Symposium
Beziehungen zwischen Lehrkräften und Schüler*innen: Dyadische Interaktionen und ihr zeitlicher Verlauf
Chair(s): Friederike Blume (DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation, Deutschland)
Diskutant*in(nen): Christoph Niepel (Universität Luxembourg)
Theoretische Konzepte und Überlegungen betonen stets die Wichtigkeit von Eigenschaften des Schulkontexts für die Entwicklung und den akademischen Erfolg von Schüler*innen (z.B. Bronfenbrenner & Morris, 2006; McClelland & Cameron, 2011; Thelen & Smith, 1994). Insbesondere den dyadischen Interaktionen zwischen Lehrkräften und einzelnen Schüler*innen im Klassenzimmer wird in diesem Zusammenhang eine wesentliche Rolle zugeschrieben (z.B. Pianta et al., 2003; Spilt et al., 2022). Studien zeigten, dass die Qualität dieser Interaktionen bedeutsamen mit akademischen Ergebnissen von Schüler*innen in Zusammenhang steht, wie beispielsweise dem Lernverhalten, dem Engagement im Unterricht, der Motivation, den Emotionsregulationsfähigkeiten und den exekutiven Funktionen (z.B. Birch & Ladd, 1997; Furrer & Skinner, 2003; Roorda et al., 2017; Sankalaite et al., 2021). Empirische Untersuchungen deuten zudem darauf hin, dass die positive Wirkung von qualitativ hochwertigem Unterricht auf die Leistungen der Schüler*innen nur dann zum Tragen kommt, wenn eine gute Beziehung zwischen Schüler*innen und ihrer Lehrkraft besteht (Nguyen et al., 2020). Darüber hinaus konnte gezeigt werden, dass qualitativ hochwertige Interaktionen im Unterricht insbesondere für Schüler*innen mit einem erhöhten Risiko für schlechte schulische Leistungen von großer Bedeutung sind (McGrath & Van Bergen, 2015). Die Qualität von Lehrkraft-Schüler*in-Interaktionen nimmt somit eine zentrale Rolle für die schulischen Ergebnisse von Schüler*innen ein.
Dyadische Lehrkraft-Schüler*in-Beziehungen spiegeln die Qualität der Interaktionen innerhalb des Mikrosystems zwischen einer Lehrperson und einem*einer einzelnen Schüler*in wider (Pianta et al., 2003). Um die Interaktionen und ihre Wirkungen zu verstehen, werden verschiedene theoretische Ansätze herangezogen, darunter die Interpersonale Theorie (Horowitz & Strack, 2011; Leary, 1957), die Selbstbestimmungstheorie (Ryan & Deci, 2000) und die Bindungstheorie (Bowlby, 1969). Die Qualität der Beziehung zwischen Lehrkraft und Schüler*in wird, unabhängig vom theoretischen Zugang, als Ergebnis eines dynamischen Zusammenspiels von Merkmalen beider Interaktionspartner auf intrapersonaler, interpersonaler und kontextueller Ebene gesehen (Spilt et al., 2022). Die Beziehungsqualität unterliegt somit einer stetigen Entwicklung, und jede einzelne Messung kann lediglich eine Momentaufnahme darstellen. Die bisherige Forschung hat dem dyadischen Charakter der Lehrkraft-Schüler*in-Beziehung allerdings wenig Aufmerksamkeit geschenkt und sich häufig nur auf das Interaktionsverhalten einer der beiden Partner*innen innerhalb der Dyade konzentriert. Zudem analysierten frühere Studien hauptsächlich Daten, in welchen die Qualität der Lehrkraft-Schüler*in-Beziehung nur einmalig und somit unter Vernachlässigung von Schwankungen über die Zeit erhoben wurde.
