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Sitzungsübersicht
Sitzung
8-08: „Leistung macht Schule“(LemaS): Ausgewählte Ergebnisse aus Phase I des Bund-Länder-Projekts
Zeit:
Mittwoch, 20.03.2024:
11:10 - 12:50

Ort: H06

Hörsaal, 91 TN

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Präsentationen
Symposium

„Leistung macht Schule“(LemaS): Ausgewählte Ergebnisse aus Phase I des Bund-Länder-Projekts

Chair(s): Miriam Vock (Universität Potsdam, Deutschland), Gabriele Weigand (PH Karlsruhe)

Diskutant*in(nen): Dirk Richter (Universität Potsdam)

Das Symposium stellt ausgewählte Ergebnisse der ersten Phase des interdisziplinären, vom BMBF geförderte Forschungsverbund „Leistung macht Schule“ (LemaS) vor. Der LemaS-Verbund nahm im Jahr 2018 im Rahmen der auf 10 Jahre angelegten Bund-Länder-Initiative seine Arbeit auf. Beteiligt waren in der ersten, fünfjährigen Förderphase Forschendenteams von 18 Universitäten. Das Ziel der Arbeit bestand darin, Konzepte, Strategien, Maßnahmen und Materialien (sog. P3rodukte) für eine begabungs- und leistungsfördernde Schulentwicklung und die Förderung leistungsstarker und potenziell besonders leistungsfähiger Schülerinnen und Schüler im Unterricht forschungsbasiert zu entwickeln. Diese Entwicklungsarbeit erfolgte gemeinsam mit Lehrkräfteteams aus 122 Grundschulen und 178 weiterführenden Schulen aus dem gesamten Bundesgebiet (Weigand et al., 2020; Weigand et al., 2022).

Ausgangspunkt für das Projekt war die Erkenntnis, dass Schulen in Deutschland Schülerinnen und Schüler im oberen Teil des Leistungsspektrums oft nicht hinreichend fördern. Zwar entwickelten die Länder in den vergangenen Jahren zunehmend Förderangebote für Hochbegabte oder sehr Leistungsstarke und besonders Motivierte, diese erfolgten jedoch in der Regel in separaten Settings wie Spezialschulen/Spezialklassen, durch akzelerative Maßnahmen oder in Form von außerunterrichtlichen Zusatzangeboten (z. B. Ferienprogramme, Schülerwettbewerbe) (vgl. Vock, Preckel & Holling, 2007; Preckel & Vock, 2020). Für die Schulentwicklung und die Weiterentwicklung der Schulen und des Unterrichts zur differenzierten Förderung der Leistungsstarken und potenziell besonders Leistungsfähigen fehlte es jedoch an wissenschaftlich basierten und praxiserprobten Ansätzen. Zugleich zeichnet sich in der Begabungsforschung ein Paradigmenwechsel sowohl hin zu einer chancengerechten Potenzial- und Leistungsförderung für alle Kinder, unabhängig von Herkunft, Geschlecht und sozialem Status über alle Schularten hinweg (Weigand, Preckel & Fischer, 2022) als auch hin zu einer Talententwicklungsperspektive ab (Dai & Chen, 2013), welche die Diagnostik und Förderung von Begabungen dynamischer und domänenspezifischer begreift (Preckel et al., 2020). Diese beiden Perspektiven spiegeln sich auch in den in LemaS entwickelten Konzepten.

Der LemaS-Forschungsverbund hat sich zum Ziel gesetzt, Konzepte für die Entwicklung schulischer Leitbilder und für die Unterrichtsentwicklung zu erarbeiten, letztere sowohl fachübergreifend als auch fachspezifisch in den Bereichen MINT und Sprachen. Der Forschungsverbund strukturierte sich in der ersten Förderphase in 22 Teilprojekte mit je pädagogischer, fachdidaktischer oder pädagogisch-psychologischer Ausrichtung. Im Symposium werden im ersten Beitrag zunächst die Anlage, Ziele und ausgewählte Ergebnisse des LemaS-Verbunds präsentiert. In den Beiträgen 2 bis 5 werden Ergebnisse aus ausgewählten Teilprojekten vorgestellt:

Beitrag 2 stellt Erkenntnisse zu Gelingens- und Hinderungsfaktoren für die Implementation und den Transfer des LemaS-diFF-Projekts (diagnosebasiertes individualisiertes Fordern und Fördern) der Universität Münster dar, das sich an die Jahrgangsstufen 3 bis 6 richtet. Berichtet wird über eine Interviewstudie mit den 32 an diFF beteiligten Projektschulen.

