Veranstaltungsprogramm

Sitzung
8-05: Unterricht auf Wiedergabe: Forschungs- und Nachnutzungspotenziale von Videodaten in der Unterrichtsforschung
Zeit:
Mittwoch, 20.03.2024:
11:10 - 12:50

Ort: H01

Hörsaal, 100 TN

Präsentationen
Symposium

Unterricht auf Wiedergabe: Forschungs- und Nachnutzungspotenziale von Videodaten in der Unterrichtsforschung

Chair(s): Patick Schreyer (Universiät Kassel), Sonja Bayer (DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation)

Diskutant*in(nen): Miriam Hess (Otto-Friedrich-Universität Bamberg)

Videographien nehmen in der empirischen Unterrichtsforschung eine zentrale Rolle ein. Als etablierte Methode in der Forschungspraxis bieten sie tiefe Einblicke in Unterrichtsprozesse und -interaktionen. Ihnen wird ein besonderes Potenzial zugeschrieben, welches darin besteht, Theorien des Unterrichts zu entwickeln (Asbrand & Martens, 2018; Dinkelaker, 2020), sowie Modelle und Hypothesen zu prüfen (Grünkorn et al., 2020; Lotz, 2016).

Dies wird möglich, da Videoforschungsdaten einzigartige Einblicke in den Unterricht als komplexes Interaktionsgeschehen bieten (Herrle et al., 2016). Die besondere Fähigkeit von Videoaufzeichnungen, zeitliche Abfolgen, simultane Geschehnisse, Interaktionen sowie Mimik, Gestik und Körperhaltung der Beteiligten zu erfassen, stellt eine Besonderheit dar (Corsten et al., 2020; Herrle et al., 2016). Die Komplexität von Videos, kombiniert mit der Möglichkeit zur Wiederholung und Anpassung, erleichtert die Analyse des komplexen Unterrichtsgeschehens erheblich und bietet einen bedeutenden Mehrwert gegenüber anderen Datenquellen wie Leistungstests oder Befragungen.

Obwohl das Potenzial für den Erkenntnisgewinn durch die Analyse von Unterrichtsvideos immens zu sein scheint, stellt sich der Zugang zum Feld und die Erhebung dieser Videos als besonders herausfordernd dar. Demzufolge betonen verschiedene Forschungsgemeinschaften, dass ein zentraler Aspekt guter wissenschaftlicher Praxis in der Bereitstellung dieser wissenschaftlichen Daten für die spätere Nachnutzung liegt (DFG, 2019; DGfE et al., 2020). Die Bereitstellung von FAIRen Forschungsdaten gewährleistet nicht nur die Transparenz und Nachvollziehbarkeit von Studienergebnissen, sondern ermöglicht es auch, das volle Potenzial der aufwendig gesammelten Daten auszuschöpfen (Bainter & Curran, 2015; Raffaghelli & Manca, 2019; van der Zee & Reich, 2018).

Das Symposium thematisiert das hohe Nachnutzungspotential von Unterrichtsvideos, trotz bestehender Herausforderungen bei Sekundäranalysen und insbesondere in ihrer Bereitstellung. Es wird zudem auf die Schwierigkeiten und Limitationen eingegangen, die bei der Arbeit mit Videos entstehen können. In diesem Symposium werden Beiträge von Expert*innen aus verschiedenen Disziplinen und mit unterschiedlichen Perspektiven vorgestellt. Diese Beiträge erstrecken sich über diverse Phasen des Forschungsprozesses – angefangen bei der Planung einer Videostudie bis hin zu den abschließenden Auswertungen und Ergebnissen der jeweiligen Projekte.

