Paper Session
Ist mein:e Schüler:in sprachbegabt?! Ein Fragebogen zu Sprachbegabungsüberzeugungen von Lehrpersonen
Julia Klug, Kathrin Hamader, Silke Rogl
PH Salzburg/ÖZBF, Österreich
Die Überzeugungen von Lehrpersonen zur Begabung ihrer Schüler:innen sind für Unterrichtsqualität und Bildungsprozesse relevant: sie filtern die Wahrnehmung der Lehrkräfte hinsichtlich der heterogenen Leistungen in der Klasse, sie beeinflussen die Identifizierung der Bedürfnisse begabter Schüler:innen oder die Art der Unterstützungsangebote (Grosch, 2011; Hany, 1997; Rogl, 2022; Sternberg & Davidson, 2005). Begabungsüberzeugungen von Lehrkräften wurden bisher zumeist domänenübergreifend untersucht. In einer Studie erfasste Rogl (2022) die Begabungsüberzeugungen von Lehrpersonen domänenspezifisch für Mathematik und fand fünf theoretisch abgeleitete und empirisch geprüfte Dimensionen der Begabungsüberzeugungen: (1) Fachspezifische Fähigkeiten, (2) Passion, (3) Leistung, (4) Determination, und (5) internale Komponenten, von denen einige kognitiv aktivierenden Unterricht vorhersagen konnten (mit 19% Varianzaufklärung). In der aktuellen Studie wird der Ansatz auf die sprachliche Begabung erweitert, wo bereits elaborierte didaktische Modelle und Konzepte zur Entwicklung sprachlicher Fähigkeiten bestehen (z.B. Farkas, 2014; Wagner, 2014) und sprachliche Begabung auch in anerkannten Begabungsmodellen als Domäne enthalten ist (Gagné, 2005; Heller et al., 2005). Die zentrale Forschungsfrage lautet, ob sich die Überzeugungen von Lehrkräften zur sprachlichen Begabung analog zur mathematischen Begabung erfassen lassen.
Zu diesem Zweck entwickelten wir einen Fragebogen zur Erhebung der eigenen Sprachbegabungsüberzeugungen basierend auf theoretischer Literatur zu hohen sprachlichen Fähigkeiten (z.B. Farkas, 2014; Wagner, 2014) und dem Modell zu mathematischen Begabungsüberzeugungen (Rogl, 2022). Im Entwicklungsprozess wurden mehrere Schritte zur Optimierung durchlaufen: (1) eine Fokusgruppe zur Prüfung der inhaltlichen Validität (n=5), (2) kognitive Interviews mit Lautem Denken und Paraphrasieren zur Verbesserung der Konstruktvalidität (n=4), (3) sowie eine quantitative Befragung von Lehramtsstudierenden zur Überprüfung des Messmodells mittels konfirmatorischer Faktorenanalyse (n=207). Außerdem wurde anhand der quantitativen Daten die konvergente Validität mittels eines Strukturgleichungsmodells geprüft. In diesem wurden das growth mindset (FDZ am IQB, 2019) und die Lehrer:innenselbstwirksamkeit (Schwarzer & Schmitz, 2002) vorhergesagt, als zwei verwandt vermutete, wenn auch unterschiedliche Konstrukte, für die wir kleine bis mittlere Regressionskoeffizienten erwarteten (für Überzeugungen und Selbstwirksamkeit vgl. Matheis et al., 2017; growth/fixed mindsets bzgl. Intelligenz und Begabung vgl. Ziegler & Stoeger, 2010). MLR wurde als Schätzer für die Modelle in MPlus verwendet. Für die Fit-indices wurden die folgenden Cut-off Werte herangezogen RMSEA ≤ 0.06, SRMR ≤ 0.08, CFI ≥ 0.95, TLI ≥ 0.95, chi-square/df ≤ 3 (Brown, 2015; Hu & Bentler, 1999; Kline, 2016).