In Beitrag 3 berichtet das Team der Humboldt-Universität zu Berlin über ihr Projekt zur Anregung begabungsförderlicher Schulentwicklungsprozesse. Im Fokus ihrer Studie mit leitfadengestützten Fokusgruppeninterviews mit 16 am Projekt beteiligten Grund- und weiterführenden Schulen stehen Fragen nach günstigen Rahmenbedingungen und der Art der Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Praxis.

In Beitrag 4 wird über die Erfahrungen mit der Implementation der Lesson Study Methode an 19 Projektgrundschulen berichtet. Vorgestellt werden Ergebnisse aus einer Fragebogenstudie des Projekts der Universität Potsdam, in der die Lehrkräfte nach fünf Jahren Erfahrung mit der Methode danach gefragt wurden, inwieweit sich ihre Motivation für das Unterrichten leistungsstarker und potenziell leistungsstarker Kinder sowie ihre Einstellung zu Kooperation verändert hat.

Beitrag 5 nimmt die fachbezogene Begabungsförderung im naturwissenschaftlichen Unterricht in den Blick. Es wird eine qualitativ angelegte Studie des Teams der Universität Hamburg vorgestellt, die zum Ziel hat, Leitlinien für Fortbildungen zu fachbezogener Unterrichtsentwicklung zu entwickeln. Ausgehend vom Modell der Didaktischen Rekonstruktion für die Lehrkräftebildung werden Vorstellungen von Lehrpersonen erhoben und analysiert. Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Perspektiven aus Schulpraxis und Wissenschaft sowie deren Bedeutung für die Gestaltung von Professionalisierungsangeboten im Kontext fachbezogener Potenzial- und Begabungsförderung werden diskutiert.

 

Beiträge des Symposiums

 

LemaS: Anlage, Ziele und erste Erkenntnisse des Bund-Länder-Projekts

Gabriele Weigand1, Miriam Vock2
1PH Karlsruhe, 2Universität Potsdam

In diesem Teilbeitrag wird zunächst die Gesamtanlage von LemaS kurz erläutert. Anschließend werden Grundlinien und Ziele von LemaS sowie zentrale Begrifflichkeiten und die besondere Art der Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Praxis in Research-Practice-Partnerships (auch: Wissenschaft-Praxis-Brücke) vorgestellt. Schließlich werden ausgewählte Ergebnisse aus der verbundübergreifenden Enderhebung unter der Frage: „Was bedeutet eigentlich Gelingen für LemaS?“, auch mit Blick auf die Transferphase, zur Diskussion gestellt.

„Leistung macht Schule“ (LemaS) gründet auf einer gemeinsamen Initiative von Bund und Ländern aus dem Jahr 2016 und ist ein auf insgesamt zehn Jahre angelegtes Projekt zur begabungs- und leistungsfördernden Schul- und Unterrichtsentwicklung (BMBF/KMK, 2016). Gerahmt von BMBF und den Kultusministerien der 16 Länder hat der interdisziplinäre Forschungsverbund LemaS, bestehend aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus Erziehungswissenschaft, empirischer Bildungsforschung, (Pädagogischer) Psychologie und Fachdidaktiken der am Projekt beteiligten Schulfächer (Deutsch, Englisch, MINT), in der 1. Phase des Projekts (1/2018-6/2023) mit 300 Schulen aller Schularten bundesweit an der Entwicklung und Optimierung von begabungs- und leistungsförderndem Unterricht und einer entsprechenden Gestaltung ihrer Schulkultur zusammengearbeitet. Dabei wurden Strategien, Konzepte, Maßnahmen und Materialien (sog. P3rodukte) erarbeitet, auf Praxistauglichkeit erprobt und formativ evaluiert. Diese sollen in der 2. Phase des Projekts (7/2023-12/2027) in Kooperation mit den 16 Ländern in bis zu 1000 weitere Schulen übertragen werden, wobei es hier insbesondere um die Beforschung der Transferprozesse geht.