Die im vorliegenden Symposium vorgestellten Beiträge gehen diese Schwächen an, indem sie den dyadischen Charakter von Interaktionen zwischen Lehrkräften und ihren Schüler*innen berücksichtigen. Darüber hinaus analysieren zwei der Beiträge Daten, die über mehrere Messzeitpunkte hinweg erhoben wurden. Der erste Beitrag stellt den ersten Fragebogen zur Bewertung dyadischer Lehrkraft-Schüler*in-Beziehung aus der Perspektive der Interpersonalen Theorie sowie die Ergebnisse von zwei Validierungsstudien vor. Der zweite Beitrag berichtet die Ergebnisse einer Studie, welche die Auswirkungen der Adaptivität oder Passung der dyadischen Lehrkraft-Schüler*in-Beziehung in Bezug auf die akademischen Kompetenzen jedes*jeder Schüler*in auf die Qualität ihrer Motivation untersucht hat. Der dritte Beitrag stellt die Ergebnisse einer Studie, die die Beziehungen zwischen der täglich von Schüler*innen wahrgenommenen Befriedigung und Frustration ihrer Bedürfnisse nach Autonomie, Eingebundenheit und Kompetenz (d.h. Qualität der Lehrkraft-Schüler*in-Beziehung aus der Sicht der Selbstbestimmungstheorie), gemessen während 15 aufeinanderfolgenden Schultagen, und dem Zuwachs in der Fähigkeit zur Selbstregulation über einen Zeitraum von fünf Monaten untersucht hat, vor. Im vierten Beitrag werden Ergebnisse aus drei Studien präsentiert, die die kreuzverzögerten Zusammenhänge zwischen dem fachlichen Interesse von Schüler*innen der Begeisterung der Lehrkräfte für den Unterricht untersucht haben. Insgesamt stellen die Beiträge dieses Symposiums eine Vielzahl innovativer und bedeutsamer Erkenntnisse vor, die die bisherige Forschung zu Lehrkraft -Schüler*in-Beziehungen sinnvoll ergänzen und erweitern.
Beiträge des Symposiums
Zusammenhänge zwischen Lehrkraftverhalten, Lehrkraftemotionen, wahrgenommener Beziehungsqualität zum Kind und den Kompetenzen des Kindes. Vorstellung eines neuen Befragungsinstrumente in dyadischen Lehrkraft-Kind-Beziehungen
Madeleine Kreutzmann, Madita Frühauf, Malte Roswag, Karoline Koeppen Freie Universität Berlin
Das mehrdimensionale Konstrukt "Lehrkraft-Kind-Beziehung" umfasst neben dem Verhalten auch Emotionen und Wahrnehmungen der Beziehungsqualität (Pianta et al., 2003). In unserer Forschung fokussieren wir auf das Interaktionsverhalten der Lehrkraft, das auf das Lernen des Kindes bezogen ist.
Das interpersonale Verhalten einer Lehrkraft kann gemäß der interpersonellen Theorie (Horowitz & Strack, 2011; Leary, 1957) auf den Dimensionen Agency (Lenkung, Kompetenz) und Communion (Wärme) beschrieben werden. Da beide Dimensionen orthogonal zueinander stehen, bilden sie die Grundlage einer Kreisstruktur, dem sog. interpersonalen Zirkumplex. Bisherige Studien zur Bedeutsamkeit interpersonellen Lehrkraftverhaltens betrachten üblicherweise Lehrkraftverhalten gegenüber der Schulklasse (z.B. Wubbels, 2015). Dabei hat sich eine Kombination aus hoher Communion und moderater Agency als besonders günstig für die motivationale Entwicklung von Schüler:innen erwiesen (Aelterman, et al. 2018). Weitgehend unberücksichtigt blieb bisher, dass Lehrkräfte in pädagogischen Interaktionen gegenüber einzelnen Kindern durchaus unterschiedliche Verhaltensweisen zeigen können, da sich Verhaltensweisen der Interaktionspartner:innen in einer Dyade wechselseitig bedingen. Genauer besagt das sog. Komplementaritätsprinzip, dass hoch kommunale Verhaltensweisen des einen Interaktionspartners hoch kommunale Verhaltensweisen des anderen begünstigen, während hoch agentisches Verhalten wenig agentisches Verhalten des anderen begünstigt – und umgekehrt (vgl. Sadler et al., 2011). Mit dem neu entwickelten „Fragebogen zum Lehrkraftverhalten in dyadischen Lehrkraft-Kind-Beziehungen“ wenden wir den interpersonalen Zirkumplex und das Komplementaritätsprinzip erstmals zur Beschreibung dyadischer Lehrkraft-Kind-Beziehungen an. In dem Fragebogen beschreibt die Lehrkraft, wie stark unterschiedliche –im Ausmaß von Agency und Communion variierenden– Verhaltensweisen ihr Verhalten gegenüber einem bestimmten Kind beschreiben. Als Beispiel für hohe Agency gelten Verhaltensweisen, mit denen dem Kind beim Lernen klare Strukturen und Anleitung vorgegeben werden. Hohe Communion wird durch Items erfasst, die Zuwendung und Wertschätzung gegenüber dem Kind ausdrücken.