  • Im ersten Beitrag (Schreyer) steht die zunehmende Bedeutung von Unterrichtsvideos in der Forschung im Vordergrund, wobei sowohl die Chancen als auch die Grenzen dieser Methode sowie deren Möglichkeiten zur Nachnutzung beleuchtet werden. Es werden Empfehlungen und Überlegungen vorgestellt, um die Videoforschung und deren Weiterverwendung in der Unterrichtsforschung weiter zu verbessern.
  • Im zweiten Beitrag (Bayer et al.) wird ein Augenmerk auf die rechtlichen Aspekte gelegt, die die Erhebung, Weitergabe und Nachnutzung von Unterrichtsvideos betreffen. Dabei werden im Rahmen einer Fallstudie die rechtlichen Vorgaben, Richtlinien und Anforderungen von Unterrichtsvideos, die in Deutschland und Australien erhoben wurden, und die damit einhergehenden forschungspraktischen Implikationen untersucht.
  • Im dritten Beitrag (Schneider) wird die Wiederverwendung bereits vorhandener Unterrichtsvideos diskutiert. Hierbei wird besonders auf bestehende Infrastrukturen eingegangen, die eine effiziente Nutzung dieser Videodatenbestände ermöglichen, um dem Umstand entgegenzuwirken, dass solch wertvolle Daten in der aktuellen Forschungslandschaft bisher nur selten zur (Nach)Genutzt werden.
  • Im vierten Beitrag wird ein Beispiel einer sekundäranalytischen Auswertung von Videodaten aus der deutsch-schweizerischen Studie „Pythagoras - Unterrichtsqualität und mathematisches Verständnis in verschiedenen Unterrichtskulturen“ (Klieme et al., 2009) vorgestellt. Die Auswertung zeigt, wie sich eine Unterstützung metakognitiver Kompetenzen von Lernenden im Unterricht auf die Entwicklung der Mathematikleistung auswirkt. Der Beitrag diskutiert die Bedeutung der Ergebnisse für die Unterrichtspraxis und geht auf Vor- und Nachteile der Re-Analyse von Videodaten ein.
 

Beiträge des Symposiums

 

Der Blick hinter die Kulissen: Technologische und methodologische Herausforderungen von Unterrichtsvideos

Patrick Schreyer
Universität Kassel

In den vergangenen Jahren haben sich Unterrichtsvideos als bedeutsames Datenmaterial in der empirischen Unterrichtsforschung herausgestellt (Corsten et al., 2020; Häusler et al., 2022). Durch die videobasierten Beobachtungsdaten können Forschende tiefgreifende empirische Erkenntnisse über das komplexe Geschehen der Interaktion im Unterricht gewinnen (Herrle et al., 2016). Allerdings bringt die konkrete (Nach)Nutzung von aufgezeichnetem Unterrichtsmaterial in der empirischen Unterrichtsforschung gegenwärtig immer noch einige Herausforderungen mit sich. Im Vergleich zur langen Tradition von textbasierten Erhebungs- und Auswertungsmethoden, wird davon ausgegangen, dass der Diskurs um videogestützte Beobachtungen methodisch sowie methodologisch noch am Anfang steht (Baltruschat & Wagner-Willi, 2018).

Die verstärkte Anwendung von Unterrichtsaufzeichnung hat zudem die Perspektive auf Unterricht maßgeblich beeinflusst (Dinkelaker, 2020). Neben den zwei etablierten Strömungen der Unterrichtsforschung – der videogestützten Unterrichtsqualitätsforschung und der qualitativ-rekonstruktiven Unterrichtsforschung – gewinnt inzwischen auch eine fachdidaktisch orientierte Unterrichtsforschung zunehmend an Bedeutung (Dinkelaker & Herrle, 2009; Riegler & Wiprächtiger-Geppert, 2018). Dabei wurde dieser Wandel teilweise durch die bisherige Vernachlässigung fachlicher Inhalte in Videostudien begünstigt, (Praetorius & Gräsel, 2021). Jedoch findet die Anwendung spezifischer Methoden zur Analyse von Unterrichtsvideos innerhalb dieser einzelnen (Teil)Disziplinen und Strömungen oftmals isoliert und ohne Verbindung zu anderen Ansätzen statt (Gröschner, 2019). Eine integrierte Betrachtung, die die Beziehung zwischen verschiedenen Ansätzen in einem Forschungskontext beleuchtet, fehlt häufig (Syring et al., 2023). Gerade im Hinblick auf die Bereitstellung von Unterrichtsvideos für die Zwecke der wissenschaftlichen Nachnutzung ist es nicht unerheblich, wie die erhobenen Videomaterialien beschaffen sind und in welchem Kontext diese zum Einsatz kommen.

Vor diesem Hintergrund wird in diesem Beitrag ein detaillierter Blick auf die facettenreichen Anwendungsgebiete von Unterrichtsvideos innerhalb der empirischen Unterrichtsforschung geworfen. Es stellt sich jedoch die Frage, wie man die verschiedenen Forschungsansätze im Zusammenhang mit Unterrichtsvideos integriert und bewertet. Daher sollen in diesem Beitrag folgende Kernfragen behandelt werden: Wie kann eine integrierte Sichtweise aussehen, die die Beziehung zwischen verschiedenen Forschungsansätzen in der Unterrichtsforschung beleuchtet? Welche Kriterien sind entscheidend für die Qualität und (Nach)Nutzbarkeit des gesammelten Videomaterials?