LemaS geht bildungs- und lerntheoretisch davon aus, dass Potenzialentfaltung und Leistungsförderung für alle Schülerinnen und Schüler, unabhängig von Herkunft, Geschlecht und sozialem Status ein selbstverständlicher Auftrag jeder Schule sind (vgl. auch KMK, 2016). Als Ausgangspunkt schulischen Denkens und Handelns wird die Person des einzelnen Kindes und Jugendlichen und deren individueller Lern- und Bildungsweg betrachtet, wobei ein besonderer Fokus auf Schülerinnen und Schüler mit besonderen Begabungen und Leistungsstärken gelegt wird.

Um den Kindern und Heranwachsenden in ihrer Diversität und (Lern- und Leistungs-)Heterogenität (Vock & Gronostaj, 2017) gerecht zu werden und dem Ziel von begabungs- und leistungsfördernden Schulen näher zu kommen, hat sich LemaS in einem intensiven interdisziplinären Diskurs mit den beiden Grundbegriffen Begabung und Leistung, beides soziokulturelle Konstrukte (Müller-Oppliger & Weigand 2021), auseinandergesetzt und sich schließlich auf einen mehrdimensionalen, entwicklungsbezogenen Begabungs- und Leistungsbegriff verständigt (LemaS Forschungsverbund, o. J.). Dabei werden die Begriffe Begabung und Leistungspotenzial gleichgesetzt, indem Begabung als leistungsbezogenes Potenzial definiert wird (vgl. iPEGE 2009).

Eine Besonderheit von LemaS und der gesamten Initiative ist die Etablierung und Pflege einer kontinuierlichen Wissenschaft-Praxis-Brücke und einer besonderen Form von Research Practice Partnerships (Biesta, 2007; Coburn & Penuel, 2016). Wissenschaft und Praxis sind zwar zwei unterschiedliche Domänen mit je unterschiedlichen „Sprachspielen“ (Wittgenstein 1998, PU 7), in ihrer wechselseitig aufeinander abgestimmten Expertise zielen sie jedoch auf möglichst nachhaltiges Gelingen im Sinne eines „continuous improvement“ (Yurkofsky et al. 2020).

Der Einblick in ausgewählte Ergebnisse aus den verbundübergreifenden Erhebungen, insbesondere der Enderhebung (2022), an den 300 Schulen zeigt Befunde aus Schulsicht zum Erreichen der Ziele und zu förderlichen und hinderlichen Bedingungen für die Arbeit in der Initiative – auch mit Blick auf die Transferphase.

 

Gelingensbedingungen und Hinderungsfaktoren in der Projektdurchführung diagnosebasierter Förderformate – ein Blick zurück nach vorn

Steffen Janke1, Christiane Fischer-Ontrup2, Christian Fischer1
1Universität Münster, 2Universitä Münster

Theoretischer Hintergrund

Im Projektverbund der Teilprojekte 4-6 entstand in der ersten Förderphase das „diFF“-Projekt. Schülerinnen und Schülern der Jahrgangsstufe 3-6 haben im „Rahmen adaptiver Formate des diagnosebasierten individualisierten Forderns und Förderns (diFF)“ die Möglichkeit, „mit Blick auf die subjektive Bedeutsamkeit des Lerngegenstandes (…) ein Thema oder eine Forschungsfrage ihrer Wahl [zu] benennen und sich diesem/dieser selbstreguliert forschend anzunähern“ (Fischer et al., 2021, S. 77). 32 der 300 LemaS-Schulen absolvierten die erste Förderphase im diFF-Projekt. Viele dieser Schulen stehen in der zweiten Förderphase (2023-2027) vor einem Perspektivwechsel und werden zukünftig eine Multiplikatorenrolle übernehmen. Hierbei werden sie neue Netzwerkschulen in der Durchführung des diFF-Projektes begleiten. Ziel dieser Transferphase ist es, die bisherigen LemaS-Ergebnisse und Produkte zu transferieren, „wobei die erfolgreich erprobten und evaluierten Konzepte, Maßnahmen und Strategien in die Breite getragen werden“ (LemaS Forschungsverbund, 2023).