Dieser Beitrag umfasst zwei Studien, in denen wir den neu entwickelten Fragebogen vorstellen, seine strukturelle Validität prüfen und für die Prüfung seiner Konstruktvalidität Zusammenhänge mit Wahrnehmungen zur Beziehungsqualität, Lehrkraftemotionen und den Kompetenzen des Kindes (Komplementaritätsprinzip) untersuchen.
In Studie 1 beantworteten 88 Grundschullehrkräfte den 20 Items umfassenden Fragebogen für jeweils fünf zufällig ausgewählte Kinder (N = 440) ihrer Klasse und machten Angaben zur Beziehungsqualität (Nähe, Konflikt, Abhängigkeit; vgl. Milatz et al., 2014), ihren Emotionen gegenüber dem Kind (Freude, Ärger, Angst; vgl. Frenzel et al., 2016) und dessen Noten in den Fächern Mathematik und Deutsch. Konfirmatorische Strukturanalysen (vgl. Grassi et al., 2010) zeigten eine gute Modellanpassung und bestätigten die (quasi )zirkuläre Struktur des finalen Messinstruments mit insgesamt acht Skalen (χ2 (17) = 141.44, RMSEA = 0.129, GFI = 0.934, AGFI = 0.868). Structural-Summary-Analysen (vgl. Gurtman, 1992) verwiesen auf systematische Korrelationen zwischen Lehrkraftverhalten und Einschätzungen zur Beziehungsqualität und Lehrkraftemotionen. Das Komplementaritätsprinzip bestätigte sich darin, dass sich die Lehrkraft umso agentischer verhielt, je weniger agentischer das Kind war, gemessen durch seine Noten. Zudem waren Verhaltensweisen mit hoher Communion bei gleichzeitig moderater bis niedriger Agency besonders ausgeprägt, wenn die Lehrkraft die Beziehungsqualität zu einem Kind als nah, wenig konflikthaft oder abhängig einschätzte, in der Interaktion mit dem Kind hohe Freude, wenig Ärger oder Angst erlebte.
In Studie 2 werden die Verhaltensbeschreibungen von acht Lehrkräften mit Schüler:innendaten (N = 149) zusammengeführt. Zusätzlich zu den Mathematik- und Deutschnoten wurde diesmal die Sprachkompetenz der Kinder mit einem standardisierten Leistungstest (C-Test; IQB, 2017) erfasst. In der Structural-Summary-Analyse bestätigte sich das Komplementaritätsprinzip durch eine statistisch bedeutsame Korrelation zwischen Agency der Lehrkraft und der Agency des Kindes, hier gemessen über seine Sprachkompetenz: Je höher die Sprachkompetenz des Kindes war, desto weniger agentisch verhielt sich die Lehrkraft.
