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Sitzungsübersicht
Sitzung
8-17: Reflexion im Bildungskontext
Zeit:
Mittwoch, 20.03.2024:
11:10 - 12:50

Ort: S16

Seminarraum, 50 TN

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Präsentationen
Paper Session

Der Selbstbezug innerhalb von Reflexionen im pädagogischen Kontext

Gerlinde Lenske1, Alexandra Merkert2, Hendrik Lohse-Bossenz3, Elisabeth Seethaler4

1Leuphana Universität Lüneburg, Deutschland; 2Rheinland-Pfälzische Technische Universität Kaiserslautern-Landau, Deutschland; 3Universität Greifswald, Deutschland; 4Pädagogische Hochschule Salzburg, Österreich

Theoretischer Hintergrund

Reflexion eigener oder fremder Erfahrung wird zur Verbindung von Theorie und Praxis im Rahmen der Lehrer:innenbildung als zentral erachtet (z. B. Schön, 1987; Calderhead, 1989; Zeichner & Liston, 1987; Hatton & Smith, 1995; Korthagen & Vasalos, 2005; Lenske & Lohse-Bossenz, 2023). Videos bilden in der praxisärmeren ersten Phase der Lehrer:innenbildung ein Fenster zur Praxis und ermöglichen es, Unterrichtssituationen theoriebasiert zu analysieren und Fremderfahrungen als eine Art stellvertretende Erfahrung auf die eigene Person zu beziehen. Obwohl der Begriff Reflexion im Rahmen der Bildungsforschung sehr häufig verwendet wird, lassen sich im Bereich der Reflexionsforschung noch zahlreiche Desiderate identifizieren (Lenske & Lohse-Bossenz, 2023). So ist beispielsweise die Komponente des Selbstbezugs im Rahmen von Reflexionen noch wenig erforscht, wenngleich der Selbstbezug als wichtiges Merkmal von Reflexion beschrieben (z. B. Aeppli & Lötscher, 2016; Korthagen & Vasalos, 2005) oder gar als obligatorisches Merkmal von Reflexion definiert wird (siehe Lenske & Lohse-Bossenz, 2023). Unklar ist bislang, welche Dimensionen hinsichtlich des Selbstbezugs unterschieden werden können und inwiefern es Lehramtsstudierenden bereits zu Beginn ihres Studiums gelingt, einen Selbstbezug (vertieft) herzustellen. Es ist anzunehmen, dass sich das situationale Interesse in Bezug auf die Beschäftigung mit einem Unterrichtsvideo sowie die Motivation, einen Selbstbezug herzustellen, auf die Qualität des Selbstbezugs auswirken (Merkert et al., 2023). Das heißt, dass Personen, die hinsichtlich der Aufgabe interessiert und motiviert sind, eher vertiefte Selbstbezüge herstellen. Darüber hinaus gibt es empirische Evidenz, dass das Wissen über den zentralen Reflexionsinhalt die Reflexion beeinflusst (z. B. Weber et al., 2023). Ebenso kann angenommen werden, dass auch der Selbstbezug als Teil der Reflexion bei höherem Wissen mehr Tiefgang aufweist.

Forschungsfrage

Hier setzt die vorliegende Studie an. Sie befasst sich mit dem Selbstbezug im Rahmen von videobasierten Reflexionen mit Fokus auf Klassenführung bei Studienanfänger:innen. Im Zentrum steht dabei die Frage, welche Dimensionen des Selbstbezugs sich empirisch abbilden lassen. Im Sinne einer konvergenten Validierung soll der erfasste Selbstbezug auf theoretisch erwartbare Zusammenhänge mit a) dem situationalen Interesse, b) der Motivation einen Selbstbezug herzustellen und c) dem Vorwissen zu Klassenführung empirisch überprüft werden.