Einen zentralen Bestandteil der ersten Förderphase bildete die enge Zusammenarbeit zwischen dem diFF-Team (Universität Münster), das die wissenschaftliche Begleitung gestaltete, und den Lehrkräften der 32 Projektschulen, an denen die Projektdurchführung umgesetzt wurde. Im Kontext einer Wissenschafts-Praxis-Brücke (Coburn & Penuel, 2016) und mit dem Ziel einer ko-konstruktiven Zusammenarbeit auf Augenhöhe (Bietz et al., 2020) scheint es besonders wichtig, neben den Produkten die zentralen Erkenntnisse und Erfahrungen der bisher beteiligten Projektlehrkräfte zu erfassen, zusammenzutragen und in die Breite zu transportieren. Ziel der vorliegenden Untersuchung war es, zentrale Aspekte zu generieren, die von den projektdurchführenden Lehrkräften als förderlich (Gelingensbedingungen) oder hinderlich (Hinderungsfaktoren) für die Projektdurchführung der ersten Förderphase beschrieben wurden. Somit sollen individuelle Erfahrungen, die von den jeweiligen Lehrkräften in den eigenen Schulen gemacht wurden, gesammelt analysiert und im Sinne eines „Erfahrungskataloges“ zur gelingenden Unterrichts- und Schulentwicklung zusammengetragen werden, um auf dieser Basis wichtige Implikationen für die Akteur*innen der Transferphase sowie eine Weiterentwicklung von Fortbildungsmaterialien und -inhalten zu gestalten.

Fragestellung

Um Erkenntnisse der ersten Förderphase für den Transfer in der zweiten Förderphase aktiv zu nutzen und diesen gemeinsam mit den Multiplikatoren zu gestalten, wird in diesem Beitrag folgenden Forschungsfragen nachgegangen:

(1) Welche Gelingensbedingungen und Hinderungsfaktoren benennen Lehrkräfte des schulinternen LemaS-Teams der ersten Förderphase für eine gelingende Durchführung des diFF-Projektes?

(2) Wie können die berichteten Gelingensbedingungen und Hinderungsfaktoren für die Gestaltung der Transferphase (beispielsweise für die Fortbildung neuer Netzwerkschulen) genutzt werden?

Methode

Die an 32 Schulen tätigen projektdurchführenden Lehrkräfte sowie in Teilen auch die zuständigen Schulleitungen bildeten die Zielgruppe der vorliegenden Erhebung. Die Datengrundlage wurde in einer Vollerhebung in Form leitfragengestützter Interviews (N = 32) mit Akteur*innen aller beteiligten diFF-Schulen der ersten Förderphase in der ersten Hälfte des Jahres 2023 generiert und durchgeführt. Insgesamt entstanden über 23 Stunden Interviewmaterial, das transkribiert und mit Hilfe von MAXQDA (2022) computergestützt qualitativ-inhaltsanalytisch (MAXQDA 2022) ausgewertet wurde. Das Prinzip der Kategorienbildung folgt grundlegend einem deduktiven A-priori-Ansatz (Kuckartz, 2018, S. 63).

Ergebnisse

Insbesondere die Rolle der Schulleitung sowie der Rückhalt im Kollegium stellen zentrale Gelingensbedingungen für die Durchführung des diFF-Projektes in Rahmen der ersten Förderphase dar. Außerdem weisen die Ergebnisse darauf hin, dass zeitliche, personelle und räumliche Ressourcen wichtige Faktoren bilden. Als hinderlich für die Projektdurchführung wurden hingegen vor allem die Corona-Pandemie sowie der fehlende Rückhalt von Kollegium und Schulleitung beschrieben. Die Auswertung einzelner Subkategorien differenziert die jeweiligen Gelingensbedingungen und Hinderungsfaktoren zudem. Die vorliegenden Ergebnisse bieten, neben einem konzentrierten Blick in die Umsetzungs-Praxis des Projektes aus der Perspektive schulseitiger Akteur*innen, zahlreiche Implikationen für die Gestaltung der Transferphase an. So führten die ausgewerteten Rückmeldungen der schulinternen Projektlehrkräfte und die daraus gewonnenen Erkenntnisse zu ersten Anpassungen in der Fortbildungsgestaltung sowie zur Erstellung von weiterführenden Materialien für die Multiplikator*innen, um die erhobenen Erkenntnisse für alle (zukünftigen) Projektschulen sichtbar zu machen und somit für die Transferphase gezielt zu nutzen.