Die Ergebnisse beider Studien sprechen für die Gültigkeit des Komplementaritätsprinzips in Lehrkraft-Kind-Dyaden und damit für die Konstruktvalidität unseres Instrumentes. Die Vorteile einer Erfassung von Lehrkraftverhaltensweisen auf Ebene von Dyaden werden vor dem Hintergrund diskutiert, dass eine hohe Komplementarität zwischen Lehrkraftverhalten und den Kompetenzen des einzelnen Kindes einer adaptiven Unterrichtspraxis entspricht.
Wie Agency und Communion im Lehrkraftverhalten die Motivation des Kindes vorhersagen. Analyse von Befragungsdaten in Lehrkraft-Kind-Dyaden an der Grundschule
Karoline Koeppen, Malte Roswag, Madita Frühauf, Madeleine Kreutzmann Freie Universität Berlin
Lehrkraftverhalten gegenüber Schüler:innen lässt sich entsprechend der interpersonellen Theorie (Leary, 1957) als Zirkumplex auf zwei orthogonalen Dimensionen beschreiben: die Communion-Dimension bezieht sich dabei auf Qualitäten, die für den Aufbau und die Aufrechterhaltung sozialer Beziehungen erforderlich sind (z. B. Wärme, Herzlichkeit) und die Agency-Dimension auf Qualitäten, die für das Erreichen von Zielen erforderlich sind (z. B. Führung, Anleitung, Kompetenz). Dabei bedingen die Verhaltensweisen von Lehrkraft und Kind einander wechselseitig: stark kommunales Lehrkraftverhalten macht kommunales Verhalten des Kindes wahrscheinlicher, stark agentisches Lehrkraftverhalten macht hingegen schwach agentisches Verhalten des Kindes wahrscheinlicher (sog. Komplementaritätsprinzip, vgl. Sadler et al., 2011). Starke Communion im Lehrkraftverhalten geht mit stärker selbstbestimmten Formen der Motivation bei Schüler:innen einher (Metaanalyse: Roorda et al. 2017). Weniger eindeutig ist, ob ein bestimmtes Ausmaß an Agency besonders motivationsförderlich ist. Aus Sicht der Selbstbestimmungstheorie sollte geringe Agency besonders günstig sein (vgl. Aelterman & VansteenKiste, 2023)
Wir nehmen im Unterschied dazu an, dass die Qualität der Motivation des Kindes von der Adaptivität oder Passung der Lehrkraft-Agency zur individuellen Kompetenz des Kindes (Komplementarität) abhängt: ein Kind mit noch geringen Kompetenzen sollte von Struktur und Anleitung der Lehrkraft profitieren, ein Kind mit gut entwickelten Kompetenzen hingegen von mehr Freiräumen, d.h. von einem weniger agentischen Lehrkraftverhalten.
Um diese Annahme zu prüfen, untersuchten wir das Lehrkraftverhalten innerhalb von Lehrkraft-Kind-Dyaden. Wir befragten Lehrkräfte und ihre Klassen (Klassenstufe 3-6) an 16 Berliner Grundschulen an Tablets bzw. am PC. Die 74 Lehrkräfte beschrieben dabei ihr Verhalten gegenüber jedem Kind ihrer Klasse anhand von 20 Items, die verschiedene Kombinationen von Communion und Agency beinhalten. Die N = 1151 Kinder beschrieben die Qualität ihrer Motivation im Unterricht bei der jeweiligen Lehrkraft (intrinsische, extrinsische Motivation und Amotivation). Um die Adaptivität der Agency des Lehrkraftverhaltens in Abhängigkeit der individuellen Kompetenz des Kindes messen zu können, erfassten wir die Mathematikkompetenz des Kindes anhand eines standardisierten Leistungstest (BEFKI, Schroeders et al., 2020). Wir nutzten den von Madon et al. (1997) vorgeschlagenen Residualansatz, bei dem zunächst Lehrkraft-Agency durch die Mathematikleistungen der Kinder vorhergesagt wurde. Die aus dieser Regression resultierenden Residuen spiegelten die unerklärte Varianz wider und dienten als Maß für Komplementarität (s.a. Gentrup et al., 2020). Unter Berücksichtigung der hierarchischen Struktur der Daten fanden wir in Random Intercept-Modellen (Fixed Slopes) in Übereinstimmung mit den Befunden früherer Studien (Metaanalyse: Roorda et al., 2017), dass stärker kommunales Lehrkraftverhalten stärker ausgeprägte selbstbestimmte Formen der Motivation beim Kind vorhersagte. Gleichzeitig fanden wir weniger ausgeprägte selbstbestimmte Formen der Motivation in dem Maße, in dem die Agency im Lehrkraftverhalten nicht passend zur Kompetenz des Kindes war. Kinder, die im Verhältnis zum gemessenen Kompetenzniveau zu viel Agency durch die Lehrkraft erhielten, berichteten stärkere Amotivation. Die extrinsische Motivation war höher für Kinder, die wenig passende (zu viel oder zu wenig) Agency erhielten. Für die intrinsische Motivation zeigten sich wider Erwarten keine Effekte der Passung der Agency zur Kompetenz.
