Conference Agenda

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Session Overview
Session
7-19: Der Übergang von der Grundschule in die Sekundarstufe I
Time:
Wednesday, 20/Mar/2024:
9:00am - 10:40am

Location: S23

Seminarraum, 50 TN

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Presentations
Paper Session

Soziale und migrationsspezifische Ungleichheiten beim Übergang von der Grundschule zur weiterführenden Schule: Die Rolle des Wissens über das Bildungssystem

Melanie Olczyk1, Annabell Daniel2, Hannah Glinka1, Katharina Werner3

1MLU Halle-Wittenberg, Deutschland; 2Ludwig-Maximilians-Universität München; 3ifo Center for Education Economics

Hintergrund und Fragestellung

Das deutsche Schulsystem ist durch ein hohes Maß an Differenzierung und Stratifizierung gekennzeichnet, was zu unterschiedlichen Bildungswegen führt. Diese Wege sind nicht nur mit unterschiedlichen Zugangsvoraussetzungen, Erfolgswahrscheinlichkeiten und Kosten verknüpft, sondern auch mit unterschiedlichen Bildungs- und Karrieremöglichkeiten. Welche Wege eingeschlagen werden, hängt dabei auch von der sozialen Herkunft ab: So besuchen Schülerinnen und Schüler aus sozial weniger privilegierten Familien seltener ein Gymnasium bzw. erlangen seltener das Abitur (Lämmchen et al. 2022). Hingegen treffen Schülerinnen und Schüler aus Zuwandererfamilien bei gleicher Leistung und sozialer Herkunft häufiger ambitionierte Bildungsentscheidungen (Kristen und Dollmann 2010; Segeritz et al. 2010). Besonders ausgeprägt konnte das für türkeistämmige Familien gezeigt werden (Segeritz et al. 2010).

Eine mögliche Erklärung für diese Ungleichheiten bildet die Ausstattung mit Wissen über das Bildungssystem, das eine wichtige Ressource im Bildungsprozess sein kann (Nauck und Lotter 2016; Pfeffer 2008; Forster und van de Werfhorst 2019). Da bildungsferne Familien und Zuwandererfamilien nachweislich weniger gut über das Bildungssystem informiert sind (Kretschmer 2019), könnten diese Unterschiede in der Informiertheit die sozialen und migrationsspezifischen Ungleichheiten beim Übergang von der Grundschule in die Sekundarstufe I verstärken (Forschungsfrage 1). Weiterhin vermuten wir, dass sich Unterschiede im Wissen der Eltern weniger stark auswirken, wenn Bildungsentscheidungen durch den institutionellen Kontext vorstrukturiert werden (Forschungsfrage 2). Damit angesprochen ist die von den Lehrkräften ausgestellte Laufbahnempfehlung am Ende der Grundschulzeit, die in einigen Bundesländern verbindlichen Charakter besitzt und den Entscheidungsspielraum der Familien stärker einschränkt als in anderen Bundesländern.

Daten und Methode

Zur Untersuchung der Zusammenhänge wurden die längsschnittlichen Daten der Startkohorte 2 des Nationalen Bildungspanels ausgewertet (Blossfeld und Roßbach 2019). Im Rahmen der Studie wurde in Klasse 3 (Welle 5) das elterliche Wissen sowohl spezifisch für den Übergang—wie die Zugangsvoraussetzungen für einen Gymnasialbesuch oder die Verbindlichkeit der Laufbahnempfehlung—als auch zum weiteren Bildungssystem und den dortigen Möglichkeiten erfasst (Olczyk und Will 2019).

In die Analysen gingen Informationen zu N = 3,462 Schülerinnen und Schüler ein. Fehlende Werte in den erklärenden Variablen wurden über multiple Imputation berücksichtigt (White et al. 2011).

Im ersten Schritt wurde untersucht, inwieweit soziale und migrationsspezifische Unterschiede im Übergangsverhalten bestehen. Im zweiten Schritt wurde geprüft, welchen Erklärungsbeitrag das elterliche Wissen über das Bildungssystem leistet und inwieweit Unterschiede im Gymnasialübertritt zwischen den sozialen Gruppen hierauf zurückzuführen sind (Forschungsfrage 1). Schließlich wurden Interaktionseffekte zwischen den Wissensindikatoren und der Verbindlichkeit der Laufbahnempfehlung geprüft (Forschungsfrage 2).