 

(Was) Kann wissenschaftliche Beratung zur Entwicklung innovativer Schulpraxis beitragen?

Frederik Ahlgrimm, Ricarda Albrecht, Carolina Claus
Humboldt-Universität zu Berlin

Theoretischer Bezugsrahmen

Untersucht werden Entwicklungsprozesse, die Begabungsförderung in Schulen zum Ziel haben und im Rahmen des Forschungsverbundprojektes Leistung macht Schule (LemaS) wissenschaftlich begleitet wurden (Weigand et al. 2022). Begabungsförderliche Schulentwicklung wird verstanden als die systematisierte Weiterentwicklung von Einzelschulen mit dem Ziel, dass Begabungen der Schüler*innen besser erkannt und gefördert werden können. Unter Schulentwicklung wird eine bewusste und absichtsvolle Veränderung verstanden, die von den Mitgliedern der Einzelschulen selbst vorgenommen wird (Dedering 2012).

Angenommen wird, dass die wissenschaftliche Begleitung von Schulentwicklungsmaßnahmen dazu beitragen kann herauszustellen, inwiefern die angewandten Ansätze effektiv und langfristig Wirkung entfalten (können) und tatsächlich zur Verbesserung der Bildungsqualität beitragen (für erste Befunde siehe Hennen 2021, S. 71) – wobei dies gleichsam mit Herausforderungen verbunden ist (siehe dazu Buchberger et al. 2023). Im Rahmen von LemaS wurde die externe Schulentwicklungsberatung über einen Zeitraum von fünf Jahren von ausgewählten Hochschulen durchgeführt; die involvierten Wissenschaftler*innen wurden im Zuge dessen als „schulferne Berater*innen“ tätig (Dedering et al. 2022, S. 349). In der Praxis stellt dieses Vorgehen eine Ausnahmeerscheinung dar. So bestehen Forschungsdes¬iderate nicht nur im Hinblick darauf, welche Faktoren Prozesse der Schulentwicklungsberatung begünstigen oder beeinträchtigen (Dedering et al. 2022, S. 358), sondern ferner, inwiefern insbesondere eine wissenschaftliche Begleitung zum Gelingen begabungsförderlicher, innovativer Schulentwicklung beiträgt.

Fragestellung

In der vorliegenden Studie wurde untersucht, welche innovativen Entwicklungen sich in den beteiligten Schulen ergeben haben. Dabei wird diskutiert, welche Rahmenbedingungen und Maßnahmen begabungsförderliche Schulentwicklungsprozesse unterstützt und/oder beeinträchtigt haben. Zudem wird herausgearbeitet, welche Bedeutung die Zusammenarbeit mit Wissenschaftler*innen in LemaS hatte. LemaS eröffnet einen geeigneten Rahmen, diese Fragestellungen zu untersuchen, da das Verbundprojekt eine „Wissenschaft-Praxis-Brücke“ (Weigand et al. 2022, S. 20) schafft, in dessen Rahmen wissenschaftliche Forschung und schulische Praxis auf eine langfristig angelegte Weise zusammengebracht und eine engmaschige Zusammenarbeit ermöglicht werden.

Methode

Im Zuge der Studie wurden an 16 Grund- und weiterführenden Schulen insgesamt 18 leitfadengestützte Fokusgruppeninterviews geführt (Döring & Bortz 2016, S. 361ff.). Interviewt wurden Lehrpersonen und Schulleitungen, die zum Zeitpunkt der Erhebungen (2020 und 2021) in Steuer- oder Arbeitsgruppen in die Prozessdurchführung involviert waren. Die Auswertung des Datenmaterials erfolgte gemäß der qualitativen Inhaltsanalyse nach Kuckartz (2008).

