1. Einleitung
Als kognitiv aktivierend wird Unterricht in der Unterrichtsqualitätsforschung dann verstanden, „wenn er Lernende zum vertieften Nachdenken und zu einer elaborierten Auseinandersetzung mit dem Unterrichtsgegenstand anregt“ (Lipowsky, 2020, S. 92). Das Konstrukt wurde ursprünglich im Rahmen der TIMSS-Videostudie entwickelt (Klieme et al., 2001), wird aber in den letzten Jahren in unterschiedlichen Fachdidaktiken verwendet und unterschiedlich konzeptualisiert (Praetorius et al. 2020). Eine zentrale Frage dabei ist, in welchem Umfang kognitive Aktivierung als generisches Konstrukt verstanden werden kann und in welchem Umfang es Unterschiede zwischen verschiedenen Fächern und Lerngegenständen gibt.
Eine Arbeitsgruppe des Leibniz-Netzwerks Unterrichtsforschung bemüht sich um ein gemeinsames Verständnis von kognitiver Aktivierung über verschiedene Fachdidaktiken hinweg. Ein solches Verständnis und stärkere Klarheit über fach- und lerngegenstandsspezifische Unterschiede würde es erleichtern, Forschungsergebnisse besser in Beziehung zu setzen und damit zu kumulativem Erkenntnisgewinn beizutragen. Ein gemeinsames Verständnis könnte zudem eine Chance für die Unterrichtspraxis darstellen, wenn zentrale Konstrukte wie die kognitive Aktivierung kohärenter beschrieben und genutzt werden (z.B. in der Ausbildung von Lehrpersonen, Diskussion von Unterricht, usw.). In diesem Zusammenhang interessiert primär die Frage, welche Gültigkeit fächerübergreifende Unterrichtsqualitätsmodelle für verschiedene Fächer besitzen, wenn man berücksichtigt, dass sich die Lernziele, Lerngegenstände und fachliche Lernmodelle sowie Lehrmodelle teils stark unterscheiden (z.B. Inquiriy Based Learning in den Naturwissenschaften, motorisches Lernen im Sport, usw.).
In dem hier vorgeschlagenen, Workshop will die Gruppe unterschiedliche Perspektiven auf kognitive Aktivierung in einem interdisziplinären Setting diskutieren und damit Ideen generieren, wie erste Schritte für die Entwicklung eines über Fächer hinweg einsetzbaren Instrumentes zur Erfassung kognitiver Aktivierung aussehen könnte.
Ablauf
1. Teil: Kognitive Aktivierung in sechs Schulfächern: where we are now? (ca. 15 Min.)
Im ersten Teil des Workshops sollen die konzeptuellen Überlegungen zum Konstruktverständnis über verschiedene Fächer hinweg vorgestellt werden, das in der Arbeitsgruppe über die letzten Monate erarbeitet wurde. Zentral dabei ist ein vergleichender Überblick über das Konstruktverständnis in sechs Schulfächern, welcher von Fachdidaktik-Expert*innen erarbeitet wurde. In dieser Analyse werden zentrale Bildungsziele sowie Lerntheorien in diesen Fächern aufgezeigt. Darauf aufbauend wird vorgestellt, welche fachspezifischen Formen der kognitiven Aktivierung sich aus diesen Bildungszielen ergeben und was zentrale Lerngegenstände sind, auf welche sich die kognitive Aktivierung bezieht. Daraus lassen sich sowohl Gemeinsamkeiten wie auch Unterschiede in den Konzeptualisierungen erkennen, welche in den verschiedenen Fächern für das Konstrukt der kognitiven Aktivierung existieren.
Für diese Analyse haben wir Fächer ausgewählt, welche ein breites Spektrum der schulischen Aufgabenfelder und damit auch zentrale «Modi der Weltbegegnung» (Baumert, 2002) abdecken: Mathematik und Naturwissenschaften (primär der «kognitiv-instrumentellen Rationalität» zugeordnet); Deutsch, Englisch und Sport (primär der «ästhetisch-expressiven Rationalität» zugeordnet, Sport im Sinne leiblicher Expressivität) sowie Geschichte (primär der «moralisch-evaluativen Rationalität» zugeordnet).