Für die Sprachbegabungsüberzeugungen der Lehramtsstudierenden wies ein sechsfaktorielles Modell mit korrelierten Faktoren einen guten Modellfit auf (χ2/df=1.332; RMSEA=.039; SRMR=.059; CFI=.943; TLI=.932), ganz ähnlich dem Modell der Mathematikbegabungsüberzeugungen, nur mit einem zusätzlichen sechsten Faktor namens externale Komponenten, der den eigenen Einfluss als Lehrkraft auf die sprachliche Begabungsentwicklung der Schüler:innen beschreibt. Das sechsfaktorielle Messmodell passte signifikant besser zu den empirischen Daten als ein Generalfaktormodell, ein fünffaktorielles Modell oder ein Modell mit einem Faktor zweiter Ordnung. Im Strukturmodell konnte durch die Sprachbegabungsüberzeugungen der Lehramtsstudierenden sowohl deren growth mindset (R²=.243, p=.003) als auch deren Lehrer:innenselbstwirksamkeit (R²=.33, p=.002) vorhergesagt werden (χ2/df=1.351; RMSEA=.040; SRMR=.060; CFI=.904; TLI=.892). Jeweils zwei der Faktoren erwiesen sich als prädiktiv mit den erwarteten mittleren Koeffizienten: Internale Komponenten (β=.445, p=.007) und Determination (β=-.435, p=.000) für growth mindset sowie Passion (β=.266, p=.024) und Leistung (β=.565, p=.016) für die Lehrer:innenselbstwirksamkeit.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass wir in unserer Studie einen Fragebogen zu Sprachbegabungsüberzeugungen getestet haben, der in zukünftigen Forschungsprojekten eingesetzt werden kann, um Bildungsprozesse besser zu verstehen und die Partizipation aller, auch begabter Schüler:innen, zu ermöglichen. Weiters konnte gezeigt werden, dass Sprachbegabungsüberzeugungen Ähnlichkeiten mit growth mindset aufweisen, es sich jedoch um verschiedene Konstrukte handelt. Sprachbegabungsüberzeugungen können ähnlich den Mathematikbegabungsüberzeugungen als multifaktorielles Konstrukt gemessen werden. Ausgehend von unseren Erkenntnissen wäre es interessant zu untersuchen, ob Begabungsüberzeugungen domänenspezifisch sind, ob sie sich intraindividuell unterscheiden, ob Sprachbegabungsüberzeugungen ebenfalls das Handeln von Lehrer:innen im Klassenzimmer vorhersagen und welche Implikationen sich für die Lehrer:innenausbildung ergeben.
Paper Session
Unter welchen Bedingungen etikettieren Lehrpersonen ihre Schüler:innen als «verhaltensauffällig»?
Boris Eckstein1, Urs Grob2, Kurt Reusser2, Alexander Wettstein3
1Pädagogische Hochschule Zürich, Schweiz; 2Universität Zürich; 3Pädagogische Hochschule Bern
Theoretischer Hintergrund und Fragestellung
Viele Schüler:innen zeigen im Unterricht gelegentlich Verhaltensweisen, die von den geltenden Normen abweichen (Crawshaw, 2015). Die meisten Lehrpersonen und Mitschüler:innen erleben solches Verhalten als störend, insbesondere wenn es gehäuft auftritt (Eckstein et al., 2016). Darüber hinaus tendieren manche Lehrpersonen dazu, Schüler:innen als «verhaltensauffällig» zu etikettieren, wenn sich diese aus ihrer Sicht in außerordentlicher Weise normabweichend verhalten, z.B. besonders häufig (Hempel-Jorgensen, 2009). Weil aber keine allgemein anerkannte Definition von Verhaltensauffälligkeit existiert, kann diese Etikette Verschiedenes bedeuten. Es ist anzunehmen, dass undiszipliniertes Verhalten (z.B. Schwatzen) hierbei eine besondere Rolle spielt. Denn viele Lehrpersonen und Schüler:innen erachten Undiszipliniertheit als problematischste Form devianten Schülerverhaltens; vermutlich weil sie vergleichsweise häufig auftritt und kumulativ belastend wirkt (Beaman et al., 2007). Allerdings ermittelten jüngere Studien, dass Lehrpersonen das Verhalten ihrer Schüler:innen hochgradig subjektiv einschätzen (Eckstein, 2019). Noch nicht hinreichend geklärt hat die bisherige Forschung, inwieweit die Etikettierung einzelner Schüler:innen als «verhaltensauffällig» durch ihre Lehrperson mit ihrem tatsächlichen Verhalten bzw. mit anderen Bedingungen erklärt werden kann. Deshalb geht dieser Beitrag der Frage nach: Unter welchen Bedingungen etikettieren Lehrpersonen ihre Schüler:innen als «verhaltensauffällig»?