Ergebnisse

Die befragten Lehr- und Schulleitungspersonen nannten förderliche und hinderliche Bedingungen, die insgesamt acht Dimensionen zugeordnet wurden; diese wiederum wurden unterschieden in projektbezogene und schulinterne Bedingungen. Unter den schulinternen Bedingungen wurden etwa die strukturell sinnvolle Verortung des Themas in der Schule, spezifische, fokussierte Arbeitsweisen aller Beteiligten, Charakteristika des Schulleitungshandelns sowie ausreichende zeitliche und personelle Ressourcen genannt. Unter den projektbezogenen Bedingungen wurden eine stärkenorientierte, wertschätzende Prozessberatung, innovative inhaltliche Impulse, verbindliche Arbeitsweisen sowie Möglichkeiten zum Praxis- und Erfahrungsaustausch zwischen Schulen angeführt. Die besondere Rolle von Wissenschaftler*innen in der Beratung und Begleitung der Schulen wird vor dem Hintergrund dieser empirischen Ergebnisse zur Schulentwicklungsberatung diskutiert. Die Befunde weisen unter anderem darauf hin, dass die wissenschaftliche Begleitung vermag, nicht allein Räume – in und zwischen Schulen – für innovative Entwicklungsprozesse zu (er)öffnen und aufrechtzuerhalten, sondern darüber hinaus Verbindlichkeiten zwischen den Beteiligten herzustellen, derer es im Hinblick auf Kontinuität in der Schulentwicklungsarbeit bedarf. Resümiert wird schließlich, dass Entwicklung und Einführung begabungsförderlicher Maßnahmen sich nicht grundlegend von anderen pädagogischen Innovationsprozessen in Schulen unterscheiden. Abgeleitet werden Schlussfolgerungen sowohl zur Schulentwicklungsberatung als auch zur Gestaltung wissenschaftlicher Beratung und Begleitung in Modellprojekten.

 

Kooperative Unterrichtsentwicklung durch Lesson Study: Effekte auf die berufsbezogene Motivation und Einstellungen zur Kooperation von Lehrkräften

Swantje Bolli, Klara Kager, Julian Bucher, Eva Kalinowski, Miriam Vock
Universität Potsdam

Theoretischer Hintergrund

Im Teilprojekt 22 wurde die Methode Lesson Study, eine Form der kollegialen Unterrichtsentwicklung, an 19 Grundschulen des LemaS-Projekts eingeführt, um begabungs- und leistungsförderlichen Unterricht umzusetzen und zu erproben. Lesson Study stammt ursprünglich aus dem japanischen Bildungskontext und bietet einen systematischen Rahmen für Lehrkräfte, um selbstgesteuert und kontinuierlich den eigenen Unterricht im Team weiterzuentwickeln (Lewis, 2009). Dazu formuliert ein Team von 3–6 Lehrkräfte eine Leitfrage, plant gemeinsam eine Unterrichtsstunde, unterrichtet und hospitiert diese Stunde und reflektiert anschließend im Team, wie Schüler*innen in der Unterrichtsstunde gelernt haben. Lesson Study umfasst daher eine Vielzahl von Aspekten, die als wesentliche Merkmale effektiver Fortbildung von Lehrkräften gelten (Lipowsky, 2014). Laut dem adaptierten Angebots-Nutzungs-Modell für die Evaluierung von Lesson Study (Kalinowski et al., 2021) lässt sich durch die Teilnahme an Lesson Study ein positiver Effekt auf die affektiv-motivationalen Merkmale von Lehrkräften vermuten. Verschiedene Studien konnten einen positive Effekte auf die Selbstwirksamkeitserfahrung (Schipper et al., 2018) und die Kooperationsbereitschaft von Lehrkräften (Quaresma & Da Ponte, 2021) durch die Teilnahme an Lesson Study zeigen.

Fragestellungen

Ziel der vorliegenden quantitativen Evaluation des Teilprojekts ist es, die von Lehrkräften wahrgenommene Veränderung zur Einstellung zur Kooperation und deren berufsbezogene Motivation seit der Einführung von Lesson Study zu erfassen. Die Forschungsfrage lautete daher: Wie schätzen Lehrkräfte die Veränderung von a) Aspekten ihrer berufsbezogenen Motivation sowie b) ihrer Einstellungen zur Kooperation seit Einführung von Lesson Study an ihrer Schule ein?