Ausgehend von zwei großangelegten Videostudien, soll gezeigt werden, wie die Art und Weise der Videoerhebungen die Möglichkeiten der Analyse, bspw. im Hinblick auf die Selektivität, den Blick auf den Unterricht und dadurch auch den Erkenntnisgewinn beeinflussen kann. Aus einer methodischen Perspektive zeigen (Re)Analysen der TALIS-Videostudie und erste methodische Triangulationen auf Basis der Unterrichtsvideos die Potenziale und Begrenzungen einer standardisierten Videoerfassung (Grünkorn et al., 2020; Schreyer, in Vorb.). Im Gegensatz dazu verdeutlichen Analysen der INTERFACH-Videostudie, bei der bis zu 15 Kameras im Klassenraum eingesetzt wurden, dass die Wahl der Kameraperspektive entscheidend für die Einschätzung der Interaktions- und Unterrichtsqualität sein kann (Schreyer, in Druck). Im Weiteren veranschaulicht diese Studie auch einige Grenzen in der praktischen Umsetzung zur Bereitstellung von Unterrichtsvideos.

Abschließend wird diskutiert, wie diese Ansätze die Unterrichtsforschung bereichern können und welche methodologischen Überlegungen und technischen Lösungen notwendig sind, um das volle Potenzial von Unterrichtsvideos auszuschöpfen. Die vorgestellten Ansätze und Erkenntnisse sollen dazu anregen, die Möglichkeiten von Unterrichtsvideos in der Unterrichtsforschung weiter auszuloten und innovative Analysemethoden zu entwickeln, die den vielschichtigen und dynamischen Charakter des Unterrichts adäquat abbilden können.

 

Rechtliche Rahmenbedingungen für das Teilen und Nachnutzen von Unterrichtsvideos. Eine Fallstudie in Australien und Deutschland

Sonja Bayer1, Lisa Gromala2, Maike Porzelt1
1DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation, 2Justus-Liebig-Universität Gießen

Videos erfassen neben den interessierenden Unterrichtsprozessen auch Gesichter, Stimmen, persönliche Gespräche und potenziell sensible Informationen wie Migrationshintergründe oder Gesundheitsdaten. Zudem können urheberrechtlich geschützte Elemente in Unterrichtsvideos auftreten, etwa bei der Aufnahme von Lehrmaterialien oder den Produkten der Lernenden. Die Verarbeitung von Unterrichtsvideos ist daher mit rechtlichen Anforderungen verbunden, welche bei der Forschung und dem Teilen der Daten berücksichtigt werden müssen (Scheller, 2017).

In diesem Beitrag werden die rechtlichen Rahmenbedingungen und ihre praktischen Auswirkungen auf die Erhebung, den Austausch und die Wiederverwendung von Unterrichtsvideos anhand einer Fallstudie beleuchtet (Yin, 2018). Die Fallstudie begleitet ein Forschungsprojekt, das Unterrichtsvideos an einer deutschen und einer australischen Schule erhebt, beginnend mit der Planung der Datenerhebung bis hin zur Archivierung der Daten in einem Forschungsdatenzentrum. Dabei werden die rechtlichen Vorgaben, Richtlinien und Anforderungen, die sich direkt auf den Umgang mit den Unterrichtsvideos beziehen, einbezogen.

Die Datenanalyse erfolgt mithilfe der Software MAXQDA und basiert auf der Auswertung von mehr als 200 E-Mail-Korrespondenzen zwischen dem Forschungsprojekt und verschiedenen Akteuren, in denen der Umgang mit den Forschungsdaten ausgehandelt wird. Darüber hinaus gewährt ein Experteninterview mit einer Projektbeteiligten vertiefte Einblicke in die Aushandlungsprozesse. Mit der Methode des thematischen Kodierens (Flick 2014) wurden verschiedene Konfliktarten und Lösungen herausgearbeitet.

Die Analyse zeigt, dass die rechtlichen Bestimmungen in Bezug auf Datenschutz und Urheberrecht in beiden Ländern sehr ähnlich sind. Dennoch variieren die Anforderungen an den Umgang mit den Forschungsdaten erheblich, je nach den genehmigenden Institutionen, was für die Forschenden zusätzliche, teilweise unnötige Hürden schafft. Verzögerungen bei der Datenerhebung ergeben sich aus unklaren Zuständigkeiten und Verfahren der genehmigenden Stellen.

 

Hilfreiche Ressourcen und Arbeitsschritte für die Bereitstellung oder Nachnutzung von Unterrichtsvideos

Jürgen Schneider1, Patrick Schreyer2, Mareike Kunter1, Maike Porzelt1
1DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation, 2Universiät Kassel

Eine bedeutende Stärke von Videoforschungsdaten liegt in ihrer Nutzbarkeit zur Beantwortung von Forschungsfragen über Forschungsparadigmen hinweg. Entsprechend gilt die Bereitstellung und Nachnutzung von Unterrichtsvideos als wertvoller Ansatz der Unterrichtsforschung.

