Veranstaltungsprogramm

Eine Übersicht aller Sessions/Sitzungen dieser Veranstaltung.
Bitte wählen Sie einen Ort oder ein Datum aus, um nur die betreffenden Sitzungen anzuzeigen. Wählen Sie eine Sitzung aus, um zur Detailanzeige zu gelangen.

 
 
Sitzungsübersicht
Sitzung
8-13: Persönlichkeit im Studium und jungen Erwachsenenalter
Zeit:
Mittwoch, 20.03.2024:
11:10 - 12:50

Ort: S28

Seminarraum, 60 TN

Zeige Hilfe zu 'Vergrößern oder verkleinern Sie den Text der Zusammenfassung' an
Präsentationen
Paper Session

Die Rolle von Persönlichkeitseigenschaften für die Studienintention von Studienberechtigten aus unterschiedlicher sozialer Herkunft

David Nika, Dr. Michael Grüttner, Prof. Dr. Sandra Buchholz

Deutsches Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW), Deutschland

Theoretischer Hintergrund

Die Erforschung sozialer Ungleichheiten ist ein zentraler Bestandteil bildungssoziologischer Forschung. Hauptsächlich fokussiert sich diese Forschung auf die Erklärung sozialer Ungleichheiten, z.B. warum bestimmte soziale Gruppen häufiger in ein Studium übergehen als andere (Becker, 2017). Auch wenn sich die Chancengleichheit für den Übergang in hochschulische Bildung in Deutschland mit der Zeit verbessert hat, bestehen weiterhin Ungleichheiten zwischen den sozialen Herkunftsgruppen (Becker & Lauterbach, 2016). So liegt beispielsweise die Wahrscheinlichkeit für ein Kind aus einer Familie mit niedrigem sozioökonomischen Status in ein Studium überzugehen bei 64%, während sie bei solchen aus Familien mit mittlerem oder hohem Status bei 72% bzw. 82% liegt (Quast et al., 2023).
Während es immer noch Ungleichheiten beim Hochschulzugang zwischen diesen sozialen Gruppen gibt, bleibt dennoch die Frage offen, wie es Kindern aus sozial schwächeren Familien gelingt, trotz der Zugehörigkeit zu einer benachteiligten Gruppe, erfolgreich in die höhere Bildung überzugehen (success against the odds). Daher erweitern wir die soziologische Ungleichheitsperspektive und argumentieren mit der „resource substitution hypothesis“ (Mirowsky & Ross, 2003), dass bestimmte Ressourcen für Kinder niedriger sozialer Herkunft wichtiger beim Übergang in ein Studium sind als für Kinder hoher sozialer Herkunft, da ihnen weniger alternative Ressourcen zur Verfügung stehen. Wir argumentieren, dass Persönlichkeitseigenschaften (McCrae & Costa, 1996, 1999) eine solche Ressource sind, mit denen potentiell soziale Ungleichheiten überwunden werden können.

