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Sitzungsübersicht
Sitzung
6-10: „Alle dabei“ bei Inklusion? Inklusive Schulentwicklung von, für und mit Lehrkräften, Schüler:innen und Eltern
Zeit:
Dienstag, 19.03.2024:
15:20 - 17:00

Ort: S26

Seminarraum, 70 TN

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Präsentationen
Symposium

„Alle dabei“ bei Inklusion? Inklusive Schulentwicklung von, für und mit Lehrkräften, Schüler:innen und Eltern

Chair(s): Julia Gorges (Philipps-Universität Marburg, Deutschland), Birgit Lütje-Klose (Universität Bielefeld), Phillip Neumann (Universität Paderborn), Elke Wild (Universität Bielefeld)

Diskutant*in(nen): Cornelia Gresch (IQB Berlin)

Die Gestaltung eines inklusiven Schulsystems gehört zu den großen Reformvorhaben der heutigen Zeit, an dem Lehrkräfte und weiteres Schulpersonal, Schüler:innen und Eltern beteiligt sind. Entsprechend wurden Gelingensbedingungen einer inklusiven Schulentwicklung in den letzten Jahren in zahlreichen Forschungsprojekten thematisiert (bspw. INSIDE, BiLieF, EiBiSch). Ziel dieses Symposiums ist es, empirische Befunde der Inklusionsforschung zu verschiedenen Akteursgruppen zusammen zu bringen und ihre Bedeutung für die weitere Forschung und für die Praxis zu diskutieren. Gemeinsame Datengrundlage aller Beiträge ist das Projekt BiFoKi – Bielefelder Fortbildungskonzept zur Kooperation an inklusiven Schulen. In BiFoKi wurde eine modular aufgebaute Fortbildung entwickelt und in 28 inklusiven Gesamt- und Sekundarschulen in Nordrhein-Westfalen implementiert. Die Fortbildungsmodule richteten sich an Schulleitungen, Jahrgangsteams (Lehrkräfte, Schulbegleitungen, Schulsozialarbeiter:innen usw.) und Eltern der Schüler:innen der fünften Jahrgänge. Die Fortbildung wurde auf Basis längsschnittlicher Datenerhebungen bei Schulleitungen, Lehrkräften, Schüler:innen und Eltern der teilnehmenden Schulen evaluiert und fokussierte u.a. die psychosoziale und Leistungsentwicklung der Kinder, Merkmale des Unterrichts, Einstellungen und Rollenverteilungen der Lehrkräfte sowie Einschätzungen der und Motivation zur Kooperation zwischen Eltern und Schulen.

Die Beiträge adressieren ausgewählte Einflussfaktoren aus dem zugrundeliegenden Prozessmodell, welches, angelehnt an das Angebots-Nutzungs-Modell (Helmke, 2017), Einflussfaktoren, Mediatoren und Outcomes modelliert.

Im ersten Beitrag steht die Einstellung der Lehrkräfte zur Inklusion im Mittelpunkt, die in der Literatur häufig als neuralgischer (Ansatz-)Punkt für Inklusion verstanden wird. Die Befunde zeigen jedoch zunächst keine längsschnittliche prädiktive Validität für das Wohlbefinden der Kinder und stellen damit die Relevanz von Einstellungen als Prädiktor für gelingende Inklusion in Frage. Ein längsschnittlicher Effekt von Einstellungen auf das Wohlbefinden der Schüler:innen scheint vielmehr abhängig zu sein von der inklusionsbezogenen Selbstwirksamkeit der Lehrkräfte.

Aus der Perspektive der Schüler:innen untersucht der zweite Beitrag die Fragen, inwiefern wichtige Merkmale der sozialen Lernumwelt (Angenommensein durch Lehrkräfte, Sozial- und Klassenklima, usw.) und der Unterrichtsqualität (Anspruchsniveau und Individualisierung) bei Schüler:innen mit und ohne sonderpädagogischen Unterstützungsbedarf gleichermaßen valide und reliabel erfasst werden können, und inwiefern sich ihre Einschätzungen unterscheiden. Erste Auswertungen zeigen eine reliable und vergleichbare Messung sowie Unterschiede zwischen Schüler:innen mit und ohne sonderpädagogischen Unterstützungsbedarf.