Methode

Die Stichprobe umfasst 133 Lehramtsstudierende im Bachelor (2. Semester), welche im Rahmen einer Vorlesung aufgefordert wurden, mehrere Videovignetten mit dem Fokus auf Klassenführung zu reflektieren. Zur Beantwortung der zugrundeliegenden Forschungsfrage wurden die schriftlichen Selbstbezüge zu einer ausgewählten Vignette auf Basis der strukturierenden skalierenden qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring (2022) ausgewertet. Hierbei wurden die Kategorien zunächst deduktiv aus der Theorie abgeleitet (z. B. Korthagen & Vasalos, 2005) und im Rahmen der Codierschleifen induktiv adaptiert.

Das situationale Interesse wurde per Fragebogen direkt nach der Videobetrachtung, aber vor der Reflexion erfasst (11 Items, 7-stufige Likertskala, IMI, siehe u. a. McAuley et al., 1989; Ryan, 1982); ebenso die Motivation, einen Selbstbezug herzustellen (9 Items, 5-stufige Likertskala, Eigenentwicklung). Das Klassenführungswissen wurde mittels standardisiertem Test ca. eine Woche vor der videobasierten Reflexion erhoben (Papier-Bleistift-Test, Seethaler & Lenske, 2022). Die jeweiligen Zusammenhänge wurden auf Basis von Korrelationsanalysen ermittelt.

Ergebnisse

Im Zuge der Analysen wurden fünf Dimensionen des Selbstbezugs klassifiziert und empirisch besetzt (1. Kompetenzen, 2. Passung und Identifikation, 3. Werte und Überzeugungen, 4. persönlicher Lerneffekt und 5. Emotionen). Neben der Breite des Selbstbezugs wurde auch die Tiefe erfasst. Erwartungsgemäß verfassten situational stärker interessierte und zur Herstellung eines Selbstbezugs motivierte Studierende tendenziell umfangreichere (r=.206, p=.018 bzw. r=.191, p=.028) und tiefer gehende Selbstbezüge (r=245, p=.005 bzw. r=.264, p=.002). Das Vorwissen korreliert ebenfalls signifikant positiv mit der Selbstbezugstiefe (r=.212, p=.046). Die Resultate stehen (unter Berücksichtigung des Ausbildungsstands der Studierenden) im Einklang mit den theoretischen Annahmen und leisten einen Beitrag, das Forschungsdesiderat um den Selbstbezug innerhalb von Reflexionen, insbesondere hinsichtlich seiner Messbarkeit, zu reduzieren. Im Rahmen des Vortrags werden Limitationen diskutiert und Implikationen für Theorie und Praxis aufgezeigt.



Paper Session

Reflexion und Reflexionskompetenz im Kontext von Unterricht – Ein Scoping-Review

Katrin Arendt, Lisa Stark, Anja Friedrich, Robin Stark, Roland Brünken

Universität des Saarlandes, Deutschland

Reflexion von Unterricht, deren Verankerung in der Lehramtsausbildung besonders gefordert wird (Buschor & Kamm, 2015; Roters, 2012), ist ein vielfach diskutiertes Konzept. Der aktuellen Forschung mangelt es vor allem an einem gemeinsamen Begriffsverständnis (Clará, 2015; Häcker, 2019; Wyss, 2013). Auch die Konzeptualisierung und Operationalisierung von Reflexionskompetenz sind nicht einheitlich. Hier werden meist verschiedene Inhaltsbereiche der Reflexion betrachtet, zudem unterscheiden sich oft zugrundeliegende Reflexionsmodelle und Messverfahren (Tripp & Reich, 2012). An einer Abgrenzung von Reflexion bzw. Reflexionskompetenz von anderen Konzepten im Zusammenhang mit der Professionalisierung von Lehrkräften (z.B. Professionelle Unterrichtswahrnehmung), fehlt es ebenfalls.

Um bisherige Forschungsergebnisse zu bündeln und hinsichtlich ihrer theoretischen Rahmungen besser einordnen zu können, wurde ein Scoping-Review durchgeführt (Levac et al., 2010). Das Ziel bestand darin, die Unterschiede in zugrundeliegenden Definitionen und theoretischen Modellen aufzuzeigen sowie das Verständnis der Begriffe Reflexion und Reflexionskompetenz im Kontext von Unterricht je zu einer Definition zusammenzuführen und mögliche Forschungslücken aufzuzeigen. Die übergeordnete Fragestellung des Scoping-Reviews lautet: Was weiß man aus der aktuellen Forschung über die Reflexion von Unterricht und Reflexionskompetenz von Lehrkräften bzw. Lehramtsstudierenden?