Methode
85 Lehrpersonen und 1412 Schüler:innen (11.7 Jahre) beantworteten eine Umfrage; die Schüler:innen waren zugleich Befragte und Zielpersonen. Die Lehrpersonen gaben an, inwieweit sie die einzelnen Schüler:innen ihrer Klasse persönlich als «verhaltensauffällig» erachten (Einzelitem «Etikettierung»). Zudem wurden vermutete Bedingungen dieser Etikettierung erhoben: Vier zufällig ausgewählte Mitschüler:innen schätzten ein, mit welcher Häufigkeit die einzelnen Schüler:innen in den vergangenen zwei Wochen undiszipliniertes Verhalten zeigten (8 Items, Cronbachs α=.79); die Lehrpersonen gaben ihr allgemeines Belastungserleben (4 Items, Cronbachs α=.76) sowie ihre allgemeine Störungsempfindlichkeit (16 Items, Cronbachs α=.79) an; die Schüler:innen beurteilten die Klarheit und Strukturiertheit des Unterrichts (6 Items, Cronbachs α=.74). Ferner wurde das Geschlecht der Schüler:innen als Einzelitem erfasst (0=Junge, 1=Mädchen) (Eckstein et al., 2018).
Mithilfe eines Mehrebenen-Strukturgleichungsmodells wurden in Mplus (Muthén & Muthén, 2017) Zusammenhänge zwischen der Etikettierung und den Bedingungen auf Schülerebene (L1) sowie auf Ebene der Lehrpersonen/Klassen (L2) geschätzt. Um die diskreten Eigenschaften und die teilweise schiefe Verteilung der Variablen angemessen zu berücksichtigen, wurde der WLSMV-Schätzer verwendet (Finney & DiStefano, 2013). Zur Entlastung der Schätzung wurde die Modellkomplexität durch Parceling reduziert (Little et al., 2002). Um Cluster Bias zu vermeiden, wurden original L1-Konstrukte und ihre aggregierte Form auf L2 messinvariant modelliert (gleiche Faktorladungen, keine L2- Residualvarianz) (Jak et al., 2013).
Ergebnisse
Die vorläufigen Ergebnisse weisen darauf hin, dass die Modellschätzung gut zu den Daten passt (=139.47, df=71, p<.001; RMSEA=.024; CFI=.991). Die Resultate auf L1 legen nahe, dass die Etikettierung einzelner Schüler:innen weitgehend durch ihr Verhalten erklärt werden kann (=.504, p<.001). Zudem zeigen die L1-Resultate, dass die Etikettierung der einzelnen Schüler:innen auch mit ihrem Geschlecht (=-.25; p<.001) sowie mit der von ihnen erlebten Klarheit und Strukturiertheit des Unterrichts (=-.21; p<.001) zusammenhängt. Darüber hinaus weisen die L2-Resultate darauf hin, dass die Etikettierungstendenzen der Lehrpersonen über alle Schüler:innen hinweg mit ihrem Belastungserleben (=.35, p=.014) und ihrer Störungsempfindlichkeit im Allgemeinen (=.35, p=.011) einhergehen.
Die vorläufigen Ergebnisse stützen die Hypothesen weitgehend: Die Etikettierung einzelner Schüler:innen als verhaltensauffällig durch ihre Lehrperson beruht weitgehend auf dem tatsächlichen Verhalten dieser Schüler:innen – aber nicht ausschließlich. Mädchen sowie Schüler:innen, die dem Unterricht gut folgen können, werden unter Kontrolle des Verhaltens mit vergleichsweise geringer Wahrscheinlichkeit als «verhaltensauffällig» etikettiert – möglicherweise werden sie aufgrund von Halo-Effekten nachsichtig beurteilt (Stang & Urhahne, 2016). Außerdem legen die Ergebnisse nahe, dass persönliche Eigenschaften der Lehrpersonen (Belastungserleben, allgemeine Störungsempfindlichkeit) mit ihrer Etikettierungstendenz einhergehen, was sich vermutlich mit wahrnehmungspsychologischen Mechanismen erklären lässt (Eckstein et al., 2022; Wettstein et al., accepted).