Im dritten Beitrag wird eine gelingende Kooperation zwischen Schule und Eltern als zentrales Ziel inklusiver Schulentwicklung fokussiert. Ausgehend vom Modell des elterlichen Schulengagements wurde untersucht, inwiefern sich Eltern von Kindern mit versus ohne Unterstützungsbedarf in ihrer Einschätzung der Qualität der Kooperation (bspw. Willkommens- und Begegnungskultur) unterscheiden und welche Rolle diese für die erwartungs-wert-theoretisch konzeptualisierte elterliche Motivation zur Kooperation spielt. Die Ergebnisse zeigen für beide Elterngruppen gleichermaßen die erwarteten positiven Zusammenhänge zwischen wahrgenommener Kooperationsqualität und Motivation zur Kooperation, allerdings beurteilen Eltern von Schüler:innen mit Lernschwierigkeiten die Willkommens- und Begegnungskultur negativer als Eltern von Schüler:innen ohne Unterstützungsbedarf.

Ebenfalls aus der Perspektive der Erwartungs-Wert-Theorie geht der vierte Beitrag der Frage nach, welche Faktoren Eltern dazu bewegen (können), sich im Rahmen des Elternmoduls der Fortbildung mit der Kooperation zwischen Schule und Familie auseinanderzusetzen. Konkret wurde die elterliche Motivation zur Teilnahme am Eltern-Workshop untersucht und u.a. die kindliche Leseleistung im Vergleich zu den Mitschüler:innen (i.S.v. einer über-/unterdurchschnittlichen Leistung) erstmals als Prädiktor modelliert, um die Hypothese zu prüfen, dass eine Überforderung des Kindes die Eltern-Schule-Kooperation beeinträchtigt. Die Ergebnisse stützen diese Annahme jedoch nicht; vielmehr erweisen sich die Motivation zur Kooperation, der elterliche sozio-ökonomische Status sowie eine nicht-deutsche Familiensprache als bedeutende Prädiktoren.

Anknüpfend an die empirischen Beiträge nehmen die Autorinnen des fünften Beitrags eine Meta-Perspektive auf das BiFoKi-Projekt ein und erörtern Einsichten a) zur Veränderbarkeit von Kooperationsbeziehungen an weiterführenden inklusiven Schulen sowie b) zu Zusammenhängen zwischen den Kooperationspraktiken von Schulen und ihrer breit gefassten Leistungsfähigkeit. Ansätze und Erträge sowie Limitationen des BiFoKi Projektes, auch im Vergleich mit anderen Forschungsprojekten zur Umsetzung schulischer Inklusion (bspw. die INSIDE Studie), werden daran anschließend von Dr. C. Gresch diskutiert.

 

Beiträge des Symposiums

 

Wie gelingt Inklusion für alle? Das Wohlbefinden von Kindern in inklusiven Schulen und die Rolle der inklusionsbezogenen Einstellung und Selbstwirksamkeitserwartung von Lehrkräften

Tobias Wächter1, Julia Gorges2, Stephanie Apresjan1, Birgit Lütje-Klose1
1Universität Bielefeld, 2Philipps-Universität Marburg, Deutschland

Das schulische Wohlbefinden aller Schüler*innen stellt ein Bildungsziel dar (Venetz 2015; Wang et al. 1990) und ist eng verbunden mit deren mentaler Gesundheit (Bryan et al. 2004; Singh et al. 2014). Deshalb gilt es gerade nach dem Übergang von der Grundschule auf eine weiterführende Schule, eine positive psychosoziale Entwicklung aller Schüler*innen der fünften Klassen zu fördern. Insbesondere bei inklusiven Schulen stellt sich die Frage, ob Einstellung (nach De Boer 2012: Standpunkte bzw. Dispositionen eines Individuums gegenüber einem Einstellungsobjekt) zu Inklusion, die häufig als zentrale Gelingensbedingung für inklusiven Unterricht angesehen wird (Avramidis und Norwich 2002; Beacham und Rouse 2012; Ruberg und Porsch 2017), auch Auswirkungen auf das Wohlbefinden hat.