Zur Untersuchung der Zusammenhänge wurden lineare Wahrscheinlichkeitsmodelle mit geclusterten Standardfehlern gerechnet. Zur Beantwortung der Forschungsfrage 1 wurde zusätzlich die KHB-Methode genutzt (Breen et al. 2021). In allen Analysen wurde für weitere Hintergrundmerkale der Schülerinnen und Schüler wie beispielsweise ihre Noten in der vierten Klasse oder das Vorhandensein älterer Geschwister kontrolliert.

Ergebnisse und ihre Bedeutung

Unsere Analyseergebnisse bestätigten die in anderen Studien gefundenen Muster: Demnach besaßen Kinder aus bildungsfernen Familien eine geringere Wahrscheinlichkeit, ein Gymnasium zu besuchen. Kinder aus türkeistämmigen Familien und Kinder, deren Familien aus der ehemaligen Sowjetunion stammen, wiesen hingegen eine höhere Wahrscheinlichkeit auf ein Gymnasium zu besuchen als Kinder der Mehrheitsgesellschaft. Des Weiteren bestand ein positiver Zusammenhang zwischen den Wissensindikatoren und der Wahrscheinlichkeit ein Gymnasium zu besuchen. Während sich unter Kontrolle der Wissensindikatoren soziale Unterschiede im Übergangsverhalten signifikant verringerten, blieben migrationsspezifische Unterschiede davon unberührt (Forschungsfrage 1). Mit Blick auf Forschungsfrage 2 konnte kein moderierender Zusammenhang nachgewiesen werden—das Wissen über das Bildungssystem erwies sich unabhängig von dem Grad der Verbindlichkeit der Laufbahnempfehlung als relevant für den Besuch eines Gymnasiums.

Die Ergebnisse unterstützen die Annahme, dass das Wissen über das Bildungssystem bedeutsam ist und zumindest zu einer Erklärung sozialer Ungleichheiten beim Übergang in die Sekundarstufe I beiträgt. Die Befunde werden mit Rückbezug zu Theorien der Bildungsentscheidung sowie mit Blick auf bildungspolitische Implikationen diskutiert.



Paper Session

Bildungsentscheidungen von Eltern mit einem Zuwanderungshintergrund am Übergang von der Primar- zur Sekundarstufe in Deutschland

Thomas Zimmermann

Goethe Universität Frankfurt, Deutschland

Theoretischer Hintergrund

Am Übergang von der Primar- zur Sekundarstufe treffen Eltern mit einem Zuwanderungshintergrund in Deutschland oftmals ambitioniertere Bildungsentscheidungen als Familien ohne Zuwanderungshintergrund (Dollmann 2016). Obwohl die Literatur oftmals auf soziologische Varianten der Theorie rationaler Wahlen (RCT) (Breen und Goldthorpe 1997; Erikson und Jonsson 1996; Esser 1999) zur Erklärung positiver sekundärer Herkunftseffekte des Migrationshintergrundes verweist, findet sich für diesen Übergang im deutschen Bildungssystem bislang keine umfassende empirische Überprüfung der theoretischen Annahmen für eine Erklärung sekundärer Herkunftseffekte des Migrationshintergrundes (vgl. Dollmann, 2016).

Nach Erikson und Jonsson (1996) bewerten Eltern die zur Verfügung stehenden Bildungsalternativen anhand der durch sie wahrgenommenen Renditen, Erfolgswahrscheinlichkeiten und Kosten und wählen dann die Alternative mit dem höchsten subjektiven Erwartungsnutzen. Diese Bewertung ist subjektiv und variiert zudem systematisch mit den familiären Ressourcen. Eine wichtige Ressource ist nach Erikson und Jonsson (1996) das familiäre Wissen über das Bildungssystem. Wissens- bzw. Informationsunterschiede werden auch in der Migrationsliteratur als eine Erklärung für unterschiedliche Bildungsentscheidungen angeführt (vgl. Becker und Gresch 2016). Eltern mit einem Zuwanderungshintergrund sind demnach weniger gut über die einzelnen Bildungsgänge wie die mit diesen verbundene Schulbesuchsdauer (Kosten), Qualifikationsanforderungen (Erfolgswahrscheinlichkeiten), und Arbeitsmarktmöglichkeiten (Renditen) informiert. Die (Fehl-)informiertheit von Eltern mit einem Zuwanderungshintergrund leistet dann über die systematisch unterschiedliche Bewertung der Entscheidungsdeterminanten einen Beitrag zu ihren vorteilhafteren Bildungsentscheidungen. Auch diese Annahmen wurden für den betreffenden Übergang bislang nicht umfänglich überprüft.