Die Stärken und Grenzen der Studie reflektierend werden an der Konferenz Implikationen dieser Ergebnisse für die zukünftige Forschung und Theoriebildung sowie für die Unterrichtspraxis diskutiert.
Paper Session
Eine experimentelle Studie zu den Effekten von Lehrermindsets auf den Umgang mit leistungsschwachen Schülern, beruflichen Überzeugungen, Emotionen und Verhalten
Patricia Schwiering1,2, Anke Heyder1
1Ruhr-Universität Bochum, Deutschland; 2TU Dortmund
Theoretischer Hintergrund
Growth vs. Fixed Mindsets bezeichnen die subjektive Überzeugung, inwiefern Intelligenz und Fähigkeiten statisch sind (Fixed) oder wachsen können (Growth) (z.B. Dweck & Yeager, 2019). Dabei gilt ein Growth Mindset als besonders motivations- und leistungsförderlich (z.B. Dweck, 2006). Bisherige Studien legten jedoch den Schwerpunkt auf die Bedeutung der Mindsets der Lernenden. Arbeiten zur Bedeutung der Mindsets von Lehrenden liegen erst seit kurzem und primär aus dem US-Amerikanischen Hochschulbereich vor (z.B. Canning et al., 2022). Für Lehrkräfte an Schulen deuten erste Studien darauf hin, dass ihr Mindset mit ihrem Unterrichtsverhalten zusammenhängt (z.B. Rissanen et al., 2019; Sun, 2018) und insbesondere leistungsschwache Schüler*innen von Lehrkräften mit Growth Mindsets motivational profitieren (z.B. Heyder et al., 2020). Experimentelle Arbeiten, die diese Zusammenhänge untermauern, fehlen bislang jedoch. Unklar ist ebenfalls, welche Bedeutung ein Growth Mindset für weitere Kernaufgaben von Lehrkräften wie z.B. die Beurteilung und Beratung von Schüler*innen (KMK, 2019) hat. Entsprechende Erkenntnisse sind wichtig, um die Relevanz von Lehrermindsets umfassender beurteilen und mögliche Schlussfolgerungen für die Ausbildung zukünftiger Lehrkräfte fundierter ziehen zu können.
Fragestellung
Die hier präsentierte experimentelle Studie untersucht, ob sich die Förderung von Growth Mindsets bei Lehramtsstudierenden mithilfe einer erprobten Kurzintervention (Heyder et al., 2023) auf ihren Umgang mit einem leistungsschwachen Schüler, ihre Lehrerselbstwirksamkeitserwartung, Emotionen und das selbstberichtete antizipierte Unterrichtsverhalten auswirkt. Wir erwarteten, dass die Lehramtsstudierenden der Interventionsgruppe ein stärkeres Growth Mindset (Manipulationscheck), eine größere Lehrerselbstwirksamkeitserwartung, mehr positive und weniger negative Emotionen sowie eine höhere Wahrscheinlichkeit von kognitiv aktivierendem und eine geringere Wahrscheinlichkeit von leistungsorientiertem Unterrichtsverhalten berichten. Zudem erwarteten wir in Bezug auf den Umgang mit einem leistungsschwachen Schüler, dass die Lehramtsstudierenden der Interventionsgruppe positivere Erwartungen an die schulische Entwicklung des leistungsschwachen Schülers und eine stärkere Growth-Mindset-orientierte Beratung an diesen Schüler verfassen.