Ziel der vorliegenden Studie ist es, auf Grundlage der Theory of planned behavior (Ajzen 1991), der Rolle von fachlicher, sozialer, persönlicher Einstellung zu Inklusion seitens der Lehrkräfte für das Wohlbefinden von Schüler*innen nachzugehen. Zusätzlich untersuchen wir eine Interaktion von fachlicher bzw. sozialer und persönlicher Einstellungsdimension (inklusionsbezogene Selbstwirksamkeit).

Die Stichprobe umfasste Angaben von 1873 Schüler*innen (Alter: M = 10.37 (SD = 0.59); 48.7% weiblich; Kinder mit SPF: n = 205) von 26 inklusiven Gesamtschulen, die am Anfang (t1) und am Ende der 5. Klasse (t2) schriftlich befragt wurden. Die Daten von N = 173 Lehrkräften des 5. Jahrgangs (davon Sonderpädagog*innen: n = 22) wurden mit einem Online-Survey erfasst. Die Einstellung zu Inklusion der Lehrkräfte wurden zu t1 mithilfe des EFI-L (Einstellungsfragebogen zur Inklusion, Lehrkräfte; Seifried und Heyl, 2016) dreidimensional (fachliche Förderung, soziale Integration, persönliche Bereitschaft/Selbstwirksamkeit) mit einer fünfstufigen Likert-Skala erfasst.

Das Wohlbefinden der Kinder wurde zu zwei Messzeitpunkten in vier Dimensionen (subjektives Wohlbefinden, körperliches Wohlbefinden, positiver Aspekt, negativer Aspekt) mit einer fünfstufigen Likert-Skala erfasst (mit angepassten Items etablierter Messinstrumente: The KIDSCREEN Group 2004; Krause et al. 2004; Laurent et al. 1999; Rauer und Schuck 2004; Ravens-Sieberer und Bullinger 2000).

Die Effekte der Einstellung auf das Wohlbefinden wurden mit Mehrebenenregressionanalysen für jede abhängige Variable getestet, sowohl querschnittlich als auch längsschnittlich (Level 1 = Schüler*innen, Level 2 = Schule).

Geschlecht, kognitive Grundkompetenz, Gruppe (Experimental- / Kontrollgruppe) und sonderpädagogischer Förderbedarf sowie bei längsschnittlichen Analysen die jeweilige Ausprägung des Konstruktes zu t1 wurden als Kovariate aufgenommen. Alle Prädiktoren waren grand-mean zentriert und standardisiert.

Wie erwartet, waren fachliche und soziale Einstellung zu Inklusion sowie Selbstwirksamkeit querschnittlich signifikante Prädiktoren des Wohlbefindens der Schüler*innen. Die Selbstwirksamkeit zeigte die größten Effektstärken. Die Längsschnittanalysen zeigten keine direkten Effekte der Einstellung auf das Wohlbefinden zum zweiten Messzeitpunkt (unter Kontrolle t1). Die Prüfung der prädiktiven Validität der Interaktion zwischen der fachlichen/sozialen Einstellungsdimensionen und der Selbstwirksamkeit zeigte sowohl querschnittlich als auch längsschnittlich signifikante Interaktionseffekte auf die Vorhersage von positivem Affekt, negativem Affekt und subjektivem Wohlbefinden (unter Kontrolle von t1). Es zeigten sich gegenläufige Effekte der Einstellung (d.h. ein positiver Effekt wurde verstärkt, wenn die Selbstwirksamkeit hoch war, kehrte sich aber ins Negative, wenn die Selbstwirksamkeit niedrig war) und einen negativen Effekt einer niedrigen Selbstwirksamkeit (d.h. die Einstellung hatte bei niedriger Selbstwirksamkeit einen negativen Effekt auf das Wohlbefinden).

Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Einstellung der Lehrkräfte zu Inklusion möglicherweise keinen direkten Einfluss auf die Entwicklung des Wohlbefindens hat, sondern durch die Selbstwirksamkeit moderiert wird. Die querschnittlich gezeigten direkten Effekte der fachlichen und sozialen Einstellung sind statistisch signifikant, werden jedoch durch die Selbstwirksamkeit der Lehrkräfte moderiert. Aufgrund der gezeigten potenziell nachteiligen Auswirkungen einer geringen Selbstwirksamkeit auf das Wohlbefinden der Schüler*innen sollte die Steigerung der Selbstwirksamkeit von Lehrkräften ein besonderer Schwerpunkt in der Aus- und Fortbildung von Lehrkräften sein. So sollte Lehrkräften bspw. die Möglichkeit gegeben werden, von positiven Beispielen zu lernen (Wang et al. 2004) und das Sammeln positiver Erfahrungen in integrativen Kontexten sollte durch günstige Arbeitsbedingungen und unterstützende Kollegien und Schulleitungen gefördert werden.

 

Eltern von Schüler:innen mit und ohne Lernschwierigkeiten zur Zusammenarbeit mit der Schule motivieren – Welche Rolle spielen Kooperationsangebote an inklusiven Sekundarstufenschulen?

Sandra Grüter, Nicole Fritzler
Universität Bielefeld

Die Beteiligung von Eltern ist für die Umsetzung schulischer Inklusion zentral, da die (häusliche) Unterstützung durch die Eltern nicht nur die Lernfortschritte ihrer Kinder positiv beeinflussen kann (Hill & Tyson, 2009), sondern durch den Austausch von Informationen auch die Schaffung einer inklusiven Lernumgebung in der Schule gefördert wird (Hornby, 2010). Obwohl insbesondere Eltern von Schüler:innen (SuS) mit Lernschwierigkeiten (z. B. sonderpädagogische Förderbedarfe, Teilleistungsstörungen) zur Zusammenarbeit mit der Schule ihres Kindes bereit sind, fühlen sie sich vergleichsweise weniger willkommen, wodurch es nicht zuletzt zu Vertrauensverlusten, Verunsicherung und in der Folge zu einer Zurückhaltung in der Zusammenarbeit mit der Schule kommen kann (Yotyodying & Wild, 2019). Mit Blick auf die Erhöhung chancengleicher Teilhabe für alle SuS durch die Umsetzung schulischer Inklusion erscheint es insbesondere in der von Leistungsselektion geprägten Sekundarstufe essenziell, die Passung zwischen schulischen Kooperationsangeboten an inklusiven Schulen und den Bedürfnissen von Eltern von SuS mit Lernschwierigkeiten zu untersuchen. In diesem Beitrag wird daher der Frage nachgegangen, welche Rolle die von Eltern subjektiv wahrgenommenen schulischen Kooperationsangebote für die elterliche Motivation zur tatsächlichen Zusammenarbeit spielen. Ferner wird beleuchtet, ob sich für Eltern von SuS mit vs. ohne Lernschwierigkeiten verschiedene Formen von Kooperationsangeboten als bedeutsam erweisen.