Unsere Ergebnisse stehen im Einklang mit den Annahmen der Self-Determination-Theory (SDT; Deci & Ryan, 2000), insofern als starke Communion im Lehrkraftverhalten selbstbestimmte Motivationsformen voraussagte. Die Befunde gehen jedoch über die SDT hinaus, indem sie nahelegen, dass die Lehrkraft jedem Kind in Abhängigkeit seines Kompetenzstandes ein unterschiedliches Maß an Autonomie oder Struktur (mehr oder weniger Agency) bieten sollte. Wir diskutieren die Ergebnisse im Hinblick auf Implikationen für eine adaptive Unterrichtspraxis, in der jedem Kind ein Lehrkraftverhalten zuteil wird, das seine individuelle Lernentwicklung optimal fördert.
Unlocking potential!? The power of the quality of day-to-day teacher-child relationships in shaping the development of self-regulation
Friederike Blume1, Jantine Spilt2, Dieter Baeyens2 1DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation, Deutschland, 2KU Leuven
The quality of dyadic teacher-child relationships (TCRs; cf. Spilt et al., 2022) has long been considered key to student development (Bronfenbrenner & Morris, 2006; Thelen & Smith, 1994). Studies evidenced their quality to be linked to students’ academic outcomes, their social skills and learning behaviour, their emotion regulation skills, and their cognitive functioning (Birch & Ladd, 1997; Furrer & Skinner, 2003; Sankalaite et al., 2021). The particular relevance of high-quality TCRs for students at risk for negative developmental and academic outcomes has also been demonstrated (e.g., McGrath & Van Bergen, 2015).
Self-determination theory (SDT) provides one theoretical approach for addressing dyadic TCRs (Ryan & Deci, 2000; Spilt et al., 2022). Research has consistently demonstrated positive associations between the fulfilment of three fundamental psychological needs: autonomy, relatedness, and competence and students’ outcomes (e.g., Skinner & Belmont, 1993; Stroet et al., 2013). Previous research into TCRs has, nonetheless, overlooked the fact that these needs can also be thwarted (e.g., Vansteenkiste & Ryan, 2013). Furthermore, it has not adequately acknowledged that TCRs’ quality may vary from day to day, and longer-term daily evaluations could thus increase the precision of the information provided. Additionally, dyadic TCRs have been insufficiently examined from the students’ point of view (e.g., Spilt et al., 2022). Finally, the significance of TCRs for the development of students’ self-regulation (e.g., McClelland & Cameron, 2011) has yet to be addressed. The present investigation therefore aimed to examine associations between student-perceived need satisfaction and dissatisfaction, as reported by Flemish primary school students over 15 consecutive school days, and the development of students’ parent-reported self-regulation over five months.