Nach der Methodik für Scoping-Reviews von Levac et al. (2010) wurde zunächst ein passender Suchterm formuliert. Dieser wurde in den Datenbanken Web of Science und ERIC eingesetzt, da diese als relevant für das Feld der empirischen Bildungsforschung angesehen werden (Newman & Gough, 2020). Zusätzlich wurde die Suche zeitlich auf die letzten 20 Jahre und auf Zeitschriftenartikel eingeschränkt. Dieses Scoping-Review schließt nur deutsch- und englischsprachige Zeitschriftenartikel ein, die sich auf Studien in den deutschsprachigen Ländern Deutschland, Österreich und Schweiz beziehen, da die Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern weltweit variiert. Es wird angenommen, dass aufgrund dieser Einschlusskriterien eine für weitere Forschungen sinnvolle Definition von Reflexion und eine Operationalisierung von Reflexionskompetenz vorgenommen werden kann.

Durch die Datenbanksuche wurden n=597 Artikel gefunden. Nach Entfernen von Duplikaten verblieben n=592 Artikel in der Vorauswahl. Davon wurden in einem Titel- und Abtractscreening aufgrund der zuvor definierten Kriterien n=531 ausgeschlossen (z.B. Die Stichprobe des Artikels beinhaltet Personen aus nicht-deutschsprachigen Regionen oder der Artikel bezieht sich auf andere Kontexte als die Reflexion von Unterricht in der Schule). Die verbliebenen n=61 Volltexte wurden im Anschluss auf Eignung beurteilt. Kriterien für den Ausschluss innerhalb des Volltextscreenings waren z.B. die Studie bezieht sich nicht auf die Reflexion von Unterricht durch Lehrkräfte bzw. Lehramtsstudierende oder Reflexion steht nicht im Fokus bzw. wird in den Forschungsfragen nicht untersucht. Am Ende wurden n=25 Artikel in das Review eingeschlossen. Sowohl für das Titel- und Abstract- als auch für das Volltextscreening wurde die Beurteilerübereinstimmung zweier unabhängiger Rater berechnet (κTitel/Abstract=0.90, κVolltext=1.00).

Die Definitionen von Reflexion und Reflexionskompetenz in den einzelnen Artikeln sowie weitere Aspekte, wie z.B. die aufgeführten Reflexionsmodelle und Messverfahren wurden systematisch dargestellt. Zusätzlich wurden die Artikel hinsichtlich unterschiedlicher Merkmale, wie dem Einsatz von Videos für die Reflexion oder auf Grundlage der betrachteten Inhaltsbereiche der Reflexionen (z.B. Umgang mit Unterrichtsstörungen, Klarheit der Instruktion, etc.) gegenübergestellt. Mithilfe von Grafiken wurden weitere Verbindungen zwischen den Artikeln dargestellt. Beispielsweise wurde verdeutlicht, wie sich die Anzahl der Publikationen entwickelt hat. Hier zeigte sich eine Zunahme der Artikelzahl im Laufe der Jahre. Weiterhin wurden Netzwerke dargestellt, die die Kooperationen der AutorInnen untereinander beinhalten. Die meisten Autorengruppen bleiben eher unabhängig von anderen Forschenden und es bilden sich eher kleinere Netzwerke. Außerdem wurden die Artikel hinsichtlich Ihrer Gemeinsamkeiten untersucht und Gruppierungen der Artikel wurden genauer betrachtet. Die Artikel wurden nach der Betrachtung der reflexionsbezogenen Dispositionen, der Reflexionsperformanz und des Reflexionsprozesses eingeordnet.

Eine gemeinsame Definition für Reflexion sowie für Reflexionskompetenz wurde herausgearbeitet und diskutiert, Forschungslücken wurden erörtert und Implikationen für die weitere Forschung zur Reflexion von Unterricht wurden dargestellt.