Methode
In einem präregistrierten Online-Experiment wurden 306 Lehramtsstudierende (224 weiblich; Alter M = 23.26 Jahre) randomisiert der Growth-Mindset fördernden Interventions- (IG) (n = 160) oder der Kontrollgruppe (KG) (n = 146) zugewiesen. Die Teilnehmenden der IG reflektierten über ihre eigene Mission als Lehrkraft und die der KG über das Ruhrgebiet (vgl. Heyder et al., 2023). Anschließend berichteten sie ihr Growth Mindset (Heyder et al., 2020). Danach lasen sie die Fallbeschreibung eines fiktiven leistungsschwachen Schülers, berichteten ihre Erwartungen an seine weitere schulische Entwicklung und verfassten eine schriftliche Schullaufbahnberatung an die Familie. Zusätzlich berichteten sie ihre Lehrerselbstwirksamkeitserwartung (Midgley et al., 2000), erwarteten Emotionen (angelehnt an Pekrun et al., 2011) bezogen auf die Kernaufgaben einer Lehrkraft (KMK, 2019) und antizipierte Nutzung verschiedener Unterrichtspraktiken (Retelsdorf et al., 2010).
Ergebnisse
Wie erwartet berichteten die Lehramtsstudierenden der IG im Vergleich zur KG ein stärkeres Growth Mindset, was die Wirksamkeit der Intervention unterstützt (d = 0.35, p = .001). Ebenfalls erwartungskonform berichten die Lehramtsstudierenden der IG eine größere Lehrerselbstwirksamkeitserwartung, mehr Unterrichtspraktiken der kognitiven Aktivierung und Autonomie, weniger leistungsorientierte Unterrichtspraktiken und weniger Langeweile als die der KG (alle d ≥ 0.19, alle p < .05). Hinsichtlich des leistungsschwachen Schülers erwartete die IG deskriptiv eine positivere schulische Entwicklung (d = 0.12, p = .154) und beriet mit einem größeren relativen Anteil positiv konnotierter Wörter (d = 0.26, p = .025) als die KG, wie erste explorative Sentiment-Analysen zeigten. Zusätzlich zu den quantitativen Analysen werden derzeit alle Beratungstexte nach der strukturierenden Inhaltsanalyse (Mayring, 2022) mithilfe eines in Pretests erprobten Kategoriensystems hinsichtlich ihrer Growth- bzw. Fixed-Mindset-Orientierung von zwei unabhängigen und für die experimentelle Bedingung blinden Kodierer*innen kodiert. Der sich anschließende Vergleich der Beratungen der IG und der KG liefert weitere Erkenntnisse zu der Frage, wie sich ein Growth oder Fixed Mindset von Lehrenden in ihrem professionellen Handeln manifestiert.
Insgesamt bietet die Studie erste experimentell gestützte Einblicke in die praktische Bedeutsamkeit von Lehrermindsets für weitere Aspekte der professionellen Kompetenz von Lehrkräften.
Paper Session
Wie denken angehende Lehrpersonen über das Experimentieren im Geographieunterricht? Betrachtung eines Überzeugungssystems
Hanna Velling, Jan Christoph Schubert
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Deutschland
Theoretischer Hintergrund
Dem Experimentieren im Geographieunterricht werden insbesondere vor dem Hintergrund einer naturwissenschaftlichen Grundbildung große didaktische Potenziale zugeschrieben (z.B. Lethmate, 2006) und geographische Bildungsstandards und Lehrpläne sehen den Einsatz von Experimenten vor (DGfG, 2020). Zugleich liegen Hinweise darauf vor, dass Experimente nur selten im Geographieunterricht eingesetzt werden (Hemmer & Hemmer, 2010) und ihr Einsatz mit großen Herausforderungen für Lehrpersonen verbunden ist (Otto & Mönter, 2015). Vor diesem Hintergrund rücken die Geographielehrpersonen selbst in den Fokus. Deren subjektive Überzeugungen (Beliefs) gelten neben anderen Komponenten professioneller Handlungskompetenz als wichtiger Prädiktor für die Gestaltung und Qualität von Unterricht sowie konkretes unterrichtliches Handeln (Baumert & Kunter, 2006; Fives & Buehl, 2012; Pajares, 1992) – so auch für Einsatz und Gestaltung von Experimenten im Geographieunterricht. Dabei wirken Beliefs stets eingebettet in ein System weiterer Überzeugungen sowie kontextabhängig als sogenannte Filter, Frames und Guides auf das professionelle Handeln von Lehrpersonen (Fives & Buehl, 2012; Mansour, 2009). Folglich wird argumentiert, dass diese erstens im Zusammenhang mit weiteren Überzeugungen (Fives & Buehl, 2012) sowie zweitens möglichst situations- und anforderungsspezifisch (Blömeke et al., 2008) untersucht werden sollten. Mit Blick auf das Experimentieren im Geographieunterricht könnten – neben den Überzeugungen der Geographielehrpersonen zum Experimentieren selbst – auch deren lehr- und lerntheoretische und epistemologische Überzeugungen eine wichtige Rolle spielen, da diese als relevant für die Auswahl von Lerngelegenheiten und Unterrichtsformen und -aktivitäten gelten (Dubberke et al., 2008; Hashweh, 1996; Seidel et al., 2008). Hinzu kommen auch Selbstwirksamkeitserwartungen, da diesen im Zusammenhang mit herausfordernden Situationen im Unterricht – wie auch dem Experimentieren – eine besondere Bedeutung für unterrichtliches Handeln zugeschrieben wird (Schwarzer & Jerusalem, 2002). Bisher ist jedoch wenig über die Zusammenhänge der Beliefs von (angehenden) Lehrpersonen zum Experimentieren im Geographieunterricht mit diesen Arten von Überzeugungen sowie auch zu deren Ausprägungen bekannt.