Methods
Ninety-six parents (Mage = 9.36 years, SD = 0.83) completed a background questionnaire, providing demographic information and reporting on their child’s self-regulation (SWAN-NL; Greven et al., 2018). They also completed a post-test questionnaire on their child’s self-regulation five months later. Immediately following the background questionnaire, children reported on their daily perceived need satisfaction and dissatisfaction (i.e., the dyadic TCRs) over 15 consecutive school days using items adapted from the Balanced Measure of Psychological Needs Scale (Neubauer & Voss, 2016). To analyse the data, three multiple regression models were estimated. These included students’ age and mean satisfaction and dissatisfaction of a) autonomy, b) relatedness, and c) competence needs over the study period as predictors of change in students’ self-regulation (i.e., difference score post-pre). The predictors were z-standardised.
Results
The satisfactions of the needs for autonomy (β = .18, p > .05), relatedness (β = .14, p > .05), and competence (β = .09, p > .05) were not linked to the growth of students’ self-regulation. The dissatisfactions of the needs for autonomy (β = .27, p < .05), relatedness (β = .26, p < .05), and competence (β = .30, p < .05; curvilinear association) were positively associated with the growth of students’ self-regulation, as was students’ age (all βs > .23, p < .05).
Discussion
The findings were unexpected as they revealed no association between needs satisfaction and the change in students’ self-regulation over five months, but an association with the dissatisfaction of needs. The findings thus suggest that lower, but not higher quality TCRs are linked to more positive development. While this hypothesis is not strongly supported by existing research, the results may indicate that greater dissatisfaction of needs poses a significant challenge to students’ self-regulation, thereby providing a greater prospect for growth. In essence, when students effectively self-regulate despite challenging circumstances, their capacity for self-regulation is more effectively enhanced. Further research is required to investigate this matter, particularly investigations that involve daily associations at the individual level.
Wer inspiriert wen? Wechselseitige Beziehungen zwischen dem Enthusiasmus von Lehrpersonen und dem Interesse der Schüler:innen
Alexander Jung1, Tim Fütterer1, Anne Frenzel2, Benjamin Nagengast1, Kou Murayama1 1Universität Tübingen, 2Ludwig-Maximilians-Universität München
Theoretischer Hintergrund. Das fachliche Interesse von Schüler:innen ist eine zentrale Voraussetzung für erfolgreiches Lernen—insbesondere für tiefergehende Verarbeitung von Informationen (für einen Überblick siehe Wigfield & Cambria, 2010). Für die Stimulation des Schüler:innen-Interesses hat sich der Enthusiasmus von Lehrpersonen zu unterrichten als bedeutsame herausgestellt (z.B. Frenzel et al., 2009; Keller et al., 2014; Lazarides et al., 2019; Patrick et al., 2000; für einen Überblick siehe Keller et al., 2016). Allerdings wird der Enthusiasmus von Lehrpersonen bisher meist als zeitlich stabile Eigenschaft (trait) operationalisiert. Lehrpersonen-Enthusiasmus wird dementsprechend häufig nur zu einem Messzeitpunkt erhoben (z.B. Lazarides et al., 2021) und dann der Einfluss von Enthusiasmus auf bspw. das Schüler:innen-Interesse untersucht. Kaum untersucht ist Lehrpersonen-Enthusiasmus jedoch als potentiell variierende Variable (state), weshalb Wechselbeziehungen zwischen dem Lehrpersonen-Enthusiasmus und ihren Schüler:innen bisher nicht im Fokus standen. Seit einigen Jahren wird allerdings verstärkt gefordert, Wechselbeziehungen zwischen Lehrpersonen und Schüler:innen in den Blick zu nehmen (Fauth et al., 2020; Keller et al., 2016; Nurmi & Kiuru, 2015). Es ist naheliegend, dass der Enthusiasmus zu unterrichten auch davon abhängt, wie interessiert die Schüler:innen am Fach sind und mit wie viel Freude sie am Unterricht teilnehmen.
Fragestellungen. In unserer Studie nehmen wir uns den Wechselbeziehungen zwischen dem beim Unterrichten empfundenen Lehrpersonen-Enthusiasmus und dem fachlichen Schüler:innen-Interesse mit zwei Forschungsfragen (FF) an:
(FF1) Beeinflusst der Lehrpersonen-Enthusiasmus zu unterrichten das fachliche Schüler:innen-Interesse?