Basierend auf dem Modell des elterlichen Schulengagements beeinflussen vor allem persönliche Motivationsfaktoren der Eltern, Einladungen der Schule sowie familiäre Kontextfaktoren das aktive Elternengagement (Hoover-Dempsey et al., 2005). Als Einladungen der Schule werden eine vielfältige und respektvolle Kommunikation, ein inhaltlich qualitativer Austausch mit den Klassenlehrkräften sowie eine einladende Atmosphäre in der Schule („Willkommens- und Begegnungskultur“; Vodafone Stiftung Deutschland, 2013) verstanden, die nachweislich mit motivationalen Faktoren assoziiert sind (Whitaker & Hoover-Dempsey, 2013). In diesem Beitrag werden unter Berücksichtigung des motivationspsychologischen Ansatzes der Erwartungs-Wert-Theorie (Eccles & Wigfield, 2002) die persönlichen Motivationsfaktoren der Eltern über den subjektiven Wert (Intrinsischer Wert, Persönliche Bedeutung, Kosten) sowie die Erfolgserwartung der Eltern hinsichtlich der Zusammenarbeit mit der Schule spezifiziert.

An der im Rahmen des BiFoKi-Projektes durchgeführten Elternbefragung nahmen 881 Eltern bzw. Erziehungs- und Sorgeberechtigte (78.1 % Mütter, 11.3 % Väter, 8.4 % beide Elternteile) von SuS am Ende der fünften Klasse teil, davon 119 (13.5 %) Eltern von SuS mit Lernschwierigkeiten (sonderpädagogischer Förderschwerpunkt Lernen oder Teilleistungsstörung) sowie 43 (4,9 %) Eltern von SuS mit weiteren Förderschwerpunkten. Voranalysen bestätigen die Faktorenstruktur der Wertkomponenten sowie das Vorliegen starker Messinvarianz (Eltern von SuS mit vs. ohne Lernschwierigkeiten). Zur Überprüfung der angenommenen Zusammenhänge zwischen den Kooperationsangeboten Willkommens- und Begegnungskultur, vielfältige und respektvolle Kommunikation sowie Qualität der Eltern-Lehrkräfte-Kooperation und der persönlichen Motivation der Eltern zur Zusammenarbeit wurde ein Strukturgleichungsmodell spezifiziert. Zur Überprüfung möglicher Unterschiede in der Bedeutsamkeit der Kooperationsangebote wurden anschließend die Regressionsgewichte zwischen den Gruppen in einem Mehrgruppenstrukturgleichungsmodell gleichgesetzt.

Mit den Ergebnissen kann nachgezeichnet werden, dass die Willkommens- und Begegnungskultur als Kooperationsform signifikant positiv mit der Erfolgserwartung der Eltern in Bezug auf die Kooperation zusammenhängt. Übereinstimmend mit vorliegenden Befunden beurteilen Eltern von SuS mit Lernschwierigkeiten die Willkommens- und Begegnungskultur negativer als Eltern von SuS ohne Unterstützungsbedarf. Die Qualität der Eltern-Lehrkräfte-Kooperation hängt positiv mit der Erfolgserwartung, geringer wahrgenommenen Kosten sowie mit dem Intrinsischen Wert zusammen. Der Intrinsische Wert ist ebenfalls bei den Eltern von SuS mit Lernschwierigkeiten niedriger ausgeprägt. Insgesamt zeigen die Ergebnisse, dass sich die Zusammenhänge zwischen den verglichenen Gruppen nicht signifikant unterscheiden und für die Motivation der beiden Elterngruppen die direkte Kooperation mit den Lehrkräften ihres Kindes von besonderer Bedeutung ist. Dass Eltern von SuS mit Lernschwierigkeiten weniger Freude in der Zusammenarbeit mit der Schule erleben, könnte auf bisherige Erfahrungen (z. B. im Rahmen der Feststellungsdiagnostik) und eine Defizitorientierung in den bestehenden Kontakten zurückzuführen sein. Implikationen für die schulische Elternarbeit an inklusiven Schulen im Sekundarbereich werden diskutiert.

 

Eltern in die Schule bringen – Welche Rolle spielen sozialer Hintergrund, Motivation zur Eltern-Schule-Kooperation und kindliche Schulleistung für die elterliche Teilnahmemotivation an einem Eltern-Workshop?