Fragestellung
Vor diesem Hintergrund werden im Vortrag folgende Forschungsfragen fokussiert:
a) Wie sind die Beliefs zum Experimentieren im Geographieunterricht bei angehenden Lehrpersonen ausgeprägt?
b) In welchem Zusammenhang stehen die Beliefs der angehenden Lehrpersonen zum Experimentieren im Geographieunterricht mit lehr- und lerntheoretischen Überzeugungen, epistemologischen Überzeugungen und ihren Selbstwirksamkeitserwartungen?
Methode
Zur Beantwortung der Forschungsfragen wurden N = 285 angehende Geographielehrpersonen (74% weiblich; Durchschnittsalter: M = 22, SD = 3.7) anhand eines neu entwickelten und validierten Messinstruments zu ihren Überzeugungen zum Experimentieren im Geographieunterricht (Velling & Schubert, 2023a; Velling et al., 2022) sowie anhand etablierter Skalen zu ihren lehr- und lerntheoretischen Überzeugungen (konstruktivistisch-transmissiv) (OECD, 2009), epistemologischen Überzeugungen zu Naturwissenschaften (Bos et al., 2016) und Selbstwirksamkeitserwartungen/ Kompetenzüberzeugungen zum Experimentieren im Geographieunterricht (Velling & Schubert, 2023b; geographiespezifisch adaptiert nach Meinhardt et al., 2016) befragt. Anhand der Daten wurden die Ausprägungen der Beliefs zum Experimentieren sowie deren Zusammenhänge mit den weiteren erfassten Überzeugungen in einem Strukturgleichungsmodell (CFI: .93, TLI: .92, RMSEA: .029 [.023, .034], SRMR: .057, χ² = 1302.815, df = 1049 p < .001, χ²/df = 1.24) betrachtet.
Ergebnisse
Die befragten Studierenden sind insgesamt sowie insbesondere bezüglich der Förderung von Kompetenzen und der motivationalen Lernvoraussetzungen von Schüler*innen von großen Chancen durch das Experimentieren im Geographieunterricht überzeugt. Vergleichsweise weniger positiv sind die Überzeugungen mit Blick auf eine Offenheit beim Experimentieren sowie die kognitiven und motorischen Lernvoraussetzungen der Schüler*innen ausgeprägt. Mit Blick auf die Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Arten von Beliefs ist ein zentrales Ergebnis, dass die Bedeutung, welche angehende Lehrpersonen der Offenheit beim Experimentieren beimessen, positiv durch fortgeschrittenere Beliefs zu Naturwissenschaften, hingegen negativ durch transmissive Überzeugungen vorausgesagt wird. Zudem sind Studierende, welche der Meinung sind, dass die Schüler*innen die kognitiven und motorischen Lernvoraussetzungen für das Experimentieren mitbringen, stärker von ihrer eigenen Kompetenz beim Einsatz von Experimenten im Geographieunterricht überzeugt. Weitere Zusammenhänge der Beliefs sowie erste Implikationen für die Forschung und (fachdidaktische) Lehrer*innenbildung werden im Vortrag diskutiert.
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