Methode

Die Datenerhebung erfolgte von Dezember 2022 bis März 2023 als Online-Befragung per standardisiertem Fragebogen an allen 19 Projektschulen und adressierte alle Lehrpersonen und Schulleitungen, die an Lesson Study beteiligt waren. Die Teilnahme an der Befragung war freiwillig und die Analysestichprobe umfasst N = 37 Personen. Die berufsbezogene Motivation von Lehrkräften wurde anhand von Skalen zur Selbstwirksamkeit für das Unterrichten Leistungsstarker (adaptiert nach Hachfeld et al., 2012), zum Enthusiasmus für das Unterrichten Leistungsstarker (adaptiert nach Hachfeld et al., 2012) und zur kollektiven Selbstwirksamkeit (Jerusalem et al., 2009) erhoben (je fünfstufiges Antwortformat). Die Einstellung zur Kooperation seit der Einführung von Lesson Study wurde durch adaptierte Skalen zur Teamorientierung (Hossiep & Paschen, 2003) und zur Kooperationsbereitschaft (Eder et al., 2011) erfasst.

Ergebnisse

Erste Ergebnisse zeigen, dass Lehrkräfte sowohl ihren Enthusiasmus für das Unterrichten Leistungsstarker (M = 3.64; SD = 0.72) und ihre Selbstwirksamkeitserwartung für das Unterrichten Leistungsstarker (M = 3.68; SD = 0.58) als auch ihre kollektive Selbstwirksamkeitserwartung (M = 3.49; SD = 0.47) nach der Teilnahme an Lesson Study mindestens eher höher als zuvor einschätzen. Die Teamorientierung wurde von Lehrkräften als eher hoch eingeschätzt (M = 3.75; SD = 1.1); die Kooperationsbereitschaft hingegen unverändert und als lediglich mittelstark ausgeprägt (M = 2.51; SD = 1.1).

Die Ergebnisse deuten somit erwartungsgemäß darauf hin, dass die Teilnahme an Lesson Study eine positive Wirkung auf Lehrkräfte im Hinblick auf ihre Selbstwirksamkeit für das Unterrichten von leistungsstarken Schüler*innen und ihren Enthusiasmus sowie die Motivation haben kann. Die Bereitschaft der Lehrkräfte, mit Kolleg*innen zusammenzuarbeiten, scheint sich jedoch weder in positiver noch in negativer Hinsicht zu verändern. Implikationen für Lesson Study als Fortbildungskonzept in der zweiten LemaS-Projekt Phase werden diskutiert.

 

Potenzial- und Begabungsförderung im Biologieunterricht – Wissenschaftliche Perspektiven und Lehrpersonenperspektiven im Vergleich und Konsequenzen für die Konzeption von Professionalisierungsangeboten

Julia Schwanewedel, Lilith Koch, Norma H. Martins
Universität Hamburg

Schulleistungsstudien haben eindrücklich aufgezeigt, dass in Deutschland ein Nachholbedarf im Erkennen und Fördern leistungsstarker und potenziell leistungsfähiger Schüler:innen besteht (Vock et al., 2020). Diese Aufgabe kommt Schule als Ganzes, aber auch dem Fachunterricht zu (Weigand et al., 2022). Für den naturwissenschaftlichen Unterricht liegen Ansätze wie das Forschende Lernen als didaktische Leitideen für die Potenzial- und Begabungsförderung nahe. Jedoch haben sich diese Ansätze bisher nicht in der Unterrichtspraxis etabliert (Bruckermann et al., 2017; Käpnick, 2022). Um potenzial- und begabungsfördernde Ansätze im naturwissenschaftlichen Unterricht zu implementieren müssen konkrete Konzepte und Materialien entwickelt und erprobt werden. Zudem ist eine umfassende Professionalisierung der Lehrpersonen unerlässlich. Erfolgreiche Professionalisierungsangebote knüpfen dabei an den Wissensstand, die Vorstellungen, Einstellungen und Überzeugungen von Lehrpersonen an (Desimone, 2009).