Fragestellungen:

Forschungsfrage 1: Lassen sich die bei gleicher sozialer Herkunft und schulischen Leistungen der Kinder anzunehmenden ambitionierteren Bildungsentscheidungen von Eltern mit einem Zuwanderungshintergrund durch die Annahmen der RCT erklären?

Forschungsfrage 2: Bestehen Unterschiede in der Wahrnehmung der Determinanten von Bildungsentscheidungen zwischen Eltern mit und ohne Zuwanderungshintergrund und lassen sich diese über Informationsunterschiede erklären?

Methode

Datengrundlage ist die Startkohorte 2 des Nationalen Bildungspanel (NEPS Network 2022). Für den Bildungsübergang von der Primar- zur Sekundarstufe I stehen Daten von insgesamt 2.881 Kindern und ihren Eltern zur Verfügung. Es finden sich Informationen über eine Bewertung der Renditen, Erfolgswahrscheinlichkeiten und Kosten der drei in Deutschland erreichbaren Bildungsabschlüsse (Hauptschulabschluss, Mittlere Reife und Abitur) durch die Eltern. Darüber hinaus bestehen Informationen zum Bildungswissen der Eltern (Olczyk und Will 2019). Differenzierte Analysen nach dem Zuwanderungshintergrund sind ebenfalls möglich (Olczyk et al. 2014). Die Entscheidung der Eltern für den Besuch einer Hauptschule, Realschule oder des Gymnasiums analysieren wir mit konditionalen logistischen Regressionsmodellen. Für die Erklärung von Wahrnehmungsunterschieden in den Renditen, Erfolgswahrscheinlichkeiten und Kosten zwischen Elter mit und ohne Zuwanderungshintergrund verwenden wir hingegen gepoolte lineare Regressionsmodelle.

Ergebnisse und ihre Bedeutung

Literaturkonform weisen unsere Analysen für den Übergang von der Primar- zur Sekundarstufe auf positive sekundäre Herkunftseffekte des Migrationshintergrundes hin. Im Vergleich zu Eltern ohne Zuwanderungshintergrund entscheiden sich nach Deutschland zugewanderte Eltern unter Berücksichtigung der sozialen Herkunft und der schulischen Leistung signifikant häufiger für ein Gymnasium anstatt einer Realschule. Zwischen Haupt- und Realschule bestehen keine Unterschiede. Die vorteilhafteren Übergangsentscheidungen zugewanderter Eltern lassen sich vollständig über ihre Abwägung der Arbeitsmarktrenditen, Kosten und Erfolgswahrscheinlichkeiten erklären.

Wir finden zudem Wahrnehmungsunterschiede zwischen Eltern mit und ohne Zuwanderungshintergrund in den Kosten und Erfolgswahrscheinlichkeiten. Die im Vergleich zu Eltern ohne Zuwanderungshintergrund zunächst nachteilige Kostenwahrnehmung von Eltern mit einem Zuwanderungshintergrund wandelt sich unter Berücksichtigung sozialer Herkunftsmerkmale und der Informiertheit in Vorteile. Bei den Erfolgswahrscheinlichkeiten zeigt sich ein weniger eindeutiges Bild. Zentral ist hier, dass sich die durch Eltern mit einem Zuwanderungshintergrund wahrgenommenen Erfolgswahrscheinlichkeiten für das Abitur im Vergleich zu Eltern ohne Zuwanderungshintergrund erhöhen.