(FF2) Beeinflusst das durchschnittliche fachliche Interesse einer Klasse den Lehrpersonen-Enthusiasmus zu unterrichten?
Methode. Um Einflüsse von Lehrpersonen auf Schüler:innen und Einflüsse von Schüler:innen auf Lehrpersonen zu entflechten, ist es notwendig, längsschnittliche Daten zu analysieren. Wir nutzen daher cross-lagged panel-Modelle (CLPMs; siehe Usami et al. 2019) um Beziehungen zwischen dem empfundenen (in Abgrenzung zu dargestelltem; Keller, 2016) Enthusiasmus zu unterrichten und dem über Klassen gemittelten Fachinteresse von Schüler:innen in zwei Datensätzen zu untersuchen (1. Datensatz: NLehrpersonen = 164, NSchüler:innen = 3.924, drei Messungen in Klasse 5, Mathematik; 2. Datensatz: NLehrpersonen = 112, NSchüler:innen = 1.578, zwei Messzeitpunkte in aufeinanderfolgenden Schuljahren in Klassen 5 bis 10, Mathematik und Deutsch). Um Scheinzusammenhänge, die durch Methodeneffekte entstehen könnten, auszuschließen, untersuchen wir Zusammenhänge zwischen von Lehrpersonen geratetem Enthusiasmus zu unterrichten und von Schüler:innen geratetem fachlichem Interesse. Das bedeutet, Prädiktoren und Kriterien wurden jeweils von verschiedenen Personen geratet. Wir modellieren die beschriebenen CLPMs als single-level Strukturgleichungsmodelle unter Verwendung manifester Klassenmittelwerte der Schüler:innen-Ratings und nicht als multi-level Modelle, da zweiteres zu unterschätzen Standardfehlern führen würde (Lüdtke et al., 2008).
Ergebnisse. In Datensatz 1 wird sowohl von Lehrpersonen-Enthusiasmus auf das mittlere Schüler:innen-Interesse einer Klasse als auch in umgekehrter Richtung jeweils einer von zwei getesteten Effekten statistisch signifikant: Zwischen Messzeitpunkt 1 und 2 der Effekt von Lehrpersonen auf Schüler:innen (β = ,22, SE = ,06, p < ,001), zwischen Messzeitpunkt 2 und 3 der Effekt in umgekehrter Richtung (β = ,13, SE = ,06, p = ,035). In Datensatz 2 wird lediglich der Effekt von mittlerem Schüler:innen-Interesse auf den Lehrpersonen-Enthusiasmus statistisch signifikant (β = ,13, SE = ,06, p = ,035).
Diskussion. Die gefundenen Effekte sind als groß einzuordnen (Orth et al., 2012). Während ein kausaler Einfluss von Lehrpersonen-Enthusiasmus auf Schüler:innen-Interesse häufig angenommen wird (z.B. Keller et al., 2014), postulieren wir keine kausalen Einflüsse. Denn es wäre denkbar, dass nicht Schüler:innen-Interesse, sondern ein eng mit Schüler:innen-Interesse korreliertes Konstrukt zu der beobachteten Veränderung im Lehrpersonen-Enthusiasmus führt. Allerdings kontrollieren wir implizit für potenzielle, zeitstabile Störfaktoren (Murayama & Gfrörer, 2022), weil die CLPMs Veränderungen vorhersagen. Gegenseitige Beeinflussungen von Schüler:innen und Lehrpersonen wären damit tatsächlich die plausibelste Erklärung. Die Ergebnisse der Analysen eines dritten Datensatzes werden auf der Konferenz präsentiert und Implikationen (z.B. für Lehrpersonenausbildung) sowie Limitationen werden, unter anderem vor dem Hintergrund der Selbstbestimmungstheorie (Ryan & Deci, 2000), diskutiert.
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