Fragestellung

Welche Rolle spielen Persönlichkeitseigenschaften beim Übergang in ein Studium für Studienberechtigte aus unterschiedlicher sozialer Herkunft?
Methode
Zur Beantwortung dieser Frage, verwenden wir Daten des DZHW Studienberechtigtenpanels 2018. Das zugrundliegende Sample beruht auf einer nach Bundesland und Hochschulart disproportionalen, zufallsbasierten Klumpenstichprobe von Studienberechtigten, welche im Schuljahr 2017/2018 ihre Hochschulreife an einer allgemeinbildenden oder beruflichen Schule erlangt haben. Derzeit liegen Daten aus zwei Erhebungswellen vor, welche jeweils ein halbes Jahr vor und nach dem Schulabschluss erhoben wurden. Durch die Erhebung von Persönlichkeitseigenschaften, Kosten-, Erfolgs- und Ertragsaussichten eines Studiums sowie Plänen und Entscheidungen hinsichtlich des zukünftigen Bildungs- und Berufswegs, bieten diese Daten eine ideale Grundlage zur Analyse der Forschungsfrage.
Im ersten Schritt operationalisieren wir primäre und sekundäre Herkunftseffekte (Boudon, 1974) als soziologische Konzepte zur Erklärung sozialer Ungleichheiten für Bildungsentscheidungen. Im zweiten Schritt erweitern wir dieses Modell um die Big Five Persönlichkeitseigenschaften (McCrae & Costa, 1996, 1999) als non-kognitive Ressourcen, um ihre Rolle beim Studienübergang zu analysieren und ob sie zur Minderung von sozialen Herkunftsunterschieden beitragen. Dabei nehmen wir an, dass sich die Persönlichkeitseigenschaften sowohl direkt als auch indirekt über Leistung sowie Kosten-, Nutzen- und Erfolgsaussichten auf die Studienintention auswirken (siehe u.a. Andersen et al., 2020; Corazzini et al., 2021; Palczyńska & Świst, 2018; Rammstedt et al., 2017). Diese Annahmen werden mittels eines Strukturgleichungsmodells (SEM) überprüft. Der Vorteil von SEM gegenüber der herkömmlichen logistischen Regressionsmodelle besteht darin, dass hiermit direkte, indirekte und totale Effekte (Hayes, 2009) von Persönlichkeitseigenschaften auf die Studienintention für Kinder unterschiedlicher sozialer Herkunft gleichzeitig geschätzt werden können. Darüber hinaus können Kovarianzen zwischen den unabhängigen Variablen im Modell berücksichtigt werden.

Ergebnisse
Die Ergebnisse zeigen, dass sich neben der sozialen Herkunft auch die Persönlichkeitseigenschaften signifikant auf den Notendurchschnitt sowie die Erfolgs-, Ertrags- und Kostenerwartungen eines Studiums auswirken. Insgesamt zeigt sich, dass Studienberechtigte niedriger sozialer Herkunft eine geringere Ausprägung der Persönlichkeitseigenschaften Offenheit und emotionale Stabilität haben, diese sich aber insbesondere bei dieser Gruppe besonders positiv auf die Studienintention auswirken
(strukturelle Amplifikation / Ross & Mirowsky, 2011). Folglich spielen diese Eigenschaften eine wichtigere Rolle beim Übergang in ein Studium für diese Gruppe als für Kinder aus sozial stärkeren Familien und könnten so einen Beitrag zur Verringerung von sozialen Ungleichheiten beim Studienübergang leisten.



Paper Session

Caught between two stools: Effect of higher education dropout on big five personality traits

Johann Carstensen, Frauke Peter, Fabian Trennt

Deutsches Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW), Deutschland

Up to 30% of all German bachelor degree students leave higher education (HE) without
obtaining a degree; most of them within the first four semesters (Heublein et al., 2017).
While dropout from HE is mostly seen as a waste of public resources (Schneider et al.,
2019; Behr et al., 2020) more recent research is asking whether dropouts may have at
least acquired some skills that might be beneficial in subsequent vocational education
and training (VET) (Bröder et al., 2021). Comparatively low monetary returns (Heigle
and Pfeiffer, 2020; Berlingieri and Bolz, 2020) and mixed results concerning hiring chances
for an apprenticeship (Neugebauer and Daniel, 2022; Daniel et al., 2019) seem to support
the first perspective. However, this support rests on two assumptions: 1) earnings reflect
skills and 2) skills acquired in HE are compatible with skill demand in VET. Thus, in
order to examine whether HE dropout is indeed a bad investment, we directly address
the question whether a relatively brief exposure to HE affects skills. Thereby, we focus on
non-cognitive skills (i.e., personality traits, perseverance, self-efficacy) as those are highly
relevant for success in the labour (see for example, Judge et al., 1999; Fletcher, 2013;
Blanden et al., 2007; Heckman et al., 2013; Caliendo et al., 2015; Prevoo and ter Weel,
2015) as well as the apprenticeship market (Protsch and Solga, 2015).