Paper Session

Reflexion und Kollaboration in agentenbasierten Simulationen: Effekte auf die Qualität diagnostischer Ergebnisse

Constanze Richters1, Matthias Stadler2, Anika Radkowitsch3, Martin Fischer2, Ralf Schmidmaier4, Frank Fischer1

1Department of Psychology, LMU Munich, Munich, Germany; 2Institute of Medical Education, LMU University Hospital, LMU Munich, Munich, Germany; 3Department of Mathematics Education, IPN Leibniz Institute for Science and Mathematics Education, Kiel, Germany; 4Department of Medicine IV, LMU University Hospital, LMU Munich, Munich, Germany

Agentenbasierte Simulationen bieten Studierenden die Möglichkeit, wiederholt wissensreiche kollaborative Fähigkeiten wie das kollaborative Diagnostizieren zu üben (Chernikova et al., 2020; Graesser et al., 2018). Angeleitete Reflexion kann dabei den Diagnoseprozess unterstützen (Mamede & Schmidt, 2017; Richters et al., 2023). Es wird angenommen, dass durch die Reflexion individueller Verdachtsdiagnosen kognitive Fallrepräsentationen umstrukturiert werden (Mamede & Schmidt, 2022). Bisherige Studien legen nahe, dass diese Form der Reflexion ein ausreichendes Maß an Vorwissen erfordert (Chernikova et al., 2020; Richters et al., 2022). In professionellen kollaborativen Diagnosesituationen (z. B. in der Medizin mit Personal aus anderen Fachbereichen) ist das Ziel der Kollaboration, zusätzliches Wissen in den Diagnoseprozess einzubringen (Radkowitsch et al., 2022). Dies könnte auch die kognitive Fallrepräsentation verändern. In diesem Beitrag wird daher in einer agentenbasierten Simulation untersucht, inwiefern Lernende in Abhängigkeit ihres Vorwissens durch Reflexion und Kollaboration ihre aktuellen kognitiven Fallrepräsentationen verändern.

N = 79 Medizinstudierende (Nweiblich= 56) ab dem 5. Studienjahr bearbeiteten konsekutiv drei Patient:innenfälle in der Rolle von Internist:innen mithilfe einer agentenbasierten Radiologin. Im ersten Teil erhielten die Studierenden eine Patient:innenakte mit relevanten klinischen Informationen (Symptome und Befunde). Danach wurden sie durch gezielte Fragen zur Reflexion über aktuelle Verdachtsdiagnosen angeregt: Die aktuelle Verdachtsdiagnose sollte angegeben und unterstützende, widersprechende sowie fehlende klinische Informationen benannt werden. Bis zu fünf weitere mögliche Verdachtsdiagnosen konnten angegeben und mit den gleichen Schritten reflektiert werden. Abschließend sollten alle Verdachtsdiagnosen der Wahrscheinlichkeit nach sortiert werden. Im zweiten Teil stellten alle Studierenden (bis zu zehn) radiologische Untersuchungsanforderungen und begründeten diese mit klinischen Informationen und Verdachtsdiagnosen. Unzureichend begründete Anforderungen erhielten Rückmeldung und konnten überarbeitet werden. Bei ausreichender Begründung teilte die Radiologin ihre Untersuchungsergebnisse (neue Informationen). Alle Studierenden schlossen den Fall mit Abgabe einer finalen Verdachtsdiagnose ab. Als Indikator für die kognitive Fallrepräsentation wurde die Akkuratheit der Verdachtsdiagnose anhand der Richtigkeit der Verdachtsdiagnose (inkorrekt, niedrig spezifiziert korrekt, hoch spezifiziert korrekt) pro Person und Fall zu drei Zeitpunkten erfasst (Ω = .79): Vor der Reflexion, nach der Reflexion (vor der Kollaboration) und nach der Kollaboration (finale Diagnose). Vor dem Experiment wurde das inhaltliche Vorwissen (Innere Medizin und Radiologie) der Studierenden mittels Single-Choice- und Key-Feature Fragen erhoben. Die Analyse erfolgte mittels Rangkorrelationen und logistischer Regression.