Franzisca P. Fischer, Julia Gorges
Philipps-Universität Marburg, Deutschland

Die Corona-Krise hat erneut gezeigt, wie entscheidend effektive Eltern-Schule-Kooperation (ESK) für den Lernerfolg von Schüler*innen ist. Empirische Studien zeigen positive Zusammenhänge zwischen dem schulischen sowie häuslichen Engagement von Eltern, einschließlich der Fähigkeit und Bereitschaft zur ESK und der psychosozialen, motivationalen und Kompetenzentwicklung ihrer Kinder (Fan & Chen, 2001; Gonzalez-DeHass et al., 2005; Wong et al., 2018). Es zeigt sich jedoch, dass Eltern mit einem niedrigeren sozioökonomischen Status (SES), einem Migrationshintergrund und leistungsschwächeren Kindern weniger mit Lehrkräften und Schulpersonal kooperieren, obwohl ihnen ein erhöhter Unterstützungsbedarf zugeschrieben wird (Killus & Tillmann, 2012; Lee & Bowen, 2006). Desgleichen unterliegen Bemühungen zur Umsetzung von Elternbildungsangeboten und -trainings, die zur Förderung von ESK beitragen können, einem Präventionsdilemma, d.h. Eltern mit niedrigerem SES und einem Migrationshintergrund nehmen trotz erhöhtem zugeschriebenen Unterstützungsbedarf weniger daran teil (Bauer & Bittlingmayer, 2005). So besteht die Gefahr, dass präventive Angebote mit dem Ziel der Verringerung des Ressourcengefälles, im Gegenteil zu einem noch größeren Ressourcengefälle beitragen (Walper, 2021). Um dieses Phänomen besser zu verstehen, untersuchte die vorliegende Studie (N = 888, 86.9% weiblich) mit Rückgriff auf die Erwartungs-Wert-Theorie (Eccles & Wigfield, 2020) und mit Bezug auf einen kostenlosen, schulbasierten Eltern-Workshop zur Förderung von ESK (Wild et al., 2020), welche Rolle elterliche soziokulturelle Faktoren (SES über ISEI [Ganzeboom et al., 1992]; nicht-deutsche Familiensprache), ihre Motivation zur ESK (utilitaristischer, intrinsisch-persönlicher Wert) und die kindliche Leseleistung im Vergleich zu den Mitschüler*innen für den subjektiven Wert und die wahrgenommenen Kosten des Workshops spielen. Subjektiver Wert und Kosten wurden wiederum als Prädiktoren der elterlichen Teilnahmemotivation (i.S. einer Gesamtbewertung des Eltern-Workshops) und Teilnahmeintention am Eltern-Workshop angenommen. Mediationsanalysen zeigten, dass ein niedrigerer SES, eine nicht-deutsche Familiensprache und ein höherer utilitaristischer Wert von ESK mit einer höheren Einschätzung des subjektiven Werts des Workshops einhergehen. Eine nicht-deutsche Familiensprache der Eltern hing positiv mit den wahrgenommenen Kosten des Workshops zusammen, während ein höherer intrinsisch-persönlicher Wert von ESK und eine überdurchschnittliche Leseleistung des Kindes im Vergleich zu Mitschüler*innen die wahrgenommenen Kosten des Workshops verringerte. Zwischen elterlichem SES und wahrgenommenen Kosten des Workshops zeigte sich entgegen den Erwartungen kein signifikanter Zusammenhang. Der subjektive Wert des Workshops hing positiv, die wahrgenommenen Kosten des Workshops negativ mit der elterlichen Teilnahmemotivation / Teilnahmeintention am Workshop zusammen. Der subjektive Wert des Workshops mediierte die Zusammenhänge von elterlichem SES, nicht-deutscher Familiensprache und Teilnahmemotivation / Teilnahmeintention partiell, da ein direkter positiver Effekt von SES auf die Teilnahmeintention sowie ein negativer Effekt der nicht-deutschen Familiensprache auf die Teilnahmemotivation / Teilnahmeintention bestehen blieben. Die Zusammenhänge der elterlichen Motivation zur ESK und Teilnahmemotivation / Teilnahmeintention wurden vollständig durch die wahrgenommenen Kosten des Workshops mediiert. Die Ergebnisse deuten insgesamt darauf hin, dass Eltern mit niedrigerem SES und einem Migrationshintergrund zwar an dem Workshop interessiert sind und dessen Nutzen sehen, zugleich aber auch die Kosten einer Teilnahme höher einschätzen und im Gesamturteil eine geringere Teilnahmemotivation / Teilnahmeintention am Workshop aufweisen. Möglicherweise sind die wahrgenommenen Kosten des Workshops zu hoch und / oder nicht überwindbare Barrieren (z.B. zeitlich, finanziell, sprachlich) stehen einer Teilnahme im Weg. Eine höhere elterliche Motivation zur ESK kann zu einer Reduktion der wahrgenommenen Kosten und einer höheren Einschätzung des subjektiven Werts des Workshops beitragen. Eine überdurchschnittliche kindliche Schulleistung im Vergleich zu Mitschüler*innen kann weiterhin zur Reduktion der Kosten beitragen, wohingegen für eine unterdurchschnittliche Schulleistung keine Effekte gefunden wurden. Die elterlich wahrgenommene Schulleistung könnte für die Einschätzung von subjektivem Wert und Kosten eines Eltern-Workshops von größerer Bedeutung sein als die tatsächliche kindliche Schulleistung; dies gilt es in zukünftigen Studien zu überprüfen. Eine Berücksichtigung des kulturellen Hintergrunds von Eltern sowie aufsuchende Elternbildung (zur Förderung von ESK) werden als Strategien zur Verringerung der wahrgenommenen Kosten und zur Überwindung potenzieller Teilnahmebarrieren von sozial benachteiligten Eltern diskutiert.