Diese Befunde sind bedeutsam, da sich die am Übergang von der Primar- zur Sekundarstufe bestehenden positiven sekundären Herkunftseffekte des Migrationshintergrundes vollständig über die Annahmen der RCT erklären lassen. Zudem können wir zeigen, dass die Erklärung auf eine unterschiedliche Bewertung der Determinanten der Entscheidung, insbesondere der Kosten und Erfolgswahrscheinlichkeiten durch Eltern mit und ohne Zuwanderungshintergrund zurückführbar ist.



Paper Session

Mechanismen sozialer Ungleichheit beim Übergang ins Gymnasium: Welche Rolle spielen Schüler*innen, Eltern und Lehrer*innen?

Markus Lörz1, Anna Bachsleitner1, Marko Neumann1, Michael Becker2

1DIPF Leibniz Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation, Deutschland; 2TU Dortmund, Deutschland

Forschungslücke: Trotz Bildungsexpansion, intensiver Forschung und bildungspolitischer Initiativen zum Abbau von Bildungsbarrieren bestehen in Deutschland am Übergang ins Gymnasium weiterhin massive soziale Ungleichheiten (Wößmann et al., 2023). Die soziologische, erziehungswissenschaftliche und psychologische Ungleichheitsforschung hat bereits verschiedene Ansatzpunkte zur Erklärung dieses seit Jahrzehnten bestehenden Ungleichheitsphänomens skizziert – dennoch fehlt weiterhin ein systematischer Überblick darüber, welche Rolle den verschiedenen Akteur*innen (Schüler*innen, Eltern, Lehrer*innen) in diesem Ungleichheitsprozess zukommt und über welche genauen Prozesse und Mechanismen die sozialen Ungleichheiten entstehen.

Fragestellung: Der vorliegende Beitrag greift diese (noch) unklare Befundlage auf und versucht über die Integration verschiedener theoretischer Zugänge ein umfassendes Verständnis für die Entstehung sozialer Ungleichheit am Übergang ins Gymnasium zu schaffen. Zentral ist dabei die Frage, über welche Mechanismen soziale Ungleichheiten beim Übergang ins Gymnasium entstehen und welcher Stellenwert den verschiedenen Akteur*innen im Prozess von der Notengebung, Empfehlungsvergabe bis hin zum realisierten Übergang zukommt. Eine Besonderheit des vorliegenden Beitrags ist dabei, dass der breite Kranz an berücksichtigten potentiellen Einflussmerkmalen zur Erklärung der sozialen Herkunftsdifferenzen bei Notengebung, Empfehlungsvergabe und realisiertem Übergang für alle drei Prozessschritte konstant gehalten wird, so dass quantifizierbare Aussagen zur relativen Bedeutung der Merkmale für Ungleichheiten im Übergangsprozess möglich werden.

Theoretischer Hintergrund: Aus Perspektive der Rational Choice Theorie (Boudon, 1974) werden primäre und sekundäre Herkunftseffekte unterschieden und argumentiert, dass herkunftsspezifische Unterschiede beim Übergang ins Gymnasium das Ergebnis unterschiedlicher Schüler*innenleistungen (primäre Effekte) und das Ergebnis unterschiedlicher Kosten-Nutzenüberlegungen der Eltern (sekundäre Effekte) sind. Aus Perspektive institutioneller Effekte (Gomolla & Radtke, 2009) werden darüber hinaus Lehrer*innen – als zentrale Akteur*innen der Wissensvermittlung und -bewertung – ebenfalls hinsichtlich ihrer Einflussnahme auf die Entstehung sozialer Ungleichheit betrachtet. Die drei Erklärungsperspektiven (Schüler*innen, Eltern und Lehrer*innen) werden gerahmt und in Anlehnung an die Überlegungen von Bourdieu (1982) von den kulturellen Ressourcen des Elternhauses beeinflusst.

Daten und Methoden: Für die empirische Überprüfung der theoretischen Überlegungen wird eine repräsentative Panelstudie zu den Bildungsentscheidungen und Bildungswegen von Schüler*innen in Berlin herangezogen. Anhand der BERLIN-Studie ist es möglich, den Übergang ins Gymnasium über den Zeitraum des Übergangsprozesses (Anfang 6. Klasse bis Anfang 7. Klasse) zu betrachten und dabei sowohl die Perspektive der Schüler*innen, der Eltern als auch der Lehrer*innen zu berücksichtigen (inkl. Motivationen, Einstellungen und Bewertungen). Um den Prozess des Übergangs ins Gymnasium genau zu verstehen, wird in der Analyse zwischen Notenerwerb, Empfehlungsstatus und tatsächlichem Übertritt ins Gymnasium unterschieden. Bei der Identifikation der zugrundeliegenden Mechanismen werden logistische Regressionsanalysen und nicht-lineare Kitagawa-Oaxaca-Blinderdekompositionen (Jann, 2008) durchgeführt.

