stieg aber mit praktischer Unterrichtserfahrung (α=.89; t2: M=4.02, SD=0.83, t3: M=4.01, SD=0.75). Auch die Selbstwirksamkeit startete auf einem mittleren Niveau (α=.75; t1: M=3.88, SD=0.56, t2: M=3.94, SD=0.53), steigerte sich aber zum Ende des Schuljahres (t3: M=4.21, SD=0.51). Die intendierte Wiedergabetreue wurde bereits nach der ersten Fortbildung als hoch eingeschätzt (α=.72; t1: M=4.52, SD=0.57), sank dann aber im Zuge der Umsetzung (t2: M=4.30, SD=0.75; t3: M=4.32, SD=0.81). Eine ANOVA mit Messwiederholung zeigte, dass der Unterschied zwischen den Mittelwerten für die Akzeptanz (F(2,62)=1,30, p=0,28) und die Machbarkeit (F(2,62)=2,57, p=0,09) nicht signifikant ist. Für die Wiedergabetreue (F(2,56)=3,50, p=0,04) und die Selbstwirksamkeit (F(2,58)=6,08, p=0,004) ist der Unterschied zwischen den Mittelwerten statistisch signifikant.
Die Ergebnisse machen deutlich, dass die Kompetenzen von Lehrkräften im Laufe des Implementationsprozesses Veränderungen unterliegen. Nicht zuletzt die Steigerung der Selbstwirksamkeit kann als Resultat eines erfolgreichen Implementationsprozesses angesehen werden. Die je nach Merkmal unterschiedlichen Veränderungen legen nahe, dass die Unterstützung, die Lehrkräfte im Implementationsprozess erhalten, auf die von ihnen erlebten Veränderungen abgestimmt sein sollte, z. B. durch Probehandlungen in Fortbildungen oder persönliche Reflexionsgespräche während des Implementationsprozesses (Timperley et al., 2003).
Prädiktoren transferrelevanter Einstellungen von Lehrkräften nach Teilnahme an einer Fortbildung zum sprachbildenden Mathematikunterricht
Dilan Şahin-Gür1, Rebekka Stahnke2, Susanne Prediger3 1Technische Universität Dortmund, 2IPN - Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik, Berlin, 3IPN - Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik, Berlin; Technische Universität Dortmund
Auch im Mathematikunterricht kann Sprachbildung das inhaltliche Lernen fördern, wie erste Interventionsstudien zeigen konnten (de Araujo et al., 2018; Prediger & Neugebauer, 2023). Der Transfer und die nachhaltige Implementation dieser neuen, evidenzbasierten Konzepte können durch die Fortbildung von Lehrkräften und die begleitende Bereitstellung adaptierbarer Unterrichtsmaterialien unterstützt werden. Systemische Faktoren an den jeweiligen Schulen, wie die Unterstützung durch die Schulleitung, ein positives Transferklima oder die Kooperation im Kollegium beeinflussen den Transferprozess (Desimone, 2009; Grossman & Sales, 2011; Rösken-Winter et al., 2021). Neben der Entwicklung fachlicher und fachdidaktischer Kompetenz sind insbesondere positive Einstellungen gegenüber dem Unterrichtskonzept seitens der Lehrkräfte wie die Akzeptanz und die wahrgenommene Machbarkeit entscheidend für die erfolgreiche Nutzung neuer Konzepte (Clarke & Hollingsworth, 2002; Hebbecker et al., 2020). Der Beitrag untersucht zunächst, ob die Lehrkräftefortbildung im Rahmen der Projekts Fach-BiSS zu einer positiven Entwicklung von Aspekten der Lehrkräftekompetenz (selbsteingeschätzte Wissen, lernförderliche Überzeugungen und Selbstwirksamkeit) führt. Weiterhin wird geprüft, welche Bedeutung systemische Faktoren sowie die wahrgenommene Eignung des Konzepts für die Praxis auf die individuelle Akzeptanz und wahrgenommene Machbarkeit des Konzepts haben.