2. Teil: Kognitive Aktivierung in den Sprachen und den Naturwissenschaften: Same same but different? (ca. 15 Minuten)
In zweiten Teil des Workshops werden die Konzeptualisierungen der kognitiven Aktivierung in zwei Fächern bzw. Fächergruppen exemplarisch vertieft, welche auch unterschiedliche „Modi der Weltbegegnung“ repräsentieren: Deutsch und Naturwissenschaften. Dabei werden Übereinstimmungen und Unterschiede aufgezeigt und auf konkrete Lerngegenstände in den jeweiligen Fächern bezogen. Diese vertiefende Darstellung geschieht auch mit Hinblick auf ein mögliches Beobachtungsinstrument für kognitive Aktivierung. Für die beiden Fächer soll exemplarisch herausgearbeitet werden, welchen Ansprüchen ein solches Instrument genügen müsste, um Gemeinsamkeiten zwischen den Fächern aufzuzeigen, und gleichzeitig an fachspezifische Konzepte anschlussfähig zu sein. Dabei werden folgende Fragen diskutiert:
- Welche Subdimensionen oder Facetten eines solchen Instruments könnten zwischen den Fächern identisch sein?
- Wo gibt es Reibungsflächen und wo liegen fachspezifische Unterschiede?
- Wie könnte mit solchen Unterschieden bei der Instrumentenentwicklung umgegangen werden (z.B. bei der Formulierung von Items)?
In diesem Teil findet also der Übergang von der konzeptuellen Diskussion hin zu einer Instrumentenentwicklung statt, welche die Gruppe als nächsten Projektschritt anstrebt. Diese Entwicklungsperspektive soll anschliessend auch im Fokus der Diskussion mit den Teilnehmenden stehen.
3. Teil: Ein fächerübergreifendes Instrument zur Beschreibung von Unterrichtsqualität: what are next steps? (ca. 60 Min.)
In diesem Teil sollen mögliche Entwicklungsperspektiven für den nächsten Projektschritt konkret mit den Teilnehmer:innen des Workshops diskutiert werden, wobei der Fokus besonders auf einem möglichen Instrument zur Erfassung von kognitiver Aktivierung gelegt wird. Ziel des Austausches ist es, die Ideen und Wünsche der Workshopteilnehmenden aus deren spezifischen Blickwinkeln abzuholen für das geplante open access Instrument:
(A) Externe Rückmeldung zur Projektidee
- Welche Chancen und Potentiale sehen die Teilnehmenden in dem Projekt?
- Wie ist mit eingangs skizzierten Herausforderungen umzugehen (z.B. fachspezifische Unterschiede)?
(B) Ansprüche an ein mögliches Beobachtungsinstrument
- Welche Ansprüche würden die Workshopteilnehmer:innen aus ihrer Perspektive an ein solches Beobachtungsinstrument formulieren?
- Welchen Anforderungen müsste dieses genügen, um in verschiedenen Fächern oder Kontexten (z.B. Forschung, Lehrpersonenbildung) einsetzbar zu sein?
Diese Fragen werden in einem Padlet vorstrukturiert und anschliessend im Plenum diskutiert und ausgewertet.
Bedeutung
Wir betrachten diesen Workshop als Fortsetzung des seit einigen Jahren verstärkt stattfindenden interdisziplinären Dialogs in der Unterrichtsqualitätsforschung. Im Kern steht die bisher wenig untersuchte Frage, ob sich hinter verschiedenen Konzeptionen des zentralen, bislang aber nur unscharf konzeptualisierten Konstrukts kognitiver Aktivierung in unterschiedlichen Fächern ein gemeinsamer Kern verbirgt, und wo fach- oder lerngegenstandsspezifische Unterschiede liegen. Diese Frage soll zunächst konzeptuell ausgeleuchtet werden, um anschliessend auf mögliche Instrumentenentwicklungen zu fokussieren. In diesem Sinne passt sich der geplante Workshop exzellent in das Tagungsmotto „Bildung verstehen • Partizipation erreichen • Transfer gestalten“ ein.