Bisher ist es in der Bildungsforschung allerdings nicht gelungen, eine Kultur der Bereitstellung und Nachnutzung von Unterrichtsvideos zu etablieren (Goodey et al., 2022). Von 36 Publikationen (Jahr 2022), die Unterrichtsvideos als Forschungsdaten nutzten, stellte lediglich ein Projekt (Troll, Pietsch & Besser, 2023) seine Videos zur Nachnutzung bereit. Auch bei der Nachnutzung zeigt sich ein ähnliches Bild. Bis 2022 stellte das Forschungsdatenzentrum Bildung am DIPF etwa 2200 Unterrichtsvideos für die Nachnutzung durch Forschende zur Verfügung. Zwischen 2016 und 2022 wurden lediglich 8 Publikationen aus Nachnutzung durch Selbstauskunft von Sekundärforschern und Google Alerts erfasst. Auch wenn diese Erfassung die tatsächliche Nachnutzung etwas unterschätzt (sie deckt etwa 75 % der tatsächlichen Nachnutzung ab; Daniel, 2023), bleibt die Quote dennoch auf einem niedrigen Niveau.

Umfangreiche Erfahrungen bezüglich hilfreicher Ressourcen und essenzieller Arbeitsschritte im Umgang mit Videoforschungsdaten begünstigen den Prozess einer gelingenden Bereitstellung. Diese Ressourcen und Arbeitsschritte wurden allerdings noch kaum in die Forschungscommunity disseminiert. Forschende berichten von Unsicherheiten, offenen Fragen und fehlenden Routinen, die eine Bereitstellung und Nachnutzung verhindern (Steinhardt et al., 2022). Es fehlt also ein Überblick zu Ressourcen und Arbeitsschritten der Bereitstellung und Nachnutzung.

Dabei liegt die Verantwortung für das Gelingen von Bereitstellung und Nachnutzung nicht alleinig bei den wissenschaftlich Forschenden. Die Verantwortung ist in einem “research ecosystem” (Europäische Kommission, 2018, S. 10) zwischen den Forschenden selbst und Forschungsinfrastrukturen, -bibliotheken, sowie -einrichtungen aufgeteilt. Das wissenschaftsunterstützende System (z.B. Forschungsdatenzentren) bietet Ressourcen, die den Prozess des Bereitstellens und Nachnutzens für Forschende deutlich erleichtern. Zudem können sie stellenweise Aufgaben ihres Expertisebereichs übernehmen (z.B. Aufbereitung und Dokumentation der Daten) und so Forschende entlasten. Diese vorhandenen Ressourcen sind bisher allerdings noch wenig disseminiert.

Ziel des Beitrags ist es, Arbeitsschritte und Ressourcen für Forschende bezüglich der Bereitstellung und Nachnutzung von Unterrichtsvideos zu systematisieren. Dies soll Unsicherheiten im Prozess verringern und den Arbeitsaufwand für die Forschenden möglichst reduzieren. Anhand eines Prozessmodells werden wesentliche Arbeitsschritte für eine Bereitstellung oder Nachnutzung beschrieben und jeweilige Ressourcen aufgezeigt.

Der Beitrag schärft das Bewusstsein für die gemeinsame Nutzung von Unterrichtsvideos und stellt deren Attraktivität für die Bildungsforschung und die Forschenden selbst heraus. Gleichzeitig wird aufgezeigt, an welchen Stellen noch Ressourcen und empirische Erkenntnisse fehlen, um eine Kultur der Bereitstellung und Nachnutzung weiter auszubauen.

 

Einfluss der Förderung von Metakognition im Klassengespräch auf die Mathematikleistung