In einem Prä-Post-Wartekontrollgruppen-Design wurden Daten von 20 Lehrkräften in der Interventionsgruppe und 19 Lehrkräften in einer Wartekontrollgruppe erhoben. Die Lehrkräfte waren überwiegend weiblich (59%), durchschnittlich 39 Jahre alt und unterrichteten Mathematik in der Sekundarstufe I. Die Teilnehmenden der Interventionsgruppe erhielten eine 15-monatige Fortbildung (inkl. Unterrichtsmaterial), die Input-, Erprobungs-, und Reflexionsphasen kombinierte. Vor Fortbildungsbeginn wurden alle Lehrkräfte zu ihrer Wahrnehmung systemischer Faktoren befragt. Jeweils vor und nach der Fortbildung wurden die Selbstwirksamkeit sowie Einstellungen zum sprachbildenden Mathematikunterricht erhoben. Nach Abschluss der Fortbildung wurde der wahrgenommene Wissenszuwachs, die wahrgenommene Praxiseignung des Materials sowie Akzeptanz und Machbarkeit der Fortbildungsinhalte erfasst (Skalen: Eigenentwicklung, sowie Meudt et al., 2020). Bis auf zwei neu entwickelte Skalen zu Einstellungen zum sprachbildenden Mathematikunterricht (α=.44/.55) wiesen die eingesetzten Skalen mindestens ausreichende bis zufriedenstellende Reliabilitäten auf (α=.69 bis α=.91). Zur Überprüfung der Forschungsfragen wurden lineare Regressionen genutzt. Die jeweiligen Eingangswerte der abhängigen Variablen wurden als Kontrollvariablen eingeführt.
Hinsichtlich der ersten Forschungsfrage zeigt sich die Zugehörigkeit zur Fortbildungsgruppe im Vergleich zur Wartekontrollgruppe als ein positiver Prädiktor für das selbsteingeschätzte Wissen nach Fortbildungsende (β=.55; p=<.001; R²=.30) sowie für die Entwicklung von lernförderlichen Einstellungen (Sprachbildung als Lerngegenstand des Mathematikunterrichts: β=.23; p=.03; R²=.62; Sprachbildung als Förderung des mathematischen Diskurses: β=.31; p=.01; R²=.57). Für die Entwicklung der Selbstwirksamkeitserwartung zeigen sich keine Effekte der Fortbildung. Bezüglich der zweiten Forschungsfrage zeigen sich in der Interventionsgruppe weder für wahrgenommene systemische Faktoren noch für die wahrgenommene Eignung des Konzepts für die Praxis signifikante Effekte auf die Akzeptanz des Konzepts des sprachbildenden Mathematikunterrichts. Für die Machbarkeitseinschätzung hingegen sind beide Aspekte von Bedeutung: Hier erwies sich die Kooperation im Kollegium (β=.56; p=.03; R²=.47) sowie die wahrgenommene Praxisnähe der Fortbildung und die eingeschätzte Adaptierbarkeit des Unterrichtsmaterials (β=.60; p<.001 bzw. β=.41; p=.03; R²=.50) als signifikante Prädiktoren der Machbarkeitseinschätzung.
Die Ergebnisse zur ersten Forschungsfrage deuten darauf hin, dass durch die Fortbildung eine positive Entwicklung von Aspekten der Lehrkräftekompetenz initiiert wurde. Ob eine solche Entwicklung auch hinsichtlich der Diagnose und Förderung von Lernenden als zentrale Aufgaben des sprachbildenden Mathematikunterrichts zu beobachten ist, werden zukünftige Auswertungen eines vignettenbasierten Instruments prüfen. Hinsichtlich der transferrelevanten Einstellungen zeigen sich keine Effekte für die Akzeptanz des Konzepts. Diese fiel jedoch insgesamt sehr hoch aus, sodass hier Deckeneffekte möglich sind. Für die Machbarkeitseinschätzungen spielt die Kooperation im Kollegium eine bedeutsame Rolle. Daneben zeigen sich die Wahrnehmung der Praxisnähe und der Adaptierbarkeit als relevant für die eingeschätzte Machbarkeit. Die individuellen Einschätzungen von Lehrkräften, ob eine Fortbildung Bezug zu ihrer eigenen Praxis hat und inwiefern die angebotenen Materialien für ihren Kontext adaptierbar sind, erscheinen somit für den Aufbau transferrelevanter Einstellungen von großer Bedeutung zu sein.
|