Ergebnisse: Die empirische Analyse zeigt, dass alle drei Akteur*innen bei der Entstehung sozialer Ungleichheiten eine Rolle spielen und die Verzahnung der verschiedenen theoretischen Zugänge ein umfassendes Verständnis für die Entstehung sozialer Ungleichheiten liefert. Die genauen Mechanismen und der Stellenwert der Akteur*innen variiert aber je nach betrachtetem Aspekt des Übergangsprozesses. Von zentraler Bedeutung sind die leistungsbezogenen Unterschiede nach sozialer Herkunft, die sich insbesondere beim Notenerwerb bemerkbar machen und sich von dort aus auf die anderen Erklärungsfaktoren auswirken. Die aus Rational-Choice-Perspektive entscheidende Rolle sekundärer Effekte im Bildungsverlauf bestätigt sich zum Teil in der Entscheidungssituation beim Übertritt ins Gymnasium. Aber auch bei der Notenvergabe und der Gymnasialempfehlung zeigen sich zum Teil elterliche sekundäre Effekte. Die differenzierte Analyse der Elterneinschätzung zeigt, dass die unterschiedliche Wahrnehmung der Erfolgsaussichten den gesamten Übergangsprozess beeinflusst. Die aus institutioneller Perspektive skizzierten Überlegungen, dass Lehrer*innenbeurteilungen zu den Herkunftsunterschieden führen, können mit den vorliegenden Daten nur zum Teil bestätigt werden – bzw. es finden sich nur geringe Hinweise auf einen solchen Zusammenhang. Dennoch zeigt sich, dass Lehrer*innen unabhängig von den tatsächlichen Leistungen Kindern aus Akademikerfamilien höhere Begabungen zuschreiben als Kindern aus Nicht-Akademikerfamilien. Die aus kulturtheoretischer Perspektive skizzierten Erwartungen spiegeln sich in allen drei Analyseschritten wider – ein großer Teil der kulturell unterschiedlichen Bedingungen spiegelt sich in unterschiedlichen Leistungen und elterlichen Entscheidungsprozessen wider.



Paper Session

Schulische Kontexteffekte an Hamburger Schulen: Eine längsschnittliche Betrachtung der Persistenz von Kontexteffekten anhand des Übergangs von der Grundschule in die Sekundarstufe

Frauke Steinhäuser1, Michael Becker1,2

1Institut für Schulentwicklungsforschung; 2DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation

Schüler:innen sind während der Schulzeit enormen Veränderungen ausgesetzt. Der schulische Kontext und die damit verbundenen Klassenkompositionen zählen dabei als Wirkmechanismen, die bedeutsam hinsichtlich der Einstellungen und Überzeugungen von Lernenden sind (z.B. positive Assimilations- oder negative Kontrasteffekt der Leistungskomposition). Durch diese kontextuellen Einflüsse ergibt sich beispielsweise, dass Schüler:innen ihre Fähigkeiten geringer einschätzen, wenn sie mit vergleichsweise leistungsstärkeren Personen umgeben sind, was als Big-Fish-Little-Pond-Effekt (BFLPE; Marsh, 1987) breit beforscht wurde. Wenig beachtet blieb bislang, ob und wie kontextuelle Effekte der mittleren Leistungskomposition langfristige Auswirkungen auf Einstellungen von Schüler:innen haben und inwiefern schulische Kontexte ebenso Auswirkungen auf das spätere Verhalten von Schüler:innen haben. Diese Betrachtung wäre vor dem Hintergrund relevant, dass bislang weitgehend offen ist, inwieweit sich schulische Kontexte, und BLFPE im Besonderen, nicht nur auf die Überzeugungen und Einstellungen der Schüler:innen, sondern auch auf das Verhalten und Bildungsverläufe von Schüler:innen auswirken (zur Diskussion vgl. Dumont et al., 2017).