In order to answer this question, we compare HE dropouts to apprentices with respect
to personality traits 2.5 years after leaving school. We only include individuals holding
an HE entrance certificate in both groups. Building on social investment theory (Roberts
et al., 2005) that emphasises the influence of social contexts on personality, we argue that
each context (VET vs. HE) develops its own professional roles according to respective
domain-specific demands to which new entrants have to adopt. While VET often prepares
for well-defined tasks in a highly labour-divided economy, HE rather prepares for less
narrowly defined occupations, non-routine and creative tasks (Hanushek et al., 2015).
Therefore, we expect that HE dropouts and apprentices differ in personality traits that
complement the respective demands.

We use data from a nationwide panel study, namely the DZHW panel of school leavers
with HE entrance qualification (cohorts graduating in 2015 & 2018) and apply entropy
balancing (Hainmüller, 2012) – a weighting-based matching approach – to possibly identify
a causal effect of HE dropout on personality traits.

Our analysis shows that HE experience without graduation does not have a significant
effect on four out of five personality dimensions. However, for conscientiousness, we find a significant negative effect of HE dropout (i.e., dropouts being less conscientious
compared to apprentices). Although being less conscientious is generally detrimental to
educational (Poropat, 2009) and labour market performance (Judge et al., 1999; Fletcher,
2013; Blanden et al., 2007), there are also hints that too much of conscientiousness might
not be beneficial in complex work contexts for which HE prepares its students. For
example, being more conscientious is less important in complex compared to routine jobs
(Shaffer and Postlethwaite, 2013), not relevant for managerial performance (Robertson
et al., 2000) and creativity (Reiter-Palmon et al., 2009) and even negative for adaptability
in changing contexts (Le Pine et al., 2000). Finally, while being more conscientious
predicts working in craft occupations (a typical destination for VET graduates), less
conscientious individuals rather select themselves into professional occupations (John and
Thomsen, 2014).

Therefore, leaving HE education without obtaining a degree is not necessarily a bad
investment, because HE dropouts have acquired non-cognitive skills during their time in
HE. However, these skills are probably more complementary to the demand for skills in
the HE labour market and less so in the VET sector.



Paper Session

Prokrastinationstendenzen im jungen Erwachsenenalter: Zum Co-Development zwischen Prokrastination, Gewissenhaftigkeit und Neurotizismus sowie Assoziationen mit zukünftigen Lebensereignissen

Lisa Bäulke1, Brent Roberts2,1, Benjamin Nagengast1,3, Ulrich Trautwein1

1Universität Tübingen, Deutschland; 2University of Illinois Urbana-Champaign; 3Korea University

Prokrastination – ein freiwilliger Handlungsaufschub einer geplanten Tätigkeit, trotz Antizipation negativer Konsequenzen – ist ein weit verbreitetes Phänomen, das insbesondere im akademischen Kontext auftritt (vgl. Steel, 2007). Doch stellt sich die Frage, ob Menschen, die Anfälligkeiten für Prokrastination zeigen, im Laufe ihres Lebens diese Neigung überwinden können. Obwohl Prokrastination als ein dysfunktionales Konzept mit erheblicher Relevanz für die Bildung angesehen wird, gibt es bisher keine ganzheitliche Betrachtung über die Lebensspanne hinweg.

Prokrastination wurde vorwiegend aus einer sozio-kognitiven Perspektive betrachtet (Sirois & Pychyl, 2013; Steel & König, 2006) und auf Gewissenhaftigkeit und Neurotizismus zurückgeführt (van Eerde, 2003). Zudem zeigt bisherige Forschung, dass Prokrastination sowohl mit negatven Konsequenzen im akademischen Kontext (z.B., Abbruchsintentionen, verringerte Leistung, Bäulke et al., 2021; Kim & Seo, 2015) als auch im Arbeitskontext (z.B., emotionale Erschöpfung, reduzierte Performanz, Metin et al., 2018; Roster & Ferrari, 2020) in Verbindung gebracht wird. Bislang fehlt jedoch Wissen über die Kontinuität des Konstrukts sowie über das Zusammenspiel zwischen Prokrastination, Gewissenhaftigkeit und Neurotizismus. Weiterhin ist unklar, welche Einflussfaktoren auf die Entwicklung wirken und inwiefern Prokrastination mit zukünftigen Lebensereignissen assoziiert ist.