Die Entwicklung- und Forschungsarbeiten in Lemas-Bio zielten deshalb darauf ab (1) fundierte Konzepte und Materialien für den Fachunterricht partizipativ mit Lehrpersonen zu entwickeln und zu erproben und (2) Erkenntnisse zur Gestaltung von Professionalisierungsangeboten zu gewinnen. Im Vortrag wird der Fokus auf eine Studie gelegt, die Ziel (2) fokussiert. Ziel ist die Entwicklung von Leitlinien für Professionalisierungsangebote, wobei das Modell der Didaktischen Rekonstruktion für die Lehrkräftebildung als Forschungsrahmen dient (Engelmann & Woest, 2021). Das Modell umfasst drei iterativ verbundene Untersuchungsaufgaben: fachliche Klärung der wissenschaftlichen Perspektiven, Analyse der Vorstellungen von Lehrpersonen, Didaktische Strukturierung (Konzeption von Leitlinien für die Professionalisierung).

Orientiert an diesen Aufgaben standen folgende Forschungsfragen im Fokus:

(1 und 2): Welche Vorstellungen (Wissen, Einstellungen und Überzeugungen) lassen sich bei Lehrpersonen (1) sowie in wissenschaftlichen Quellen (2) zu Begabung und Begabungsförderung im naturwissenschaftlichen Unterricht und in Bezug auf fachdidaktische Ansätze zum Erkennen und Fördern von Begabungen identifizieren?

(3) Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede werden beim Vergleich zwischen den Perspektiven der Lehrpersonen und der Wissenschaft deutlich?

(4) Welche didaktisch-methodischen Schlussfolgerungen lassen sich aus dem Vergleich beider Perspektiven für die Strukturierung und Entwicklung von Professionalisierungsangeboten ableiten?

Methode

Zur Erfassung der Lehrpersonenvorstellungen wurden problemzentrierte, leitfadengestützte Interviews durchgeführt. Der Interviewleitfaden umfasste u.a. Fragen zu (fachbezogener) Begabung und Begabungsförderung, Diagnose von Begabungen, begabungsförderlichen Haltungen und zum Forschenden Lernen im Kontext der Begabungsförderung.

Die Interviews dauerten 54 -144 Minuten (M = 107.53 min, SD = 23.55). Die Stichprobe bestand aus N = 15 Lehrpersonen (12 weiblich, M = 44, SD = 8.70, 30-60 Jahre) mit den Fächern Sachunterricht oder Biologie. Die Lehrpersonen verfügten über 2-39 Jahre Berufserfahrung (M = 15.6, SD = 10.03). Die Fachliche Klärung umfasste die Analyse von N = 21 einschlägigen wissenschaftlichen Quellentexten (national/international) aus den Bereichen Begabungsforschung, Psychologie, Erziehungswissenschaft und Naturwissenschaftsdidaktik.

Die Interviews wurden transkribiert und redigiert und wie die wissenschaftlichen Quellen mittels einer inhaltlich strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring (2015) computergestützt mit MAXQDA2022 ausgewertet.

Ergebnisse

Zentrale Ergebnisse sind auf beiden Seiten ein überwiegend breites Begabungsverständnis sowie Parallelen in den Vorstellungen zur Begabungsförderung und zum Forschenden Lernen, die auf eine Befürwortung des Forschenden Lernens zur Begabungsförderung schließen lassen. Dennoch weisen beide Perspektiven auf Herausforderungen beim Einsatz Forschenden Lernens hin. Die interviewten Lehrpersonen scheinen überwiegend über ein mehrdimensionales Begabungsverständnis zu verfügen, allerdings zeigt die Analyse Unterschiede: während neben der Mehrdimensionalität in der wissenschaftlichen Perspektive der dynamische Charakter von Begabung beschrieben wird (z.B. Stöger et al., 2018), zeigt die Analyse der Vorstellungen der Lehrkräfte eine eher statische Begabungsvorstellung. Unterschiede werden auch beim Verständnis Forschenden Lernens deutlich: während in der Perspektive der Wissenschaft das Forschende Lernen als Ansatz gesehen wird, der wissenschaftliches Denken fördert und Lernen über wissenschaftliche Methoden und die Nature of Science ermöglicht (z. B. Crawford, 2007), stellt er für die meisten Lehrpersonen ein offenes pädagogisch-didaktisches Konzept dar, dass Lernenden interessengeleitetes Arbeiten ermöglicht. Es werden die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Wissenschaft und Lehrpersonen dargestellt sowie deren Bedeutung für die Gestaltung von Lehrkräftefortbildungen im Kontext fachbezogener Potenzial- und Begabungsförderung diskutiert.