Bei fast 90 % der Studierenden führte die Reflexion zu keiner Veränderung der Akkuratheit der Verdachtsdiagnose. Die entsprechend starke positive Korrelation zwischen der Akkuratheit der Verdachtsdiagnose vor und nach der Reflexion (ρ= .84, p <.001) war nicht durch das Vorwissen moderiert (b = -7.10, p = .269, OR = 0.49). Von den Studierenden mit inkorrekter oder niedrig spezifizierter korrekter Verdachtsdiagnose nach der Reflexion verbesserten sich 75 % durch die Kollaboration. Die vergleichsweise schwache positive Korrelation zwischen der Akkuratheit der Verdachtsdiagnose nach der Reflexion und der finalen Diagnose nach der Kollaboration (ρ = .28, p = <.001) war ebenfalls nicht durch das Vorwissen moderiert (b = -13.99, p = .142, OR = 0.26).

Entgegen vorheriger Erklärungen zur Wirkung angeleiteter Reflexion im individuellen Kontext (cf., Mamede & Schmidt, 2022) ergab diese Studie keine Hinweise darauf, dass Reflexion kognitive Fallrepräsentationen verändert. Kollaboration hingegen verbesserte das diagnostische Ergebnis (finale Verdachtsdiagnose) – unabhängig vom Vorwissen der Studierenden – erheblich und scheint somit die kognitiven Fallrepräsentationen verbessert zu haben. Die wiederholte Kollaboration ermöglicht früher oder später den Zugang zu externen Informationen durch Versuch und Irrtum, was durch die Reflexion interner Wissensressourcen nicht erreicht werden kann. Die Lernenden könnten sich dessen bewusst sein und sich stärker auf die Zusammenarbeit fokussieren. Dies legt nahe, dass in agentenbasierten Simulationen diese Form der Reflexionsunterstützung für die Qualität diagnostischer Ergebnisse weniger effektiv sein kann als außerhalb. Diese Befunde unterstützen die Annahme, dass Simulationen per se größere Effekte haben als zusätzliche instruktionale Unterstützung (Chernikova et al., 2020).



Paper Session

Reflexives Schreiben in der Hochschulbildung - ein systematisches Review zu Konzepten, Forschungsthemen und -methoden

Florian Hofmann1, Chengming Zhang1, Michaela Artmann2, Xining Wang3, Michaela Gläser-Zikuda1

1FAU Erlangen-Nürnberg, Deutschland; 2Universität zu Köln, Deutschland; 3Trinity College Dublin, Irland

Theoretischer Hintergrund. Theoretische und wissenschaftliche Erkenntnisse in anwendungsbezogenes Wissen zu überführen, gehört zu den zentralen Herausforderungen der Hochschulbildung (Yorke, 2003). Nicht zuletzt durch die rasant fortschreitende Digitalisierung und Globalisierung im gesamten Bildungswesens wird diese anspruchsvolle Aufgabe zunehmend komplexer. Damit Studierende auf diese sich stetig verändernden und komplexeren Anforderungen adäquat vorbereitet werden, müssen sie vor allem neues Wissen rasch aufnehmen, aktiv verarbeiten, integrieren und reflektieren sowie zur Lösung komplexer Fragestellungen anwenden können (Núñez-Canal et al., 2022). Reflexives Schreiben erfährt in der Hochschulbildung seit geraumer Zeit eine breite Aufmerksamkeit und hat sich als aussichtsreiches Konzept herausgestellt, um den skizzierten Herausforderungen in der Hochschulbildung gerecht werden zu können (Jung & Wise, 2020; Kovanović et al., 2018; Poldner et al., 2014).