Um diese Forschungslücken zu adressieren, wird mit vervoliegenden Studie das Ziel verfolgt, die allgemeine Entwicklung von Prokrastination umfassend zu untersuchen. Dabei werden die folgenden Fragen adressiert: (1) Wie entwickelt sich Prokrastination im Verlauf des jungen Erwachsenenalters? (2) Wie steht die Entwicklung von Prokrastination im Zusammenhang mit Gewissenhaftigkeit sowie Neurotizismus? (3) Steht der Übergang vom Studium in den Beruf mit der Entwicklung von Prokrastination im Zusammenhang? (4) Welche Auswirkungen hat Prokrastination auf zukünftige Lebensereignisse?

Zur Beantwortung der Fragestellungen wurden Daten der ersten acht Erhebungswellen einer fortlaufenden Längsschnittstudie analysiert (TOSCA – Transformation des Sekundarschulsystems und akademische Karrieren, Trautwein et al., 2010). Die erste Erhebung erfolgte im letzten Schuljahr vor dem Abitur, gefolgt von fünf weiteren Erhebungswellen im Zweijahresrhythmus und zwei weiteren Erhebungswellen im Vierjahresrhythmus. Die Studie umfasst folglich eine Zeitspanne von 18 Jahren, der achte Messzeitpunkt erfolgte während der COVID-19 Pandemie. Die Ausgangsstichprobe bestand aus 3023 Schüler:innen (58% weiblich; 42% männlich; Durchschnittsalter = 19.55 Jahre; SD= .78) mit einem Dropout von 41% von Erhebungswelle 1 bis 8. Um dies in den Analysen zu berücksichtigen, wurde für die Teilnahmehäufigkeit kontrolliert. Die Daten wurden mittels Mehrebenenanalysen (Messzeitpunkte genestet in Personen) analysiert.

Die Ergebnisse zeigen, dass erhebliche Varianzanteile von Prokrastination auf Unterschiede zwischen Personen zurückgehen (ICC = .63, p < .001). Ein Unconditional Growth-Modell zeigte eine lineare Abnahme von Prokrastination über die Zeit hinweg (b = –.15, p < .001) mit signifikanter Slope-Varianz zwischen Personen (Var = .05, p < .001). Um die Zusammenhänge zwischen Prokrastination, Gewissenhaftigkeit und Neurotizismus untersuchen zu können, wurde zunächst die Faktorstruktur überprüft. Fit Indizes verwiesen auf eine faktorielle Trennbarkeit von Gewissenhaftigkeit, Neurotizismus und Prokrastination. Zur Analyse des Co-Developments wurden bivariate latente Wachstumskurvenmodelle berechnet. Ergebnisse verweisen auf komplexe Zusammenhänge zwischen den Konstrukten. Zudem hing Prokrastinationsentwicklung negativ mit einem Transit in den Beruf zusammen (r = –.11, p < .01). Abschließend zeigten sich insbesondere negative Zusammenhänge zwischen Prokrastination und beziehungs- sowie gesundheitsbezogenen Variablen.

Die vorliegende Studie bestätigt die postulierten Hypothesen und deutet auf eine allgemeine Abnahme von Prokrastination über das junge Erwachsenenalter hin. Die Ergebnisse legen nahe, Gewissenhaftigkeit und Neurotizismus im Zusammenhang mit Prokrastinationstendenzen stehen. Die abnehmende Entwicklung von Prokrastination scheint mit dem Übergang vom Studium in den Beruf zusammenzuhängen. Zudem weisen die Ergebnisse darauf hin, dass Prokrastination langfristig nachteilige Auswirkungen auf Beziehungsaspekte und die physische sowie mentale Gesundheit hat. Zusammenfassend liefert die vorliegende Studie erstmalig Erkenntnisse zur Kontinuität von Prokrastinationstendenzen aus einer entwicklungsbezogenen Perspektive und ermöglicht somit ein besseres Verständnis der Entstehung und Auswirkungen dieses dysfunktionalen Verhaltens.