 

Beitrag des BiFoKi-Projekts zur Gestaltung eines inklusiven Schulsystems – Fazit und Ausblick

Elke Wild, Birgit Lütje-Klose
Universität Bielefeld

Fragen rund um die gemeinsame Beschulung von jungen Menschen mit und ohne sonderpädagogischem Förderbedarf sind seit langem Gegenstand wissenschaftlicher Forschung, wurden aber in den letzten 10 Jahren in Folge der Anerkennung des Rechts auf inklusive Beschulung sehr viel intensiver und verstärkt interdisziplinär untersucht. Im BMBF geförderten Projekt Bielefelder Fortbildungskonzept zur Kooperation in inklusiven Schulen (BiFoKi) Entwicklung und Evaluation eines interdisziplinären Fortbildungsangebots wurde die Erkenntnis aufgegriffen, dass die Zusammenarbeit der beteiligten Professionen innerhalb der Schule sowie mit den Eltern der Schüler:innen einerseits zentrale Bedingungen für das Gelingen einer inklusiven Beschulung von Schüler:innen mit und ohne besondere Förderbedarfe darstellen und dass andererseits in der Umsetzung insbesondere im Sekundarbereich Optimierungsbedarfe bestehen. Vor diesem Hintergrund wurde unter Einbeziehung sonderpädagogischer und psychologischer Expertise eine praxistaugliche Fortbildung entwickelt und evaluiert, die zur Weiterentwicklung inklusiv arbeitender Gesamt- und Sekundarschulen beitragen soll. Durch das in Anlehnung an Kirkpatrick (1996) konzipierte Evaluationsdesign konnten im Projekt Forschungslücken – insbesondere mit Blick auf die inklusionsbezogene Weiterbildung von Lehr- und weiteren Fachkräften, aber auch zu grundlagenorientierten Fragestellungen – adressiert werden.