Erste Forschungsergebnisse weisen auf eine recht gemischte Befundlage zur Relevanz von längerfristigen BFLPE auf die Entwicklung von Schüler:innen hin (Becker & Neumann, 2016; Dumont et al., 2017; von Keyserlingk et al., 2020). So konnten Becker und Neumann (2016) BFLPE sowohl im Grundschul- als auch im Sekundarschulkontext querschnittlich nachweisen; beim Übergang in die weiterführende Schule war der Effekt nach einem Jahr nicht mehr nachweisbar. Eine andere Studie fand für Schüler:innen in unterschiedlichen Selbstkonzept-Dimensionen querschnittliche Effekte in sowohl der Grund- als auch Sekundarstufe (Becker & Neumann, 2018). Die Effekte des Grundschulkontexts auf das allgemeine Selbstkonzept der Lernenden blieben selbst drei Jahre nach Verlassen der Grundschule bestehen; bei den Selbstkonzepten für Deutsch und Mathematik verblasste in der Sekundarschulzeit der Effekt aus der Grundschule (Becker & Neumann, 2018).

Die Studie von Steinhäuser et al. (2023) prüfte erstmalig, inwiefern sich diese BFLPE jenseits von Einstellungen auch für das Verhalten in der Domäne Politik belegen lassen und welche Bedeutung ihnen somit für längerfristige Entwicklungen über die Lebensspanne zukommt. Einerseits fand die Studie negative Kompositionseffekte der Leistungszusammensetzung auf das Selbstkonzept. Andererseits fand sie auch Hinweise auf positive Kompositionseffekte auf das Verhalten der Schüler*innen. Sie schienen also von leistungsstarken Mitschüler:innen zu profitieren.

In der vorliegenden Studie wurde daher untersucht, inwiefern BFLPE auf die psychosoziale Entwicklung längerfristig und über unterschiedliche schulische Kontexte hinweg persistieren und wie dies für unterschiedliche psychosoziale Konstrukte, von dem Selbstkonzept bis hin zum Lernverhalten, differenziell ausfällt: Es wurde untersucht, inwiefern quer- und längsschnittliche BFLPE für Selbstkonzepte im Bereich des (fächerübergreifenden) Lesens auftreten, und inwiefern sich diese Effektmuster von denjenigen auf Lesemotivation und Leseverhalten unterscheiden. Die Studie stützte sich auf eine Teilstichprobe der längsschnittlichen Schulleistungsstudie Kompetenzen und Einstellungen von Schülerinnen und Schülern (KESS). Die Studie machte sich zunutze, dass sowohl vor als auch nach dem Übergang von der Grundschule in die Sekundarstufe Informationen aus der vierten und siebten Klasse auf Individual- und Klassenebene vorliegen (Bos et al., 2010). Für die Beantwortung der Forschungsfrage wurden latente Strukturgleichungsmodelle spezifiziert.

Die Ergebnisse belegen typische BFLPE auf das Leseselbstkonzept. Zudem zeigt sich der Kompositionseffekt der vierten Klasse auch nach Übertritt in die weiterführende Schule signifikant. Bei der Lesemotivation zeigt sich ein signifikanter BFLPE der Klassenkomposition der vierten Klasse. Dieser negative Effekt der Klassenkomposition der Grundschule bleibt auch in der siebten Klasse signifikant, währenddessen eine hohe Klassenleseleistung der späteren siebten Klassen einen positiven Effekt auf die Lesemotivation hat. Mit Fokus auf das Leseverhalten finden wir einen signifikanten BFLPE der vierten Klasse, der jedoch in der siebten Klasse an Signifikanz verliert. Stattdessen ist hier ausschließlich ein positiver Effekt der Klassenkomposition der siebten Klasse auf das Leseverhalten zu finden. Alle Analysen konnten unter Berücksichtigung der Schulform validiert werden.

Die Ergebnisse werden im Vortrag vorgestellt; die Bedeutung dieser Art von Kompositionseffekten werden vor einem lifespan-theoretischen Hintergrund kritisch diskutiert.



 
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