Edyta Nowinska
Universität Osnabrück

Unter Metakognition wird meist das Denken über das eigene Denken und die Regulation des Denkens verstanden (Flavell, 1976, 1979). Seit Flavell (1976, 1979) gilt die Förderung von Metakognition der Lernenden als eine Maßnahme zur Verbesserung des Lernverhaltens und schließlich zur Steigerung der Lernergebnisse. Positive Effekte dieser Förderung wurden in zahlreichen Interventionsstudien nachgewiesen (Depaepe et al., 2010; Mevarech et al., 2010; Mevarech & Kramarski 2014) und durch Metaanalysen (De Boer et al., 2018; Dignath & Büttner, 2008; Verschaffel et al., 2019) bestätigt. Inspiriert durch Interventionsstudien haben Wissenschaftler Empfehlungen für die Förderung von Metakognition auch im regulären Unterricht – insbesondere im Klassengespräch – entwickelt (Veenman et al., 2006; Zepeda et al., 2019; Zion et al., 2005). Bisher fehlt jedoch an Erkenntnissen inwiefern solche Förderungsmaßnahmen im regulären Unterricht die Entwicklung der Mathematikleistung beeinflussen (Kyriakides et al., 2020; Zepeda et al. 2019). Ein Ziel der aktuellen Studie ist, den Einfluss der Förderung von Metakognition im Klassengespräch im regulären Mathematikunterricht auf die Entwicklung der Mathematikleistung unter Kontrolle individueller Merkmale der Lernenden und Merkmale der Klassen zu untersuchen.

Zu diesem Zweck wurden Unterrichtsvideos und Leistungsdaten der Studie „Pythagoras - Unterrichtsqualität und mathematisches Verständnis in verschiedenen Unterrichtskulturen“ Klieme et al., 2009; Klieme & Reusser, 2003; Hugener et al., 2006; Lipowsky et al., 2006) re-analysiert. Der Datensatz besteht aus 40 Klassen (20 Klassen der 9. Jahrgangsstufe aus Deutschland, 20 Klassen der 8. Jahrgangsstufe aus der Schweiz). Diese wurden in drei Unterrichtsstunden zur Einführung in die Satzgruppe des Pythagoras gefilmt. Mit Leistungstests wurde u.a. das Verständnis des Satzes des Pythagoras nach der dritten gefilmten Unterrichtsstunde und das pythagorasspezifische Vorwissen direkt vor der Einführung in das Thema sowie das Beweisverständnis am Ende der gesamten Unterrichtsreihe zur Satzgruppe des Pythagoras und am Anfang des Schuljahres erfasst. Die Förderung von Metakognition im Klassengespräch wurde von zwei geschulten voneinander unabhängigen Ratern mit einem zweistufigen Ratinginstrumentarium mit sieben Items mit hochinferenten Skalen (Nowińska, 2013) erfasst.

Eine Faktorenanalyse ergab, dass sich die sieben Items zu drei Skalen zusammenfassen lassen: (1) metakognitive Qualität des Klassengesprächs (Praktizieren metakognitiver Aktivitäten, Formulieren elaborierter Begründungen zu diesen Aktivitäten und Auseinandersetzung mit dem eigenen Verständnis der Fachinhalte des Unterrichts), (2) diskursive Unterrichtsqualität des Klassengesprächs (Praktizieren diskursiver Aktivitäten z.B. durch genaues Eingehen auf Beiträge von anderen und Bemühungen um ein präzises, gut nachvollziehbares Gespräch), (3) anspruchsvoller Diskurs (Engagement der Lernenden in metakognitive Aktivitäten in einem präzise untereinander geführten Austausch über die Fachinhalte des Unterrichts sowie Engagement in eine Diskussion zu anspruchsvollen Fragen zu diesen Inhalten).

Der Einfluss der Förderung von Metakognition auf die Mathematikleistung wurde mit dem Ansatz der Mehrebenenanalysen untersucht. Die Ergebnisse zeigen, dass Förderung von Metakognition auch unter Kontrolle individueller Merkmale der Lernenden und Merkmale der Klasse einen positiven Einfluss auf die Mathematikleistung hat und zur Erklärung der Varianz in dieser beiträgt. Der Einfluss auf das Beweisverständnis fällt stärker aus als auf das Verständnis des Satzes des Pythagoras. Im Beitrag wird die Bedeutung der Ergebnisse diskutiert und eine Erklärung dieses Unterschieds vorgenommen.

Am Beispiel der Studie werden Vor- und Nachteile der (Nach)Nutzung von Videos beleuchtet. Insbesondere wird gezeigt, an welchen Stellen in der Auswertung des Videomaterials methodische Herausforderungen zustande kamen und wie diese durch eine erneute Analyse der Videodaten und Anpassungen der Auswertungsmethoden behoben wurden. Die Herausforderungen betreffen u.a. die in den Videos abgebildete Vielfältigkeit des Klassengesprächs und der Interaktionen in ihm und konsequenterweise die Auswahl geeigneter Analyseeinheiten sowie die Aggregation der Ratings über die drei analysierten Unterrichtsstunden. Der Beitrag beleuchtet auch das Potenzial der durchgeführten Videoanalyse zur Erklärung des Einflusses einer metakognitiven Förderung der Lernenden auf die Mathematikleistung.