Aufbauend auf den ersten vier Beiträgen des Symposiums, in denen Befunde zu inklusionsbezogenen Einstellungen von Lehrkräften, zur Wahrnehmung von schul- und unterrichtsbezogenen Aspekten durch Schüler:innen, zur Kooperation von Schule und Elternhaus sowie zu Weiterbildungsbedarfen von Eltern dargestellt werden, werden im vorliegenden Beitrag Einsichten a) zur Veränderbarkeit von Kooperationsbeziehungen an weiterführenden inklusiven Schulen sowie b) zu Zusammenhängen zwischen den Kooperationspraktiken von Schulen und ihrer breit gefassten Leistungsfähigkeit erörtert. Im Fokus stehen dabei Chancen und Grenzen der Unterstützung sowohl multiprofessioneller Teams (vgl. Lütje-Klose & Urban, 2014; Lütje-Klose et al., 2022) als auch der Optimierung von Erziehungs- und Bildungspartnerschaften zwischen Familien und Schulen (vgl. Wild et al., 2020, Wild & Lütje-Klose, 2017) unter Berücksichtigung der Einstellungen und Verhaltensweisen von Schüler:innen. Diese sind dem Modell der überlappenden Sphären von Epstein (1998) folgend für die Qualität der Lehrer-Schüler*innen sowie der Eltern-Kind-Kommunikation (mit-) entscheidend.

Ein zentrales Ergebnis (vgl. auch Wild 2021, 2022) der Studie ist der sowohl aus Leitungsperspektive als auch seitens des Schulpersonals an vielen Schulen geäußerte Bedarf an Teamweiterbildungen im Bereich Inklusion, multiprofessioneller Kooperation sowie Elternarbeit. Die Beteiligten sind hoch motiviert, traditionelle Rollen und Aufgabenverteilungen innerhalb der Teams (Neumann et al., 2021) zu überwinden und zentrale Merkmale einer qualitätsvollen Erziehungs- und Bildungspartnerschaft (Grüter et al., 2019) umfänglicher einzulösen. Die Fortbildungskonzeption und -materialien regten zur Selbstreflexion und Weiterentwicklung der Teamstrukturen an und führten zur bewussten Reflexion von Rollen und Aufgaben des multiprofessionellen Personals, von Stärken und Ressourcen im Team sowie ihrer verbesserten Nutzung, was sich in einer insgesamt hohen Zufriedenheit der Jahrgangsteams mit der Fortbildung ausdrückt (Lütje-Klose, et al., 2022). In Teilen ist jedoch auch ein erheblicher Widerstand gegen den Inklusionsauftrag insgesamt festzustellen, weil das Schulpersonal (und auch Teile der Elternschaft) nicht länger bereit ist, bildungspolitisch verantwortete, strukturelle Mängel (z. B. Mangel an sonderpädagogisch qualifiziertem Personal, fehlenden Kooperationszeiten) zu kompensieren.

Dennoch konnten einige Effekte der Fortbildung abgesichert werden: So wurden in Schulen der Interventionsgruppe vermehrt feste Teamzeiten eingerichtet und das selbstberichtete Engagement der Lehr- und Fachkräfte im Bereich der Elternkooperation entwickelte sich positiver. Unterschiede in der Aufgeschlossenheit der Jahrgangsteams korrespondierten mit den vorzufindenden Aufgaben- und Rollenmustern von Sonderpädagog:innen und Schulsozialarbeit (Neumann et al, 2021) sowie mit einer stark variierenden Resonanz auf die Veranstaltungen für Eltern, wobei an den Elternforen häufig Erziehungsberechtigte teilnahmen, die als ‚schwer erreichbar‘ gelten. Zudem befürworten rund 60 Prozent der befragten Fünftklässler*innen einen engen Kontakt zwischen Eltern und Lehrkräften, wobei die Zustimmung systematisch mit dem wahrgenommenen Unterstützungsverhalten der Eltern assoziiert ist (Grüter et al., 2023). Zusammenfassend zeigen die Ergebnisse eine hohe Bereitschaft zur Kooperation einerseits und bieten andererseits Einblicke in Herausforderungen bei der Umsetzung, die auch vor dem Hintergrund bildungspolitischer Entwicklungen diskutiert werden.



 
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