Allerdings liegen eine Vielzahl sehr unterschiedlicher Konzepte reflexiven Schreibens vor, was in erster Linie auf diverse Kontexte, Domänen und Einsatzsbereiche zurückzuführen ist. Diese Heterogenität, welche sich schon in einer uneinheitlichen Verwendung des Begriffs „Reflexivität“ bzw. unklare terminologische Verortung manifestiert, birgt zahlreiche Schwierigkeiten und kann unter anderem die Effekte bzw. die Analyse der Wirksamkeit des Verfahrens beeinträchtigen. Aktuelle systematische Reviews beleuchten reflexives Schreiben zwar in diversen Fachbereichen (Chen & Forbes, 2014; Franco et al., 2022; Van Beveren et al., 2018); ihr Fokus liegt aber häufig auf spezifischen Teilaspekten des reflexiven Schreibens. Daher erscheint es notwendig, breiter angelegte und interdisziplinär ausgerichtete Analysen im Bereich der Hochschulbildung vorzunehmen, um die facettenreichen Operationalisierungsformen reflexiven Schreibens umfassend zu erfassen und zu verstehen.

Fragestellung. Daher haben wir einen domänenübergreifenden Ansatz gewählt, der die unterschiedlichen Konzepte in diversen Disziplinen berücksichtigt. Ziel des vorliegenden systematischen Reviews ist es, die diversen Konzepte, Forschungsthemen und -methoden des reflexiven Schreibens zu identifizieren und zu systematsieren. Konkret werden folgenden Forschungsfragen bearbeitet:

F1: Wie ist reflexives Schreiben konzeptionell in den Hochschulcurricula verankert?

F2: Welche Forschungsthemen zu reflexivem Schreiben liegen vor?

F3: Welche Forschungsmethoden werden für die Analyse reflexiven Schreibens in der Hochschule angewandt?

Methode. Für dieses systematische Review wurden die PRISMA-Richtlinien von 2020(Page et al., 2021) herangezogen. Zur gezielten Literaturrecherche wurde die folgende Suchsyntax eingesetzt, wobei Titel, Schlagwörter und Abstracts berücksichtigt wurden: („reflective writing“ ODER „reflective practice“ ODER „written reflection“) UND („assessment“ ODER „evaluation“ ODER „analysis“) UND („student“ ODER „learner“ ODER „trainee“) UND („higher education“). Die Erstrecherche in den Datenbanken Web of Science (https://www.webofscience.com/), Scopus (https://www.scopus.com/) und Science Direct (https://www.sciencedirect.com/) ergab insgesamt 4501 Artikel. Für die Literaturauswahl wurden neun Kriterien definiert (bei den ausgewählten Studien handelt es sich um empirische Primärforschung zum reflexiven Schreiben im Hochschulbereich, die zwischen 2010 und 2023 in englischsprachigen, von Expert*innen begutachteten Zeitschriften veröffentlicht wurden, im Volltext vorliegen und mehr als fünf Seiten umfassen). Nach genauerer Betrachtung und Anwendung der festgelegten Einschlusskriterien wurden schließlich 88 Artikel für die weitere Analyse ausgewählt.

Ergebnisse. Reflexives Schreiben ist als Konzept hauptsächlich in semesterbasierten Hochschulkursen in Form von gezielten Schreibaufgaben verankert. Besonders häufig ist reflexives Schreiben in der Medizin und den Gesundheitswissenschaften curricular verankert. Hinsichtlich der Forschungsthemen konnten die analysierten Artikel in drei Forschungskategorien eingruppiert werden: Bewertung reflexiven Schreibens (n = 36), reflexives Schreiben als spezifisches Evaluationsinstrument (n = 39) sowie die Analyse diverser Einflussfaktoren auf reflexives Schreiben (n = 13). Ein weiterer wichtiger Befund bezieht sich auf die in den Studien angewandten Forschungsmethoden für die Analyse reflexiven Schreibens: Die qualitative und quantitative Inhaltsanalyse ist nach wie vor die vorherrschende Forschungsmethodik, wobei sie in den letzten Jahren zunehmend in Verbindung mit Techniken des maschinellen Lernens und des Natural Language Processing verwendet wird. Zentrale Ergebnisse des systematischen Reviews und Implikationen für Forschung und Hochschulbildung werden im Vortrag diskutiert.